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Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zum Unionsstreit
"Es geht um Verantwortung, nicht um schrille Töne"

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat im Unionsstreit um die Migrationspolitik an die Verantwortung von CDU/CSU appelliert. Der CSU warf er eine desaströse Art der Kommunikation vor. Die "Deutschland First"- oder "Bayern First"-Rhetorik sei ein Irrweg, sagte Heil im Dlf.

Hubertus Heil im Gespräch mit Volker Finthammer | 17.06.2018
    Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, spricht bei der Aktuellen Stunde in der Plenarsitzung des Bundestages im Reichstagsgebäude
    Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales (picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Volker Finthammer: Herzlich willkommen Hubertus Heil. Unter normalen Umständen hätten wir die kommenden 25 Minuten gewiss überwiegend über Ihre Kernaufgaben, die Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik, gesprochen, aber die Zeiten sind nicht normal. Der Streit über die Asylpolitik in der Koalition, genauer gesagt der Streit zwischen CDU und CSU, bestimmt dieses Wochenende. Die SPD schweigt bislang weitgehend dazu, zu dem Streit der Schwesterparteien, und stellt sich wie erwartet hinter die Bundeskanzlerin und das Ringen um eine europäische Lösung. So weit, so gut, aber müssen Sie nicht tatsächlich fürchten, dass dieser Streit am Ende die Koalition sprengt?
    Hubertus Heil: Ich hoffe das nicht, wir legen es nicht darauf an, weil wir wissen, welche Aufgabe wir vor uns haben. Ich will einmal daran erinnern, dass die SPD es sich ja nicht leicht gemacht hat, nach der Bundestagswahl in diese Koalition einzutreten, aber wir haben uns entschieden, Verantwortung zu übernehmen, natürlich auch für unsere Vorstellungen zu arbeiten in dieser Regierung, weil wir wissen, in welcher Lage das Land ist, aber vor allen Dingen, in welcher Lage auch Europa ist. Und deshalb am Ende geht es um Verantwortung, nicht um schrille Töne. Die SPD ist da klar orientiert und ich erwarte das auch von Koalitionspartnern.
    "Es mag um aufgestauten Frust gehen"
    Finthammer: Was sind denn in Ihren Augen die Motive der CSU, um diesen Streit so zuzuspitzen?
    Heil: Also, ich weiß nicht mehr, ob es wirklich um die Sache geht, zumal dieser berühmte 63 Punkte-Plan ja niemandem wirklich vorliegt, sodass wir das einmal beurteilen, einordnen könnten, sondern es mag um mehr gehen. Es mag um aufgestauten Frust gehen, um Sorge vor Landtagswahlen. Das ist alles nicht illegitim, sich als Partei auch über so etwas Gedanken zu machen, wie die CSU es offensichtlich tut, aber die Konsequenz zu ziehen, eine so desaströse Art und Weise der Kommunikation, der Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU anzuzetteln nach ein paar Wochen Regierung, ist nicht gut, um es ganz freundlich zu sagen. Deshalb kann ich nur appellieren, am Ende des Tages zählt Verantwortung für Deutschland, für Europa. Darauf kommt es an. Die SPD ist da klar orientiert und ich erwarte es auch von CDU/CSU, dass sie ihre Streitigkeiten lösen, dass wir in der Regierung in der Lage sind, das Richtige zu tun für unser Land. Das klingt ein bisschen pathetisch, aber ich meine es ganz ernst. Wenn Sie sich den Zustand anderer europäischer Demokratien anschauen, dürfen wir in Deutschland nicht diese Wege gehen und verbieten uns deshalb auch solche Formen der Auseinandersetzung in einer gemeinsamen Regierung.
    Finthammer: Sie sind jetzt sehr um Vernunft bemüht, aber wenn man die Tage Markus Söder zugehört hat oder Alexander Dobrindt zugehört hat, dann gab es da zwar eigentlich nur zwei Aussagen, Bayern zuerst und Merkel muss weg. Ich spitze es mal ein wenig zu, denn das waren letztlich die Kernaussagen, um die es der CSU offenbar geht, dass sich in diesem Land, in der Asylpolitik aus Sicht der CSU grundsätzlich etwas verändern muss und das wollen die mit aller Macht durchsetzen.
    Heil: Ja, dass Staaten Interessen haben, nicht nur Bundesländer, sondern auch Nationalstaaten in Europa, das ist noch in Ordnung, aber diese America First-, Deutschland First- oder Bayern First-Rhetorik, das Anstacheln von nationalistischen Gefühlen, das dahinterstecken mag, ist ein Irrweg und ich bin mir nicht sicher, ob das aus Überzeugung begangen wird oder aus parteitaktischen Überlegungen. Letzteres liegt eher nahe, aber es ist kein guter Weg und deshalb kann ich nur appellieren, lasst das bleiben. Wir brauchen eine verantwortliche Politik in Deutschland, eine, die erkennt, dass viele Menschen in einem Land, dem es sehr gut geht, sich Sorgen um die Zukunft machen und dass wir in der Welt der Trumps, der Putins und der Unsicherheiten dafür sorgen, dass unsere Antwort auf America First, Europe United ist, dass wir uns eher zusammenschließen und gemeinsam Lösungen finden, um den Weg, den wir in Europa erfolgreich seit 70 Jahren gehen weitergehen zu können. Und da darf man nicht mit spielen und deshalb ist das, was da bei CDU und CSU läuft, unverantwortlich und muss schnell aufhören.
    Finthammer: Jetzt soll Wolfgang Schäuble, der ja offenbar auch schon in der CDU-Fraktion eine Europarede gehalten hat, an diesem Wochenende vermitteln. Trauen Sie ihm das zu, dass er das Spiel noch einmal wenden kann?
    Heil: Ich traue Wolfgang Schäuble viel zu. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber ich unterstelle ihm, dass er weiß, in welcher Lage Europa ist. Wolfgang Schäuble hat in der Europapolitik Dinge gemacht, die habe ich kritisiert, aber ich weiß, dass er dem Grunde nach überzeugter Europäer ist und überzeugter Demokrat, auch überzeugter Christdemokrat, und diese Überzeugungen können helfen, das Richtige zu tun. Ich hoffe, dass er die Autorität hat, die Streithähne, die es ja im Wesentlichen sind in der CSU, tatsächlich einzufangen.
    "Ich wüsste gerne einmal, worum es geht"
    Finthammer: Wenn CDU und CSU einen Kompromiss finden sollten, dann heißt es ja noch lange nicht, dass die SPD mitgeht. Wie weit wären Sie denn bereit, mitzugehen in dieser Frage? Es könnte ja auch ein Stück weit bedeuten, eigene Positionen aufzugeben, um der CSU in dieser Frage entgegenzukommen.
    Heil: Ich wüsste gerne einmal, worum es geht. Ich habe ja vorhin darauf hingewiesen, dass diese angeblichen 63 Punkte bisher uns gar nicht vorliegen und ich kann ja nicht über einen Kompromiss über CDU/CSU spekulieren, von dem ich gar nicht weiß, wie er aussieht. Die spannende Frage ist, was ist sachgerecht und wir haben, was die Migrationsfragen betrifft, die Zuwanderungs- und die Flüchtlingsfragen betrifft, zwei ganz wesentliche Aufgaben. Das eine ist außer Zweifel das, was unser Grundgesetz gewährt, nämlich politisch Verfolgte genießen Asylrecht und auch die Tatsache, dass wir internationale Verpflichtungen haben wie die Genfer Flüchtlingskonvention für Bürgerkriegsflüchtlinge, unsere Maßstäbe sind. Das sind Recht und Gesetz. Und das Zweite ist die Frage, ob wir europäische Lösungen finden. Das sind unsere Maßstäbe, mit denen wir herangehen. Ich habe da Gefühl, dass hier ein kleines Thema, nämlich wie ist das mit der Zurückweisung von Menschen, die nach Dublin-Abkommen woanders sich schon gemeldet haben, so aufgeblasen wird, dass man das Gefühl haben muss, es geht gar nicht so sehr um das Thema. Es geht um ganz andere Dinge bei CDU/CSU. Das macht es ja so irrational, das Ganze sortieren zu können. Also ich kann ich nicht über einen vermeintlichen Kompromiss spekulieren, den ich inhaltlich nicht kenne.
    Finthammer: Ich muss da noch ein Stück weiterspekulieren. Wäre es in Ihren Augen sachgerecht, wenn es beim Erreichen der Obergrenze dann zu dieser schnelleren Rückweisung käme, was ja ein möglicher Kompromiss sein könnte, wenn die 180.000 oder 200.000 im Land wären, dass man dann dieses Schwert zieht?
    Heil: Ich ziehe keine Schwerter und ich spekuliere nicht in dieser Richtung. Ich sehe nur, dass die Flüchtlingskrise eine gesamteuropäische Aufgabe ist, dass in Italien eine schwierige innenpolitische Lage entstanden ist, weil sich offensichtlich viele Menschen in Italien alleingelassen fühlten, was diese Frage betrifft, dass wir in Österreich heftige Diskussion haben, in Frankreich, auch in Spanien und dass also alle europäischen Länder mit der Frage beschäftigt sind und die Antwort kann nicht einfach nur national sein, sondern wir müssen europäische Lösungen finden. Die sind schwer zu erreichen, gar keine Frage, aber das muss Europa schaffen und das ist die richtige Richtung.
    "Über das Ende dieser Koalition spekuliere ich nicht"
    Finthammer: Spitzen wir es an der Stelle noch einmal zu. Was ist, wenn die Koalition bricht? Würde die SPD gerne in Neuwahlen hineingehen oder wollen Sie alles dafür tun, dass es bei dieser Koalition bleibt?
    Heil: Also alles ist nicht die Frage, sondern die spannende Frage ist, was ist verantwortlich für Deutschland und Europa. Wir haben uns bewusst für diese Koalition entschieden und über das Ende dieser Koalition spekuliere ich nicht. Ich nehme zur Kenntnis, dass CDU/CSU dafür gesorgt haben, dass sie miteinander eine große Koalitionskrise heraufbeschworen haben, CDU und CSU, und es ist ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das jetzt auch zu lösen.
    Finthammer: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD. Herr Heil, kommen wir einmal zu Ihren eigentlichen Themen. In dieser Woche erst, also vor dem ganze Kladderadatsch, gab es die Einigung zur Rückkehr von Teilzeit auf Vollzeit. Auch das hat lange gedauert in dieser Koalition. Es sollte eigentlich schon viel früher kommen, ist von Woche zu Woche verschoben worden. Woran hat das denn gehakt?
    Heil: Also wir haben relativ rasch diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht als Bundesarbeitsministerium. Dann gab es Diskussionen, auch mit den Koalitionspartnern. Es gab auch Diskussionen mit Gewerkschaften, mit Arbeitgeberverbänden. Am Ende des Tages beweist das aber, wenn man an Dingen dran bleibt, man zu Lösungen kommt. Deshalb konnten wir das in dieser Woche im Kabinett so rechtzeitig beschließen, dass wir im Zeitplan sind, nämlich das Gesetz zum 1. Januar in Kraft zu setzen. Ich sage Ihnen, was der Grund ist, warum wir das geschafft haben, nicht nur weil es im Koalitionsvertrag steht und verankert ist, sondern weil es der Lebenswirklichkeit von Menschen entspricht, dass wir dafür sorgen, dass man einen Teil seines Lebens einmal teilzeitarbeitet, aber dann auch wieder in Vollzeit zurückkehren kann, damit es zum Beispiel später einmal für die Rente reicht. Also Arbeit muss zum Leben passen, war das Motto und das ist, glaube ich, der tiefere Grund, warum wir es durchsetzen können.
    Finthammer: Wollte nicht auch da die CSU tatsächlich eine Retourkutsche fahren wegen des verschobenen Masterplans von Horst Seehofer, der ja eigentlich auch am vergangenen Dienstag vorgestellt werden sollte?
    Heil: Den Eindruck habe ich, fairerweise gesagt, nicht. Es war tatsächlich so, dass es am Ende so war, dass CDU- und CSU-Ministerinnen und Minister in der Ressortabstimmung für das Kabinett schon auf Ebene der Staatssekretäre einig waren, aber die CSU offensichtlich so sehr mit anderen Themen auch zeitlich beschäftigt waren, dass sie es nicht geschafft haben, das tatsächlich aufzuarbeiten. Dafür muss man auch einmal Verständnis haben. Am Ende des Tages zählt die Lösung und ich bin stolz, dass wir das jetzt auf den Weg gebracht haben, weil es Millionen von Menschen in Deutschland hilft. Da geht es nicht um Kleinkariertes, was haben wir geschafft, was haben die geschafft, Vorteilsspielchen, sondern die Frage, was ist richtig im Erwerbsverlauf von Männern und vor allen Dingen auch von Frauen in Deutschland, damit man tatsächlich die Möglichkeit hat, im Leben flexibel auch Arbeitszeit so zu gestalten, dass es zum Leben passt.
    Wahlkampf 2021 steht nicht im Vordergrund
    Finthammer: Ein Stein des Anstoßes war ja die Beweislastumkehr zu Lasten der Arbeitgeber. Da gibt es jetzt eine neue Kompromissformel. Glauben Sie, dass das Modell dann auch tragfähig ist, oder rechnen Sie noch mit Veränderungswünschen im parlamentarischen Verfahren?
    Heil: Da muss man ein bisschen sortieren. Wir führen ja mit diesem Gesetz zwei Dinge ein, zum einen für die Zukunft die Chance, dass man als Arbeitnehmerin, als Arbeitnehmer in Zukunft eine Zeit lang, maximal fünf Jahre, mit dem Arbeitgeber vereinbart, in Teilzeit zu gehen, um dann in Vollzeit zurückzukehren. Das ist die Brückenteilzeit in die Zukunft. Die Frage, um die es beim Thema Beweislastumkehr geht, betrifft diejenigen, die jetzt schon in Teilzeit sind und in Vollzeit zurückkehren wollen. Deren Rechtsposition für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollten wir stärken, weil es tatsächlich darum geht, dass Betriebe das natürlich auch einmal ablehnen können, wenn es plausible Gründe gibt, wenn die Qualifikation nicht passt, wenn ein Arbeitsplatz nicht da ist oder wenn andere Teilzeitbeschäftigte diesen Wunsch vorrangig zu beachten haben. Die Beweislast liegt, die Darlegungspflicht, beim Arbeitgeber, weil er nur das Wissen haben kann, nicht die Beschäftigen. Das war bisher nicht so, das ändern wir. Das ist im Koalitionsvertrag auch abgedeckt und nach der Ressortabstimmung, die intensiv war, rechne ich damit, dass wir das auch gut durch das Parlament bekommen.
    Finthammer: Für Sie und vor allen Dingen auch für die SPD war das ja tatsächlich ein wichtiges Thema. Es stellt sich die Frage, zahlt sich das am Ende politisch aus oder geht es Ihnen da nicht möglicherweise wie beim Mindestlohn, auf einmal redet dann plötzlich mal keiner darüber und die Wähler schreiben den Erfolg am Ende sogar der Kanzlerin und der Union zu?
    Heil: Wer jedes Mal bei einem Thema, bei einem Gesetz es lediglich oder vorrangig darauf anlegt, ob es sich für die eigene Partei auszahlt, wird erleben, dass es das nicht ist. Vielleicht ist das das Problem gerade der CSU, dass man Dinge macht, um sich zu profilieren. Menschen spüren, dass solche Art von Politik nicht glaubwürdig ist. Deshalb sage ich bei der Brückenteilzeit, bei diesem wichtigen Thema geht es mir um Millionen von Beschäftigten und nicht um die Frage, ob es politische Dankbarkeit bei nächsten Wahlen auslöst. Das ist sowieso eine verrückte Kategorie. Menschen erwarten, dass wir gute Arbeit machen, dass wir unsere Überzeugung durchsetzen, dass wir, wo immer es geht, versuchen, das, was wir vor der Wahl gesagt haben, auch umzusetzen. Da muss man manchmal Kompromisse machen, weil man nicht alleine ist, aber das ist doch das, was unsere Demokratie braucht, eine entschlossene Politik, die das Richtige für das Land tut. Wenn die Menschen zu Recht das Gefühl haben, dass das die Grundorientierung ist, dann zahlt sich das möglicherweise auch bei Wahlen aus, aber ich habe das Gesetz jetzt nicht für die Bundestagswahl 2021 gemacht, sondern weil es schlicht und ergreifend richtig und wichtig ist.
    Finthammer: Da höre ich viel politischen Großmut heraus, aber gerade die SPD hat ja unter all diesen Fragen gelitten. Sie hat in der vergangenen Legislaturperiode vieles durchsetzen können, was Uranliegen der SPD waren. Politisch hatte es sich aber dann doch nicht ausgezahlt. Können Sie das in dieser Gelassenheit hinnehmen?
    Heil: Ich bin nicht nur gelassen, sondern ich bin entschlossen und das ist wichtig. Wenn man etwas für richtig erkannt hat, man dafür so kämpft, dass das auch wahrgenommen wird, aber nicht jedes Mal, wie gesagt, kriege ich dafür ein Sternchen ins Buch. Das ist nicht das Wichtige, sondern die Frage ist, ist das, was wir da machen, Teil eines längeren Weges, das zu tun, was für das Land richtig ist. Und wenn das erkannt wird und wenn eine Partei da die Nase vorne hat, dann wird es dem Parteienwettbewerb sicherlich auch helfen, aber noch einmal, da steht nicht Wahlkampf 2021 im Vordergrund, sondern die Sache.
    "Es geht um Sicherheit in Zeiten von rasantem Wandel"
    Finthammer: Einen weiteren Brocken, den Sie in diesem Jahr noch bewerkstelligen wollen, ist die Rente, die doppelte Haltelinie, die umgesetzt werden soll, 48 Prozent beim Rentenniveau, 20 Prozent beim Beitragssatz sollen gehalten oder nicht überschritten werden. Wann können wir da mit dem Gesetzentwurf rechnen? Wird das wieder so eine Verzögerungsmaschinerie werden oder geht das jetzt schnell?
    Heil: Nein, das soll zum 1. Januar in Kraft gesetzt werden, deshalb sind die Vorbereitungen in der Gesetzgebung auf sehr, sehr gutem Wege, aber auch da sage ich, geht es um das gleiche Motiv. Es geht um Sicherheit in Zeiten von rasantem Wandel und ein Kernversprechen des Sozialstaates ist, dass man nach einem Leben harter Arbeit eine ordentliche Rente bekommt, eine Alterssicherung hat. Da machen sich auch viele Menschen Sorgen und da müssen wir dieses Kernversprechen erneuern. Wir sind in Zeiten eines veränderten Altersaufbaus der Gesellschaft, gerade in den 20er-Jahren, wenn wir erleben, dass die Generation der sogenannten Babyboomer in Rente kommt. Wir haben einen Wandel am Arbeitsmarkt, zum Beispiel durch technologischen Fortschritt und Digitalisierung, und da verlässliche Haltelinien zu haben, zu sagen, wir sorgen jetzt dafür, dass jedenfalls für die nächsten Jahre erst einmal der Beitragssatz nicht exorbitant steigt und wir sichern gleichzeitig das Rentenniveau, das ist ein Teil der Erneuerung dieses Grundsatzversprechens, damit Menschen nicht Sorge vor der Zukunft haben müssen, damit sie erspüren, sie können sich auf den Staat und auf das solidarische Rentensystem als Teil der Altersversorgung, eben betrieblicher und privater, wieder verlassen. Daran arbeiten wir.
    Finthammer: Nun haben Sie die Rentenkommission schon in Kraft gesetzt, in Gang gesetzt. Die hat auch schon ihre Arbeit aufgenommen, aber haben Sie denn oder binden Sie denn dieser Rentenkommission mit diesen Absichten, also dem Rentenniveau von 48 Prozent, nicht einen schweren Klotz ans Bein, weil die natürlich die Frage klären müssen, wie geht es ab 2025 weiter, wenn die ökonomischen Umstände möglicherweise gar nicht mehr so gut sind, wie sie im Moment sich darstellen.
    Heil: Wir müssen es einmal ein bisschen sortieren. Wir haben drei Elemente in der Alterssicherungspolitik, die wir in dieser Legislaturperiode umsetzen. Das eine, das werden wir gesetzgeberisch in diesem Jahr umsetzen, sind zum Teil Leistungsverbesserungen, die sozialpolitisch richtig sind, wenn wir zum Beispiel Erwerbsgeminderten beim Thema Erwerbsminderungsrenten, also Menschen, die einfach kaputt sind und nicht mehr arbeiten können, tatsächlich die Leistung dahingehend verbessern, dass das Schritt halten kann mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Das ist richtig und auch vernünftig. Das Zweite ist gesellschaftspolitisch gewollt die stärkere Anerkennung von Kindererziehungszeiten, Stichwort Mütterrente, und das Dritte sind Elemente, um das System stabil zu halten, deshalb doppelte Haltelinie beim Beitragssatz und auch beim Rentenniveau. Nächstes Jahr werden wir noch zwei andere Dinge in Angriff nehmen, die strukturell vereinbart sind, nämlich die Einbeziehung von Selbstständigen in das System der Alterssicherung, damit die auch Schutz haben und Teil des Systems sind und wir haben uns entschieden, eine Grundrente einzuführen für Leute, die lange gearbeitet haben, aber zu wenig verdient haben und nur auf dem Niveau von Grundsicherung gelandet sind. Das betrifft auch Frauen, also da geht es um tatsächlich einen besseren Schutz. Wir wissen aber, dass wir langfristig aufgrund des beschriebenen veränderten Altersaufbaus große Aufgaben vor uns haben. Und ich bin mir sicher, dass die Mitglieder dieser Rentenkommission, da sind Experten aus Wissenschaft, aus dem Arbeitgeberbereich, aus Gewerkschaften und aus der Politik dabei, das auch wussten, als sie Mitglied der Kommission geworden sind.
    Alterssicherungssystem verlässlich gestalten
    Finthammer: Aber Kritiker sagen, dass Sie schon mit alle den Vorhaben, die Sie jetzt umsetzen wollen, die ja zum Teil ihre Berechtigung haben, lang umstritten waren, dass sie natürlich die Aufgaben dieser Rentenkommission belasten, weil natürlich die Ausgaben für die Rentenpolitik damit vor Inkrafttreten neuer möglicher Schritte nochmals deutlich angehoben werden.
    Heil: Ja, das ist so, das bestreite ich auch gar nicht, aber es geht ja nicht um Geschenke, sondern es geht darum, das Alterssicherungssystem tatsächlich verlässlich zu gestalten. Es geht um ganz konkreten Lebensalltag von Menschen. Es geht um Frauen, die beispielsweise immer gearbeitet haben, über 35 Jahre, aber ganz niedrige Löhne hatten in der Vergangenheit und da sage ich, die sollen mehr haben als Menschen, die nicht gearbeitet haben. Das kostet Geld oder wir helfen Menschen, die erwerbsgemindert sind, weil sie nicht mehr arbeiten können, mit hohen Abschlägen zu rechnen haben, durch eine Verbesserung der Erwerbsminderungsrente. Das ist eine Frage der Fairness. Die Frage der Sicherheit ist, dass wir das System insgesamt erneuern.
    Finthammer: Welche Freiheit hat diese Rentenkommission in Ihren Augen? Könnte sie auch damit kommen, dass es sinnvoll wäre, das Renteneintrittsalter, nach welchem Modell auch immer, jedenfalls in Zukunft wieder ein Stück weit anzuheben, weil das einfach die ökonomischste von allen Varianten wäre, um die Rentenzukunft zu sichern?
    Heil: Ich spekuliere nicht, weil es eine Regierungskommission ist mit unabhängigen Expertinnen und Experten, über die Ergebnisse dieser Kommission. Das wäre übergriffig. Wir sind als Bundesarbeitsministerium die Geschäftsstelle dieser Kommission von Expertinnen und Experten. Natürlich habe ich auch Meinungen, aber ich werde die nicht jeden Tag äußern zu diesen Themen, weil diese Kommission jetzt erst anfängt zu arbeiten, weder in die eine noch in die andere Richtung.
    Finthammer: Aber die SPD müsste möglicherweise mit einem Tabu brechen, Renteneintrittsalter von 67 Jahren und nicht darüber hinaus.
    Heil: Also, ich spekuliere nicht darüber, ich habe eine persönliche Meinung, die sage ich Ihnen dann auch. Ich glaube nicht, dass eine starre Erhöhung des Renteneintrittsalters ist, über die diskutiert wird. Möglicherweise wird über Flexibilitäten in den Renteneintritt geredet, weil das auch menschengerecht ist, weil Menschen zum Teil einfach nicht mehr können. Andere können vielleicht länger, das Leben ist bunt, aber wie gesagt, ich spekuliere nicht über die Ergebnisse der Kommission. Und ich mache es der Kommission auch nicht schwieriger, indem ich mich da öffentlich zu verbreite.
    Finthammer: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD. Herr Heil, wie schwierig all diese Prognosen sind, hat ja auch gerade die jüngere Gegenwart gezeigt. In der aktuellen Rentenpolitik werden alle bescheidenen Annahmen von der erfreulich guten Konjunktur in der Gegenwart weit überholt. In der Pflegeversicherung passiert dagegen das Gegenteil. Die Defizite wachsen und der Beitragssatz wird angehoben werden müssen. Wo wir dann schon beim Geld sind, Ihr Kabinettskollege Spahn hat am vergangenen Mittwoch die stärkere Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung angekündigt. Die sollen um 0,3 Prozentpunkte im kommenden Jahr steigen und im Gegenzug eine stärkere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gefordert. Die Union will da mindestens einen halben Prozentpunkt Entlastung. Für Sie galten bislang die 0,3 Prozentpunkte Absenkung für Arbeitslosenversicherung im Koalitionsvertrag als festgeschrieben. Sind Sie da flexibel? Kommen Sie da der Union entgegen, weil es genügend sachliche Gründe gibt?
    Heil: Auch das müssen wir ein bisschen sortieren. Dass in der Pflege die Gesellschaft mehr investieren muss, ist jedem bewusst, weil wir eine älter werdende Gesellschaft sind und weil mehr Menschen pflegebedürftig werden und weil wir übrigens die Menschen besser bezahlen wollen, die in der Pflege arbeiten. Deshalb habe ich Verständnis dafür, dass der Kollege Spahn das machen muss, aufgrund auch von Leistungsverbesserung in der Pflegeversicherung in der letzten Legislaturperiode und weil wir uns gemeinsam viel vorgenommen haben. Das hat, glaube ich, eine hohe Akzeptanz in unserem Staat. Was die Arbeitslosenversicherung betrifft, muss man sich die Lage im Moment genau angucken. Wir haben tatsächlich eine erfreuliche Entwicklung am Arbeitsmarkt. Massenarbeitslosigkeit ist nicht mehr unser Topthema. Langzeitarbeitslosigkeit im SGB II, also in der Grundsicherung, nach wie vor. Weil die Lage gut ist, weil die Konjunktur gut ist, haben wir auch eine volle Kasse bei der Bundesagentur für Arbeit. Das muss man aber sich genau angucken, wofür man das Geld verwendet. In erster Linie brauchen wir, und das hat die Bundesagentur erfreulicherweise, durchaus Rücklagen für schwierigere wirtschaftliche Zeiten. Sie erinnern sich an 2008 und 2009, als mein Amtsvorgänger Olaf Scholz in der Wirtschafts- und Finanzkrise mitgeholfen hat, dass das kein Tsunami am Arbeitsmarkt wurde, weil sie zum Beispiel Kurzarbeit über die Bundesagentur mitfinanziert haben. Also für solche Fälle, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt, weil die Weltwirtschaft zum Beispiel durch Herrn Trump oder Italien in Europa in Schwierigkeiten geraten würde, haben wir Rücklagen. Gott sei Dank brauchen wir die im Moment nicht, aber es ist das Alte "spare in der Zeit, dann hast du in der Not". Das Zweite ist, wir können gleichwohl den Beitragssatz senken und das werde ich tun zum 1. Januar um 0,3 Prozentpunkte. Das ist das, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das klingt wenig, 0,3, aber 0,3 ist eine Entlastung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern von 3,5 Milliarden Euro, also kein Pappenstiel. Dann brauchen wir noch etwas Drittes. Es werden auch noch Mittel da sein und die Frage ist, geben wir die in die Senkung oder investieren wir sie, weil wir den Wandel der Arbeitswelt gestalten müssen, weil wir Weiterbildung und Qualifizierung unterstützen müssen. Ich darf Ihnen noch ein Beispiel geben. Wenn in den nächsten Jahren die Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändert, dann ist die gute Nachricht, dass Deutschland die Arbeit auch in den nächsten 10, 15 Jahren nicht ausgehen wird und die anstrengende Nachricht ist, es wird in vielerlei Hinsicht andere Arbeit sein und da diejenigen, die 2030 zum Beispiel am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, nicht nur die sind, die jetzt ausgebildet werden, sondern die haben ihre Ausbildung jetzt schon hinter sich, werden wir also in Qualifikation investieren müssen. Ich will auch mit den Mitteln der Bundesagentur für Arbeit Arbeitnehmer und kleine mittelständische Unternehmen vor allen Dingen auf diesem Weg unterstützen. Die Unternehmen müssen investieren. Wir wollen sie unterstützen, damit Beschäftigte den Anschluss nicht verlieren und Unternehmen nicht die Fachkräfte ausgehen.
    "Wer nölt, wird einfach mal auch nicht gewählt"
    Finthammer: Heißt das nicht, Sie halten an den 0,3 Prozent fest oder ist das noch Verhandlungsmasse, je nachdem, wie gut die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit dann rechnerisch ausfallen? Ihr Weiterbildungsprogramm gilt ja in gewisser Hinsicht als gesetzt, aber es ist die Frage, gibt es darüber hinaus nicht doch noch Spielraum, den man an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber zurückgeben könnte?
    Heil: Also, ich bin nicht der Meinung, das die Bundesagentur für Arbeit in erster Linie Sparkasse ist, bei allen Rücklagen, die wir brauchen, bei allen Investitionen. Deshalb hab ich vor, die 0,3 Prozent-Senkung auch vorzunehmen. Wenn der Koalitionspartner andere Vorstellungen hat, die nicht im Koalitionsvertrag gedeckt sind, müssen wir darüber reden, was das im Gesamtzusammenhang heißt, aber als Arbeitsminister habe ich die Verantwortung, eine faire Balance herzustellen zwischen Rücklagen für die Krise, die wir haben, zwischen Investitionen bei Qualifizierung und der notwendigen Entlastung. Wenn die Balance stimmt, kann man mit mir über alles reden, aber ich muss diese Balance wahren. Das ist meine Aufgabe.
    Finthammer: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Hubertus Heil, SPD. Wo ich SPD sage, müssten wir noch einmal am Ende über die Partei reden, denn die hat eine schonungslose Analyse vorgelegt Anfang dieser Woche, wo es darum geht, welches denn die Ursachen waren oder was die Gründe dafür waren, für das schlechte Abschneiden und ein zentraler Grund lautete dann plötzlich, Sigmar Gabriel ist schuld. Der hat jetzt selbst schon gesagt, man könne ihn als Puppe ausstopfen und dann immer wieder die Schuld bei ihm abladen. Ist das wirklich so, dass es nur einen Vorsitzenden gab, der das alles zu verantworten hat?
    Heil: Nein, ich entnehme das übrigens auch nicht diesem Bericht, der eine Analyse ist der letzten Wahlniederlage. Ich finde es gut, dass die Partei das analysiert, aber da kann es nicht um Schuldzuweisung an Einzelne geben. Das ist ja die ganze Partei, die die Wahl verloren hat. Was ich mir allerdings wünschen würde, ist, dass wir bei der Analyse nicht stehenbleiben oder uns in Schuldzuweisungen ergehen, sondern dass wir die richtigen Konsequenzen ziehen und dass man vielleicht neben dem Satz, aus Fehlern lernen, einfach mal die Position umdreht und auch mal aus Erfolgen lernt. Wissen Sie, wir haben in den letzten Jahren durchaus ja auch Wahlen gewonnen, in Niedersachsen, in Rheinland-Pfalz, in Hamburg und in Mecklenburg-Vorpommern. Das kann man nicht immer eins zu eins auf die Bundesebene übertragen, aber Einzelnes kann man davon lernen, wie man es macht. Ich finde, die Konsequenz ist nicht, dass wir über unsere Lage nölen. Wer nölt, wird einfach mal auch nicht gewählt, sondern dass wir eine Perspektive geben für das Land in der Regierungsarbeit, in der wir stehen und auch über diese Legislaturperiode hinaus und darauf konzentrieren sich Olaf Scholz und Andrea Nahles genauso wie ich.
    Finthammer: Das wäre meine letzte Frage, was wären die Elemente, schneller den Kanzlerkandidaten benennen, schneller überhaupt Klarheit schaffen in der Partei oder was würden Sie da empfehlen?
    Heil: Wissen Sie, ich bin Teil des Präsidiums der SPD, aber das sind so technische und taktische Debatten, die muss man nicht öffentlich führen. Ich finde übrigens, wer eine Strategie hat, sollte sie nicht verbreiten, sondern sie umsetzen, sondern wichtig ist, was wir inhaltlich für das Land bewegen wollen in der Regierungsarbeit und ich plane jetzt für mich noch nicht den Wahlkampf 2021. Dafür gibt es Leute, die das im Willy Brandt-Haus machen, dafür gibt es einen Generalsekretär. Wir werden auch das alles vorbereiten zu gegebener Zeit, aber jetzt ist erst einmal nicht die Zeit, über die Wahlen zu spekulieren, wie das zum Teil in der CSU möglicherweise der Fall ist, sondern wir sollten uns auf unsere Verantwortung Arbeit jetzt konzentrieren und nebenbei und darüber hinaus Perspektiven über die Zeit dieser Legislaturperiode hinaus erarbeiten, genau das tun wir.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.