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Bundeshaushalt 2017
"Schwarze Null darf kein Fetisch werden"

Die SPD habe im Bundeshaushalt 2017 fünf Milliarden Euro mehr für ein Sozialpaket durchgesetzt. Damit sei seine Partei sehr zufrieden, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel im Deutschlandfunk. Nicht die Würde der schwarzen Null, sondern die der Menschen sei unantastbar.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel.
    Der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel. (picture alliance / dpa / Timm Schamberger)
    Die Menschen in Deutschland dürften angesichts der aktuellen Probleme nicht gegeneinander ausgespielt werden. Darum habe sich die SPD für mehr Investitionen in bezahlbaren Wohnraum, Arbeitsmarkt, Integration und Kita-Ausbau eingesetzt, sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel im DLF. Das die Unionsparteien nun versuchten, das kleinzureden und lediglich von zwei zusätzlichen Milliarden Euro redeten, sei "Kindergarten". Seine Partei sei mit dem Ergebnis zufrieden.
    Eine Politik, die die Gesellschaft stärke, werde auch dazu führen, dass Rechtspopulisten der Boden entzogen werde, betonte der SPD-Politiker. Angesichts der derzeit sehr großen Haushaltsüberschüsse müsse man deutlich machen, was die Grundprinzipien seien. Wenn die schwarze Null zum obersten Prinzip erklärt werde, halte die SPD das für eine falsche Grundausrichtung, so Schäfer-Gümbel weiter. Klar sei, dass die schwarze Null kein Festisch werden dürfe, sondern dass die anstehenden Aufgaben bewältigt werden müssten.
    Schäfer-Gümbel äußerte sich auch zu den Terroranschlägen gestern in Brüssel. Er warnte davor, "reflexhaft wieder über neue Sicherheitsgesetze zu reden". Die Behörden leisteten eine gute Arbeit. Wichtig sei, dass man sich vom Terror nicht einschüchtern lasse, sondern "die Dinge mit Ruhe und Sorgfalt" angehe und erst einmal schaue, welche weiteren Maßnahmen sinnvoll seien.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Thorsten Schäfer-Gümbel, den Fraktionsvorsitzenden der SPD im hessischen Landtag, und er ist auch stellvertretender Vorsitzender seiner Partei im Bund. Guten Morgen, Herr Schäfer-Gümbel.
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Die SPD hatte im Vorfeld mit einem Nein zum Haushalt gedroht, wenn der Bundesfinanzminister nicht macht was sie will. Ich sag das mal etwas verkürzt. Ist die Kuh jetzt vom Eis?
    Schäfer-Gümbel: Na ja, für den Moment auf jeden Fall. Herr Schäuble hat ja vor wenigen Wochen noch die Initiativen der SPD als erbarmungswürdig bezeichnet. Wir haben jetzt am Ende fünf Milliarden zusätzliche Ausgaben in den Haushalt hineinverhandeln können, damit die notwendigen Investitionen in gesellschaftlichen Zusammenhalt, vor allem bei Arbeitsmarktintegration, bei bezahlbaren Wohnungen, aber auch anderen Themen reingekommen sind. Und deswegen sind wir heute sehr zufrieden. Es wissen allerdings auch alle, dass mit Blick auf die Verhandlungen mit den Ländern es sicherlich noch etwas mehr geben wird, weil die Integrationsaufgaben vor Ort einfach drängend sind, auch und gerade beim Wohnungsbau.
    Heuer: Also mehr als fünf Milliarden. Dabei behauptet die CDU, die SPD habe maximal ungefähr zwei Milliarden rausgeholt.
    Schäfer-Gümbel: Das stimmt, das habe ich mittlerweile auch gelesen. Das ist eine Form von Kindergarten, die mir schwerfällt, nachzuvollziehen. Fakt ist, dass auch der Bundesfinanzminister noch vor wenigen Wochen dem Bundesarbeitsministerium versucht hat, zu erklären, dass es keinen einzigen Cent mehr gibt, trotz deutlich erhöhter Aufwendungen bei der Arbeitsmarktintegration. Und deswegen ist es uns am Ende egal, ob die Union jetzt versucht, das kleinzureden. Fakt ist: Wir haben fünf Milliarden mehr im Haushalt stehen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu finanzieren und zu stärken. Das ist unser Kernanliegen und von daher sind wir heute sehr zufrieden.
    Heuer: Aber, Herr Schäfer-Gümbel, Sie sagen, die CDU will das kleinrechnen. Kann das sein, dass die SPD den Erfolg etwas großrechnet, denn in Wahrheit ist es doch so, dass Wolfgang Schäuble 800 Millionen Euro mehr für den sozialen Wohnungsbau einplant, der dann auch Einheimischen zugutekommt. Das ist ja Teil dieses Sozialpakets, auf das die SPD Wert legt. Was hat die SPD denn darüber hinaus zusätzlich auf den Weg gebracht für die normalen Bürger?
    Schäfer-Gümbel: Neben dem bezahlbaren Wohnraum - und das ist keine kleine Nummer, weil dort eines der größten Probleme ist - haben wir ...
    Heuer: Riesennummer, aber nicht fünf Milliarden.
    Schäfer-Gümbel: Nicht die schwarze Null ist in ihrer Würde unantastbar
    Schäfer-Gümbel: Das stimmt. Aber das wird, sage ich mal, ein Thema sein, das uns die nächsten Jahre beschäftigt. Wir reden ja über fünf Milliarden in diesem Jahr. Da wird ja in den nächsten Jahren noch einiges aufgebaut. Das gilt aber vor allem für das Thema Arbeitsmarktintegration, wo anfangs die Union wollte, dass Leute gegeneinander ausgespielt werden, weil es keine Erhöhung der Arbeitsmarktbudgets geben soll. Beim Kita-Ausbau, aber auch bei den Projekten wie dem Teilhabegesetz und der solidarischen Lebensleistungsrente, also der Erhöhung einer Mindestrente kommt einiges voran. Genauso, wie dass wir heute noch einmal klar machen werden, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Angleichung des Ost-West-Rentenniveaus in dieser Legislaturperiode, die gesetzlich auf den Weg gebracht werden soll, auch erfolgen muss. Von daher sind wir wirklich zufrieden. Wir sind deswegen zufrieden, weil es gelungen ist, deutlich zu machen, dass diese Bundesregierung unter unserem Antrieb alles dafür tut, dass Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das ist extrem wichtig, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren. Und wenn Sie die mittelfristige Finanzplanung sehen, werden Sie das auch erkennen, dass das deutlich über das Jahr hinausgeht. Und ich will das deutlich sagen: Artikel eins des Grundgesetzes lautet eben nicht, die Würde der schwarzen Null ist unantastbar, sondern die Würde des Menschen ist unantastbar. Und die Finanzpolitik muss dieser Verpflichtung nachkommen, nicht umgekehrt.
    Heuer: Über die schwarze Null sprechen wir gleich noch ein bisschen. Die meisten zusätzlichen Sozialausgaben - Sie haben ja jetzt unter anderem die Mindestrente erwähnt, Herr Schäfer-Gümbel -, die waren aber längst beschlossene Sache, bevor es diesen Streit gab über den neuen Haushalt. Feiern Sie den einen oder anderen SPD-Erfolg in der Großen Koalition einfach doppelt?
    Schäfer-Gümbel: Nein, nein. Sehen Sie, es gibt Unions-Vertreter, die in den letzten Tagen gesagt haben, es sei jetzt mal Schluss mit all den Maßnahmen, die verabredet seien zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und manches wurde durch die Union in den letzten Wochen und Monaten blockiert, was im Koalitionsvertrag grundsätzlich vereinbart ist.
    Heuer: Aber nicht die Mindestrente.
    Schäfer-Gümbel: ... , was im Koalitionsvertrag grundsätzlich vereinbart wurde und wir anschieben wollen. Das gilt für die Frage der Ost-West-Angleichung, das gilt auch für kritische Debatten um das Thema solidarische Lebensleistungsrente, Teilhabegesetz, das seit Monaten blockiert wird, genauso wie bei der Frage von Leiharbeit und Werkverträgen. Es gibt eine Reihe von Konfliktpunkten und ich sage einfach, wir sind zufrieden damit, dass wir da einen großen Sprung heute gemacht haben und klar ist, was die Prioritätensetzung auch der Bundesregierung in dieser Periode ist, und das, weil wir es stark machen.
    Heuer: Ist Ihr Solidarprojekt, das Solidarprojekt der SPD für Flüchtlinge und Einheimische in Wahrheit ein Anti-AfD-Programm, Herr Schäfer-Gümbel? Wollen Sie verhindern, dass noch mehr Wähler abwandern?
    Schäfer-Gümbel: Ganz sicherlich wird jede Politik, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt wie das, was wir heute auf den Weg bringen, am Ende auch dazu führen, dass Rechtspopulisten und Populisten aller Art der Boden entzogen wird für weitere Stimmungsmache. Insofern ist konkrete Politik immer auch eine Antwort auf Populisten.
    Schäfer-Gümbel: Aufgaben müssen gelöst werden
    Heuer: Wolfgang Schäuble will seine schwarze Null unbedingt halten. Er mahnt schon jetzt zu sehr viel Haushaltsdisziplin. Sie haben die schwarze Null schon angesprochen und gesagt, die Würde der schwarzen Null ist nicht unantastbar. Wären Sie, wäre die SPD im Notfall auch bereit, die schwarze Null zu opfern?
    Schäfer-Gümbel: Für uns ist in der jetzigen Phase angesichts von großen und sehr großen Haushaltsüberschüssen klar, dass man noch mal deutlich machen muss, was die Grundlinien sind und was die Prinzipien sind. Und die Prinzipien unserer Politik sind zunächst, dass die Aufgaben gelöst werden. Die Finanzpolitik muss das unterstützen, begleiten, stärken, möglich machen. Wenn die schwarze Null wie durch den Bundesfinanzminister regelmäßig faktisch zum obersten Verfassungsgrundsatz erklärt wird und wie ein Fetisch vor sich hergetragen wird, dann halten wir das für eine falsche Grundausrichtung. Deswegen gab es dazu in den vergangenen Wochen auch enorme Auseinandersetzungen, wenngleich das für uns nicht heißt, dass wir nicht grundsätzlich der Auffassung sind, dass Haushalte ausgeglichen sein sollten. Aber da muss man dann eben entsprechend steuern, und wir haben ja noch ein paar Projekte zu klären wie die Frage der Reform der Erbschaftssteuer, die ebenfalls derzeit allerdings durch die CSU blockiert wird, wo wir übrigens an der Seite von Wolfgang Schäuble stehen. Aber klar ist, dass die schwarze Null kein Fetisch werden darf, sondern dass die Aufgaben gelöst werden sollen. Und das werden wir auch ziemlich deutlich machen in dieser Koalition.
    Heuer: Herr Schäfer-Gümbel, wir müssen zum Schluss noch kurz über Brüssel sprechen, über die Anschläge gestern dort. Es hebt an eine deutsche Debatte über Sicherheitsmaßnahmen. Was muss Europa, was muss Deutschland aus diesen Attentaten lernen?
    Schäfer-Gümbel: Das ist eine total schwierige Frage, insbesondere weil natürlich der Schock über die Ereignisse immer noch tief sitzt und es auch schwierig ist, angesichts der Ereignisse zur Tagesordnung überzugehen. Ich warne davor, reflexhaft jetzt wieder über neue Sicherheitsgesetze zu reden. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass unsere Sicherheitsgesetze und auch die Sicherheitsbehörden gute Arbeit geleistet haben. Und diesen Weg muss man erst einmal weitergehen. Auf der anderen Seite darf man sich, so gut das geht, nicht einschüchtern lassen durch solche schrecklichen Ereignisse wie gestern in Brüssel. Das ist ein schwieriger Balanceakt und deswegen gilt da wie an vielen anderen Stellen, die Dinge mit Ruhe und Sorgfalt anzugehen und nicht jetzt Schlagzeilen zu suchen, angesichts solcher Ereignisse.
    Heuer: Forderungen, wie wir sie heute Morgen hier im Programm schon vom CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach gehört haben, die Bundesländer müssten mehr investieren in Sicherheit, die lehnen Sie erst mal ab?
    Schäfer-Gümbel: Es geht nicht um Ablehnen. Man muss einfach gucken, was ist sinnvoll und richtig. Und die meisten Bundesländer haben übrigens im letzten Jahr schon deutlich aufgesattelt, sowohl bei Polizei als auch bei den Landesämtern für Verfassungsschutz. Insofern glaube ich, dass Herr Bosbach wieder mal zu reflexhaften Reaktionen neigt, wie wir das von ihm häufiger erleben. Ich mahne dazu, sachlich zu sein.
    Heuer: Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Vorsitzender im Bund. Danke für das Gespräch.
    Schäfer-Gümbel: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.