Die Wahl der grünen Spitzenkandidaten für die Europawahl lief geschlossen und harmonisch ab, ganz entsprechend der Grundmelodie dieses Parteitages. Das beste Ergebnis erzielte Sven Giegold. Der 48-jährige Finanzexperte im Europaparlament bekam fast 98 Prozent der Delegiertenstimmen, nachdem er ein flammendes Plädoyer für ein weltoffenes Europa abgegeben hatte:
"Europa bedeutet Zukunft und Nationalismus bedeutet Vergangenheit, liebe Freundinnen und Freunde".
Deutschland sei der größte Profiteur Europas, betonte Giegold, der für Listenplatz Zwei kandidiert hatte. Er verlangte ehrgeizigere Ziele beim Klima- und Umweltschutz und ging dabei auch die Bundesregierung direkt an:
"Es ist so peinlich, dass wir Deutsche heute nicht mehr beim Klimaschutz vorne sind, sondern von Europa dahingetrieben werden müssen, liebe Freundinnen und Freunde."
Besonders beim Vorhaben, klimaschädliches C02 zu senken, sei die Bundesregierung weit zurückgefallen, so Giegold.
Für Unruhe sorgte ein Interview mit Kretschmann
Zuvor hatten die Delegierten mit knapp 88 Prozent der Stimmen Ska Keller auf Listenplatz Eins der deutschen Grünen gewählt. Die 36-Jährige ist Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament und hat gute Chancen, in zwei Wochen auch zur Spitzenkandidatin der europäischen Grünen gewählt zu werden. Sie setzte in ihrer Rede den Akzent auf Grundwertesicherung, Klimaschutz, Frauenrechte und sie verlangte ein solidarisches Europa auch in sozialen Fragen:
"Es kann doch nicht sein, dass sich in Griechenland Krebskranke keine Medikamente leisten können, während Europa jedes Jahr 70 Milliarden Euro durch Steuertricks von Unternehmen entgehen."
Die Grünen wollen in ihrem Europaprogramm gegen Steuerdumping vorgehen und europäischen Bürgern einklagbare Rechte auf ein angemessenes Gesundheitssystem verschaffen.
Für Unruhe am Rande des Leipziger Parteitags hatte ein Interview von Winfried Kretschmann gesorgt, grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Er hatte im Zusammenhang mit Flüchtlingen und dem Gruppenvergewaltigungsfall in Freiburg von ‚jungen Männerhorden‘ gesprochen, die aus Sicherheitsgründen getrennt und von Großstädten ferngehalten werden sollten. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner von den Grünen reagierte verärgert:
"Ich finde es nicht staatstragend genug, es wäre nicht meine Rede. Und so kenne ich Winfried Kretschmann auch nicht, in dieser Sprache. In der Sache ist es ja so, dass wir sagen, wir wollen keine Ankerzentren, weil Ankerzentren, so wie das Horst Seehofer vorschlägt, natürlich einfach eine Kasernierung von vielen, vielen Menschen betrifft. Und das ist ein riesiges Problem und das haben wir immer gemeinsam gesagt. Und insofern würde ich sagen, ich lese das als Gegenrede zu den Ankerzentren von Horst Seehofer."
Die Grünen bekennen sich zu Grenzsicherung
Kellner versucht hier, eine Brücke zu bauen. Dennoch zeigt der Konflikt, dass Asyl und Migration in der praktischen Umsetzung für die Grünen ein schwieriges Thema bleiben. In Leipzig hatte ein Satz im Entwurf des Europawahlprogramms hinter den Kulissen für Debatten gesorgt. Er hatte das Recht auf Asyl bekräftigt - zugleich aber betont, dass nicht alle, die kommen, bleiben könnten. Das hatte eine Gruppe um Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth als Relativierung des Asylrechts verstanden. Deshalb wurde der Satz in zwei Stücke geteilt und auf verschiedene Unterkapitel verteilt. Europa-Spitzenkandidatin Ska Keller sieht ihre Partei beim Thema Migration im Europawahlkampf dennoch geschlossen:
"Es geht darum, dass wir natürlich alle wissen, dass wenn es ein Asylverfahren gibt, dass es dann auch so ausgehen kann, dass es eben negativ ausgeht, also das ist völlig klar. Aber für uns Grüne ist es eben wichtig, zu betonen, dass jeder Mensch das Recht hat, Asyl zu beantragen. Und das haben wir klar gestellt. Da gab es Änderungsanträge dazu von Leuten, die gesagt haben, das war im Originalentwurf noch nicht klar genug. Aber das ist inhaltlich überhaupt gar kein Problem, da sind wir völlig geeint."
In ihrem Europawahlprogramm ist nun festgeschrieben, abgelehnte Asylbewerber weiterhin nicht in Krisengebiete abzuschieben. Die Grünen bekennen sich zu Grenzsicherung und Kontrolle an den Außengrenzen, verlangen aber bessere staatliche Seenotrettung. Sie wollen zudem eine legale Einwanderung einheitlich regeln. Asylbewerber sollen auf EU-Staaten solidarisch verteilt werden. Zur Not sollen kooperative Länder hier vorangehen.
Außerdem beschlossen die Grünen in ihrem Europawahlprogramm, digitalen Wandel voranzutreiben, Datenschutz hochzuhalten und grenzüberschreitende Bildungsangebote auszuweiten.