Der "Tag der Heimat" in Hannover muss ohne die Hauptperson beginnen. Rund 200 vor allem betagte Gäste sitzen schon eine Weile auf ihren Stühlen im Saal; auf der Bühne hat inzwischen ein Pianist mit dem Klavierspiel begonnen. Und auch der niedersächsische Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Oliver Dix, will nicht mehr länger mit seiner Eröffnungsrede warten. Er hebt gerade dazu an, eine lange Liste offizieller Begrüßungen abzuarbeiten, da öffnet sich hinten im Saal eine Tür:
"... und wenn ich gerade von lieben Gästen spreche, da kommt gerade einer rein, lieber Bernd Fabritius, herzlich willkommen, Dein Zug hatte Verspätung ..."
Der Zug aus Berlin zu spät, die Ampeln in Hannover rot - Bernd Fabritius wirkt ein bisschen gehetzt, als er nun endlich seinen Ehrenplatz in der ersten Reihe ansteuert; im Publikum recken sie die Hälse nach ihm. Bernd Fabritius ist der Hoffnungsträger beim Bund der Vertriebenen. Anfang November wird er Erika Steinbach an der BdV-Spitze ablösen; seine Wahl gilt als sicher. Mit 49 Jahren steht Fabritius für einen Generationswechsel. Und wenig später am Rednerpult macht er klar: Jüngere Leute braucht der BdV nicht nur im Präsidium.
"Unsere Kinder und Enkelkinder engagieren sich nicht mehr automatisch in unseren Verbänden und Organisationen. Dem müssen und können wir entgegenwirken."
In jedem einzelnen Satz, den Fabritius sagt, ist zu hören: Er will den BdV in die Zukunft retten. Dazu gehört für ihn zwar auch die Erinnerung an das Schicksal von Millionen Deutschen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs vertrieben wurden. Doch er schlägt gleich den Bogen in die Gegenwart, spricht über Weltpolitik und den "Islamischen Staat", über Flüchtlingsströme und über Vertreibung, die immer und überall ein Verbrechen ist. Den BdV bezeichnet er als kompetenten Ansprechpartner, wenn es um Völkerverständigung und Versöhnung gehe:
"Das ist ein breiter Blumenstrauß an schönen Aufgaben, der zeigt, dass wir noch lange nicht entbehrlich sind. Das ist schon einen Applaus wert!"
"Kein Anti-Steinbach"
Fabritius ist Siebenbürger Sachse; 1984 kam er als Spätaussiedler nach Deutschland. 18 Jahre war er damals alt, und er gehörte zu denjenigen Rumäniendeutschen, die die Bundesrepublik für je 10.000 Mark dem Ceausescu-Regime abkaufte. Fabritius wurde Rechtsanwalt, engagierte sich im BdV, seit einem Jahr sitzt er für die CSU im Bundestag. Manch einer mag bezweifeln, ob Fabritius für den BdV konservativ genug ist - er gilt eher als moderat und kompromissbereit; aus seiner Homosexualität macht er kein Geheimnis. Hinter vorgehaltener Hand wird er auch schon mal als Anti-Steinbach bezeichnet, doch das hört Fabritius nicht gern:
"Ich bin mit Sicherheit kein Anti-Steinbach, weil es keinen Anti-Steinbach braucht. Ich denke, dass Erika Steinbach sehr häufig missverstanden ist. Wir haben in den wesentlichen Fragen, die den Bund der Vertriebenen betreffen, die gleiche Auffassung. Ich bin also bestimmt kein Anti-Steinbach."
Erika Steinbach hat als BdV-Präsidentin viele gegen sich aufgebracht. Kritiker werfen ihr vor, die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg relativieren zu wollen, weil sie etwa mit aller Macht ein umstrittenes Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin durchsetzen wollte. Sie war gegen den EU-Beitritt Polens und Tschechiens und 1991 stimmte sie als CDU-Abgeordnete gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Als sie ihren Rückzug von der BdV-Spitze ankündigte, reagierten besonders die Polen mit Erleichterung – so hat es auch Maren Röger erlebt; sie forscht am Deutschen Historischen Institut in Warschau:
"Generell kann man etwas salopp zusammenfassen, dass die Polen denken, es kann nur besser werden als unter Steinbach."
Fabritius könne eine Chance sein für den BdV - wenn er Brücken baue und auf scharfe Rhetorik verzichte, sagt die Historikerin Maren Röger. Dass ihm der Dialog wichtig ist, hat Fabritius schon als Chef seiner Landsmannschaft gezeigt: Das Verhältnis der Siebenbürger Sachsen zu Rumänien gilt heute als vorbildlich.
"Sicherlich ist es so, und das wird in Polen auch ganz klar registriert, dass Fabritius vielleicht nicht in den allerkonservativsten Kreisen im Bund der Vertriebenen genehm sein mag - was hier wiederum eher positiv gesehen wird."
"Der hat noch Mumm in den Knochen!"
In Hannover stärken sich die ersten Gäste an einem deftigen Büffet mit Braten und Rotkohl. Von ihrem zukünftigen Präsidenten sind sie angetan:
"Gut, frischer Wind, gar nicht so schlecht. - Macht einen guten Eindruck! - Der kann gut reden. - Der hat noch Mumm in den Knochen, ist noch jung!"
Über Erika Steinbach verlieren sie hier kein schlechtes Wort. Zweifelsohne hat sie für den BdV viel erreicht. Bernd Fabritius spricht von großen Fußstapfen, die Steinbach ihm hinterlasse. Und doch ist zwischen den Zeilen zu erfahren, dass er den BdV anders führen wird:
"Sie hat einige Sachen in dem politischen Diskurs überspitzt, zugespitzt. Ich werde einen diplomatischen, auf Verständnis und auf Dialog aufbauenden Weg fahren."
Beim Tag der Heimat singen sie zum Abschluss die Nationalhymne, so ist es Tradition beim BdV und das lässt sich auch Bernd Fabritius nicht nehmen. Obwohl er eigentlich längst weiter müsste, nach München. Doch seinen Zug hat er gerade verpasst.