Jonas Reese: Der Dieselgipfel. Darüber sprechen kann ich jetzt mit Jens Hilgenberg. Er ist Verkehrsexperte beim Umweltverband BUND. Guten Abend!
Jens Hilgenberg: Schönen guten Abend!
Reese: Herr Hilgenberg, die Automobilindustrie verpflichtet sich freiwillig, rund fünf Millionen Autos upzudaten mit ihrer Software, um mindestens 25 Prozent Stickoxide einzusparen. Sie trägt die Kosten, die Industrie, es darf außerdem keinen Einfluss auf Motorleistung, Verbrauch und Lebensdauer haben. Viele Autofahrer werden, schätze ich mal, jetzt aufatmen. Klingt eigentlich nach einem recht erfolgreichen Dieselgipfel, oder?
Hilgenberg: Das kommt drauf an, für wen. Und man muss auch klar sagen, es geht nicht um fünf Millionen Fahrzeuge, die freiwillig nachgerüstet werden, sondern 2,5 Millionen von diesen Fahrzeugen sind ja schon vom offiziellen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen. Das sind nämlich die 2,5 Millionen illegal manipulierten Euro-5-Dieselfahrzeuge von VW. Und wenn man sich dann noch die Ankündigungen, die im Vorfeld des Dieselgipfels unter anderem von Audi und BMW ja bereits gemacht wurden beim Treffen mit Herrn Seehofer, dann muss man gucken, dass am Schluss wahrscheinlich sogar weniger Autos mit dem Softwareupdate nachgerüstet werden, als vor dem Dieselgipfel angekündigt waren.
Reese: Also hat sich die Politik da etwas über den Tisch ziehen lassen. Aber immerhin schienen sich ja alle einig nach diesem Gipfel - sie sprachen von guten Ergebnissen.
Hilgenberg: Ja, alle sprachen von guten Ergebnissen. Aber wenn man genau hingehört hat, hat man zumindest bei einer Anwesenden auch deutliche Kritik an den Aussprachen herausgehört. Frau Hendricks hat tatsächlich in ihrem Rahmen des Möglichen das Treffen kritisiert, ohne den Beteiligten zu sehr über den Mund fahren zu wollen oder sie zu sehr unter Druck setzen zu wollen.
Aber sie hat schon ganz klar gesagt, unter anderem hat sie ja auch gesagt, dass die Wirksamkeit dieser Updates, die jetzt angekündigt werden, die wir ja kritisieren und wo wir die Wirksamkeit tatsächlich ja auch in Frage stellen, dass diese Wirksamkeit nachgewiesen werden muss, und zwar im realen Fahrbetrieb. Also wirklich die Fahrzeuge sich angucken vorher, dann das Softwareupdate durchführen, und danach sich dieses selbe Fahrzeug sich noch mal anschauen, und dann gucken, wie viel NOx wird im Realbetrieb auf der Straße tatsächlich reduziert.
Reese: Jetzt geht es ja erstmal um diese fünf Millionen Euro-5- und Euro-6-Autos. Was ist denn mit den alten Dieselfahrzeugen eigentlich?
Hilgenberg: Laut Hersteller sollen die Besitzer dieser Fahrzeuge ein Angebot bekommen, diese Fahrzeuge dann zu verschrotten beziehungsweise sich ein neues Fahrzeug von den Herstellern zu kaufen, und da sollen dann vom Hersteller finanzierte Kaufbeihilfen den Käufern erstattet werden. Absurd wird es in dem Moment, wo ich dann als Kunde ein Euro-4-Fahrzeug habe, das um die 700 Milligramm NOx pro Kilometer im Realbetrieb auf der Straße ausstößt, und ich dieses Fahrzeug abschaffe, ein neues, aktuelles Dieselfahrzeug der Eurostufe 6 kaufe und das dann aber nur 200 Milligramm weniger im Realbetrieb ausstößt. Das ist natürlich dann absurd. Gerade vor Kurzem wurden wieder neue Messungen bekannt gegeben. Von den untersuchten Diesel-6-Fahrzeugen, die jetzt gerade bei Händlern stehen und die Sie jetzt kaufen können, von 75 haben 71 die Grenzwerte nicht eingehalten.
Reese: Was hätten Sie sich denn jetzt noch erhofft von diesem Gipfel?
Hilgenberg: Wir sind tatsächlich ganz stark der Meinung, es geht nicht ohne Hardwarelösung. Es geht nicht, ohne dass in Euro-5-Fahrzeuge tatsächlich nachgerüstete Systeme mit SCR, also mit sogenannter Harnstoffeinspritzung verbaut werden. Ohne eine solche Lösung wird es keine deutliche Reduzierung der Stickoxidwerte in den Städten geben.
Reese: Das sehen die Autokonzerne aber anders. Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen hat gesagt, diese Hardwareeingriffe brächten nichts.
Hilgenberg: Das sehen aber die Nachrüster anders, und das sehen tatsächlich auch die Richter zum Beispiel in Stuttgart letzten Freitag haben das ja auch ganz klar gemacht bei der Entscheidung über Fahrverbote, die jetzt in Stuttgart aller Voraussicht nach kommen werden, haben die Richter ganz klar gesagt, eine Softwarelösung reicht ihnen nicht. Ohne Hardware wird es in Stuttgart Fahrverbote geben. Und natürlich, wenn es jetzt nur eine Softwarelösung gibt - und man muss ja auch noch mal dazu sagen, diese Softwarelösungen, die jetzt angeboten werden von den Herstellern, sind für den Kunden ja noch nicht einmal verbindlich. Der Kunde kann sich aussuchen, ob er hinfährt oder nicht und diese Softwareupdates machen lässt. Und wenn man sich anguckt, wie die Softwareupdates bei VW, erstens, wie schleppend die vorangegangen sind in den letzten zwei Jahren Dieselgate, und wie hoch die Beschwerdequote von Fahrzeughaltern ist, die diese Updates durchgeführt haben, wird man sehen, dass viele Kunden, wahrscheinlich die allermeisten das nicht machen werden. Warum sollten sie auch, wenn sie keinerlei Anreize auf der einen Seite haben oder keinerlei Restriktionen auf der anderen Seite befürchten müssen.
Deswegen sagen wir, eine wirksame Nachrüstung kriegt man nur in Kombination mit einer blauen Plakette. Denn irgendwie muss ich die Kunden dazu kriegen, diese Nachrüstung - also Software reicht uns ja nicht, aber wie man eine sinnvolle Nachrüstung auch anregen kann, ist halt tatsächlich die blaue Plakette. Klar muss aber auch sein, dass die Nachrüstung natürlich zu vollen Teilen von der Automobilindustrie bezahlt werden muss.
Reese: Das hat sie auch gewährleistet heute. Jetzt nach diesem Gipfel, unterm Strich, Ihre Meinung, Herr Hilgenberg, bis 2018 soll diese Softwarelösung umgesetzt worden sein. Wird das reichen, jetzt nach diesem Dieselgipfel, um die Gerichte davon zu überzeugen, dass die Luft sauberer wird und Fahrverbote sozusagen vermieden werden?
Hilgenberg: Nein, das wird nicht reichen. Ein ganz klares Nein.
Reese: Aber da verlässt sich die Politik dann offenbar auf die Gerichtsentscheidungen?
Hilgenberg: Sie lässt es drauf ankommen. Und im Moment, wo sich die Gerichte zusammensetzen beziehungsweise sie sich letzten Freitag ja schon zusammengesetzt haben und klar gesagt haben, wenn es nur Softwarelösungen gibt, dann werden Fahrverbote nicht vermeidbar sein. Und in dem Moment, wo ich das weiß als Politik und als Hersteller, und trotzdem nach einem solchen Dieselgipfel, nach einem so hochkarätigen Gipfel, wie er heute in Berlin stattgefunden hat, mich hinstelle und tatsächlich einzig und allein freiwillige Softwareupdates anbiete, dann nehme ich Fahrverbote billigend in Kauf.
Reese: Dabei haben wirklich alle drei Ministerpräsidenten ja wirklich betont, auch heute noch mal nach dem Gipfel auf der Pressekonferenz, das höchste Ziel dieses ganzen Gipfels war es, Fahrverbote zu vermeiden.
Hilgenberg: Genau. Also haben sie ihren Auftrag nicht erfüllt. Wenn sie hätten Fahrverbote vermeiden wollen, hätten sie stärkere Maßnahmen ergreifen müssen, vor allem auch kurzfristig wirkende Maßnahmen und nicht ein Softwareupdate, das im besten Fall vielleicht zehn Prozent der NO2-Werte in den Städten runter bringt. Aber in Städten wie Stuttgart und München werden die nach wie vor um mehr als das Doppelte überschritten werden.
Reese: Die Umweltministerin hat aber auch gesagt, das war jetzt nur ein erster Schritt. Sind Sie da vielleicht auch ein bisschen zu ungeduldig? Ich meine, die Politik kann die Automobilwirtschaft ja auch nur relativ schlecht zwingen.
Hilgenberg: Die Politik könnte die Automobilwirtschaft sehr gut zwingen, denn unserer Meinung nach sind die Fahrzeuge, die auf unseren Straßen fahren, dort nicht zu Recht. Sie hätten niemals eine Zulassung bekommen dürfen.
Wir sind auch der Meinung, dass Fahrzeuge, die ihre Grenzwerte nicht einhalten, dass man die nicht mehr als Neuwagen verkaufen darf, denn nach unseren Berechnungen werden nach wie vor jeden Tag circa 3.500 nagelneue Fahrzeuge zugelassen auf deutschen Straßen, die ihren Grenzwerten nicht entsprechen. Damit werden auch die Kunden betrogen und natürlich die Menschen, die an den Straßen wohnen.
Natürlich sind wir ungeduldig, aber man muss auch klar sagen, die Automobilindustrie weiß seit 1999 von den Grenzwerten. Diese Grenzwerte in den Städten müssen seit 2010 eingehalten werden, und wir haben immer noch in fast allen Großstädten teils massive Überschreitungen der NO2-Werte. Wir können nicht warten. Es gibt auch ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission, und auch die sind sehr ungeduldig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.