Manchmal im Leben kommt es nur auf ein einziges Wort an: Etwa vor dem Traualtar oder vor Gericht. Am Erfurter Bundesarbeitsgericht ging es heute um das kleine Wort "stets". Es wird in Arbeitszeugnissen gern vor die Formulierung "zur vollen Zufriedenheit" gesehen. Letzteres bedeutet befriedigend, steht das Wort "stets" davor, entspricht es einer guten Bewertung. Eine Berliner Bürofachkraft, die bei einer Zahnärztin am Empfang gearbeitet hat und nach einem Jahr kündigte, war das Arbeitszeugnis nicht gut genug.
Die Zahnärztin besserte nach, aber noch immer fehlte der 33-Jährigen das Wort "stets". So zog sie vor Gericht und bekam in zwei Instanzen Recht. Der Arbeitgeberin gefiel das nicht; sie beharrte auf ihrem Recht, die Arbeitsleistung so zu bewerten, wie sie sie sieht. Und so landeten beide vor dem Bundesarbeitsgericht. Frage an den Anwalt der Klägerin: Lohnt sich der Aufwand? "Ja."
Arbeitnehmer muss überdurchschnittliche Leistung nachweisen
Der Anwalt Klaus Plambeck sieht die Tendenz, dass fast nur noch positive Zeugnisse ausgestellt werden - somit sei seine Mandantin benachteiligt, wenn sie nur "zur vollen Zufriedenheit" bewertet wird.
"Ein Zeugnis ist eine Bewerbungsunterlage. Sie legen das dem künftigen, möglichen Arbeitgeber vor. Der liest sich das durch. Und alle, die solche Zeugnisse lesen, verstehen auch, was da drin steht. Wenn da bisschen was drin steht, was negativ ist, wird aussortiert und sie sind weg von dem ganzen Bewerbungsverfahren, obwohl sie für den Job hoch qualifiziert und geeignet sind. Und das ist das Dilemma an der Angelegenheit."
Das Bundesarbeitsgericht folgte ihm in dieser Meinung nicht. Es verwies den Fall zurück an das Landesarbeitsgericht Berlin, das zuvor der Klägerin recht gegeben hatte. In Berlin müssen nun die Fakten erneut überprüft werden. Grundsätzlich stellte das Bundesarbeitsgericht aber fest, dass "zur vollen Zufriedenheit" einem befriedigend entspricht und dass ein Arbeitnehmer, der eine bessere Beurteilung wünscht, im Streitfall nachweisen muss, dass er besser war als befriedigend. Dies gelte auch, wenn in der Branche allgemein fast nur gute oder sehr gute Bewertungen bezeugt würden. Der Anwalt der Arbeitgeberin, Cornelius Krakau, sah sich bestätigt.
"Ich bin mit dem Urteil zufrieden. Und das Gericht hat erfreulich klargestellt, dass es eben so bleibt, wie es ist, dass eben ‚befriedigend' befriedigend, also durchschnittlich heißt, und dass nicht jeder einen Anspruch auf eine gute Benotung hat, weil es das ganze Zeugnissystem infrage stellen würde und für Verwirrung sorgen würde sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Arbeitnehmern."
"Nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend"
Klaus Plambeck, der Anwalt der Angestellten, sieht mehr Rechtsstreitigkeiten um Zeugnisse auf die Arbeitsrechtler zukommen.
"Ich will mal prognostizieren: Die Auseinandersetzung um Zeugnisse wird wieder schärfer. Wenn mir einer eine 4 gibt oder eine 3 gibt, bin ich vielleicht aus dem Bewerbungsverfahren raus. Andere haben eine 2 bekommen. Finde ich nicht so glücklich."
Das Bundesarbeitsgericht ermutigte jedoch mit dem heutigen Urteil Arbeitgeber, das ganze Bewertungsspektrum auszunutzen. Sei jedoch eine Beurteilung schlechter als "zur vollen Zufriedenheit", dann müsse dies der Arbeitgeber nachweisen - etwa durch erfolgte Abmahnungen. Als Merksatz bleibt vom Urteil der Satz: "Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein."