Wieder Beratungen, wieder Entscheidungen. Corona, die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten. Zahlreiche Details über den nächsten Lockdown müssen müssen noch geklärt werden. Aber eins scheint festzustehen: Die Anti-Corona-Maßnahmen werden noch einmal verschärft - wobei für die Weihnachtstage Lockerungen gelten sollen.
Statt auf den Weihnachtsbaum sollten die Politiker stärker auf die Impfzentren verweisen, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen im Dlf.
Dirk Müller: Herr Korte, immer weiter verschärfen, ist das eine Strategie?
Karl-Rudolf Korte: Das ist eine Strategie, wenn man sie begleitet. Die bleiernen Zeiten der Verbote, diese Stimmungsverfinsterung, das ertragen wir ja alles. Wir haben fast schon den Eindruck einer geglückten Angstüberwindung. Das kann man zumindest ganz gut messen. Aber es setzt voraus, dass wir verstehen, was jetzt weiter angeordnet wird. Man kann wie in einem Unternehmen nicht immer nur sagen, Kosten senken, Kosten senken, Kosten senken; man muss auch irgendwo Anreize bieten: Wo ist der Lichtstrahl, wo ist die Zuversicht, die in der Kommunikation mitstecken müsste. Das brauchen wir, sonst wird das nicht aufgehen.
Der "Virus-Föderalismus"
Müller: Haben Sie das Licht entdeckt?
Korte: Na ja, die Akteure kennen wir ja und sie können jetzt nicht einfach alles nur verschärfen. Sie müssen uns durchaus weiter was zumuten, weil das sind ja Wissenserkenntnisse von Woche zu Woche, was wir zusätzlich lernen und was dann umgesetzt wird. Aber es muss auch als sinnvoll begriffen werden von uns. Es muss Kohärenz hergestellt werden. Sonst wird es nicht funktionieren. Das Argumentieren, dass vielleicht auch Zweifel durchaus vortragen, hilft dabei, etwas zu verstehen.
Wenn ich es verstehe, halte ich mich auch gerne daran. Ich muss es aber verstehen und die meisten haben in den letzten Monaten durchaus sich auch Mühe gegeben, es zu verstehen. Insofern ist die Wichtigkeit im Moment noch mal mehr, die politische Kommunikation zu schärfen.
Müller: Ich habe das noch nicht ganz verstanden. Das heißt, Sie sehen doch offenbar weiteren Erklärungsbedarf, weil Sie auch – und Sie beobachten das Ganze ja im Detail; nicht als Fachmann, als Politikwissenschaftler, also nicht als Mediziner und so weiter, als Virologe, sondern als Politikwissenschaftler -, weil Sie auch bestimmte Dinge nicht verstanden haben? – Welche?
Korte: Nach wie vor ist dieser Virus-Föderalismus erklärungsbedürftig. Dass jeder Unterschiede vorschlägt, ist erst mal etwas, was irritiert, was in der Sache am Ende, wenn man es gut kommuniziert, aber Sinn macht. Verteiltes Wissen ist ein Schatz, je höher Unsicherheit existiert. Krisenpolitik muss mit verteiltem Wissen geradezu umgehen. Wir können lernen, aus der Unterschiedlichkeit am Ende auch die Krise zu bewältigen, aber es ist eine Frage, wie man es kommuniziert. Politik muss Möglichkeitsmacher sein, und diese Kraft der Zuversicht, die ist in diesen Tagen unglaublich wichtig. Sonst gibt es Kipp-Punkte in einem Prozess der Corona-Entwicklung, dass am Ende aus der großen Zustimmung, die ja besteht, am Ende Widerstand wird.
Müller: Das heißt, Sie warnen davor, oder sehen Sie das schon, dass es bröckelt?
Korte: Nein, ich sehe nicht, dass es bröckelt. Das sind einzelne Protestmaßnahmen. Ich sehe nach wie vor die große Zustimmung bei den Bürgern. Das kann man ja auch ganz gut messen. Aber es geht von der Corona-Müdigkeit nicht in die Corona-Kreativität der Politik über. Sie hat am Anfang aus meiner Sicht viel besser (vor allen Dingen auch die Kanzlerin) ihre Disziplinierungsmacht auch artikuliert in eine breite Kommunikation, völlig neu über sich hinausgewachsen. Aber im Moment ist das alles nicht erkennbar, sondern es verstummt geradezu.
Die "Distanz-Demokratie"
Müller: Wenn wir das noch mal, Herr Korte, ein bisschen mehr in die Praxis übertragen, dahin projizieren. Sie haben gesagt, der Virus-Föderalismus. Da meinen Sie die unterschiedlichen Länderinteressen, Maßnahmen und auch Vorschläge. Nehmen wir das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern und Bayern – völlig divergierende Zahlen, vollkommen divergierende Entwicklungen. Inwieweit kann es da sinnvoll sein, einheitliche Regelungen auf den Weg zu bringen, wenn sich diese beiden Bundesländer von ihrem Infektionsgeschehen, von der Entwicklung her vollkommen unterscheiden?
Korte: Ja, das ist ein wichtiger Punkt, denn ich sehe auch nicht, dass wir hier Einheitlichkeit herstellen müssen. Wir müssen es nur auch so kommunizieren, dass es ein Gewinn am Ende ist und nicht ein Verlust, der damit einhergeht. Der Gewinn besteht doch darin, dass wir die Verschiedenartigkeit nutzen, um kluge Antworten auf diese Herausforderungen zu finden, die wir nicht wirklich kennen. Die Unwissenheit besteht ja nach wie vor im Management und wir kennen nur die Distanz-Demokratie, die darauf reagiert, Kontaktverbote herzustellen.
Wenn wir wissen, dass die Betroffenheit in den Ländern unterschiedlich ist, dann müssen wir die Unterschiede auch durchaus belassen und nicht auf Einheitlichkeit zielen. Mir geht es nur darum zu sagen, das muss man öffentlich machen, muss man kommunizieren.
Müller: Ist das denn nicht geschehen?
Korte: Die Kraft des Dezentralen, finde ich, die muss mehr ins Zentrum gestellt werden. – Nein, es ist eher der Punkt, dass wir sagen, Flickenteppich. In dieser Metapher steckt eine Verächtlichmachung von Unterschiedlichkeit. Aber Verschiedenheit ist in dieser Krise eigentlich das wichtigste Pfund, mit dem wir umgehen müssen.
Müller: Aber Flickenteppich haben wir ja auch, wenn wir die verschiedenen Farbschattierungen anschauen, diese deutsche Karte, auch die europäische Karte. Reden wir über die deutsche Karte. Da haben wir rote Zonen, wir haben orangefarbene Zonen und haben auch die gelben Zonen, die weniger problematisch sind. Also muss es doch diese Flickenteppich-Politik im Grunde auch geben. Nur anders benannt, oder wie meinen Sie das?
Korte: Ja, genau. Es muss so erklärt werden, dass wir verstehen, dass das am Ende ein Vorzug ist und kein Nachteil ist. Regeln überall gleich kann man nicht sagen, sondern sie sollen ja nur dort gleich sein, wo die Lage auch gleich ist, und das macht den Unterschied aus in der Kommunikation. Ich setze sehr darauf, wenn man das so kommuniziert, dass wir es auch verstehen. Und wenn wir etwas verstehen, dann halten wir uns auch daran, und darum geht es doch gerade, Regeln zu regeln. Bürger, die man jetzt geradezu anhält – ich nenne es eher kuratiertes Regieren, eine appellative Anordnung; nur so funktioniert es ja am Ende -. Brauchen diese Position, um sie zu verstehen.
"Es soll Sehnsüchte erfüllen"
Müller: Wenn wir einmal auf diesen Weihnachts-Silvester-Komplex schauen, in punkto Strategie und Gradlinigkeit. Markus Söder – wir haben ihn eingespielt – hat gestern noch einmal argumentiert, wir müssen viel, viel härter sein und noch härter werden - Bayern ist ja auch besonders betroffen – und das schon in diesem Dezember -, aber dann kommt aus familiären Gründen, Gesichtspunkten, wie auch immer definiert, diese Ausnahme mit großer Wahrscheinlichkeit: Weihnachten. Da können sich wieder viel, viel, viel mehr Menschen privat treffen. Das war bisher immer auch ein Unruheherd für Infektionen, gerade diese privaten Treffen. Ist das politisch konsequent?
Korte: Nein, das ist nicht konsequent. Das folgt plötzlich wieder einem neuen Kriterium: Das Kriterium, das Solidarität voraussetzt oder möglich macht in ganz privatem Kontext. Die ganze Politik im Moment richtet sich ja darauf, die Distanz zum Thema zu machen, und das einzige, was weltweit offenbar sich überall bewährt, ist, Abstand von anderen zu halten. Insofern ist das keine logische Schlussfolgerung. Es ist ein bisschen Weihnachtsromantik. Es soll Sehnsüchte erfüllen und insofern ist es natürlich ein Hoffnungsschimmer, aber dieser ist trügerisch. Da würde ich andere Zeichen setzen.
Die Hoffnung im Moment ist doch das in Stein gebaute Impfzentrum, was in den Städten jetzt entsteht. Die werden ja umgewidmet. Da schon mal hinzupilgern, ist eine viel größere Aussicht auf Zuversicht und auch eine konkrete Maßnahme, wann die Impfung wie losgeht, sich damit zu beschäftigen, als wer wen unterm Weihnachtsbaum besuchen darf.
Müller: Wie erklären Sie sich das denn, dass Weihnachten diese Ausnahmen gemacht werden sollen für ein paar Tage, eventuell ja einschließlich auch des 1. Januars, einschließlich Neujahr, wo ja dann ganz viele verschiedene Haushalte zusammenkommen? Da spielt es ja gar keine Rolle, ob man eine Familie ist oder nicht. Warum macht die Politik das?
Korte: Das Dilemma bleibt, zwischen Freiheit und Gesundheit immer abzuwägen. Das muss Politik begründen. Hier in diesen Tagen, die dann anstehen, glaube ich, soll auch noch mal ein besonderer Akzent gelegt werden, dass in der Überbetonung von Gesundheit und nicht der Würde des Menschen – das steht am Anfang der Verfassung – auch natürlich kollaterale Folgen entstehen können, beispielsweise Vereinsamung. Gerade an Weihnachten, woran wir uns geradezu von Kindheit an gewöhnt haben, dass das ein Fest in Geselligkeit ist, ist die Angst, eine Vereinsamung am Ende auch zu verursachen durch die Politik, gerade in den Altenheimen oder bei kranken Menschen relativ hoch. Ich glaube, auch hier möchte die Politik vielleicht Druck ausüben, über das eine oder andere Konzept des Zugangs von Familien nachzudenken.
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