Archiv

Bundeshaushalt 2020
"Wir können kein Geld verteilen, was wir vielleicht nicht haben"

Johannes Kahrs hat den Haushalt für das Jahr 2020 im Dlf verteidigt. Es sei im Koalitionsvertrag vereinbart worden, keine neuen Schulden zu machen, sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD. Kritik übte er am Entwicklungsminister. Dieser habe keinen Grund sich zu beschweren, er "schwimme im Geld".

Johannes Kahrs im Gespräch mit Jasper Barenberg |
21.11.2018, Berlin: Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, spricht im Bundestag. Auf der Tagesordnung im Plenum des Bundestags setzt bei den Haushaltsberatungen die Generalaussprache über den Etat der Kanzlerin. Foto: Ralf Hirschberger/dpa | Verwendung weltweit
Haushaltsberatungen im Bundestag: Über die Etatplanung für das Jahr 2020 wird heftig gerungen. (dpa)
Jasper Barenberg: Es ist doch eher ungewöhnlich, dass es Streit über die Haushaltsplanung gibt, noch bevor das Kabinett sich überhaupt damit befasst hat, geschweige denn, bevor im Parlament darüber verhandelt und diskutiert wurde. Seit dem Wochenende aber macht zum Beispiel Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU mobil gegen Finanzminister Olaf Scholz von der SPD.
Streit gibt es auch um den Etat für Verteidigung. Der Vorwurf in beiden Fällen: Weil Scholz weniger Geld zur Verfügung stellen will als geplant und erwartet, setze Deutschland sein internationales Ansehen aufs Spiel.
Am Telefon ist Johannes Kahrs, der haushaltspolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Schönen guten Morgen!
Johannes Kahrs: Moin!
Barenberg: Herr Kahrs, gleich in zwei wichtigen Bereichen will die SPD internationale Zusagen unterlaufen. Bleibt Verlässlichkeit auf der Strecke, wenn Sozialdemokraten Finanzpolitik verantworten?
Kahrs: Ich finde es sehr schön, auch die Geschichten, die man alle dazu hört. Aber es gilt der Koalitionsvertrag, den CDU und CSU mit der SPD geschlossen haben.
"Da wird auf Sicht gefahren"
Barenberg: Eben!
Kahrs: Darin haben wir uns alle darauf geeinigt, dass die prioritären Maßnahmen zu finanzieren sind. Keiner dieser Bereiche gehört zu den prioritären Maßnahmen. In beiden Bereichen wird mehr Geld ausgegeben. Ich verstehe das Problem nicht.
Barenberg: Dann kann ich Ihnen vielleicht auf die Sprünge helfen. Sie kennen die Zahlen bestimmt besser. Zugesagt ist gegenüber der NATO, dass die Bundesregierung, dass Deutschland auf Sicht 1,5 Prozent vom BIP für Verteidigung ausgibt. Die Zahlen, wie sie sich jetzt darstellen, lauten: 1,37, 1,33, 1,29 und 1,25. Wie würden Sie diesen Trend beschreiben, anders als nach unten?
Kahrs: Ehrlicherweise ist der Trend so wie in den letzten Jahren. Da wird auf Sicht gefahren. Das wissen wir alle.
Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, spricht im Bundestag.
SPD-Politiker Johannes Kahrs (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
Barenberg: Was heißt auf Sicht gefahren, Herr Kahrs?
Kahrs: Auf Sicht gefahren heißt, dass wir für das nächste Jahr steigende Zahlen haben und im nächsten Jahr wieder für das darauffolgende Jahr verhandeln werden. Ein Finanzminister, der sich mit seinen Kollegen abstimmt - und im Kabinett wird das ja so beschlossen werden, das heißt, die Bundeskanzlerin steht dahinter und die CDU-Minister werden dem ja alle zustimmen, dass man sich vereinbart hat, dass wir keine neuen Schulden machen -, der nicht weiß, wie stark der Abschwung kommt, der nicht weiß, wie die Steuereinnahmen in den nächsten Jahren aussehen, der müsste doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er sich jetzt hinstellt, große Versprechungen für die nächsten Jahre macht, wo jedes Umfrageinstitut die Zahlen der wirtschaftlichen Entwicklung für die nächsten Jahre immer weiter absenkt.
Das wird ja Folgen für den Haushalt haben. Und wenn man einen soliden Haushalt haben will, dann muss man doch die Dinge, die im Koalitionsvertrag prioritär stehen, worauf sich CDU, CSU und SPD geeinigt haben, absichern. Das hat er gemacht.
Alles andere ist keine prioritäre Maßnahme. Alles andere wird angestrebt. Deswegen wird in diesem Jahr da Geld draufgetan, so wie wir es übrigens auch im letzten Jahr getan haben. Das ist geübte Praxis seit mehr als zehn Jahren! Wolfgang Schäuble hat das nie anders gemacht als jetzt Olaf Scholz. Er hat nur deutlich weniger gegeben.
"Wir können doch jetzt nicht Geld verteilen, was wir vielleicht gar nicht haben"
Barenberg: Das heißt auch, wenn Außenminister Heiko Maas, wenn die SPD-Parteichefin Andrea Nahles, wenn beide zum Beispiel diese Zusagen an die NATO gemacht haben, wenn die Verteidigungsministerin das auch der NATO meldet, dann müssen Sie jetzt Ihren Gesprächspartnern bei der NATO zum Beispiel sagen, wir haben diese internationale Zusage gemacht, aber verlässlich ist das nicht, weil wir müssen das nach Kassenlage entscheiden?
Kahrs: Nein! Wir haben gesagt, dass wir bis 2024 entsprechend 1,5 erreichen. Wir sind in diesem Jahr höher gegangen, wir sind im nächsten Jahr höher und wir werden auch in den darauffolgenden Jahren höher gehen, wenn wir es dann mit der Haushaltslage hinkriegen, so wie wir es in den letzten Jahren, so wie Olaf Scholz das immer gemacht hat. Aber wir können doch jetzt nicht Geld verteilen, was wir vielleicht gar nicht haben. Das ist doch unredlich. Und das ist die gleiche Union.
Solange Wolfgang Schäuble Finanzminister war, haben weder der Verkehrsminister noch die Verteidigungsministerin noch der Entwicklungshilfeminister ein Wort der Kritik öffentlich verlautbaren lassen. Erst seitdem Olaf Scholz Finanzminister ist, geht jeden Tag die Welt unter. Erst seitdem klagen sie, obwohl sie mehr Geld kriegen, als sie es unter Schäuble je gekriegt haben. Und das Verfahren, was jetzt kritisiert wird, wo ja nun alle am Jammern sind, ist das gleiche Verfahren wie seit zehn Jahren.
Wir gehen in dem laufenden Jahr, was kommt, höher, nähern uns dem Ziel immer weiter an, aber die mittelfristige Finanzplanung, die nicht absehbar ist, bildet das nicht ab und dann wird im nächsten Jahr neu verhandelt. Da die Union ja auch im nächsten Jahr Teil der Koalition ist, wird sie auch darauf hinarbeiten. Und wenn am Mittwoch dieser Plan von Olaf Scholz beschlossen wird, dann wird er vom ganzen Kabinett beschlossen, und die Eckwerte, die jetzt da vorliegen, sind natürlich im Vorwege geklärt. Das was hier probiert wird, ist noch mal Streit in die Koalition zu tragen, um selber vielleicht noch mal einen Bruchteil mehr rauszuschlagen. Das ist der Versuch, aber der ist sehr durchsichtig.
Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, spricht im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Polen
Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (picture alliance/ dpa/ Sadak Souici)
"Entwicklungsminister Müller schwimmt im Geld"
Barenberg: Aber hat der Entwicklungsminister zum Beispiel nicht Anlass genug, wenn er sagt, er kann seine internationalen Zusagen nicht einhalten, etwa was die eine Milliarde für den Klimafonds angeht und für afrikanische Staaten? Hat er da nicht Anlass genug, tatsächlich diese Kritik deutlich zu äußern?
Kahrs: Ehrlicherweise hat Herr Müller überhaupt keinen Grund. Er schwimmt im Geld. Im Vergleich zu seinen Vorjahren hat er immer mehr gekriegt. Und wenn er jetzt neue Zusagen gemacht hat, wenn er Verpflichtungen hat, dann muss er in seinem Haus mal umschichten. Schließlich ist er ja Minister, der nicht nur Zuwächse verteilt, sondern auch mal, wenn er das denn will, Schwerpunkte setzen muss in seinem Haus.
Barenberg: Das heißt, er könnte auch, Herr Kahrs, diese sogenannte Oder-Quote, das, worauf sich die Bundesregierung, die Bundesrepublik international verpflichtet hat, stabil halten, wenn er es nur richtig machen würde?
Kahrs: Nein, das habe ich nicht gesagt. Sie haben von den Programmen gesprochen, zu denen sie sich verpflichtet haben. Die kann er jederzeit durchfinanzieren mit dem Geld, das er hat. Wir halten die Oder-Quote bei 0,51. Das ist der höchste Wert, den es je gegeben hat.
Unter Schäuble waren wir da lange nicht dran. Den werden wir halten und dann ist es genau wie in allen anderen Etats auch: in der mittelfristigen Finanzplanung sackt das ab. Und immer dann, wenn das Jahr kommt, wird es auf diesen Wert gebracht oder höher, so wie es finanzpolitisch geht.
Man kann sich ja fragen, auch Herr Müller kann sich das fragen, warum er einem Koalitionsvertrag zugestimmt hat, wo die Oder-Quote nicht Teil der prioritären Maßnahmen ist. Übrigens genauso wie das 1,5 oder zwei Prozent Ziel. Das haben die alle unterschrieben.
Barenberg: Aber stehen tut es schon im Koalitionsvertrag?
Kahrs: Bitte?
Barenberg: Stehen tut es schon im Koalitionsvertrag. Die Oder-Quote soll nicht sinken, steht da ebenso drin wie auch, Politiker der SPD bekräftigen, dass das NATO-Ziel 1,5 Prozent vom BIP gilt.
Kahrs: Das ist auch alles richtig. Es soll auch nicht sinken. Im nächsten Jahr wird es auch nicht sinken. Das ist ja auch alles richtig. Aber es steht drin, wenn man den Koalitionsvertrag liest, dass das alles Ziele sind, die wir anstreben, aber die prioritären Maßnahmen sind mit Geld hinterlegt. Das weiß übrigens sowohl Herr Müller, das weiß Frau von der Leyen, das wissen auch meine geschätzten Kollegen in den Fachausschüssen. Das haben sie alle unterschrieben.
Da wir jetzt nicht die sprudelnden Überschüsse der letzten Jahre haben, muss man gucken, dass man zuerst das abdeckt, was prioritär ist, was beschlossen worden ist, zum Beispiel der ganze Bereich Kitas oder Wohnen oder Infrastruktur. Da geht das Geld ja rein, oder in die Sicherung der Rente. Wenn es denn dann Überschüsse gibt, kann man das auch verteilen. Das steht alles im Koalitionsvertrag. Ich frage mich, ob die Kollegen nicht des Lesens mächtig sind, oder ob sie es verdrängt haben.
"Wir wollen ja keine neuen Schulden machen"
Barenberg: Ich möchte Sie gerne noch fragen, ob Sie sich gar keine Sorgen machen, dass das Ansehen Deutschlands in der Welt leidet, wenn jetzt zum Beispiel bestimmte Dinge nicht mehr gemacht werden können, die zugesagt waren.
Kahrs: Ehrlicherweise: Es kann alles das gemacht werden, was zugesagt worden ist. Wir geben im nächsten Jahr mehr Geld aus in diesen Bereichen als in den letzten Jahren und wir haben die Zusagen auch für das nächste Jahr gemacht. Das Kabinett wird das ja so beschließen, und zwar alle miteinander. Deswegen, glaube ich, ist das nicht nur ein solider Haushalt; er deckt ab, was ist, und nicht dieses wünsch Dir was.
Dass jeder Ressortminister für mehr kämpft, ist doch vollkommen legitim. Man muss sie aber auch daran erinnern, dass sie in der gleichen Sekunde immer sagen, aber wir wollen keine neuen Schulden machen. Ich habe noch von keinem Unions-Minister was anderes gehört. Wenn dann alle Minister mehr Geld wollen, aber nicht mehr Geld da ist, und keiner neue Schulden machen will, dann ist das die Quadratur des Kreises. Und dass sie jetzt ganz besonders laut protestieren, nachdem sie über ein Jahrzehnt bei Wolfgang Schäuble geschwiegen haben, macht die Sache nicht wirklich glaubwürdiger.
Barenberg: … sagt der haushaltspolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Vielen Dank für dieses Gespräch, Johannes Kahrs.
Kahrs: Immer gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.