Gabriel habe die Chance, mit seiner Reise etwas zu bewirken. Es gebe Kräfte in der Administration und der Verwaltung in den USA, die wüssten, was sie an Europa haben, sagte Clüver. Das gelte für viele militärische Fragen, aber auch für wirtschaftliche. Trump habe sich auf das Credo "America first" festgelegt - also müsse Gabriel nun Gegenargumente liefern. BMW beispielsweise stelle 70.000 Arbeitsplätze in den USA bereit, sagte sie mit Blick auf die von Trump angedrohten Strafzölle auf deutsche Autos und der gleichzeitigen Versprechen für neue Jobs.
Wie stark die Exklusionspolitik Trumps weiter verfängt, hänge derweil auch von der weltpolitischen Lage ab, sagte Clüver. "Sie gewinnt an Auftrieb, wenn es einen Anschlag gibt. Dann würden sich Rhetorik und Politik verschärfen."
Das Gespräch in voller Länge:
Sandra Schulz: Morgen ist US-Präsident Donald Trump genau zwei Wochen im Amt. In dieser Zeit hat er ein ungeheures Tempo vorgelegt, ein Dekret nach dem anderen ausgefertigt, für den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko, mit einem Dekret die gesetzliche Krankenversicherung zurechtgestutzt und zuletzt die Polarisierung auf die Spitze getrieben mit den neuen Einreisebeschränkungen.
Wer steuert gegen und wann, fragen viele Europäer, aber auch die Trump-Gegner in den USA, und da ist auch jede Personalie interessant. Gerade vereidigt ist der neue Außenminister Rex Tillerson, der auch sofort den deutschen Außenminister Sigmar Gabriel empfängt. Wofür steht Tillerson?
Über die weitere Entwicklung in den USA und den Besuch von Bundesaußenminister Gabriel dort wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist die Deutsch-Amerikanerin Cathryn Clüver vom Belfer Center for Science and International Affairs an der Kennedy School in Harvard. Heute Morgen erreichen wir sie allerdings in München. Schönen guten Morgen.
Cathryn Clüver: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Jetzt ist Gabriel nach Theresa May ja der erste europäische Spitzenpolitiker in Washington. Dass man ihn eingeladen hat, ist das eine ausgestreckte Hand?
Clüver: Ich denke, da treffen jetzt erst mal zwei frisch gebackene Außenminister aufeinander, die - so hat Ihr Beitrag schon gezeigt - eine lange Liste von Themen gemeinsam haben, die sie aneinander abarbeiten beziehungsweise erst mal auf die Agenda bringen müssen. Wie in dem Sinne die Kalenderorganisation in der letzten Woche stattfand, da werden wir vielleicht in dem Sinne so nicht dahinter blicken können. Aber dass Deutschland ganz klar in Europa natürlich, aber auch in der Rolle in der NATO und (Herr Gabriel wird außerdem den neuen UNO-Vorsitzenden Guterres treffen) auch zunehmend in der UNO eine größere Rolle spielen wird, selbst wenn Deutschland nicht im Sicherheitsrat ist, das ist klar.
Das ist einer amerikanischen Administration auch klar. Es hat ein Präsident Donald Trump immensen Respekt vor Angela Merkel. Das hat man an dem Telefonat am Wochenende gezeigt. Und wir haben gesehen, dass die Kanzlerin mit Sicherheit in diesem Telefonat andere, wichtige, für Europa wichtige Punkte mit auf ihre Agenda genommen hat, so dass dieses Telefonat viel intensiver, viel themenintensiver ausfiel als zum Beispiel das Telefonat mit Präsident Putin.
"Da testet ein Präsident Trump ganz klar die Stärke, die Kompetenz und die Ruhe einer Angela Merkel"
Schulz: Steht das so felsenfest, wie Sie das sagen, dass es diesen großen Respekt gibt für Angela Merkel? Das ist immerhin die Frau, die er im Wahlkampf für geistesgestört erklärt hat.
Clüver: Ich denke, da testet ein Präsident Trump ganz klar die Stärke, die Kompetenz und die Ruhe einer Angela Merkel. Wir sehen, dass ein Chefideologe wie Stephen Bannen ganz öffentlich auf einer Konferenz vor einem Publikum im Vatikan sagt, dass er einen starken amerikanischen Nationalstaat nur eingebettet sieht in einer Welt der Nationalstaaten, dass es ganz klar am linken Ohr eines Präsidenten Trump jemanden gibt, der diese Spaltungsbestrebungen in Europa, die wir jetzt durch diese Welle des Populismus auch sehen, stark vorantreiben möchte.
Und dass wir auf der anderen Seite aber - und das hat Ihr Beitrag eben auch gezeigt - Kräfte haben in einer amerikanischen Administration, im Verwaltungswesen, aber natürlich auch im Kongress, die ganz stark wissen, was die USA an Europa haben, nicht zuletzt die Tatsache, dass über 50.000 amerikanische Soldaten immer noch auf dem Kontinent aktiv sind und dafür im weitesten Sinne sorgen, dass Amerika global gesichert ist.
Schulz: Ist das so, dass Tillerson, dieser jetzt ganz frisch gebackene neue Außenminister, dass der da wirklich schon fast zu den gemäßigten Kräften zählt?
Clüver: Das tut er mit Sicherheit. Das musste er natürlich auch in seinen Gesprächen mit dem Senat, vor dem Senat in seinen Anhörungsgesprächen noch mal deutlich machen. Denn er - und das ist natürlich klar - wird im Endeffekt zunächst einmal an den großen Verhandlungstischen sitzen müssen: Syrien, Russland und die Themen, die bereits genannt worden sind, China. Nun hat sich der Präsident gestern in einem Telefonat, einem dramatischen Telefonat sogar mit Australien, mit dem australischen Ministerpräsidenten verprellt.
Ein Rex Tillerson wird also zunächst einmal die Aufgabe haben, da die Wogen wieder zu glätten, und wenn ein Sigmar Gabriel ihm heute gegenübersitzt und noch mal betont, mit welcher Effizienz die Deutschen in dem Sinne auch für amerikanische Sicherheit sorgen, sei es die Bundeswehr Battle Group in Lettland, sei es die Militärmission, sei es die Mali-Unterstützung, seien es natürlich die ganz wichtigen Themen kontra ISIS, in der Koalition mitzuarbeiten, den ISAF-Einsatz in Afghanistan erfolgreich zu Ende gebracht zu haben, all diese Dinge wird ein Rex Tillerson gut verstehen können. Aber noch viel wichtiger wird sein, dass Mike Pence auch ein Treffen bekommt, und der steht einem Präsidenten Trump noch ein Quäntchen näher.
Schulz: Das ist noch nicht ganz klar, ob es da auch ein Treffen geben wird zwischen Gabriel und dem Vizepräsidenten. - Wenn ich Sie beim Wort nehme, diese erste Gesprächsebene, die es jetzt gibt zwischen Gabriel und Tillerson, verstehe ich Sie richtig, dass das durchaus eine fruchtbare, gute, erste Gesprächsebene geben kann?
Clüver: Ich denke, es wird für Herrn Gabriel wichtig sein, noch mal ganz klar zu machen, welchen Beitrag Deutschland in Europa leistet, nicht als Profiteur dazustehen, wie in dem jetzt viel gelesenen "Bild"-Interview Präsident Trump erst mal Deutschland dargestellt hat. Es wird wichtig sein, noch mal gerade in der Russland-Politik nachzufassen, zu sagen, wie wichtig es sein wird, auch im Symbolcharakter zumindest an den Sanktionen bis zum Juni festzuhalten. Natürlich ist Sigmar Gabriel einer, der in seiner vorherigen Position als Wirtschaftsminister immer wieder die Wirksamkeit der Sanktionen in Frage gestellt hat. Wir nähern uns in Deutschland einem Wahlkampf. Das heißt, die Themen Russland-Sanktionen und Effizienz der Russland-Sanktionen werden wieder in Frage gestellt werden.
Aber wenn wir sehen, was sich in den letzten paar Stunden in der Ukraine abgespielt hat, muss Deutschland sich richtigerweise positionieren als wichtiges Bindeglied, als wichtiges Bollwerk für bestimmte, natürlich europäische Werte, aber auch grundsätzliche Werte in der westlichen Außenpolitik. Ich glaube, das kann ein Sigmar Gabriel auch in dieser neuen Position mit dem Brevé, was er von den Kollegen im Auswärtigen Amt mitbekommen hat, einem Rex Tillerson durchaus klar machen, glaubhaft klar machen, und Rex Tillerson hat gezeigt, dass er verstanden hat, welche Verantwortung sein neues Amt anheim kommt, und wir müssen erst mal schauen, inwiefern er sich jetzt mit dem Portfolio, mit den Detailfragen und mit dem, was man Russland sonst noch abverlangen könnte, wie er damit in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren zurechtkommt.
"Da wird es gerade um Verhandlungsstil gehen und Präzision in der Verhandlung"
Schulz: Was würden Sie denn sagen, wie muss Sigmar Gabriel vom Ton her auftreten? Wir hatten letzte Woche Gregor Gysi hier bei uns im Deutschlandfunk im Programm. Der hat gesagt, wir müssen rotzfrech sein, was ein Auftritt ist, den rein vom Naturell man einem Sigmar Gabriel vielleicht durchaus sogar zutrauen würde. Sehen Sie das auch so?
Clüver: Nun hat Sigmar Gabriel natürlich gesagt, Donald Trump sei der Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen. Das mag er persönlich so empfinden. Nach der letzten Woche oder nach den letzten zwölf Tagen gibt es natürlich viele Indizien dafür, dass dieses Zitat so stimmt. Aber als Chefdiplomat hat er eine andere Aufgabe und im persönlichen Stil würde man ihm doch empfehlen - und das hat Frank-Walter Steinmeier etwas galanter gesagt in dem Übergabegespräch und in der Rede, die er auf Sigmar Gabriel gehalten hat -, dass er sich in seinem eigenen Ton etwas zurücknimmt beziehungsweise dass er sich ein Beispiel nehmen würde an der Kanzlerin und auch an Frank-Walter Steinmeier, die es immer wieder geschafft haben, räsoniert die ganze Komplexität einer außenpolitischen Agenda ins Gespräch zu bringen, um noch mal klar zu machen.
Und das ist in einem Gespräch mit einer Trump-Administration extrem wichtig, welcher Nutzen von Deutschland ausgeht für die USA beziehungsweise welche Ziele, die man gemeinsam hat, man zusammen erreichen kann, wenn man das so verpackt. Da wird es gerade um Verhandlungsstil gehen und Präzision in der Verhandlung. Da muss Herr Gabriel vielleicht noch etwas nacharbeiten, aber dafür gibt es die hervorragenden Kollegen im Auswärtigen Amt.
"Es wird wichtig sein für alle europäischen Partner, nicht zu buckeln"
Schulz: Wie geht es jetzt weiter mit dieser Konfrontation, mit diesem Konfrontationskurs, den Donald Trump ganz offenkundig jetzt ja erst mal sucht seit Amtsantritt, dass er eine Eskalation nach der anderen sucht? Wer wird ihn da wann stoppen können?
Clüver: Na ja, es kommt ein bisschen darauf an, inwiefern die Weltsituation erst mal bleibt wie sie ist. Eine Politik, eine Exklusionspolitik eines Donald Trump gewinnt dann an Aufwind, wenn zum Beispiel es in Amerika einen großen Anschlag gäbe. Man nehme nur an, es gäbe einen Anschlag auf die Protestmärsche. Dann würde sich nicht nur die Rhetorik, sondern die Politik eines Donald Trump, diese Isolationismus-Politik nur noch verschärfen und verstärken.
Wenn aber umgekehrt zum Beispiel ein Sigmar Gabriel mit den Konterargumenten - BMW stand natürlich jetzt ganz groß in den Schlagzeilen, was Strafzölle angeht - noch mal wieder betont, 70.000 Arbeitsplätze, die BMW in den USA stellt, ein deutsches duales Ausbildungssystem, was einem Donald Trump, dem es um Jobs, Jobs, Jobs gehen musste im Wahlkampf und der das auch immer wieder an seine Unterstützer weitergibt, dafür haben zum Beispiel deutsche Unternehmen deutsche Ideen, die sie wirklich praktischerweise dort umsetzen.
Das heißt, da kann es um eine gesamte Ideenspanne gehen. Aber zum Thema Russland wiederum wird es darum gehen, wie geht man jetzt in den nächsten sechs Monaten mit Sanktionen um, gibt es noch eine andere Möglichkeit, Russland andere Bereiche abzuringen, die für Trump wiederum innenpolitisch als Erfolg verbucht werden können - sei es gerade zum Thema Nuklearfragen. Da gäbe es Möglichkeiten, gerade in der Einzelverhandlung Erfolg sowohl für Europa wie die USA zu verbuchen.
Aber es geht wiederum - das kann man nicht oft genug betonen -, es wird um die Verhandlungstechnik gehen. Es wird darum gehen, einem Donald Trump immer wieder klar zu machen, denn aus dieser Sichtweise, America first und das, was für Amerika gut ist, da wird er nie wieder runterkommen. Das ist sein Credo und daher wird es wichtig sein für alle europäischen Partner, nicht zu buckeln, sondern innerhalb und unterstützend der europäischen Werte, der europäischen Außenpolitik immer wieder zu sagen, da und da können wir nützlich sein, aber diesen Schirm der Werte immer über die Außenpolitik und über diese Verhandlungen zu legen.
Schulz: Die deutsch-amerikanische Journalistin und Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
Clüver: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.