Die Pleite des Zahlungsabwicklers Wirecard ist einer der größten Finanzskandale in Deutschland. Das in Aschheim bei München ansäßige Unternehmen musste Insolvenz anmelden, nachdem in seiner Bilanz eine Finanzlücke von 1,9 Milliarden Euro aufgetaucht war.
Im Skandal ist auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Fokus geraten. Sie hatte die Wirecard AG 2017 und 2019 Sonderprüfungen unterzogen, jedoch keine Verstöße festgestellt. Zudem hatte die Finanzaufsicht Wirecard trotz verschiedener Hinweise über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Unternehmens gegen die Berichterstattung der "Financial Times" verteidigt und im Frühjahr 2019 sogar Anzeige gegen die britischen Journalisten erstattet. Um Wirecard vor Spekulanten zu schützen, hatte die BaFin außerdem Leerverkäufe von Wirecard-Aktien verboten.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz will der BaFin in Folge des Wirecard-Skandals nun mehr Kontrollmöglichkeiten geben. Die Behörde solle bei Aufsicht gestärkt werden - das "zweistufige Überprüfungsverfahren hat nicht genug Biss", sagte Scholz im Dlf. Die Finanzaufsicht solle die Möglichkeit bekommen, auch unangekündigt und unabhängiger zu prüfen - "wie eine forensische Untersuchung", so der Bundesfinanzminister.
Auch Wirtschaftsprüfungsunternehmen müssen nach Scholz Plan häufiger wechseln. Prüfung und Beratung sollten besser getrennt und die Haftung der Prüfungsunternehmen erhöht werden. "Wir passen uns an an einen internationalen Standard", so Scholz. Das sei ein überfälliger Schritt.
Silvia Engels: Eine Komponente Ihres Entwurfs bedeutet ja, dass die BaFin bei der Aufsicht solcher Finanzdienstleister gestärkt werden soll, mehr Durchgriffsrechte bekommt. Wie soll das aussehen?
Olaf Scholz: Bisher ist es ja so, dass wir ein zweistufiges Überprüfungsverfahren haben, das aber, wie wir gesehen haben, nicht genug Biss hat. Zum Beispiel wird jetzt immer gegenwärtig erst mal von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung geguckt, ob was ist, und das kann schon ein bisschen sich hinziehen. Deshalb schaffen wir der BaFin jetzt die Möglichkeit, selbst und direkt zu kontrollieren, dies auch gegen den Willen des Unternehmens zu machen, auch wie eine forensische Untersuchung zu agieren und sicherzustellen, dass man alle Unterlagen bekommt, sich alles anzuschauen, was in dem Unternehmen zu suchen ist.
Da haben wir festgestellt, dass viele Möglichkeiten gar nicht existieren, von denen wir wahrscheinlich alle irgendwie gehofft haben, dass die doch normalerweise genutzt werden, und das muss sich jetzt ändern. Insofern: Die BaFin bekommt mehr Kontrollmöglichkeiten, neben der Tatsache, dass wir uns auch darum kümmern, dass die Wirtschaftsprüfer unabhängiger prüfen und wir deshalb sehr scharfe Regeln für die vorsehen.
Strenge Gesetze sind keine Literatur
Engels: Da gucken wir gleich noch hin. Bleiben wir noch kurz bei der BaFin. Die fällt ja in Ihren Bereich und dort gab es ja rund um Wirecard nicht nur fehlende Zuständigkeiten, sondern auch konkrete Aufsichtsdefizite bis hin zu fragwürdigem Verhalten. BaFin-Mitarbeiter haben verstärkt mit Wirecard-Aktien gehandelt. Das soll nun abgestellt werden. BaFin-Chef Felix Hufeld räumt aber auch ein, die kriminelle Energie von Wirecard schlicht nicht für möglich gehalten und unterschätzt zu haben. Sollten Sie das neue Gesetz auch mit einem neuen BaFin-Chef begleiten?
Scholz: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass alle immer sich an den Aufklärungen und den Neuorganisationen beteiligen und das auch mit aller Strenge tun. Das ist das, was ich von allen verlange, die Verantwortung in Deutschland bei der Finanzmarktaufsicht haben. Und natürlich bedeutet das auch, dass alle jetzt mitziehen. Wenn wir so strenge Gesetze machen, dann werden die ja nicht gemacht, um sie als Literatur zu betrachten, sondern weil sie auch umgesetzt werden sollen, und da brauchen wir dann auch nicht nur Biss im Gesetz, sondern auch Biss bei denen, die handeln.
Engels: Auch Sie haben es eben schon angedeutet: Die Wirtschaftsprüfer, die bei Wirecard ja lange keine Mängel meldeten, sollen in Ihrem Gesetzesentwurf künftig stärker beaufsichtigt werden und auch stärker in die Haftung genommen werden, häufiger wechseln. Was ist hier konkret vorgesehen?
Scholz: Das Wichtigste ist, dass wir in Deutschland jetzt das machen, was in vielen anderen Ländern auch schon existiert, nämlich dass die Prüfer häufiger wechseln müssen. Da haben wir jetzt erheblich den Rhythmus erhöht gegenüber der bisherigen Situation und passen uns da gewissermaßen an einen internationalen Standard an.
Das, finde ich, ist überfällig gewesen, aber jetzt auch das, was wir jetzt tun müssen. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass Prüfung und Beratung besser getrennt werden, so dass es gewissermaßen keine impliziten Abhängigkeiten der Wirtschaftsprüfer von den zu Prüfenden gibt. Das ist ja das, was wir verhindern müssen. Gleichzeitig haben wir Haftungsvorschriften verschärft, so dass es sowohl Ordnungswidrigkeiten neu gibt, Straftaten neu gibt oder schärfere Bestrafungen für Fehler, die gemacht werden, und gleichzeitig aber auch dafür gesorgt wird, dass die Haftung erhöht wird für die Wirtschaftsprüfer, wenn sie was falsch gemacht haben.
Aktiengeschäfte von Mitarbeitern auch unterbinden
Engels: Die sollen stärker haften. – Die zuständige Behörde, die wiederum die Wirtschaftsprüfer beaufsichtigt, wird APAS abgekürzt. Deren Chef Ralf Bose ist nun freigestellt, weil auch er privat mit Wirecard-Aktien handelte, während seine Behörde den Fall bereits untersuchte. Hier ist der Bundeswirtschaftsminister zuständig. Aber es bleibt ja die Frage: Was nützen neue Gesetze, wenn das Verhalten der leitenden Menschen in Aufsichtsbehörden angreifbar ist?
Scholz: Das muss auch jeder sich fragen lassen und deshalb finde ich es sehr wichtig, dass wir klare Regeln jetzt für die BaFin gefunden haben - das ist ja das, was in diesem Gesetz geregelt wird – und sicherstellen, dass Aktiengeschäfte von Mitarbeitern, die mit diesen Aufsichtsaufgaben zu tun haben, nicht so stattfinden, wie das bisher stattgefunden hat, und dass sie auch unterbunden werden, wo das sich nach all den Standards, die man vernünftigerweise haben sollte, gebietet.
Engels: Und für die APAS kommt das auch noch?
Scholz: Für die APAS ist der Wirtschaftsminister daran, die notwendigen gesetzgeberischen Schritte vorzubereiten. Mir war wichtig, dass wir dieses große Gesetzespaket, das ja viele Seiten umfasst und auch viele Regelungen, über die wir heute Morgen gar nicht sprechen können, die aber alle dazu dienen, Geldwäsche und Bilanzmanipulation besser in den Griff zu kriegen, auf den Weg kriegen. Das ist jetzt, glaube ich, sehr schnell geschehen, nachdem wir diesen Skandal erlebt haben.
Für mich ist das übrigens auch aus einem anderen Grunde wichtig. Ich habe ja die Erfahrung gemacht, dass, wenn man mit solchen Gesetzesreformen zu lange wartet, die Lobbyisten irgendwann so viel Druck aufbauen und versuchen, überall Einfluss zu nehmen, dass nichts geschieht, dass man dann nicht mehr durchkommt. Jetzt gibt es noch Öffentlichkeit. Jetzt fragen Sie mich noch, was in einem solchen Gesetz steht, das ja normalerweise für viele Bürgerinnen und Bürger viel zu kompliziert ist, um es sich jeden Tag anzuschauen. Das, finde ich, muss man jetzt nutzen, damit die Reform auch klappt.
"Reformen mit großer Kraft und Energie voranbringen"
Engels: Das ist der Blick voraus. Aber gleichzeitig ist ja beim Blick zurück noch nicht alles klar. Der Verdacht, Wirecard fälschte seine Bilanzen, der schwelte ja jahrelang, bevor er in diesem Sommer dann bewiesen war. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist tätig. Welche Versäumnisse werfen Sie sich in diesem Zusammenhang Wirecard heute rückblickend vor, Herr Scholz?
Scholz: Ich finde, es ist richtig, dass wir jetzt genau hingeschaut haben und dafür gesorgt haben, dass alles aufgeklärt wird. Es sind alle Unterlagen zur Verfügung gestellt worden. Wir haben von uns aus sehr proaktiv überall alles erforscht und haben auch die beteiligten Behörden aufgefordert, das zu tun. Das hat mit großer Intensität geklappt und hat auch dazu geführt, dass erst mal alle Berichterstattung sich darauf konzentriert hat, alles das, was von den Behörden und von uns selber vermeldet wurde, dann sorgfältig zu diskutieren, wie ich finde richtigerweise in einer Demokratie. Aber jetzt ist die Zeit, um daraus Konsequenzen zu ziehen, und diese Konsequenzen werden jetzt gezogen.
Ich will offen sagen: Es hat bisher keine Meldungen gegeben, dass unser System der Bilanzkontrolle nicht effektiv sei, und viele waren damit einverstanden. Ich glaube aber, dass man, wenn man solche Ergebnisse sieht, nicht alles auf sich beruhen lassen kann, sondern schnell und aktiv handeln muss. Das haben wir jetzt getan.
Engels: Das ist wieder der Blick nach vorne. Aber noch mal konkret der Blick zurück. November 2019, da traf sich Ihr Finanzstaatssekretär Kukies auf eigenen Wunsch mit dem damaligen Chef der Wirecard AG Markus Braun. Damals ging es um den Verdacht der Marktmanipulation. Es gab bereits massive Vorwürfe der Finanzfälschung. Herr Kukies ist auch Verwaltungsratschef der BaFin. Sie sind Kukies Chef. Warum traf sich ein Staatssekretär hier mit einem, der bald unter Verdacht geriet?
Scholz: Es ist völlig normal, sich mit allen Möglichen zu treffen, und die Frage ist ja, was bei diesem Treffen stattgefunden hat. Das wissen Sie ja, weil Sie ja ordentlich recherchieren, wie man an diesen Fragen meldet, und so kann man daraus entnehmen, dass dort wenig zu vermelden ist. Und ich glaube, das ist auch das, was zu den Dingen gehört, die jetzt gemacht werden müssen. Es muss alles immer sorgfältig berichtet werden, damit nicht der Verdacht, sondern die Wahrheit gewissermaßen Grundlage für Beurteilungen ist. Und natürlich darf man gewissermaßen eine solche Situation nicht ungenutzt lassen. Man muss Reformen mit großer Kraft und Energie voranbringen, und das habe ich veranlasst, und das geschieht jetzt in einer großen Geschwindigkeit.
Engels: Ein solches Treffen wie damals Herr Kukies wäre nach den neuen Gesetzen nicht mehr möglich?
Scholz: Es war ja ein Treffen, das gar nicht stattgefunden hat allein zu diesem Zweck. Es hat wenige Minuten gedauert, wie alles berichtet ist und wie Sie auch wissen, und ich glaube, das ist die Grundlage dafür, dass man immer sieht, was da ist. Was wir jetzt brauchen ist, dass wir schneller eigenständig prüfen können. Sehen Sie, die Prüfung war veranlasst von der dafür zuständigen Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, im Auftrag der BaFin. Es hat bald dann auch eine weitere Wirtschaftsprüfung gegeben. Alles das ist auf den Weg gebracht worden, aber wir haben jetzt festgestellt, solche Prüfungen hätten wir mit der Kraft, die wir benötigen, von uns aus gar nicht …
Engels: Und damit der Punkt. – Olaf Scholz war das, Bundesfinanzminister. Hier folgen die Nachrichten.
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