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Bund deutscher Kriminalbeamter nach Hanau
"Über die Sicherheitsbehörden hinausdenken"

Das Umfeld des Anschlägers von Hanau habe ihn über Jahre gekannt, sagte Sebastian Fiedler vom Bund deutscher Kriminalbeamter im Dlf. Menschen im Umfeld solch einer Person müssten niederschwellige Angebote gemacht werden, wie Beratungsnetzwerke, die professionell mit Gefahrenhinweisen umgehen können.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.
Sebastian Fiedler drängt darauf, vorne anzusetzen und zu fragen, warum die nicht schon tatsächlich vorhandenen Gesetze im Vorfeld keine Wirkung entfalten konnten (imago / Metodi Popow)
Der Anschlau in Hanau ist der dritte mutmaßlich rechtsextremistische Anschlag in Deutschland innerhalb von nur wenigen Monaten. Auch deshalb wird jetzt umso intensiver über die notwendigen politischen Konsequenzen nach dem Attentat in Hanau diskutiert. Die Vorschläge reichen dabei von einer weiteren Verschärfung des Waffenrechts, über die Einrichtung einer Kommission zur Islamfeindlichkeit, bis hin zu einer stärkeren Präsenz der Polizei. Am Vormittag haben sich nun Innenminister Horst Seehofer und Justizministerin Christine Lambrecht geäußert, mit dabei auch BKA-Chef Holger Münch und der Generalbundeanwalt Peter Frank.

Jörg Münchenberg: Herr Fiedler, der dritte rechtsextremistisch motivierte Anschlag – mutmaßlich, muss man ja sagen – in Deutschland innerhalb von nur wenigen Monaten. Aus Ihrer Sicht, wie groß ist die Gefährdungslage?
Sebastian Fiedler: Die ist in den Beiträgen, glaube ich, schon hinreichend gut beschrieben. Insbesondere die Justizministerin, aber auch der Innenminister haben, glaube ich, das sehr zutreffend beschrieben. Ich halte sie auch tatsächlich für die größte Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat, die wir derzeit zu beherrschen haben, und sie paart sich mit weiteren Gefahren, die sich eher im rechtsextremistischen politischen Spektrum derzeit so befinden.
Münchenberg: Nun ist da eine kurzfristige Maßnahme, zum Beispiel auch der mehr Polizeipräsenz jetzt. Hilft das wirklich, oder soll das nur ein Gefühl oder kann das nur ein Gefühl der Sicherheit vermitteln?
Nach Anschlag in Hanau - Trauer und Wut prägen das Gedenken
In Deutschland gedenken Menschen der Opfer des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau. Extremismusforscher Matthias Quent forderte im Dlf eine gesellschaftliche Debatte über Rassismus. Ziel solcher Täter sei es, die Spaltung in der Gesellschaft zu vertiefen.
Fiedler: Ich bin noch nicht mal sicher, ob das überhaupt ein Gefühl vermittelt. Die Forschung dazu ist höchst uneinheitlich, und es gibt nicht so viel, was man daraus ableiten kann. Ich verstehe, dass politisch insbesondere der Bundesinnenminister auf solche Reflexe zurückgreift. Er muss allerdings einen Nachsatz liefern, wenn er von Personalaufwüchsen und Ähnlichem redet, dann verschweigt er regelmäßig die desaströse Personalsituation in den Ländern.
Das hat ja seinen Grund, dass wir nicht erst nach diesem Anschlag – das betone ich: als Reflex –, sondern schon seit langer Zeit darauf hinweisen, dass der sogenannte Pakt für den Rechtsstaat dringend wieder aufgemacht werden muss und neu verhandelt werden muss, in dem es darum geht, dass sich die Ministerpräsidenten der Länder darauf verständigen, zusätzliches Personal aufzustocken, weil der Bundesinnenminister in allen letzten Bundespressekonferenzen, die ich verfolgt habe, darauf hingewiesen hat, dass wir einen neuen Schwerpunkt hier setzen müssen, ohne andere Bereiche zu vernachlässigen.
Das kann er auf Bundesebene tun, weil er tatsächlich vom Bundestag richtigerweise zusätzliches Personal bekommen hat. In den Ländern sieht die Situation genau andersrum aus. Diesen Teil sollten wir schon der Vollständigkeit halber auch mitbesprechen.
"Eine Gesellschaft muss sich resilient zeigen"
Münchenberg: Nun klang das ja eben auch schon an, die Gefahr von Nachahmer, die sei schon groß. Ist es dann nicht besser, man würde auf Großveranstaltungen jetzt verzichten?
Fiedler: Nein, also das sehe ich nun tatsächlich überhaupt gar nicht. Also das sind die gleichen Texte, die habe ich schon im Kontext des islamistischen Terrorismus aufgesagt: Eine Gesellschaft muss in der Tat sich resilient zeigen, auch gegen solche schlimmen Ereignisse. Erst recht muss sie jetzt Karneval feiern, würde ich sogar fordern. Das wäre ja noch ein Erfolg im Nachhinein solcher Täter. Vor allen Dingen, glaube ich, müssen wir darauf hinweisen, dass hier die Aufgaben, die vor uns liegen, nicht nur alleine Aufgaben der Sicherheitsbehörden sind, sondern es geht nun weit darüber hinaus.
Es reicht von der Hasskriminalität, es geht über die Diskussion der Strategie der AfD, die sie verfolgt, es müssen Zusammenhänge diskutiert werden, was das eine mit dem anderen zu tun hat, und die Sicherheitsbehörden müssen in die Lage versetzt werden, damit umzugehen. Aber nur eines der Segmente herauszugreifen würde viel zu kurz gesprungen sein.
Anzahl der Fälle von rechtsextremistischer bzw. rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1971
Die Daten beruhen auf der Auswertung offizieller Stellen (z.B. Verfassungsschutzberichte, Bundestagsdruckssachen) (Deutschlandradio)
Münchenberg: Trotzdem, das wurde eben gerade angesprochen, Hass im Netz, da hat die Politik ja schon reagiert. Jetzt Hass im Netz soll stärker, soll nachhaltiger bekämpft werden, die sozialen Netzwerke sollen auch in die Pflicht genommen werden. Reicht das aus?
Fiedler: Das ist genau der Punkt, auf den ich versucht habe gerade zu sprechen zu kommen. Wir haben erst wieder in der letzten Woche dazu Veranstaltungen gemacht, und sowohl der Generalsbundesanwalt als auch das BKA haben deutlich darauf hingewiesen, dass hier die Achillesverse, wie ich das gerade schon gesagt habe, leider Gottes in den Ländern liegt.
Es ist zu erwarten, dass Meldungen entstehen, es soll ja jetzt dazu kommen, dass, wenn Sie – machen wir ein konkretes Beispiel – bei Twitter bedroht würden und würden eine Meldung abgeben, dass man Sie mit dem Tode bedroht, dann würde die beim BKA eingehen, und die würde Sie weiterreichen an die Länder. Es ist mit einer sechsstelligen Anzahl solcher Meldungen zu rechnen, und alle sind sich einig, dass diese Instrumente genau richtig und gut sind, aber dass sie nur dann helfen, wenn tatsächlich bei demjenigen, der diese Hasspostings abgesetzt hat, auch die Polizei vor der Tür steht. Da müssen wir tatsächlich nachschärfen.
Es ist kein Selbstzweck aus sich heraus, sondern das ist der Grund dafür, warum wir uns in den Ländern in die Lage versetzen müssen, auch tatsächlich diesen Gesetzen zur Wirkung zu verhelfen.
"Über die Sicherheitsbehörden hinausdenken"
Münchenberg: Auf der anderen Seite, viele der Täter, was man zumindest jetzt weiß, war Einzeltäter, war offenbar schwer psychisch krank, und da stellt sich ja immer wieder die Frage, was können Sicherheitsbehörden leisten, wie kann man solche Menschen überhaupt frühzeitig erkennen, rausfiltern?
Fiedler: Ja, genau, und deswegen will ich ganz deutlich sagen, das, was ich gerade gesagt habe, hat mit diesem Thema gar nichts zu tun, sondern hier geht es bei dem Thema Hasskriminalität um eine Entwicklung in den sozialen Medien, um ein gesellschaftliches Klima, es geht darum, dass Kommunalbeamte und Bundestagspolitiker und Journalisten bedroht werden. Das sollten wir trennen von diesen herausragenden Taten im Hinblick darauf, was zu tun ist, denn bei diesen Taten wie denen in Halle – aber ich gehe auch weiter und verlasse den Kontinent und nenne Christchurch und auch jetzt natürlich in Hanau – geht es darum, dass wir über die Sicherheitsbehörden hinausdenken.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es im Umfeld einer solchen Person ja ganz viele Menschen gegeben hat, die diese Person über viele Jahre gekannt haben. Ich wäre mal sehr neugierig darauf, was die Schützenbrüder im Schützenverein denn über ihn so zu sagen hätten, was Nachbarn zu sagen hätten, Familienangehörige und andere, ob niemand von ihnen erkannt hat, dass es sich hier um eine problematische Persönlichkeit handelt.
Wir müssen für solche Menschen im Umfeld dieser Person niederschwellige Angebote machen, wie zum Beispiel dieses Beratungsnetzwerk der Universität Gießen, die dann professionell mit solchen Hinweisen umgehen können und in Zweifelsfällen über Netzwerke die Sicherheitsbehörden verfügen. Das sind Punkte, die müssen wir diskutieren.
Ich will darauf hinweisen, dass mir nur dieses eine Beratungsnetzwerk bekannt ist und dass es von ehrenamtlichen Wissenschaftlern begleitet wird. Ich glaube, der Staat täte gut daran, wenn er hier mal Unterstützung zeigen würde. Das würde auch den Sicherheitsbehörden am Ende helfen.
"Fragen, warum die vorhandenen Gesetze hier nicht Wirkung entfalten konnten"
Münchenberg: Lassen Sie uns noch mal ganz kurz auf das Stichwort Sportschützen zu sprechen kommen. Der mutmaßliche Täter war ja ein solcher Sportschütze. Da sind die Gesetze ja auch verschärft worden, aber auf der anderen Seite darf man zum Beispiel die Waffe immer noch mit nach Hause mitnehmen. Also müsste man nicht da auch noch mehr ansetzen?
Fiedler: Ich finde, wir sollten vorne anfangen und sollten doch erst mal fragen, warum die tatsächlich vorhandenen Gesetze hier nicht Wirkung entfalten konnten, weil es steht doch wohl außer Frage, dass er die Zuverlässigkeit, die das Waffengesetz schon heute fordert, nicht erfüllt hat. Insoweit müssten wir doch zunächst einmal fragen, warum es überhaupt dazu kommen konnte, dass ihm überhaupt legale Waffen zur Verfügung gestellt würden, dann stellt sich die zweite Frage nämlich gar nicht.
Münchenberg: Auf der anderen Seite war er wohl schon seit 2012 Mitglied in diesem Sportschützenverein, also insofern hat sich da vielleicht ja auch was verändert über die Zeit.
Fiedler: Nein, das hat sich nicht verändert. Auch 2012 hätte er schon über eine Zuverlässigkeit verfügen müssen. Deswegen sage ich ja, ich wäre mal neugierig darüber, was denn die anderen Leute, die in diesem Verein tätig gewesen sind, über ihn zu sagen hätten. Also es ist, offen gestanden, schwer vorstellbar. Ich gebe zu, aus der Außensicht heraus – ich stecke ja nicht in den Details –, aber ich wäre sehr neugierig, was die Ermittlungen an dieser Stelle ergeben, wer denn über Hinweise hätte verfügen können, dass es sich hier um eine sehr, sehr problematische und psychisch auffällige Persönlichkeit gehandelt hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.