Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem wichtigsten internationalen Expertentreffen zur Sicherheitspolitik, werden mehr als 800 Teilnehmer werden erwartet, darunter rund 40 Staats- und Regierungschefs. Auf der Agenda: Die Entwicklung in Libyen, die sich nach der Konferenz in Berlin so gut wie nicht verbessert hat, und auch im nordsyrischen Idlib spitzt sich die Lage weiter zu. Dazu äußerte sich Bundesaußenminister Heiko Maas, SPD.
Fünf-plus-fünf-Komitee - ein großer Fortschritt
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Maas, bleiben wir beim Thema Libyen. Kritiker sagen, man hätte sich die Konferenz in Berlin ja auch sparen können, denn die dort beteiligten Kräfte, die halten sich nicht mal an das vereinbarte Waffenembargo. Sie, Herr Maas, haben ja zu einem Folgetreffen für Sonntag nach München eingeladen, am Rande der Konferenz. Was bringen diese Treffen, wenn sich die Beteiligten überhaupt nicht an Beschlüsse halten?
Heiko Maas: Es ist nicht so, dass sie sich überhaupt nicht an Beschlüsse halten. Aber ehrlich gesagt war, als wir diese Konferenz in Berlin hatten, jedem klar, dass das ein langer Prozess wird und auch ein sehr mühseliger und wahrscheinlich auch ein einziger Kampf, die Unterstützer der beiden Bürgerkriegsparteien nachhaltig dazu anzuhalten, ihre Unterstützung den Bürgerkriegsparteien zu entziehen. Dafür sind viele Wege gegangen worden. Es gibt mittlerweile – das ist ein großer Fortschritt – dieses sogenannte Fünf-plus-fünf-Komitee. Das heißt, zum ersten Mal sitzen die Militärs der beiden Bürgerkriegsparteien in Genf zusammen und verhandeln über einen Waffenstillstand. Es gibt eine wirtschaftliche Kommission, die wir in Berlin beschlossen haben, die mittlerweile einberufen worden ist, die sich darum kümmern soll, wie dieses Land auch noch einmal wirtschaftlich eine Perspektive hat.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat vorgestern eine Resolution beschlossen, in der alle Mitglieder des Sicherheitsrates und damit die Vereinten Nationen die Ergebnisse von Berlin noch einmal bestätigt haben, und am Montag werden wir nach der Konferenz in München bei den europäischen Außenministern darüber reden, wie wir eine Überwachungsmission auf den Weg bringen können, die überprüft, dass dieses Waffenembargo nicht mehr gebrochen wird, damit niemand, der dieses Waffenembargo bricht, darauf hoffen kann, dass er ungesehen und damit auch ungestraft davon kommt.
"Nachhaltiger Frieden Stück für Stück in Libyen"
Heckmann: Das sind alles Bemühungen auf diplomatischer Ebene. Hat sich aber die Bundesregierung von den Mächten, die im Libyen-Krieg mitmischen, unter anderem Russland, vorführen lassen, indem gesagt wurde, Waffenruhe, ja, da sind wir dabei, auch beim Waffenembargo, um sich im gleichen Moment umzudrehen und weiterzumachen wie bisher?
Maas: Nein, überhaupt nicht. Ansonsten hätten wir auch keine Sicherheitsratsresolution vorgestern in New York beschließen können. Niemand, der in Berlin dabei gewesen ist, dachte, dass am Montag nach dem Sonntag der Konferenz es Frieden in Libyen geben wird, sondern wir haben lediglich einen Prozess beschrieben mit sehr unterschiedlichen Etappen, mit denen wir endlich einen Waffenstillstand und damit einen nachhaltigen Frieden Stück für Stück in Libyen zustande bringen, und das wird auch nicht in der nächsten Woche bereits umgesetzt sein, sondern das wird uns noch lange beschäftigen. Aber die Unterstützer von den Bürgerkriegsparteien zu trennen - das ist das System der Libyen-Konferenz gewesen -, ist nach wie vor der einzige Weg, damit die Waffen schweigen, und darum werden wir uns weiter bemühen. Und ich bin mir sicher, dass wir Schritt für Schritt dabei auch weiterkommen werden.
EU überlegt Wiederbelebung der Mission Sophia
Heckmann: Herr Maas, Sie haben in der Süddeutschen Zeitung dieser Tage gesagt: "Wer das Waffenembargo unterläuft, dem müsse klar sein, dass das nicht ohne Folgen bleiben wird." Welche Folgen sollten das sein, oder handelt es sich dabei um eine hohle Drohung?
Maas: Nein! Erst mal geht es ja darum festzustellen, ob das Waffenembargo gebrochen wird, und dafür brauchen wir Kontrollinstrumente. Die Europäische Union ist dabei zu überlegen, ob die sogenannte Mission Sophia wiederbelebt wird – diesmal aber wahrscheinlich mit mehr Komponenten aus der Luft, das heißt aus der Luft mit Satellitenbildern, wo Lagebilder erstellt werden, um festzustellen, wird dieses Waffenembargo gebrochen, wer bricht es und welche Maßnahmen sind dagegen zu ergreifen. Auf jeden Fall wird erst einmal jeder, der in Libyen weiterhin Waffen an die Bürgerkriegsparteien bringt, damit rechnen müssen, dass er dabei entlarvt wird in der nächsten Zeit, und ich glaube, das wird die Lage vor Ort schon noch einmal grundsätzlich verändern.
"Ausstellen von Persilscheinen muss enden"
Heckmann: Wenn eine Kraft entlarvt wird, Sie meinen, das hätte dann auch wirklich faktisch zur Folge, dass eine Macht wie beispielsweise Russland keine Waffen mehr liefert?
Maas: Ja! Russland hat sich auch dazu verpflichtet. Das Problem, das es im Moment gibt, besteht darin, dass jede Seite der anderen Seite vorwirft, sich nicht an die Verpflichtungen zu halten und für sich selber einen Persilschein ausstellt, deshalb es auch nicht tun zu müssen. Das muss enden. Das gilt für beide Seiten. Das gilt für die russische Seite, das gilt für die türkische Seite, das gilt für all diejenigen, die Interessen in diesem Konflikt haben, und das ist der Weg, den wir weitergehen müssen. Ansonsten werden wir es nicht schaffen, dass in Libyen die Waffen schweigen.
EU-Interessen werden in Libyen berührt
Heckmann: Und Sie denken, dass diese europäische Überwachungsmission kommen wird?
Maas: Es gibt Diskussionen darüber, wie sie aussehen wird, aber ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden werden, eine solche Mission auf den Weg zu bringen. Darüber wird am Montag in Brüssel zu sprechen sein. Es sind auch die Interessen, die Sicherheitsinteressen von Europa, die in Libyen berührt werden. Deshalb sind wir dort in der Verantwortung und wir müssen einen Beitrag dazu leisten, dass dieser Bürgerkrieg in Libyen beendet wird.
Syrien: Russland und Türkei machen Krieg "unter sich aus"
Heckmann: Die ganz andere große Krise, der andere Krieg, Herr Maas, Thema Syrien. Das Problem ist ja: Die USA unter Donald Trump ziehen sich weitgehend aus der Region zurück, verschärfen die Lage höchstens, beispielsweise durch die Tötung des iranischen Generals Soleimani. Und die EU scheint nicht in der Lage zu sein, sich wirksam einzuschalten. Wolfgang Ischinger, der Leiter der Sicherheitskonferenz, der hat jetzt von einem "unverzeihlichen Versagen der Staatengemeinschaft in Syrien" gesprochen und meint damit auch die Europäische Union.
O-Ton Wolfgang Ischinger: "Die Europäische Union vertritt 500 Millionen Menschen und ist der größte Wirtschaftsblock der Welt. Wieso sind wir eigentlich so unfähig, so total unfähig, irgendeinen einzigen Beitrag zum Frieden in Syrien zu leisten – seit inzwischen neun Jahren? Ich halte das für vollkommen inakzeptabel."
Heckmann: Soweit Wolfgang Ischinger. – Haben Sie eine Antwort? Warum sind wir so total unfähig?
Maas: Ich glaube, dass tatsächlich in den letzten Jahren in Syrien eine Vielzahl von Entwicklungen stattgefunden hat, ohne dass sich die westliche Staatengemeinschaft insgesamt dabei eingebracht hat, und mittlerweile Russland und die Türkei diesen Krieg unter sich ausmachen mit den Beteiligten auch vor Ort. Dennoch, glaube ich, gibt es auch dort bei der Entwicklung in Idlib zunächst einmal die Notwendigkeit, auf die Beteiligten dort einzuwirken, und das werden wir in München auch tun in den Gesprächen mit dem russischen und dem türkischen Außenminister. Deshalb wird die Frage, die ganz entscheidend sein wird, diejenige sein, ob wir eine politische Lösung für diesen Konflikt finden, und dieser Prozess ist bereits aufgegriffen worden. In Genf trifft sich ein Komitee, das über eine Verfassung spricht. Die unterschiedlichen Parteien sitzen alle an einem Tisch. Das, was von uns verlangt wird, von der Europäischen Union, ist ja, sich am Wiederaufbau in Syrien zu beteiligen, aber das werden wir nur dann tun, wenn es wirklich eine politische Lösung gibt, die nicht nur zum Inhalt hat, dass mit dem Wiederaufbau, mit viel Geld, das Europa in Syrien investiert, die Macht von Assad stabilisiert wird. Das ist der Prozess, im Übrigen auch unter der Ägide der Vereinten Nationen, der jetzt angelaufen ist und den wir aus der Europäischen Union auch maßgeblich unterstützen.
Dass in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind, die niemand mehr zurückdrehen kann, das ist sicherlich richtig. Aber diese Fehler wollen wir gerade nicht mehr machen und deshalb engagieren wir uns zum Beispiel auch in Libyen so, weil in Libyen wir eine Situation haben, dass, wenn die Europäische Union, wenn wir uns nicht stärker engagieren, wir letztlich noch ein zweites Syrien bekommen werden.
Große Erwartungen in der UN an Europa
Heckmann: Die internationale Sicherheitslage ist mehr als fragil. In der zweiten Hälfte des Jahres beginnt die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Wie sicher, Herr Maas, sind Sie denn, dass die schwarz-rote Koalition noch Bestand hat Ende des Jahres, wenn Sie auf die Entwicklungen in der CDU blicken?
Maas: Die Große Koalition ist schon so oft totgesagt worden. Auch das, was jetzt stattfindet, beeindruckt mich nicht so sonderlich. Ich stelle fest, dass in Europa, aber auch bei den Vereinten Nationen im Sicherheitsrat es große Erwartungen an uns gibt. Wir werden in der zweiten Jahreshälfte die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union haben. Und ich bin mir sicher, dass jeder in der Union auch genug Verantwortung hat, um das zu sehen und dafür zu sorgen, dass die Interessen, die Deutschland hat in Europa und in der Welt, durch das, was gerade in der Union debattiert wird, nicht in irgendeiner Weise beschädigt werden.
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