Berlin
Bund und Länder einigen sich auf Flüchtlingskosten - Leistungskürzungen für Asylbewerber vereinbart

Nach monatelangem Zwist haben sich Bund und Länder über die Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt. Bundeskanzler Scholz teilte in der Nacht nach mehrstündigen Beratungen in Berlin mit, pro Asylbewerber und Jahr wolle der Bund künftig eine Pauschale von 7.500 Euro zahlen. Was Bund und Länder beschlossen haben - ein Überblick.

    Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (r, CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (l, SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen.
    Nach monatelangem Streit haben sich Bund und Länder über die künftige Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Ursprünglich wollte der Bund nur 5.000 Euro pro Asylbewerber und Jahr geben; die Länder hatten 10.500 Euro gefordert. Sie drängen schon seit Monaten auf mehr Geld. Zudem sollen die staatlichen Leistungen für Asylbewerber, die seit mehr als eineinhalb Jahren in Deutschland sind, gekürzt werden. Bislang steigen die Leistungen nach 18 Monaten ungefähr auf die Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig erst nach 36 Monaten erfolgen. In dem Beschluss ist von Einsparungen in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2024 die Rede.

    Arbeitsgruppe soll Standards für Bezahlkarte erarbeiten

    Darüber hinaus vereinbarte die Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler, die Einführung einer Bezahlkarte anzugehen. Bund und Länder wollen mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig nur noch auf diese Weise an Asylbewerber weiterreichen. Eine Arbeitsgruppe soll dazu bis Ende Januar Vorschläge für bundesweit einheitliche Mindeststandards erarbeiten.

    Schnellere Asylverfahren als Ziel vereinbart

    Geplant sind ferner Zielvorgaben an Behörden und Gerichte, um Asylverfahren künftig deutlich schneller abzuarbeiten. So soll zum Beispiel die erste Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im Regelfall nach sechs Monaten vorliegen, ein Gerichtsverfahren in erster Instanz ebenfalls nach sechs Monaten abgeschlossen sein.

    Richterbund verweist auf Personalmangel

    Der Geschäftsführer des Richterbunds, Rebehn, warb für eine bessere personelle Ausstattung. Ohne personelle Verstärkungen für die Verwaltungsgerichte werde es nicht gehen, sagte er. Nötig seien flächendeckend besser ausgestattete Gerichte, um Asylsachen zügig und mit einer hohen Qualität des Rechtsschutzes bearbeiten zu können.
    Insgesamt lag die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Asylverfahren bis zu einer behördlichen Entscheidung laut Bundesregierung im vergangenen Jahr bei 7,6 Monaten. Bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung nach Einsprüchen und Gerichtsverfahren dauerte es nach Daten aus dem ersten Halbjahr 2022 im Schnitt 21,8 Monate, also fast zwei Jahre.

    Politische Reaktionen sind unterschiedlich

    Bundesarbeitsminister Heil von der SPD sprach von einem "Riesenerfolg". FDP-Vize Vogel forderte, die notwendigen Änderungen noch in diesem Jahr zu beschließen. Die Grünen begrüßten die Einigung grundsätzlich. Ko-Fraktionschefin Dröge meldete jedoch in einem Punkt Vorbehalte an. Es geht um die Absicht, bei längeren Verfahren künftig doppelt so lange wie bisher lediglich Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu zahlen. Hier solle geprüft werden, inwiefern das Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht.
    Der CDU-Vorsitzende Merz sprach von einem Schritt nach vorne. Er hinterfragte allerdings, ob die Zahl der Migranten dadurch tatsächlich sinken werde. Die AfD-Vorsitzenden Weidel und Chrupalla kritisierten die Beschlüsse. Sie forderten eine grundlegende Reform von Asyl-, Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrecht und eine Streichung von finanziellen und sozialpolitischen Einwanderungsanreizen.

    Bartsch (Linke): "Runde der Enttäuschungen"

    Linksfraktionschef Bartsch nannte die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens eine "Runde der Enttäuschungen" und forderte mehr Einnahmen. Höhere Steuern für Milliardäre und Multimillionäre seien nicht zuletzt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise notwendig, sagte Bartsch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Das wäre auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden, sagte Bartsch.

    Deutscher Städtetag: Pro-Kopfpauschale für Flüchtlinge "deutlich" zu wenig

    Der Leipziger Oberbürgermeister und Vize-Präsident des Deutschen Städtetages, Jung, forderte mit Blick auf künftige Beratungen eine zwingende Beteiligung der Städte und Kommunen. Dort zeigten sich die tatsächlichen Folgen der Migrationspolitik, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk (Audio-link). Die Städte und Kommunen seien allesamt an der Belastungsgrenze angelangt und gingen - so Jung wörtlich - "auf dem Zahnfleisch".
    Die beschlossene Kopf-Pauschale pro Flüchtling sei zwar positiv, weil sie finanzielle Sicherheit gebe. Die vereinbarten 7.500 Euro seien aber deutlich zu wenig. Zudem müsse man erst noch sehen, wie sich die Beschlüsse auf die Zuwanderungssituation auswirkten, betonte Jung.

    Städte- und Gemeindebund plädiert für digitalen Flüchtlingsausweis

    Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund äußerte sich positiv zu der Einigung. Das seien Schritte in die richtige Richtung, sagte Hauptgeschäftsführer Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Wir warnen davor, den jetzt notwendigen Umsetzungsprozess zu verzögern und die richtigen Ziele wieder klein zu reden." Landsberg warb erneut für die Einführung eines digitalen Flüchtlingsausweises. Dieser sollte nicht nur eine Bezahlfunktion haben, sondern neben der Identität zusätzliche Merkmale beinhalten wie etwa den Status des Asylverfahrens.

    Finanzierung des Deutschlandtickets

    Eine Entscheidung über die Zukunft des Deutschlandtickets vertagten Bund und Länder auf das Jahr 2024. Hintergrund ist der Streit über die weitere Finanzierung. Vereinbart wurde lediglich, dass bisher nicht verbrauchte Mittel nächstes Jahr für den Ausgleich finanzieller Nachteile bei den Verkehrsunternehmen eingesetzt werden dürfen. Die Verkehrsminister wurden beauftragt, ein Konzept zur Weiterführung des Tickets zu erarbeiten. Möglicherweise wird dabei der Preis von bisher 49 Euro angehoben.
    Bund und Länder hatten ursprünglich bis 2025 jährlich jeweils 1,5 Milliarden Euro zugesagt. Außerdem sollen Mehrkosten in diesem Jahr zu gleichen Teilen getragen werden. Die Frage bleibt offen, wer danach Mehrkosten trägt, die den Verkehrsunternehmen aufgrund der niedrigeren Einkünfte durch das vergünstigte Angebot entstehen.
    Die stellvertretende FDP-Fraktions-Vorsitzende Konrad hat Forderungen der Länder nach mehr Geld für das Deutschlandticket im Deutschlandfunk eine Absage erteilt. Sie appellierte an die Bundesländer, die Struktur ihrer Verkehrsverbünde zu reformieren. Es gebe keine Erklärung, warum es in einigen Ländern 16 und in anderen nur ein oder zwei Verkehrsverbünde gebe, sagte die FDP-Politikerin.

    Bürokratieabbau und zur Planungsbeschleunigung

    Zuvor hatten Bund und Länder rund 100 Regelungen zum Bürokratieabbau und zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren beschlossen. Die Maßnahmen betreffen Bereiche wie Wohnungsbau, Verkehr, Energie oder Mobilfunk. So geht es zum Beispiel um einheitlichere Standards, damit Projekte zügiger realisiert werden können. Digitalisierung soll dabei eine große Rolle spielen.

    Soforthilfen für Kliniken

    Weiteres Thema der Bund-Länder-Runde sollte die geplante Krankenhausreform sein. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat die Forderung nach finanziellen Soforthilfen für Kliniken erneuert. Ihr Vorsitzender Gaß rief Bund und Länder auf, unter anderem einen Inflationsausgleich auf den Weg zu bringen. Die Krankenhäuser benötigten eine solide finanzielle Grundlage, um die stationäre Versorgung aufrechterhalten zu können, sagte Gaß in der "Rheinischen Post".
    Wegen der akuten Finanznot vieler Standorte verlangen die Krankenhäuser insbesondere zusätzliches Geld vom Bund. Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) lehnt dies bislang mit Verweis auf die Zuständigkeit der Länder ab.
    Sie können hier einen Bericht zur Einigung zwischen Bund und Ländern hören.
    Das gesamte Interview mit dem Leipziger Oberbürgermeister Jung können Sie hier nachlesen.
    Hier finden Sie ein Interview mit Philipp Amthor, CDU, zu den Beschlüssen.
    Diese Nachricht wurde am 07.11.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.