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Bund-Länder-Konferenz zu Kitas
"Wir brauchen eine Verständigung mit den Erzieherinnen"

Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rechnet damit, dass das Thema Flüchtlinge in den Kitas an Bedeutung gewinnt. Am Rande einer Bund-Länder-Konferenz zur frühkindlichen Bildung sagte Hocke, es gebe die Befürchtung, dass man die Gruppen einfach um ein paar Kinder vergrößere und die Erzieherinnen bitte, "etwas enger zusammenzurücken".

Norbert Hocke im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Ein Kleinkind in einer Kita
    Norbert Hocke: "Der Fortschritt ist der, dass man weiterhin über die Kita-Qualität redet" (picture-alliance / dpa / Arno Burgi)
    Benedikt Schulz: Vor ziemlich genau einem Jahr gab es ein Spitzentreffen von Bund und Ländern zum Thema Kita-Qualität, denn es hatte sich langsam rumgesprochen, dass der Ausbau der Kita-Plätze zwar enorme Fortschritte gemacht hatte, dass es aber mit der eigentlichen Qualität in den Kitas lange nicht so gut aussah. Ein Kita-Qualitätsgesetz sollte her. So ganz viel ist beim ersten Kita-Gipfel nicht herumgekommen, außer dass man Ziele formuliert hat. Heute gibt es die Fortsetzung in Form einer neuen Konferenz, diesmal unter dem Titel "Frühe Bildung lohnt sich" – keine neue Erkenntnis.
    Mit dabei ist Norbert Hocke, Vorstandsmitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Experte für frühkindliche Bildung. Wir haben ihn vor der Sendung auf dem Mobiltelefon erreicht, und ich habe ihn gefragt: Haben Sie die Hoffnung, dass dieses Mal mehr herumkommt als gute Absichten?
    Norbert Hocke: Es ist zu befürchten, dass die guten Absichten noch einmal bekräftigt werden, dass man sich gegenseitig versichert, wie wichtig frühe Bildung ist, dass es sich lohnt für die Kinder und die Eltern, diese frühe Bildung aufzubauen, und dass die Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt gern mit dabei sein möchte. Aber Konkretes wird aller Wahrscheinlichkeit nach heute nicht beschlossen werden.
    Schulz: Sie haben ja schon vor etwa einem Jahr zu uns gesagt, es könne nicht sein, dass der Wohnort eines Kindes über die spätere Qualität in der Kita entscheide. Ein Jahr ist jetzt rum. Hat es denn Fortschritte gegeben, kleine Fortschritte wenigstens?
    Hocke: Der Fortschritt ist der, dass man weiterhin über die Kita-Qualität redet und deutlich macht, dass es auf der einen Seite den Ausbau gegeben hat und jetzt auf der anderen Seite nun die Qualität folgen müsse. Das ist ja schon mal scheinbar für die Politik ein Fortschritt. Aber dass wirklich Taten folgen, dass wir bei der Erzieher-Kind-Relation deutliche Fortschritte machen, dass wir bei der Freistellung von Leitungskräften einen wesentlichen Schritt nach vorn machen, dass wir bei der Vor- und Nachbereitungszeit deutliche Zeitkontingente für die Erzieherinnen kriegen: Das alles ist noch nicht in Sicht.
    Schulz: Sie haben jetzt im Prinzip eigentlich alle Sachen schon genannt. Die Rezepte sind ja schon seit Langem auf dem Tisch. Es geht doch letztlich nur ums Geld. Immer wieder haben Verbände vergeblich gefordert, dass es mindestens ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein muss, das in die Kita-Erziehung gesteckt wird. Warum ist da keine Lösung in Sicht?
    Hocke: Das ist die Frage, die wir heute eigentlich auch hätten dem Wirtschaftsminister Gabriel stellen können. Er hat deutlich auf dieser Konferenz gesagt, dass wir investieren müssen in die frühe Bildung und dass wir hier mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Herr Clever von den Arbeitgebern hat soeben gesagt, dass wir nicht immer draufsatteln müssen, sondern vielleicht beim Kindergeld mal nicht eine Erhöhung führen, sondern dieses Geld dann in die Kitas stecken.
    Schulz: Jetzt hat die Familienministerin bereits mehr Anstrengungen gefordert, auch angesichts der aktuellen Flüchtlingslage. Welche Rolle hat denn das Thema Flüchtlinge auf der Konferenz bislang gespielt?
    Hocke: Das hat heute noch keine Rolle gespielt. Es hat aber gestern Abend bei einem Kamingespräch mit den Ministern und der Bundesministerin eine sehr große Rolle gespielt. Ich glaube, dass das in den nächsten Wochen das Thema in den Kitas sein wird, aber auch in den Erstunterkünften, wie gehen wir mit den Kindern um, die einen langen Weg hinter sich gebracht haben, wie nehmen wir sie auf in den Einrichtungen.
    Die Befürchtung, die viele Kollegen haben, das muss man auch ernsthaft sagen, ist, dass die Gruppen einfach vergrößert werden um drei, vier, und man die Erzieherinnen bittet, mal jetzt etwas enger zusammenzurücken und mit den Kindern das auch noch zu wuppen. Das sind Befürchtungen, die müssen wir als Erstes abbauen. Das heißt, wir brauchen konkret eine Verständigung mit den Erzieherinnen, wie das Problem entsprechend geschultert werden muss.
    Schulz: "Wir brauchen konkret ..." – das ist eine Formulierung, die wir im Zusammenhang mit Kita-Erziehung ja schon das eine oder andere Mal häufiger gehört haben. Versuchen wir mal, ganz naiv daran zu glauben, dass irgendwann auch mal Ergebnisse kommen. Glauben Sie daran, kriegen wir bald ein Kita-Qualitätsgesetz, ein bundesweites Qualitätsgesetz?
    Hocke: Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Wir haben mit der Bund-Länder-Expertengruppe Mitte 2016 einen Zwischenbericht vorzulegen. Dieser Zwischenbericht wird die ersten Ergebnisse beschreiben, und wir werden dann am Ende der Legislaturperiode 2016 genaue Festlegungen von den Parteien erwarten. Und ich hoffe, dass zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt, den katholischen Tageseinrichtungen und der GEW dann ein Bundesqualitätsgesetz in dem nächsten Wahlkampf eine deutliche Rolle spielen wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.