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Bundesjugendspiele
Auf der Suche nach der Mitte zwischen Leistung und Spaß

Die Bundesjugendspiele sollen im nächsten Jahr reformiert werden: vom Wettkampf hin zum Wettbewerb. Die Kinder sollen wieder mehr Freude am Sport und der Bewegung erleben. Aber auch das löst erneut Diskussionen aus.

Von Sabine Lerche |
Kinder einer Frankfurter Grundschule beim Weitspung im Rahmen der Bundesjugendsspiele.
In Zukunft sollen die Kinder beim Weitsprung nicht nach der eigentlichen Weite benotet werden: Die Sprunggrube wird in Zonen aufgeteilt, je weiter ein Kind springt, desto mehr Punkte erhält es. (dpa / picture-alliance / Frank Rumpenhorst)
Die Bundesjugendspiele polarisieren. Für manche sind sie auch Jahre später eine demütigende Erfahrung. 2015 haben 25.000 Menschen eine Petition unterschrieben, um die Bundesjugendspiele abzuschaffen.
Manche Befürworter der Bundesjugendspiele beklagen angesichts solcher Forderung, dass Leistung in Deutschland immer weniger wertgeschätzt wird. Diese Extreme findet Michael Fahlenbock, Vorsitzender des Sportlehrerverbands, überzogen:
„Die Diskussion darüber, warum es Bundesjugendspiele gibt und Leute bloßgestellt werden - das sind so extreme Ansichten, die gleich auf gesellschaftliche Relevanz hinwirken. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.“
Vom Wettkampf zum Wettbewerb
In diesem Jahr ist der Auslöser der Debatte eine Reform der Bundesjugendspiele: Ab dem nächsten Schuljahr sollen in allen Grundschulklassen die Bundesjugendspiele nicht mehr als Wettkampf stattfinden, sondern als Wettbewerb.
Heißt zum Beispiel: Beim Weitsprung wird nicht die eigentliche Weite mit Maßband gemessen. Sondern die Sprunggrube wird in Zonen aufgeteilt und je weiter ein Kind springt, desto mehr Punkte erhält es. Die Bewertung der Leistung wird also freier. Im Turnen kommen ein paar Team-Übungen dazu. Und am Ende erhalten weiterhin alle Kinder je nach Leistung eine Urkunde.
Aufnahme von oben: Teilnehmer und Kinder sammeln sich auf der roten Laufbahn im Bottroper Jahnstadion im Rahmen der Bundesjugendspiele
Es soll bei den jährlich stattfindenden Spielen in Zukunft weniger um den Wettkampf gegeneinander gehen, sondern darum sich zu bewegen, Freude zu haben und sein Bestes zu geben. (imago / Hans Blossey)
"Also ein Reförmchen, nennen wir es mal so", beurteilt Filip Mess die Entwicklung. Er ist Professor für Sport- und Gesundheitsdidaktik an der Technischen Universität in München. Mess begrüßt, dass mehr Fähigkeiten abgefragt werden. Es gibt jetzt zum Beispiel in der Leichtathletik nicht mehr nur den Ballweitwurf, sondern auch den Ballzielwurf.
Hin zu mehr Teamarbeit und Mannschaftssport
Mess wünscht sich aber noch mehr kooperative Übungen: „Das wäre wirklich eine spannende Weiterentwicklung, gerade vor dem Hintergrund, dass wir Kinder für den Sport begeistern wollen. Und eben so was Soziales, etwas in der Gemeinschaft erreichen - und das wissen wir eben auch aus der Motivforschung - das ist das, was Kinder und Jugendliche für den Sport begeistert. Nur an Teamarbeit fehlt es meiner Meinung nach.“
Tatsächlich sind Sportspiele bei Kindern die beliebtesten Sportarten. Die sind bei den Bundesjugendspielen unterrepräsentiert. Denn im Ausschuss für die Bundesjugendspiele sitzen der Deutsche Leichtathletik-Verband, der Deutsche Turnerbund und der Deutsche Schwimmverband. Stephan Osterhage-Klingler, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft in NRW, schlägt vor, die Bundesjugendspiele zu erweitern.
„Ein oder mehrere, ich nenne es mal wirklich so Sporttage, wo viel mit Bewegung gemacht wird, aber großer Wert auf die Freude, auf den Spaß an der Bewegung gelegt wird, also auf spielerisches Messen. Ich würde wahrscheinlich am Ende auf diese Regelungen mit den Urkunden, so wie sie jetzt ist, auch verzichten, weil wenn ich in den Vordergrund stellen möchte, es soll Spaß daran geben, da kann ich ja sagen, alle haben teilgenommen, alle haben Riesenspaß gehabt an der Sache.“
Leistungsdosierung sei entscheidend
Also gar kein Leistungsmessen mehr – zumindest im Grundschulalter. Das würde den Hauptkritikpunkt an den Bundesjugendspielen beseitigen: nämlich, dass durch den Wettkampfcharakter weniger sportaffine Kinder bloßgestellt werden.
Michael Fahlenbock vom Sportlehrerverband hält dagegen: „Wenn man die Kinder heranwachsen sieht, wenn sie sich draußen beim freien Spiel bewegen, suchen sie eigentlich immer den Wettbewerb. Sie können ja auf den Schulhof gehen und gucken: Die Kinder spielen Fußball um die Wette oder machen Hüpfekästchen. Und wer kommt beim Hüpfekästchen am weitesten? Wer kann beim Seilchenspringen am meisten Umdrehungen hinkriegen? Es sind ja eigentlich immer Vergleiche, also immer kleine Wettbewerbe, die sich Kinder und Jugendliche selbst aussuchen.“
Für die Kinder sei dabei immer die persönliche Leistungsverbesserung wichtig, ergänzt Sportdidaktiker Filip Mess.
„Was sie aber nicht wollen, was sozusagen nicht zu den Hauptmotiven gehört, ist ständig in Wettkampfsituationen treten. Wenn der andere Sportunterricht und alles, was die Kinder im Sport erleben, auch immer nur leistungsorientiert ist und einige darunter sozusagen leiden, weil sie permanent zu den Schlechtesten, zu den Verlierern gehören, dann bin ich fest der Meinung - also das wissen wir ja auch aus der pädagogischen, didaktischen Forschung - dass wir dann Sportverlierer-Karrieren entwickeln.“
Das eigentliche Ziel: Freude an Sport und Bewegung vermitteln
Ein einzelner Tag, an dem es wie bei den Bundesjugendspielen vor allem um Leistung geht, führt aber laut Forschung nicht zu einer lebenslangen Sportabneigung. Und eigentlich will der Sportunterricht ja auch das Gegenteil erreichen, so Stephan Osterhage-Klingler von der Bildungsgewerkschaft:
„Wir wollen sie wieder für Sport begeistern, für Bewegung begeistern, weil Studien zeigen ja sehr deutlich, dass wir eine große Zahl von Kindern haben, die übergewichtig sind, das Bewegungsmangel einfach ein großes Thema ist.“
Zwei Mädchen rennen beim 50-Meter-Lauf über die rote Tartanbahn.
Wer zu den Besten gehört, orientiert sich in Zukunft nicht mehr an einer festgelegten Punktetabelle in Deutschland, sondern an den Leistungen der Kinder einer Schule innerhalb ihres Jahrgangs. Es gibt auch weiterhin Ehren-, Sieger- und Teilnehmerurkunden. (imago / Sven Simon )
Mehr Bewegung, weniger Warten – so hat Sportdidaktiker Filip Mess auch einmal selbst Bundesjugendspiele organisiert:
„Wir haben die klassischen Wettbewerbe oder Wettkämpfe durchgeführt, aber haben ganz viele Stationen drumherum gebaut, sodass die Kinder eigentlich nie zum Sitzen oder Stehen kamen, sondern immer beschäftigt waren. Dann habe ich nämlich zum einen mehr Bewegung, aber ich habe so diese starke Fokussierung auf den Wettkampf eben auch relativiert.“

Auf die Lehrkräfte kommt es an

Neben der Gestaltung der Bundesjugendspiele komme es auch immer auf die Lehrkräfte an und wie sie Wettkampf und Leistung mit den Kindern reflektieren. Und dann kommt Filip Mess noch eine Idee: „Also, man müsste doch die Kinder mal selbst befragen.“
Das hat bisher nämlich niemand wirklich getan. Denn wie Kinder die Bundesjugendspiele finden, dazu gibt es noch keine wissenschaftlichen Studien.