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Bundesfinanzminister Scholz zur Pandemiebekämpfung
„Ganz schön einschneidende Maßnahmen ergriffen“

Die Alltagseinschränkungen im Zuge der Coronapandemie seien keinesfalls zu milde, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) im Interview der Woche im Dlf. Bei der Finanzierung der Kredite sprach sich der SPD-Kanzlerkandidat für eine höhere Belastung von Spitzenverdienern und gegen Steuersenkungen aus.

Olaf Scholz im Gespräch mit Theo Geers |
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD)
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) (picture alliance / Flashpic / Jens Krick)
Durch die bisherigen Maßnahmen, die Scholz als "nicht ohne" einschätzt, sei es zumindest gut gelungen, dass die Infektionszahlen nicht weiter hochgingen. Und mit Blick auf die Erfolge beim Mainzer Unternehmen Biontec sagte der SPD-Kanzlerkandidat:
"Wir wissen jetzt ziemlich sicher, dass wir einen Impfstoff haben werden, der in viel kürzerer Zeit zur Verfügung steht, als das jemals in solchen Fällen der Fall gewesen ist. Und ich glaube, dass das auch etwas ist, an dem wir uns alle ein bisschen festhalten können in diesen kalten Tagen."
Mehr Steuergerechtigkeit
Wenn jetzt Milliarden aufgewendet würden, um Unternehmen zu retten, sei es eine etwas eigenwillige Forderung, dass nach der Krise erstmal Steuersenkungen für Spitzenverdiener und sehr große Unternehmen auf der Tagesordnung stünden, erklärte Olaf Scholz. "Das ist auch ehrlicherweise ein bisschen etwas, das gegen alles, was Anstand gebietet, gerichtet ist".
Präsident der Bundesärztekammer: Europäische Behörde muss schneller prüfen
Ein Impfstoff gegen das Coronavirus könnte nach Ansicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, schneller in Europa zugelassen werden. Nun müsse sich die Europäische Behörde mit Druck daran machen, vorliegende Daten zu prüfen.
Der Abbau der hohen Staatsschulden müsse zwar wie schon nach der Finanzkrise über wirtschaftliches Wachstum erfolgen, dennoch halte er auch ein gerechteres Steuersystem für notwendig. "Wer ein paar 100.000 Euro verdient zum Beispiel, sollte etwas mehr zahlen", sagte Scholz.
Vermögenssteuer wiederbeleben
Ein legitimes Mittel könne auch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sein. "Die wurde ja nicht durch das Gesetz abgeschafft, sondern weil der Gesetzgeber nicht den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllt hat, eine ordentliche Bewertung unterschiedlicher Vermögen durchzuführen. Und das, glaube ich, sollte nicht so bleiben."
"Man hätte stärker an die Ärmsten der Armen denken müssen"
Armutsforscher Christoph Butterwegge beobachtet, dass Corona die Ungleichheit verschärft. Mit den "Sozialschutzpaketen" habe die Bundesregierung Soloselbstständige und Kleinstunternehmer in der Coronakrise bedacht. Einkommensschwache habe sie vernachlässigt.
Die Vermögensteuer wird in Deutschland seit 1997 nicht mehr erhoben, formal abgeschafft ist sie nicht. Deutschland könne sich am Vorbild der Schweiz orientieren, betonte Scholz.
"Was die Schweiz kann, die eine Vermögensbesteuerung hat, kann Deutschland auch. Und ich finde, die Schweiz ist ja nun nicht sozialismusverdächtig."
Gutes Wirtschaften der vergangenen Jahre zahle sich aus
Seine Aussage von Mai, dass Deutschland die Situation finanziell lange durchhalten könne, gelte noch immer. "Wir haben ja mit der sehr entschiedenen, entschlossenen, schnellen, fiskalischen Antwort, mit dem vielen Geld, das wir einsetzen, um Arbeitsplätze zu retten, um Unternehmen zu retten, dazu beigetragen, dass sich die Wirtschaft viel besser entwickelt hat, als alle vorhergesehen hatten. Das spricht für die Richtigkeit unserer Krisenantwort." Auch die Tatsache, dass in den vergangnen Jahren gut gewirtschaftet worden sei, habe einen deutlichen Anteil daran.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Im kommenden Jahr könnten voraussichtlich noch einmal 180 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln zur Pandemiebekämpfung eingesetzt werden, erläuterte Scholz. Zugleich betonte er: "Natürlich macht mir Kreditaufnahme immer Sorgen. Aber ich bin eben auch der Finanzminister, der dafür gesorgt hat, dass wir eine solide Haushaltspolitik bis zuletzt hatten."
Zur Lage der SPD
Dass er SPD-Kanzlerkandidat ist, aber im vergangenen Jahr nicht zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, betrachtet Scholz nicht als Nachteil. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und den beiden Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans habe dazu geführt, dass die SPD so geschlossen dastehe wie seit fast zehn Jahren nicht mehr.

Das Interview in voller Länge:
Theo Geers: Herr Scholz, wir sind hier im Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio. Wir sitzen auf Abstand, wie sich das in diesen Zeiten gehört. Zwischen uns ist auch noch eine Trennscheibe. Alles eine von vielen Vorsichtsmaßnahmen, die so unser Leben, unsere Arbeit in diesen Monaten prägen und wohl auch noch weiter prägen. Jetzt wissen wir seit Mitte der Woche: Der Lockdown dauert definitiv bis 10. Januar. Das wären dann zehn Wochen. Und wir befinden uns heute am Ende der fünften Woche, also Halbzeit. Deshalb die Frage an Sie: Wie beurteilen Sie denn eigentlich die Zahlen? Gucken Sie sich die jeden Tag an?
Olaf Scholz: Ich gucke mir die Zahlen an, jeden Tag, manchmal auch zwischendurch, weil das ja doch ein Thema ist, das uns alle umtreibt. Wir müssen es hinbekommen, dass die Infektionszahlen nicht weiter hochgehen. Das ist durch die bisherigen Entscheidungen auch gelungen. Nicht überall in Deutschland, aber jedenfalls über alle Gegenden in Deutschland hinweg im Durchschnitt. Und unser Ziel ist ja, dass es auch wieder runtergeht.
Geers: Aber das tun sie noch nicht.
Scholz: Das tun sie noch nicht. Deshalb ist es ja auch wichtig, dass wir die Maßnahmen noch einmal verlängert haben, und dass wir alle bitten mitzuhelfen, indem jeder mit seinen Möglichkeiten dazu beiträgt, dass Abstand gehalten werden wird, dass die Hygieneregeln eingehalten werden.
Geers: Würden Sie eigentlich sagen, dass die bisherigen Maßnahmen vielleicht zu milde waren?
Scholz: Nein. Sie haben ja Wirkung gehabt, aber noch nicht die gewünschte. Und wir hoffen, dass jetzt die Zahlen besser werden. Das müssen wir uns aber auch jeden Tag weiter anschauen.
Vorteile der föderalen Ordnung
Geers: Nun gibt es ja durchaus andere Strategien. Wenn ich zum Beispiel an Markus Söder denke, der hat in dieser Woche wirklich offen die Frage gestellt, ob das mit diesem halbkonsequenten Shutdown, wie er ihn genannt hat, so weitergehen könne. Und er hat gefragt, ob es nicht möglicherweise besser sein könnte, einmal kurz und konsequent zu handeln, statt halbkonsequent – wie er es genannt hat. Da gehen Sie nicht mit?
Scholz: Das Schöne an der föderalen Ordnung in Deutschland ist ja, dass wir nicht abhängig sind von den täglichen Befindlichkeiten des einen oder der anderen, sondern dass wir uns miteinander beraten. Die Bundesregierung, 16 Landesregierungen. Und das führt, glaube ich, schon dazu, dass in Deutschland abgewogene, wohlerwogene Entscheidungen getroffen werden, dass wir ganz gut durch die Krise bisher gekommen sind. Sowohl die gesundheitliche Krise als auch die wirtschaftliche Krise hat auch was damit zu tun.
Geers: Also, Sie sehen im Moment noch keine Notwendigkeit, die Einschränkungen, die ja nicht angenehm sind, für niemanden, noch zu verschärfen und zu sagen, wir müssen noch mehr tun?
Scholz: Ich habe ja gerade dafür geworben, dass es nicht auf einen alleine ankommt. Deshalb sage ich: Die Entscheidungen, die zuletzt getroffen worden sind, sind einvernehmlich getroffen worden, von allen Regierungschefinnen und Regierungschefs in Deutschland.
Geers: Und das heißt, die müssen dann auch wieder einvernehmlich getroffen werden, wenn es dann verschärft werden müsste, zum Beispiel nach Weihnachten dann am 4. Januar?
Scholz: Wir werden ja wahrscheinlich erleben, dass es eine unterschiedliche Entwicklung der Infektionszahlen gibt. In einigen Ländern werden die Infektionszahlen sicherlich heruntergehen. In anderen wissen wir das noch nicht. Deshalb ist es schon ein guter, kluger Rat, den sich alle gegeben haben, nämlich genau hinzuschauen und sich zwischendurch immer wieder zu beraten. Und das, glaube ich, sollten wir jetzt auch mal machen.
Geers: Wenn man sich diese Entwicklung anguckt, wenn man anschaut, dass diese Zahlen bei den Corona-Infektionen sich eher seitwärts bewegen, aber nicht im Rückwärtsgang, wenn man sieht, wie weit wir entfernt sind von dem Ziel – 50 Neuinfektionen pro 100.000 Bürger. Wir sind jetzt bei ungefähr 130 oder gut 130. Wenn man sich das anschaut und man kann mit dem Taschenrechner ausrechnen, was das bedeutet, wenn sich jeden Tag 20.000 oder 23.000 Menschen infizieren. Man weiß genau, wie viel davon in drei, vier Wochen nicht mehr leben werden. Man hat so ein bisschen das Gefühl, jeder kennt hierzulande die Konsequenzen, aber so richtig, dass mal einer sagt, wir müssen jetzt wirklich Maßnahmen noch mal richtig ergreifen, tun sie nicht. Warum nicht?
Scholz: Ich finde, wir haben ganz schön einschneidende Maßnahmen in Deutschland ergriffen. Und das ist ja deshalb auch von allen akzeptiert, dass wir so weit vorangegangen sind, wie wir das jetzt gemacht haben. Diejenigen, die das spüren in ihrem eigenen Geschäftsbetrieb, die Künstlerinnen und Künstler, die Leute, die Veranstaltungen machen, die Sportlerinnen und Sportler wissen ganz genau, dass das ziemlich heftige Maßnahmen sind. Und das gilt auch für die Gastronomie. Das gilt für die Hotels. Also, das, was da bisher auf den Weg gebracht wurde, ist nicht ohne.
Geers: Ich muss noch mal nachhaken, Herr Scholz. Wenn man die Kanzlerin nimmt von Mitte der Woche, mit der Pressekonferenz nach dem letzten Treffen mit den Ministerpräsidenten. Da hat sie auf die Zahl der Impfdosen verwiesen und hat gesagt, wir sollten uns nicht zu viele Hoffnungen machen. Sie hat gesagt, im ersten Quartal haben wir etwa sieben Millionen Impfdosen in Deutschland zur Verfügung von den beiden Herstellern Biontech und Moderna. Vielleicht kommen noch welche von Zeneca dazu. Das wissen wir noch nicht. Aber, wenn ich diese sieben Millionen Impfdosen nehme und teile die durch zwei, weil jeder, der geimpft werden soll, zweimal geimpft werden muss, macht dreieinhalb Millionen Menschen, die dann im Zweifel im nächsten Quartal, von Januar bis März, hierzulande geimpft werden können. Bei 83 Millionen Einwohnern heißt das, dass immer noch 79 Millionen herumlaufen ohne Impfschutz. Kann dann in der Zeit, in den kälteren Monaten, Januar, Februar … das muss doch im Grunde bei den Zahlen, die wir jetzt haben, darauf hinauslaufen, dass Sie noch mal die Zügel anziehen müssen.
Scholz: Noch mal: Wir gucken uns die Zahlen an, wie sie zu sehen sind. Und ich weiß, es ist für viele ganz schwer, nicht die Nerven zu verlieren. Aber ich zähle zu denen, die das nicht tun. Sondern es ist richtig, abgewogene Entscheidungen zu treffen. Und noch mal: Die sind gemeinsam getroffen worden. Ich bin ein bisschen irritiert darüber, dass einige, die Teil des Konsenses sind, ansonsten auch viel philosophieren. Wir haben auch eine Führungsaufgabe. Und zur Führung gehört dazu, dass man Entscheidungen, die Führungen treffen, auch mit vertritt.
"Wir wissen, es gibt etwas, das uns helfen wird"
Geers: Und das vermissen Sie so ein bisschen, zum Beispiel bei Herrn Söder?
Scholz: Ich freue mich, wenn alle immer wieder zusammenkommen und dann mitentscheiden. Ich freute mich, wenn Sie zwischendurch auch dabei sind. Weil Sie den Impfstoff angesprochen haben. Ich habe diese Woche mir einmal angeschaut, wie das läuft bei Biontech und damit ist ja auch viel Hoffnung verbunden. Wir wissen jetzt ziemlich sicher, dass wir einen Impfstoff haben werden, der in viel kürzerer Zeit zur Verfügung steht, als das jemals in solchen Fällen der Fall gewesen ist. Und ich glaube, dass das auch etwas ist, an dem wir uns alle in bisschen festhalten können in diesen kalten Tagen. Dass wir wissen, es gibt etwas, das uns helfen wird, die Sache auch hinter sich zu lassen, auch, wenn es noch dauern wird.
Geers: ... sagt der Bundesfinanzminister im Deutschlandfunk, im Interview der Woche. Herr Scholz, kommen wir auf das Thema Corona-Hilfen zu sprechen. Sie haben im Mai letzten Jahres gesagt mit Blick auf die vielen Milliarden, die Sie damals schon zur Verfügung gestellt haben: Wir können das – gemeint waren die Hilfen – lange durchhalten. Gilt das immer noch?
Scholz: Das gilt immer noch. Man sieht das ja auch, dass es gilt. Wir haben ja mit der sehr entschiedenen, entschlossenen, schnellen, fiskalischen Antwort, mit dem vielen Geld, das wir einsetzen, um Arbeitsplätze zu retten, um Unternehmen zu retten, dazu beigetragen, dass sich die Wirtschaft viel besser entwickelt hat, als alle vorhergesehen hatten. Das spricht für die Richtigkeit unserer Krisenantwort. Und natürlich, weil wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben, und weil wir eine gute Wirtschaftskraft haben, können wir das so lange durchhalten, wie das notwendig ist und haben ja auch vom Deutschen Bundestag die Mittel dazu bewilligt bekommen, für dieses Jahr und werden sie, wie es aussieht, für das nächste Jahr auch bewilligt bekommen. 180 Milliarden Euro, die dann noch einmal eingesetzt werden können. Und das ist etwas, worauf die Bürgerinnen und Bürger und alle die, die Frage stellen, können wir das durchhalten, ja auch setzen. Ja, wir können das.
Geers: Und, wenn das bedeutet, dass im Grunde ein Drittel der Bundesausgaben in diesem und im nächsten Jahr auf Kredit finanziert sind, das macht Ihnen keine Sorgen?
Scholz: Natürlich macht mir Kreditaufnahme immer Sorgen. Aber ich bin eben auch der Finanzminister, der dafür gesorgt hat, dass wir eine solide Haushaltspolitik bis zuletzt hatten. Ende 2019 hat Deutschland alle Stabilitätskriterien der Europäischen Union erfüllt. Wir hatten weniger als 60 Prozent Staatsverschuldung. Das ist etwas, woran wir lange gearbeitet hatten und haben bis zuletzt. Und deshalb können wir das jetzt auch machen. Wir werden am Ende der Krise unter den G7-Staaten, also den großen Industrienationen der Welt, das Land sein, das weniger Schulden hatte als alle anderen vor der Krise, im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Wir werden eine Staatsverschuldung im Verhältnis zum Sozialprodukt, zur Wirtschaftsleistung haben von knapp über 70 Prozent. Nur zur Erinnerung: Nach der letzten großen Wirtschaftskrise, als die Lehman-Bank zusammengebrochen war, war die Staatsverschuldung über 80 Prozent. Und wir sind daraus gewachsen. Wir werden aus dieser Sache auch wieder rauswachsen, vor allem, wenn wir ganz viel tun dafür, dass wir auch die Zukunftsaufgaben meistern.
Geers: Es wird ein Thema, wie die Staatshilfen zurückgezahlt werden müssen. Wer zahlt am Ende die Rechnung?
Scholz: Im Wesentlichen das Wachstum. So war es beim letzten Mal und so wird es auch wieder sein. Ich glaube, dass man ganz ehrlich sein muss. Sage ich nicht nur, aber auch als Sozialdemokrat. Wenn wir jetzt Milliarden aufwenden, um Unternehmen zu retten, ist es eine etwas eigenwillige Forderung, die ich jetzt ab und zu höre, dass nach der Krise erst mal Steuersenkung für Spitzenverdiener und für sehr große, leistungsstarke Unternehmen auf der Tagesordnung stünden. Nein, das ist nicht richtig. Und das ist auch ehrlicherweise ein bisschen etwas, das gegen alles, was Anstand gebietet, gerichtet ist.
Der Wunsch, kleine und mittelgroße Unternehmen zu entlasten
Geers: Heißt das dann umgekehrt bei Ihnen: Steuererhöhungen?
Scholz: Ich bin schon immer dafür, dass wir unser Steuersystem ein bisschen gerechter austarieren, als das heute der Fall ist. Ich wünsche mir, dass wir noch mal Möglichkeiten bekommen, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Zum 1. Januar wird es ja eine erhebliche Steuerentlastung geben, weil der Soli für 90 Prozent abgeschafft wird. Also, eine ganze Menge kommt da zum 1. Januar zusammen an Entlastung, was in der Krise jetzt auch ganz gut hilft. Aber gleichzeitig finde ich unbedingt auch wichtig zu sagen: Wir brauchen noch mal so eine Entlastung. Das geht nur, wenn diejenigen, die sehr, sehr viel Geld verdienen, einen etwas höheren Beitrag leisten. Aber aus der Krise rauswachsen können wir nur durch ökonomische Stärke. Und deshalb bin ich auch sehr dafür, dass wir das hohe Investitionsniveau aufrechterhalten, für das ich gesorgt habe als Finanzminister. Wir sind jetzt bei knapp 50 Milliarden im Bundeshaushalt in der Finanzplanung – Jahr für Jahr. Und ich bin dafür, dass wir uns konzentrieren, große Missionen durchzusetzen, mit denen wir dafür sorgen, dass wir, so wie am Ende des 19. Jahrhunderts, den vor uns stehenden Wandel auch gut bewältigen können. Also, wenn wir an den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Elektrifizierung unserer Wirtschaft denken, wenn wir das Stromnetz bedenken, das man dazu braucht, wenn wir die Elektrifizierung der Mobilität wollen, dann brauchen wir auch Ladestationen. Die muss ja irgendjemand mal errichten, und zwar in großer Zahl. Und natürlich gilt das für den großen industriellen Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Übrigens eine Technologie, wo jetzt die ganze Welt weiß, das ist das Ding, das für die Zukunft notwendig ist, damit wir 2050 CO2-neutral wirtschaften können. Und das geht nicht ohne eine Gemeinschaftsaktion von Staat und Wirtschaft.
Geers: Ja, ich muss Sie jetzt aber noch mal ein bisschen wieder zurückholen, Herr Scholz. Ich wollte Sie noch mal ganz klar nach dem Thema fragen: Wer zahlt am Ende für die Corona-Pandemie-Bekämpfung die Rechnung? Sie haben gesagt, Sie sind dafür, dass stärkere Schultern mehr tragen. Was heißt das genau? Heißt das einen höheren Einkommenssteuersatz oder wollen Sie bei den besser Betuchten auch an die Substanz, sprich an das Vermögen und damit eine Vermögenssteuer wiederbeleben?
Scholz: Ich bin Sozialdemokrat in dieser Sache, immer schon. Und deshalb finde ich: Wer ein paar 100.000 Euro verdient zum Beispiel, sollte etwas mehr zahlen, ja. Das finde ich richtig.
Geers: Das wäre der Einkommensteuersatz.
Scholz: Und ich finde im Übrigen auch, dass es irgendwie merkwürdig ist, wie uns die Vermögenssteuer abhandengekommen ist. Die wurde ja nicht durch Gesetz abgeschafft, sondern weil der Gesetzgeber nicht den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllt hat, eine ordentliche Bewertung unterschiedlicher Vermögen durchzuführen. Und das, glaube ich, sollte nicht so bleiben. Was die Schweiz kann, die eine Vermögensbesteuerung hat, kann Deutschland auch. Und ich finde, die Schweiz ist ja nun nicht sozialismusverdächtig.
Geers: Wird das ein Thema im nächsten Bundestagswahlkampf, die Frage: Wer zahlt die Rechnung für die Corona-Schulden?
Scholz: Das wird ein Thema sein. Wo klar ist, wofür ich stehe und wofür die sozialdemokratische Partei steht. Und da geht es um Gerechtigkeit. Aber noch mal: Die Mittel, die wir brauchen, um jetzt in so einer Krise handeln zu können, können wir nur verdienen durch eine leistungsfähige Volkswirtschaft. Und deshalb geht es auch um die Frage, wie wir da die Zukunft erobern und das hinbekommen. Und ansonsten gibt es auch noch andere Themen, die in der nächsten Wahlentscheidung eine Rolle spielen. Neben der Frage, wie kriegen wir jetzt technologisch, wirtschaftlich, ökologisch die Zukunft gemeistert, geht es für mich eben auch um die Frage: Wie können wir Respekt in unserer Gesellschaft wieder verankern? Denn die Corona-Heldinnen und Corona-Helden haben ein bisschen mokiert geguckt, als ihnen plötzlich überall Beifall geklatscht wurde, den Lebensmittelverkäuferinnen und den Altenpflegern, weil sie gesagt haben: Was ist denn eigentlich nach der Krise? Und ich finde, die haben einen sehr, sehr guten Punkt. Ich finde, dass in Deutschland in vielen Bereichen zu wenig Geld bezahlt wird, dass die Arbeitsplätze zu unsicher sind, und dass sich das ändern muss. Und dafür stehe ich auch, dass sich das ändern wird in jedem Fall. Zu viele haben zu lange darüber geredet, dass sie das auch nicht schön finden und dann nichts getan. Das muss sich wirklich ändern. Und es geht für mich auch um eine kulturelle Neuordnung. Also, ich habe studiert. Und ich bin sehr froh darüber, dass das möglich gewesen ist, und dass es eine so große Bildungsexpansion in Deutschland gegeben hat, wie sie 1950 nicht vorstellbar war. Aber gleichzeitig sage ich auch, wenn jemand einen handwerklichen Beruf ergreift, wenn eine Frau bei der städtischen Müllabfuhr arbeitet oder jemand Schauspieler ist, dann sind die nicht unterschiedlich viel wert, sondern dann ist das etwas, wo wir sagen müssen: Jeder leistet mit seinen Möglichkeiten das. Wir sind füreinander verantwortlich, dass man dabei gut zurechtkommt. Aber es ist jetzt nicht nach Einkommen und Bildungsgängen ein Unterschied zu machen zwischen der Anerkennung, die der eine oder die andere bekommt. Und da stehe ich dafür, dass sich daran was ändert. Respekt ist für mich das wichtige Thema des Zusammenhalts in dieser Gesellschaft. Und ich will unter den Bürgern eine Koalition all derjenigen zustande bringen, die sich für eine solche Kultur des Respekts einsetzen.
Die große Frage des nächsten Jahrzehnts
Geers: Jetzt klingen Sie, Herr Scholz, schon so ein bisschen wie der Wahlkämpfer des nächsten Jahres, der Sie ja sein werden als Spitzenkandidat der SPD.
Scholz: Na, das ist aber für mich nicht nur ein Wahlkampfthema. Das ist etwas, das mich zutiefst berührt. Ich bin sehr beeindruckt, dass eine Sache, die mich nun schon seit vielen Jahren umtreibt, jetzt überall erörtert wird. Vor wenigen Tagen ist auf Deutsch erschienen ein Buch, das im Englischen noch einen viel schöneren Titel hat. Von Michael Sandel "The Tyranny of Merit". Und der beschreibt einfach, was schiefgelaufen ist in unseren Gesellschaften, weil irgendwie einige den Eindruck hatten, sie hätten sich ihren super Platz, ihr super Einkommen alleine verdient und um die anderen müssten sie sich nicht mehr kümmern und die könnten auch nicht gewissermaßen den gleichen Respekt, die gleiche Anerkennung genießen. Das ist das, was den "Trumpismus" zustande gebracht hat. Das ist das, was den Brexit erzeugt hat. Das ist die Grundlage für die Kraft all dieser Populisten. Und nur eine Gesellschaft, die zusammenhält und in der jeder gleich viel wert ist, auch in dem, was er oder sie leistet, wird eine gute Zukunft haben. Und insofern ist das nicht nur ein Wahlkampfthema, sondern vielleicht die große Frage des nächsten Jahrzehnts.
Geers: Trotzdem kann es sein, dass es im Wahlkampf eine Rolle spielt, Herr Scholz. Und, wenn ich jetzt mal am Ende unseres Gesprächs kurz auf Sie und Ihre Partei noch mal komme, es ist jetzt praktisch fast auf den Tag ein Jahr her, dass die Partei SPD Ihnen Ihre größte Niederlage in Ihrer Politikerlaufbahn wahrscheinlich beigebracht hat. Sie sind nicht zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Die Partei wollte Sie nicht und Klara Geywitz, die mit Ihnen kandidiert hatte. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans machten das Rennen. Jetzt meine Frage an Sie: Ist das jetzt alles vorbei, vergessen, vergeben?
Scholz: Die SPD war im Sommer letzten Jahres in einer sehr schwierigen Situation. Und auch nicht nur plötzlich im Sommer letzten Jahres. Das hat sich ja über viele, viele Jahre aufgebaut. Und wir haben uns aus dieser Lage gemeinsam auch durch die Vorsitzenden-Wahl und den ganzen Prozess, der damit verbunden ist, herausgearbeitet und darüber ja alle zusammengefunden. Die SPD steht geschlossen da, wie ich glaube, seit fast zehn Jahren nicht. Das ist schon eine ganz, ganz große Leistung. Und das hat mit den beiden Vorsitzenden zu tun. Das hat mit der sehr guten Zusammenarbeit zwischen den beiden Vorsitzenden, dem Fraktionsvorsitzenden und mir zu tun. Das ist pragmatisch, sehr vernünftig. Wir sprechen uns viel ab. Aber das ist auch sehr, sehr freundschaftlich. Und das erwarten die Mitglieder von uns. Das steht aber auch den Bürgerinnen und Bürgern zu, wenn sie auf die SPD schauen, dass das eine Partei ist, die zusammenhält. Und das klappt nun schon viel Monate. Das wird auch die nächsten Jahre klappen.
Geers: Sie wollten aber eigentlich als Parteivorsitzender dann nach der Kanzlerkandidatur greifen. Deshalb die Frage: Ist es aus heutiger Sicht für Sie ein Nachteil, dass Sie als Kanzlerkandidat der SPD nicht auch den Parteivorsitz innehaben jetzt?
Scholz: Nein. Nun kann man im Nachhinein sich immer alles Mögliche zurechtlegen. Deshalb bin ich damit ganz vorsichtig. Aber ehrlicherweise ist es doch gelungen, zusammen zu sein und zusammen zu kommen und gemeinsam zu handeln und gemeinsam Sachen voranzubringen für unser Land. Das ist etwas, womit man keineswegs rechnen konnte und was auch nicht sicher gewesen wäre, wenn ich gewählt worden wäre. Vielleicht ist es am Ende so sehr gut, denn die SPD will auch gemeinschaftlich überall in Deutschland und über alle politischen Gruppen, die zu einer lebendigen Partei dazugehören, dass ich der nächste Kanzler werde, und zwar als die Person, die ich bin, als Olaf Scholz, den die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land gut kennen.
Geers: Das heißt, aus Ihrem Empfinden passt zwischen die Partei und Sie kein Blatt?
Scholz: Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr Sozialdemokrat. Ich bin es von ganzem Herzen. Dass ich viel Regierungserfahrung habe, dass ich dafür bin, dass die Wirtschaft läuft, ändert ja nichts daran, dass ich mit voller Absicht dieser Partei beigetreten bin und das immer noch bin.
Frühe Kanzlerkandidatur sei "sehr, sehr richtig" gewesen
Geers: Es gibt natürlich immer Punkte, wo Kandidat und Partei auseinanderlaufen können. Das hat es auch in der SPD schon öfter gegeben. Zum Beispiel Stichwort Verteidigung, wo die Partei sich manchmal sehr schwertut mit NATO-Zielen oder mit der Anschaffung neuer Waffen. Stichwort Drohnen oder ähnlichen Dingen. Glauben Sie nicht, dass da noch was hochkommt?
Scholz: Wir haben jetzt wirklich über sehr lange Zeit gezeigt – fast schon ein Jahr –, dass wir das gut miteinander hinkriegen können. Wir haben jetzt noch mal, nicht ganz, aber fast ein Jahr bis zur Bundestagswahl. Mein Wunsch und meine Hoffnung ist auch ganz ehrlich, dass wenn wir das so lange hingekriegt haben werden, das auch für viele Wählerinnen und Wähler ein guter Grund ist, SPD zu wählen, weil sie mich als Kanzler wollen und wollen, dass die SPD die nächste Regierung führt.
Geers: Nun ist da immer noch ein Problem, Herr Scholz. Sie sind relativ populär. Sie haben auch gute Werte. Die Partei aber nicht. Die SPD seit Monaten bei 15, 16 Prozent. Wie soll das zu einer Kanzlerschaft führen?
Scholz: Indem wir in den Umfragen und am Ende im Wahlergebnis rechtzeitig zur Wahl ordentlich zulegen. Und da sind die Möglichkeiten ja doch groß. Wir haben gewusst, warum wir so früh eine Entscheidung über die Frage treffen, wer der Kanzlerkandidat der SPD ist. Und was haben uns alle möglichen Leute für Ratschläge gegeben, dass man das nicht so früh machen soll. Es war sehr, sehr richtig, weil wir wussten, das ist eine lange Strecke, in der wir auch jeden Tag wieder neu beweisen müssen, dass uns das ernst ist mit dem Regieren-wollen und uns das ernst ist mit der Geschlossenheit, und dass auch alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für eine Kanzlerschaft von mir sich einsetzen werden. Und so ist das. Und deshalb wird sich das auszahlen. Nächstes Jahr wird irgendwann, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich Gedanken darüber machen, wie geht es jetzt weiter, und dass demnächst mal die Bundestagswahl kommt, ja vieles eine Rolle spielen. Die Frage, dass es gut gemacht worden ist in der Corona-Krise, aber dass wir vielleicht auch so allmählich rauskommen aus der Krisensituation, spielt sicher eine Rolle. Aber auch, dass alle wissen, es wird das erste Mal seit 1949 so sein, dass nicht der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin erneut fürs Kanzleramt kandidiert, sondern alle, die antreten, das Amt noch nicht haben. Die SPD wird – ich glaube, das kann man ohne falsche Töne sagen – den erfahrensten Politiker für das Kanzleramt nominieren, mit Regierungserfahrung als Arbeitsminister, als Bundesminister Finanzen, als Vizekanzler, als Ministerpräsident und Bürgermeister eines Stadtstaates. Und ich glaube, dass das sich dann auch auszahlen wird, wenn die Bürgerinnen und Bürger sich überlegen, wer soll denn die nächste Regierung anführen und die Richtlinienkompetenz haben. Und wir haben einen Plan. Über den haben wir schon gesprochen. Respekt. Die Zukunft, wie wir sie gewinnen können, technologisch, wirtschaftlich und im Hinblick auf die Begrenzung des menschengemachten Klimawandels. Und natürlich: Wie schaffen wir das in einer ungemütlicher werdenden Welt, ein starkes, souveränes Europa zu bilden?
Froh über den Untersuchungsausschuss zu Wirecard
Geers: Und der Blick auf den politischen Gegner, der heute, an diesem Sonntag, eigentlich seinen Parteitag abhalten wollte, um seinen Vorsitzenden zu küren, der fällt dann eher gelassen aus?
Scholz: Ja. Ich weiß nicht, wer da Vorsitzender der CDU und dann vielleicht, vielleicht ja später auch Kanzlerkandidat wird. Auf alle Fälle nehmen wir es, wie es kommt, und setzen darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass die SPD die nächste Regierung stemmt.
Geers: Kann es sein, dass Ihnen da noch ein Punkt möglicherweise zum Stolperstein werden könnte? Sie haben in Berlin einen Untersuchungsausschuss zum Thema Wirecard. In Hamburg läuft ein Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Geschäften und der Warburg Bank und Steuererstattungen an diese Bank. Glauben Sie, dass Ihnen das noch schaden kann in diesen Monaten bis September?
Scholz: Nein. Ich bin auch froh über den Ausschuss des Bundestages in Sachen Wirecard. Das will ich ausdrücklich sagen. Denn den brauche ich auch als Partner. Ich habe ja sehr weitreichende Reformen vorgeschlagen, auch was die Wirtschaftsprüfer betrifft. Und wir sehen ja jetzt jeden Tag mehr, dass da offenbar was nicht richtig gelaufen ist, gerade bei der Wirtschaftsprüfung, die hoch bezahlt wird mit unglaublich vielen Leuten Jahr für Jahr, dass sie Unternehmen anguckt und nichts merkt und nichts rauskriegt. Und das würde jetzt irgendwie, glaube ich, nicht gelingen ohne Öffentlichkeit in der Sache. Und im Übrigen habe ich mir nichts vorzuhalten. Das muss man ja auch mal dazusagen.
Geers: Auch nicht bei Warburg?
Scholz: Auch da nicht. Und, weil das so ist, ist es so, dass ich der Sache auch ganz ordentlich entgegenblicke. Das kann ja nur dazu führen, dass sich meine Sicht der Dinge bewahrheitet. Da gibt es nichts, was nicht in Ordnung ist.
Geers: Herr Scholz, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.