Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Ereignissen wie der gegenwärtigen Corona-Epidemie sollte gesetzlich überarbeitet werden. Das ist eine der ersten Lehren, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aus den bisherigen Erfahrungen im bisherigen Krisenmanagement zieht.
Im Interview der Woche des Dlf sagte Spahn, der Bund müsse etwa bei der Unterbringung von Menschen in zentraler Quarantäne eine stärkere Rolle spielen können. Das habe sich zum Beispiel nach der Evakuierung von Deutschen aus der betroffenen Stadt Wuhan in China gezeigt. Er habe auch den Eindruck, dass es eine sehr unterschiedliche Praxis in den Ländern sowie in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bei der Übung von Maßnahmen nach vorhandenen Pandemie-Plänen gebe.
Nach der Erklärung des CDU-Landesverbandes Baden-Württemberg, Friedrich Merz im Kampf um den CDU-Bundesvorsitz zu unterstützen, sagte Spahn, kein Landesverband stehe geschlossen hinter dem einen oder anderen Kandidaten. Das habe sich auch 2018 im parteiinternen Wettstreit um die Nachfolge Angela Merkels gezeigt. Es gehöre dazu, dass sich Landesvorstände positionieren. Das sei okay, man dürfe es aber für die Entscheidung nicht überbewerten.
Stefan Detjen: Wenn man in dieser Woche die Gelegenheit hat, mit Jens Spahn zu sprechen, könnte man viel mehr als die 24 Minuten füllen, die wir jetzt für dieses Interview der Woche im Deutschlandfunk haben. Als Gesundheitsminister trägt er für das Krisenmanagement in der Corona-Epidemie Verantwortung. Politisch ist er seit Mittwoch zudem gefragt, eine Antwort auf das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu geben. Und dann hat er sich als Parteipolitiker am Anfang der Woche auch noch die Aufgabe auferlegt, die, wie er selbst sagt, "größte Krise in der Geschichte der CDU" zu lösen.
Deutschland und das Coronavirus
Detjen: Fangen wir mit dem akutesten Thema an, mit Corona/Covid-19. Die Krankheit breitet sich in Deutschland jetzt auch rasch aus. Wir sprechen – das muss man dazu sagen – auf dem Stand von Donnerstag, es kann sich also noch einiges ändern bis zum Sendetermin am Sonntag. Frage: Wie viel Psychologie steckt in der Beunruhigung, die wir zurzeit politisch, aber auch in der Gesellschaft erleben?
Spahn: Viel! Das ist ja auch der Grund, warum wir so vorsichtig agieren, weil es eben ein unbekanntes Virus ist. Und daraus kommt ja die Unsicherheit und auch sozusagen die Psychologie dann in der Reaktion. Grippevirus und Coronavirus sind zwei verschiedene Viren, man kann sie auch nicht direkt vergleichen. Aber wir haben gerade aktuell die Grippewelle in Deutschland und die kennen wir und weil wir es kennen, gehen wir damit um. Das Coronavirus kennen wir eben noch nicht, wir wissen eben auch noch nicht abschließend zum Beispiel, wie ist bei großen Zahlen von Patienten der Verlauf. Stand heute wissen wir, dass es in 80 Prozent der Infektionen zu einem sehr milden, teilweise symptomfreien Verlauf kommt. Wir haben einen weiteren Teil, wo es schwerer wird.
Die Frage zum Beispiel, wie hoch die Sterblichkeit ist, die können wir im Moment abschließend noch nicht beantworten. Und das ist natürlich eine sehr, sehr wichtige Frage, auch für den Umgang mit einem solchen Virus. Und aus dieser Unsicherheit resultieren auch die großen Vorsichtsmaßnahmen. Und klar, wenn man dann Bilder sieht, von Maßnahmen in Wuhan, in Norditalien zentrale Unterbringungen, in Schutzanzügen begleitet in Deutschland, dann stellen sich Bürgerinnen und Bürger die berechtigte Frage: Was heißt das jetzt für uns hier in Deutschland und für mich? Und daraus entstehen natürlich auch Sorgen und manchmal – muss man sagen – auch Irrationalitäten, wie wir sehen, wenn es dann so einen Grundverdacht – manchmal ja leider auch sehr in Wort und Tat – etwa gegen alle Asiatisch-Stämmigen in den letzten Tagen ja immer mal wieder gegeben hat.
Detjen: Sie haben die Bilder geschildert, die wir aus anderen Ländern sehen. Schutzmaßnahmen, Abriegelung von Kommunen und ganzen Städten, Millionenstädten in China. Jetzt fragen sich die Menschen: Sind das Szenarien, auf die wir uns hier auch einstellen sollten?
Spahn: Wir haben bis jetzt jede Lage - ich meine, zum Beispiel Masern sind deutlich ansteckender, das können wir sicher sagen, und auch Masern bekommen wir als Ausbruch grundsätzlich in den Griff, ohne deswegen ganze Städte oder Ortschaften abzuriegeln. Als Einzelmaßnahmen gibt es ja nun auch eine breite Palette, über die jetzt ja auch nachgedacht wird oder die im Landkreis Heinsberg ja auch ergriffen wurden: Schließung von öffentlichen Einrichtungen, Schulen, Kindergärten, Absage von Großveranstaltungen – das Spiel Turin gegen Milan, das Fußballspiel Champions League, wird ja ohne Zuschauer stattfinden.
Detjen: Aber darf ich da mal ...
Spahn: Das heißt aber, man muss – das ist mir nur wichtig – aber immer einzelfallbezogen entscheiden, also eine konkrete Situation. Das heißt also, ich finde es wichtig, dass wir nicht einfach das ganze Land mit Maßnahmen überziehen, nur damit man was tut, sondern dass wir es immer situationsangemessen machen.
Detjen: Es gibt Mediziner, die haben auch Sie kritisiert und haben gesagt, Sie hätten früher eine drohende Überforderung des Gesundheitssystems erkennen müssen. Wenn Sie jetzt auf die Tage – es sind ja schon Wochen – des Krisenmanagements zurückschauen, gibt es da Dinge, die Sie nachträglich gerne korrigieren würden?
Spahn: Wir haben genau nach dem Plan ja auch - wir haben ja einen Pandemie-Plan, auch für eine Influenza – und eine Influenza-Pandemie, das ist jetzt nicht die saisonale Grippe, die wir akut haben, sondern so was wie die Schweinegrippe vor zehn Jahren –, wurde in der Planung erarbeitet. Und die sehen als ersten richtigen Schritt vor, dass wir, so lange es geht, Infektionsketten abbrechen. Also, dass wir Patienten identifizieren, isolieren, klinisch behandeln, alle Kontaktpersonen ausfindig machen, kontaktieren, unter häusliche Quarantäne stellen. Das ist leicht gesagt, das ist ein Riesenaufwand. Was ist uns dadurch gelungen? Über die ersten Wochen das weitere Ausbruchsgeschehen in Deutschland eben zu verzögern, dass überhaupt es dazu kommt. Wir haben Zeit gewonnen.
Wir wissen heute – vier Wochen später – viel, viel mehr über das Virus als vor vier Wochen. Wir wissen noch nicht alles, aber deutlich mehr. Wir wissen mehr über die Situation - auch, wie sich Symptome entwickeln. Wir konnten uns alle gedanklich auch anders noch mal darauf vorbereiten – auch das ist wichtig, auch im Gesundheitswesen. Und vor allem, mit jedem Tag, den wir gewinnen, haben wir weniger Grippewelle- und Coronavirus-Situationen parallel laufen. Also, die Herausforderung ist ja ...
Detjen: Weil die Grippewelle abklingt.
Spahn: Genau, weil die Grippewelle noch nicht ganz abklingt, aber eben irgendwann auch ihren Höhepunkt hinter sich hat, und das Gesundheitswesen dann natürlich zweifach gestresst wäre. Und deswegen ist aus meiner Sicht weiterhin diese Politik des Verzögerns der Infektion und gleichzeitig der Bevölkerung immer deutlich machen: Stand jetzt – ich habe immer gesagt, ich informiere Stand jetzt – ist die Lage wie folgt. Und ich habe immer hinterhergeschoben: Es kann aber auch noch deutlich schlimmer werden. Immer die Balance zu halten und nicht überzudramatisieren, das finde ich weiterhin richtig.
Detjen: Sie haben eben gesagt, "wir lernen mehr über das Virus" – haben Sie in dieser Zeit jetzt auch Dinge über das Gesundheitssystem, über das Krisenmanagement gelernt, wo Sie sagen: Das müssen wir uns dann, wenn das vorbei ist, noch mal anschauen, da müssen wir nachjustieren? Und was wäre das dann?
Spahn: Sehr viel sogar, Herr Detjen, jetzt schon. Zum einen, denke ich, müssen wir in einer solchen Lage das Zuständigkeitsmiteinander zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wie es im Infektionsschutzgesetz angelegt ist, noch mal überarbeiten, auch gesetzlich. Ich finde, etwa wenn zentrale Unterbringung notwendig ist von Rückkehrern, wie aus Wuhan, die Bürger, die wir zurückgeholt haben, dass dann auch der Bund eine stärkere Rolle spielen können muss.
Die Frage, wie oft üben wir eigentlich das, was in den Pandemieplänen steht, das ist was, was ich im Moment noch mal sehr stark spüre. Ja, wir haben Pläne, vor allem auch die Länder haben Pläne, die Krankenhäuser haben Pandemie-Pläne, also es ist alles mal aufgeschrieben worden, was wir in einer solchen Lage machen, und mein Eindruck ist, dass es sehr unterschiedlich tatsächlich geübt wird praktisch, bis eben auch hin zu den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Und wir haben hier im Ministerium eine neue Abteilung – das ist jetzt Zufall, aber es passt eben – vor drei, vier Wochen eingerichtet, "Gesundheitssicherheit".
Ein Generalarzt wird die Leitung übernehmen, weil mir eben wichtig ist, dass wirklich Sicherheit und die Erfahrung, die er mitbringt auch, aus der Vernetzung – mit Ebola hat er viel Erfahrung auch schon sammeln können –, dass wir das System und auch unser Ministerium, aber das ganze Gesundheitssystem viel besser vorbereiten müssen, auch praktisch. Wir werden so was in Zukunft viel mehr üben müssen, als wir das die letzten Jahre gemacht haben. Die Erkenntnis kann ich Ihnen definitiv schon sagen, nach den ersten Wochen.
Detjen: Letzte Frage zu dem Thema – die kann man vielleicht auch ganz knapp beantworten. Sollte Olaf Scholz, Ihr Kollege im Kabinett, der Bundesfinanzminister, schon mal Geld zurückstellen, bereitlegen, weil ja erkennbar ist, dass zu den Infizierten auch die Wirtschaft gehört? Unternehmen könnten von Produktionseinschränkungen, Mobilitätseinschränkungen, Ausfällen betroffen sein und dann nach Staatshilfen rufen.
Spahn: Wir müssen in allen Lebensbereichen im Moment schauen, welche Auswirkungen das hat. Das ist ja nicht nur Wirtschaft. Wissen Sie - Lebensmittel, da sehen wir, dass die Ersten anfangen zu kaufen und Vorräte anzulegen. Was heißt das für die Situation der Lebensmittelversorgung, Kindergärten, Schulen? Also, wir haben jetzt auch noch mal alle Ressorts, alle Ministerien der Bundesregierung gebeten, einfach noch mal für ihren Geschäftsbereich durchzuspielen und zu schauen – soweit noch nicht geschehen –, wo sie sich vorbereiten müssen, was verändern müssen. Und das gilt natürlich möglicherweise auch für einen ökonomischen Impuls. Allerdings muss man auch da einfach schauen, was Sinn macht.
Also, wenn die Beeinträchtigung vor allem dadurch kommt, dass möglicherweise jetzt auch Teile aus China gar nicht mehr ankommen hier bei uns, weil eben gar nicht produziert wurde – und die Container sind ja vier Wochen unterwegs –, dann muss man halt schauen, was hilft zielgerichtet? Also, ob einfach nur mehr Geld hilft, wenn die Ersatzteile fehlen, das weiß ich noch nicht, da müssen wir jetzt sicherlich und das muss dann auch Wirtschafts- und Finanzministerium miteinander besprechen.
Aber ich sage gleichzeitig auch, in einer Lage wie dieser – dafür haben wir ja die Ausnahmemechanismen –, wird man in Europa und auch in Deutschland sicherlich schauen, brauchen wir finanzielle Impulse. Aber ich sage noch einmal, das muss man halt auch mal ... immer nur was tun, damit man was tut, finde ich halt nicht richtig. Das ist wie Fiebermessen am Flughafen. Alle sagen: 'Ihr müsst Fieber messen' – ich sage: Es hilft fachlich einfach nicht. Das sieht aus wie Action, ist aber keine, die hilft. Einfach nur Geld ausgeben, damit wir was tun, fände ich auch nicht angemessen. Sondern wenn, dann muss es zielgerichtet sein.
Rennen um die CDU-Führung
Detjen: Das Deutschlandfunk Interview der Woche, mit Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister und an der Seite von Armin Laschet Kandidat für den stellvertretenden CDU-Vorsitz. Sie haben – ich habe es eingangs zitiert – von der größten Krise Ihrer Partei gesprochen. Warum ist das für Sie nicht die Gelegenheit und die Chance gewesen, auf einen wirklichen Neuanfang durch einen echten Generationenwechsel an der Spitze der Partei zu setzen, den Sie für viele verkörpert hätten als neuer Vorsitzender?
Spahn: Zuerst einmal, "größte Krise der Partei" ist ein großes Wort, da habe ich lange drüber nachgedacht – Spendenaffäre kommt einem ja auch in den Sinn, vor 20 Jahren. Und da muss ich einfach feststellen, wir sind in der Frage, wie viel Vertrauen wir verloren haben, in Umfragen, Wahl Hamburg, in der Frage, wie sich die Parteienlandschaft verändert hat – wir verlieren im Moment von Wahl zu Wahl, von Diskussion zu Diskussion jeweils an Grüne und AfD, in beide Richtungen –, vor eine deutlich größere Aufgabe gestellt als jemals zuvor in der Geschichte der CDU. Da bin ich fest von überzeugt. Übrigens auch vor der Aufgabe – und da bin ich bei dem zweiten Teil Ihrer Frage –, den Laden einfach zusammen zu halten.
Also, ich sehe ja, wie mittlerweile in der Gesellschaft, aber auch in der Partei zum Teil miteinander gesprochen wird oder eben nicht gesprochen wird, sondern übereinander. Obwohl ich mir nicht immer sicher bin, ob jedem klar ist, dass der politische Gegner außerhalb der Partei ist. Also, wo auch so eine Verhärtung eintritt, die wir in der Gesellschaft sehen, auch in der Partei. Und deswegen war es mir wichtig, dass wir jetzt auch tatsächlich Gemeinsamkeiten zeigen, Zusammenhalt zeigen, nicht jeder seins macht.
Ich habe natürlich lange überlegt, ob ich kandidiere. Ich habe 2018 kandidiert, auch mit dem Anspruch, für eine neue Generation zu stehen und einen Neustart eben für die Partei in die 20er-Jahre hinein zu machen, die ja jetzt begonnen haben. Deswegen habe ich natürlich intensiv überlegt, ob ich dieses Angebot jetzt noch mal mache. Aber wenn sich jeder mit seiner Ambition absolut stellt, dann gelingt halt kein Zusammenhalt, dann ist auch Zusammenarbeit schwer. Und deswegen habe ich mich eben entschieden, Armin Laschet zu unterstützen.
Detjen: Wann genau war für Sie der Zeitpunkt der Entscheidung? Erst nach der Präsidiumssitzung am Montag, als die Partei eigentlich vor der Situation stand, die Versuche von oben her, wie Annegret Kramp-Karrenbauer sagte: "Von vorne her", eine Team-Bildung, eine Lösung zu ermöglichen, sind gescheitert?
Spahn: Gespräche hat es – das ist ja kein Geheimnis – natürlich in den zwei Wochen dazwischen gegeben, auch sehr gute, offene Gespräche. Gleichwohl hat sich eben dann herausgestellt: Ja, das ist dann die andere Option eben, dass es jetzt unterschiedliche Kandidaten gibt für den Vorsitz. Und dass dann jetzt entschieden wird, ist auch okay. Aber zumindest mal zu schauen, was kann ein Weg sein, dass wir das so machen, dass der – ich sage dieses Wort noch mal – Laden zusammenbleibt, dass wir am Ende einen Prozess haben, auch einen zügigen Prozess – also nicht über Monate die Partei damit zu beschäftigen, das Land zu beschäftigen, während parallel – siehe Corona – wir noch ein paar andere Aufgaben haben –, finde ich auch eben richtig und wichtig.
Detjen: Aber noch mal, Entscheidungszeitpunkt war wann?
Spahn: Und die Entscheidung – ich wollte sie nur herleiten –, das ist ja ein Prozess über längere Zeit gewesen. Die Entscheidung abschließend getroffen, habe ich erst am letzten Montag im Laufe des Tages.
Detjen: Jetzt zeigt sich ja, dass das mit dem Zusammenhalten in der Konkurrenz, vor allen Dingen mit Friedrich Merz nicht so ganz einfach wird. In der Woche hat sich dann als erstes der Landesverband Baden-Württemberg, mit dem Vorsitzenden Strobel und der Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, die nächstes Jahr dann ja einen Wahlkampf gegen eine Grüne Übermacht führen muss, für Friedrich Merz ausgesprochen. Das waren Leute, die eigentlich mal auf Sie gesetzt haben. Ist das ein erster Rückschlag für Sie in der Kampagne mit Armin Laschet?
Spahn: Na ja, ich weiß natürlich, dass viele, die auch auf mich gesetzt haben, die mich unterstützt haben in den letzten Jahren, zumindest die Frage stellen: Warum machst du das? Und meine Antwort ist: Wenn es um den Zusammenhalt der Partei geht, dann können sich ja nicht nur die zusammentun, die eh gleich ticken. Und ich habe ja auch mit Armin Laschet durchaus persönliche Differenzen mal gehabt in den letzten Jahren. Also nichts, was tief persönlich geht, aber in inhaltlichen Themen.
Detjen: Politisch, Migrationspolitik.
Spahn: In der Integration. Ja, wir haben diskutiert. Wie es ja auch sein soll in einer Partei. So, wenn sich nur die zusammentun immer – und das ist ja die Entwicklung in der Gesellschaft insgesamt, man ist nur noch mit denen zusammen und hört nur noch denen zu, die genauso ticken wie man selbst –, dann hält das die Gesellschaft nicht zusammen und dann hält es eben auch die Partei nicht zusammen. Und deswegen habe ich mich nach eben langem Überlegen bewusst entschieden, den Schritt eben zu machen, auch mit Armin Laschet, um zu zeigen, wir wollen eben den breiten Ansatz fahren und nicht einen Ansatz, der unter der Überschrift "Hier geht es nur um irgendeine Richtung" dann auch geführt wird.
Detjen: Kommen wir noch mal auf den Landesverband Baden-Württemberg. Das war die Frage. Ist das ein Rückschlag? Hatten Sie in dieser belastenden Situation für Sie keine Zeit, mit denen jetzt noch mal zu telefonieren? Denn das wäre ja eigentlich – so, wie man das verstehen muss – Ihre Aufgabe gewesen, den Flügel, der da zu Merz hin abzudriften droht, für Armin Laschet zu gewinnen.
Spahn: Also, mein Eindruck ist, dass es keinen Landesverband gibt und ich meine wirklich keinen unserer Landesverbände, wo alle einheitlich sagen, wir stehen 1:1 hinter einem Kandidaten, sondern dass eben auch am Ende bei den Delegierten, wie übrigens auch 2018, das war ja genauso, dass es eben bei den Landesverbänden, bei den Vereinigungen, bei den einzelnen Delegierten sehr unterschiedliche Einschätzungen dann eben auch gab, wen sie wählen und was jetzt die richtige Wahl auch für die Partei ist. Insofern wird es jetzt natürlich Voten geben. Der nordrhein-westfälische Landesverband unterstützt in großer Mehrheit seinen Vorsitzenden. Davon kann man ausgehen. Und dann gehört jetzt dieses Sich-Positionieren dazu. Das ist auch völlig okay. Aber man darf es, glaube ich, auch für die Entscheidung nicht überbewerten.
Detjen: Sie bieten sich an, ja erkennbar, auch als ein politisches Gegengewicht zu Armin Laschet …
Spahn: Nein! Ich finde den Begriff Gegengewicht ehrlicherweise nicht so passend. Es ist eine Partnerschaft. Es ist angelegt auch als Signal an die Partei, dass wir eben das Signal senden wollen, wenn wir zusammenarbeiten und wir können gut zusammenarbeiten, vertrauensvoll zusammenarbeiten, dann muss das doch auch für uns insgesamt in der Union, in der CDU möglich sein, auch dann eben vor allem über die Themen zu reden, über die 20er-Jahre erfolgreich gestalten, wie wir die soziale Marktwirtschaft erneuern in diesen 20er-Jahren, wo wir ja alle spüren, es läuft gerade ganz gut, aber dass das so bleibt, ist nicht ausgemacht. Wie wir Zusammenhalt erneuern, ein gesundes Verhältnis zu Heimat, Tradition, patriotisch und gleichzeitig daraus die Offenheit schöpfen zur Welt hin und zur Veränderung. Dass das alles eine neue Fundierung braucht und eine neue Erzählung auch und neue politische Maßnahmen, die daraus folgen. Auch nach 15 Jahren Regieren, auch gerade nach 15 Jahren Regieren. Das spüren auch alle.
Detjen: Ja, Partnerschaft. Aber die Frage ist, ob Sie zum Beispiel denjenigen, die in der sich abzeichnenden Polarisierung zwischen Merz und Laschet mit Spahn sagen würden: "Politisch stehe ich Friedrich Merz eigentlich näher als Armin Laschet"?
Spahn: Na, ich will nur mal sagen - denn ein Thema ist ja auch dieser Tage in der Debatte die Frage von Migration, Zuwanderung: Ich bin, glaube ich, der einzige der Kandidaten, der sehr frühzeitig schon 2015 darauf hingewiesen hat, dass wir da in der Folge ein paar Themen haben werden, was Integration angeht, die Probleme, die es geben wird, weil aus einem anderen Kulturraum eben viele Menschen zu uns kommen, wo einfach auch unterschiedliche Werte – Rolle der Frau, Umgang mit Minderheiten, Schwulen, Lesben – aufeinanderstoßen werden, und dass wir am Ende, um auch Vertrauen in den Staat zu behalten, Kontrolle haben müssen an der europäischen Grenze idealerweise, darüber, wer Europa betritt und wer nicht, dass das nicht Schlepper und Schleuser entscheiden. Und ich finde ja immer spannend, wer so fünf Jahre später auch die gleiche Position hat. Ist auch okay, freue ich mich.
Aber ich finde, ich kann sehr glaubwürdig eben vermitteln, dass das ein Anliegen von mir ist und es mittlerweile ja auch ein Anliegen der Gesamtpartei ist. Wir haben beschlossen miteinander, 2015 darf sich nicht wiederholen. Das ist Beschlusslage Bundesparteitag, ziemlich einstimmig. Und haben dann eben auch Maßnahmen hinterlegt, um Migration besser zu kontrollieren, zu begrenzen, irreguläre Migration, zu steuern, Fachkräftezuwanderung, Unterstützung für Flüchtlinge, aber vor allem eben auch eine europäische Lösung. So, und jetzt geht es eigentlich weniger darum, darüber ständig zu reden. Klartext alleine reicht noch nicht. Wir brauchen vor allem Klarheit in den politischen Maßnahmen.
Detjen: Gut, aber es geht auch um eine Diktion im politischen Diskurs, die dann von der Partei unterschiedlich bewertet werden wird. Friedrich Merz hat jetzt Kritik auf sich gezogen, hat polarisiert. Ich würde mal - ich habe es auch gesehen in der Bundespressekonferenz bei seiner Vorstellung: Er hat bewusst polarisiert, indem er eine Verknüpfung hergestellt hat zwischen dem Thema Bekämpfung des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus und Themen wie Grenzschließung, Clankriminalität. Das waren die Begriffe, die er da verwendet hat. Also, seine Aussage war, man muss diese Themen – Migration, Kriminalität von Ausländern und Migranten – stärker thematisieren, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Sehen Sie das ebenso?
Spahn: Um den Rechtsextremismus zu bekämpfen, brauchen wir vor allem einen wehrhaften Rechtsstaat. Wir alle spüren ja übrigens nicht erst seit Hanau, sondern ja auch schon in den Monaten, Jahren zuvor, dass Rechtsextremismus, rechtsextreme Gewalt, Rechtsradikalität ein größeres Thema ist, als es das vor zehn oder 20 Jahren war. Und das braucht eben auch eine deutlich entschiedenere Antwort. Und die Antwort ist der wehrhafte Rechtsstaat. Ich muss jetzt aber auch dazusagen, jetzt jenseits des Ablaufs der Pressekonferenz, dass ich Friedrich Merz als jemanden kenne, der immer sehr, sehr klar Position bezogen hat und auch beziehen wird, da bin ich sicher, gegen jede Form von Rechtsextremismus. Also, nicht, dass da so der Duktus kommt, er hat Verständnis für Rechtsextreme. Den Eindruck habe ich bei Friedrich Merz nie eine Sekunde gehabt.
Detjen: Letzte Frage zu dem Thema: Wenn Sie stellvertretender Parteivorsitzender wären - Sie haben da auch jetzt schon im Präsidium Einfluss: In der kommenden Woche soll es in Thüringen noch mal eine Abstimmung über den Ministerpräsidenten Ramelow geben. Es ist immer noch nicht ganz klar, wie sich Ihre Parteifreunde da im Landtag verhalten werden. Wenn es Landtagsabgeordnete der CDU gibt, die für Ramelow stimmen, sollten die dann – nach den Parteistatuten sollte das ja möglich sein – sanktioniert werden?
Spahn: Ach, Herr Detjen, erst mal sind das natürlich grundsätzlich …
Detjen: … eine ganz konkrete Frage, vor der Sie stehen!
Spahn: Ja, das stimmt. Aber das ist eine Was-wäre-wenn-Frage. Es sind frei gewählte …
Detjen: Ja, aber das ist ja jetzt sehr konkret. Und das ist ja in der Parteizentrale auch geprüft worden. Welche Mittel hat man da eigentlich, Leute auf Kurs zu bringen?
Spahn: Ja, jetzt lassen Sie mich doch mal eine Sekunde einen Gedanken formulieren. Erstens sind es frei gewählte Abgeordnete, zweitens haben uns die Kollegen aus Thüringen versichert, dass sie auch im Lichte und in der Umsetzung unseres Beschlusses des Bundesparteitages in diese Wahl des Ministerpräsidenten gehen. Und jetzt habe ich einfach mal ein Vertrauen, dass das eben auch der Fall ist. Wenn ich eins ergänzen auch darf, weil ich immer dann lese von, wir hätten eine Äquidistanz zu Linkspartei und AfD, das wäre aber doch nicht gleich. Das stimmt. Es ist nicht gleich. Höcke ist nicht Ramelow. Ramelow ist nicht Höcke. Und das Gedankengut hinter AfD und Linkspartei ist unterschiedlich. Mit Radikalen wie bei der AfD kann es für eine Partei wie die CDU mit unserer Gründungsgeschichte nie eine Zusammenarbeit geben.
Gleichwohl ist eben auch aus anderen Gründen – das finde ich halt wichtig – nicht Äquidistanz, auch nicht die gleichen Gründe, aus anderen Gründen kann es für die Partei Ludwig Erhards, der sozialen Marktwirtschaft, mit einer Partei der Linkspartei, die bis heute den Sozialismus im Programm hat, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, die sozialistischen Diktatoren – Venezuela lässt grüßen – auf der Welt regelmäßig ihre Zuneigung und Verbindung und Nähe ausspricht, mit einer solchen Partei, die sich schwertut, bis heute die DDR mit ihren Mauertoten einen Unrechtsstaat zu nennen, kann es eben auch keine Zusammenarbeit geben. Also, es sind unterschiedliche Gründe, aber das Ergebnis ist gleich: Zusammenarbeit nicht möglich.
Sterbehilfe-Urteil in Karlsruhe
Detjen: Letztes Thema, das wir noch kurz ansprechen sollten, ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Woche, das das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe im Strafgesetzbuch für verfassungswidrig erklärt hat. Nehmen Sie es als Bundesgesundheitsminister jetzt als Ihre Aufgabe an und wahr auch, das – wie es das Bundesverfassungsgericht gesagt hat – 'Recht auf selbstbestimmtes Sterben' für Menschen, die das wollen, zu ermöglichen?
Spahn: Es ist ja jetzt erst mal, dadurch, dass das Verbot der geschäftsmäßigen und organisierten Sterbehilfe für nichtig erklärt wurde gestern, die Rechtslage so, dass dieses Verbot nicht mehr gilt – durch das Urteil. Ich muss Ihnen sagen, das ist etwas, wo ich erst mal schlucken musste, auch in dieser Eindeutigkeit. Ich habe ja damals für dieses Gesetz gestimmt, das bis gestern gültig war, und zwar nicht, weil ich das Leid und das Leiden der Menschen nicht ernst nehme. Aus vielen Gesprächen weiß ich, was dahintersteckt an Verzweiflung, Schmerz, auch Hoffnung, die sich verbindet möglicherweise mit diesem Weg der Selbsttötung. Deswegen nehme ich das nicht leicht. Was mich nur sehr beschäftigt – und wir reden ja über geschäftsmäßig und organisiert.
Also, es geht ja nicht um das individuelle Vertrauensverhältnis Arzt, Patient in der einzelnen Situation, dass nicht aus der Möglichkeit auf Hilfe durch Dritte, wie das Verfassungsgericht sagt, also, dass Dritte helfen dürfen, daraus ein Anspruch wird gegenüber Dritten. Also, dass man nicht auch noch den Anspruch formulieren darf: Ihr müsst mir jetzt aber bei der Selbsttötung helfen. Das ist der eine Punkt. Denn der ist für uns wichtig jetzt. Das müssen wir uns jetzt auch anschauen als Ministerium, weil es ja auch Klagen gegen uns als Behörde gibt auf Medikamente, wie wir das rechtlich zu bewerten haben. Es ist jetzt ein paar Tage her. Das ist ein sehr umfassendes Urteil. Das müssen wir jetzt auswerten.
Und der zweite Teil ist der gesellschaftliche, dass aus der Möglichkeit, Hilfe zur Selbsttötung zu bekommen, nicht nachher eine Gewöhnung wird oder gar auch so eine Verpflichtung nach dem Motto an Schwerstkranke meinetwegen, Demenzkranke: Es gäbe doch einen Ausweg, warum nimmst du den nicht? Also, ich finde es sehr wichtig – das mögen einige jetzt für übertrieben halten im ersten Moment, aber wir müssen ja mal fünf oder zehn Jahre weiterdenken. Was macht das mit einer Gesellschaft? Und da – finde ich – braucht es ein Rahmenwerk, das das sicherstellt, dass das nicht passiert. Und das Urteil macht das Rahmenwerk möglich.
Detjen: Ja, klar. Aber die Frage richtet sich ja an konkretes Handeln. Sie haben das angesprochen. Da gibt es noch einen anderen Fall, der auch von dem Bundesverfassungsgericht noch verhandelt wird. Da geht es darum, dass Sie eben aktiv durch eine Weisung an das zuständige Bundesamt verhindert haben, dass Medikamente oder Betäubungsmittel für sterbewillige Menschen ausgeliefert werden, und zwar erfolgte diese Weisung gegen ein anderslautendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Also, Kritiker halten Ihnen vor, dass Sie eine persönliche politische Ethik und Moral über das geltende Recht in seiner Auslegung durch das oberste Bundesgericht gestellt haben.
Spahn: Das Bundesverwaltungsgericht hat ein Urteil im Einzelfall getroffen. Das ist wichtig jetzt für die rechtliche Einordnung. Das Bundesverfassungsgericht schafft Urteile, die im Allgemeinen gültig sind. Und deswegen, na ja, das ist schon richtig für die Rechts- … abschließend beurteilt das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsgemäßheit. Das finde ich schon wichtig. Gleichwohl auch die Entscheidung mache ich mir ja nicht leicht, sage ich noch einmal. Ich tue mich nur sehr, sehr schwer mit dem Gedanken. Und ich fände es auch nicht richtig, wenn wir dahin kämen, dass ein Minister, eine politische Institution darüber entscheidet: Was sind die Kriterien dafür, wer sterben darf und wer nicht? Ich komme noch mal dahin zurück: Wenn Arzt, Patient in einem Verhältnis miteinander zu einer Entscheidung kommen, okay.
Aber der Anspruch gegenüber einem Ministerium oder einer Behörde des Ministeriums, ein todbringendes Medikament zu bekommen – und das Verwaltungsgericht hat gesagt, ihr müsst Kriterien dafür entwickeln – dann tue ich mich echt schwer, dass sozusagen wir ministeriell dann entscheiden, wer in Deutschland sterben darf und wer nicht. Wenn man auch das mal so ein bisschen zu Ende denkt, welche Bahnen das eröffnet, dann habe ich da ein Problem mit. Das will ich auch so formulieren. Gleichwohl – sage ich noch einmal – werden wir jetzt natürlich im Lichte des Urteils des Verfassungsgerichtes, jetzt und auch eines noch zu erwartenden Urteils in dieser konkreten Situation natürlich damit umgehen. Es ist und bleibt ein Rechtsstaat und da zählt nicht nur – und wahrscheinlich am Ende dann nur relativ – die Meinung des Bundesministers.