Jörg Biesler: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Arbeit der fünf Zentren für Islamische Theologie begutachten lassen und teilt heute mit, dass die Förderung für weitere fünf Jahre fortgesetzt wird. An den Zentren werden zum Beispiel Religionslehrer ausgebildet, aber auch wissenschaftlicher Nachwuchs für die Zentren selber, denn eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Islam wurde durch die Zentren in Deutschland erst begründet, und noch immer ist qualifiziertes Personal dafür Mangelware. Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität in Tübingen ist Ruggero Vimercati Sanseverino. Guten Tag!
Ruggero Vimercati Sanseverino: Guten Tag!
Biesler: Ihre Arbeit ist evaluiert worden, positiv, wie wir heute hören. Wie ist denn das Urteil der Gutachter ausgefallen?
Sanseverino: Wir haben jetzt keine einzelnen Begründungen bekommen, nur das allgemeine Ergebnis, dass alle Zentren positiv beurteilt wurden. Ich denke, wir werden dann in nächster Zeit noch... jedes Zentrum wird in nächster Zeit noch eine detaillierte Begründung oder einen Bericht bekommen.
Biesler: Wenn Sie selbst mal auf Ihre Arbeit schauen: Die Anfangsphase war ja in den meisten Zentren nicht ganz leicht, es war zum Beispiel auch schwierig, die Professuren zu besetzen, das richtige Personal dafür zu finden. Ist bei Ihnen mittlerweile so was wie ein Normalbetrieb eingekehrt?
Sanseverino: Ja, Normalbetrieb ist immer relativ in Anbetracht der Tatsache, dass, wie Sie es schon angedeutet haben, wir noch nicht so lange bestehen, also natürlich für eine wissenschaftliche Einrichtung sind vier Jahre sehr kurz, daher natürlich – der Lehrbetrieb läuft jetzt, denke ich mal, ganz gut, auch die Forschung schreitet voran, aber wir müssen natürlich immer noch neue Strukturen, sage ich mal, aufbauen und in vielen Bereichen einfach eine Pionierarbeit leisten, die man nicht als Normalbetrieb bezeichnen könnte, denke ich mal, in dem Sinne.
Biesler: Wie sieht es denn mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs aus? Ich habe ja gerade gesagt, der muss quasi eigentlich erst ausgebildet werden, weil es den so noch gar nicht gibt auf einem möglichen Arbeitsmarkt. Sind denn viele bei Ihnen, viele Studentinnen und Studenten, die Sie sich vorstellen können, später mal selbst an der Hochschule zu unterrichten?
Sanseverino: Ja, wir haben bei uns – ich kann jetzt nur für Tübingen sprechen – zum Beispiel zwei Studiengänge, und ein Studiengang dient ja direkt dazu, diesen wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden. Das nennt sich dann Bachelor of Islamic Theology, und da haben wir eigentlich schon eine relativ große Anzahl von Studierenden, die sich dann auch vorstellen können, in diesem Bereich eine Karriere zu machen, das heißt, akademisch zu arbeiten im Bereich der islamischen Theologie und an der Universität islamische Theologie zu betreiben, zu lehren und zu forschen.
"Wir profitieren natürlich auch von der Erfahrung von den anderen Theologien "
Biesler: In der aktuellen Situation, wo ja bundesweit viel darüber gesprochen wird, welche Leitbilder es in einzelnen Kulturen gibt und wie schwierig das möglicherweise ist, christlich gewachsene Leitbilder hier in Deutschland zu verbinden mit denen in anderen Ländern, wo es da zu Konflikten kommen kann. Die Konflikte hatten wir ja auch schon ganz aktuell – wird da bei Ihnen auch drüber diskutiert?
Sanseverino: Ja, natürlich. Bei uns gerade in Tübingen ist es ein bisschen, sage ich mal, außergewöhnlich, weil wir in Tübingen noch zwei andere Theologien haben, die auch eine sehr starke Tradition haben und mit denen wir auch ...
Biesler: Evangelisch und katholisch, vermute ich.
Sanseverino: Genau, eine evangelische und eine katholische Theologie, die gerade für Deutschland sehr wichtig ist, und da sind wir natürlich im ständigen Austausch, und wir profitieren natürlich auch von der Erfahrung von den anderen Theologien, sage ich jetzt mal, die jetzt viel mehr Erfahrung darin haben, in einem säkularen und pluralen Kontext theologische Inhalte zu artikulieren, als wir das jetzt als islamische Theologie haben, weil natürlich, sage ich mal, der Islam, auch in der Türkei, in anderen Kontexten bisher an der Universität betrieben wurde. Von daher, natürlich, diese Spannung, die Sie beschrieben haben, ich sehe sie eigentlich eher als eine positive Herausforderung, hat eine produktive Spannung, denke ich, aber die gibt es natürlich, ja.
Biesler: Und die Aufgabe, die Ihnen gestellt ist, ist im Grunde noch mal ein bisschen größer geworden. Sie sollten ja auch Religionslehrerinnen und Religionslehrer ausbilden, um da mal eine verlässliche Grundlage dafür zu schaffen, was ist eigentlich der Islam, was wird da eigentlich gelehrt, woraus besteht das Ganze eigentlich, und das sicher weiterzugeben, da haben Sie jetzt noch eine viel größere Verantwortung.
Sanseverino: Ja, natürlich, es werden sehr vielzählige Aufgaben an uns herangetragen, und die Anforderungen an uns sind auch tatsächlich sehr groß, also von gesellschaftlicher Seite, von politischer Seite, von den Verbänden her, von der muslimischen Gemeinde, von der Forschungsgemeinschaft, sage ich mal, also das ist natürlich schon eine Mammutaufgabe. Wie gesagt, das alles in diesem Zusammenhang, das Bedürfnis, neue Strukturen wirklich zu erfinden teilweise, natürlich stehen wir da schon ein bisschen unter Druck, aber ich denke bisher haben wir das eigentlich ganz gut gemeistert, nicht nur Tübingen, ich denke, auch die anderen Standorte. Ich denke, die Ergebnisse können sich eigentlich sehen lassen für die kurze Zeit und unter diesen, sage ich mal, Umständen des Drucks. Von daher denke ich, ist auch nicht verwunderlich, dass die Beurteilung positiv ausgefallen ist.
Biesler: Und Sie können Ihre Arbeit jetzt erst mal für fünf Jahre fortsetzen.
Sanseverino: Ja!
Biesler: Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute!
Sanseverino: Vielen Dank!
Biesler: Ruggero Vimercati Sanseverino war das, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität in Tübingen. Ich danke Ihnen auch!
Sanseverino: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören!
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