Dass Kunstschätze mit Tomatensuppe, Kartoffelbrei oder Öl beworfen würden, führe momentan dazu, dass private Mäzene sich überlegten, ob sie ihre Werke öffentlichen Sammlungen zur Verfügung stellen sollen oder nicht, so Marco Buschmann. Knappes Geld müsse möglicherweise in Sicherheit statt in Kunst investiert werden.
Das sei ein Angriff auf das Versprechen des sozialen Rechtsstaates, auch normalen Menschen den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Sollten Gerichte zu dem Schluss kommen, dass die Protestaktionen strafrechtlich nicht geahndet werden können, "wäre ich bereit, eine Debatte darüber zu führen, wie man diese Lücke schließt", so Marco Buschmann.
Im Bereich des Straßenverkehrs dagegen gebe es eine ganze Reihe von Straftatbeständen, die vieles abdeckten, was dort passiere. „Damit können die Gerichte umgehen, und da will ich auch gar nicht reinreden.“
Warnung vor Schwächung des Internationalen Strafgerichtshofs
In der Diskussion um ein mögliches Sondertribunal in Zusammenhang mit Kriegsverbrechen in der Ukraine plädiert der Bundesjustizminister dafür, den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zu stärken. Dieser ist derzeit zum Beispiel zuständig für die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nicht aber für das Verbrechen des Angriffskrieges.
Zu Überlegungen, deshalb ein Sondertribunal zu schaffen, sagte Buschmann: „Die Botschaft darf keinesfalls sein, dass der Internationale Strafgerichtshof da an die Seite gedrängt würde“. Der FDP-Politiker verwies auf Skepsis unter anderem in einigen afrikanischen Staaten gegenüber dem ICC. Dort heiße es teilweise: „Wenn es um Kriegsverbrechen in Afrika ging, dann ist der Internationale Strafgerichtshof gut genug. Und sobald es bei Euch in Europa zu solchen Fällen kommt, wollt Ihr was Besonderes haben.“ Ein Kompromissvorschlag könne möglicherweise sein, die ukrainische Strafjustiz auf ein internationales Richterkollegium zu übertragen.
Skepsis gegenüber Praxis der Präventivhaft
Skeptisch äußerte sich der Minister zur Praxis der Präventivhaft, die in Bayern bis zu 30 Tage verhängt werden kann. „Wenn wir sagen, in Fällen, wo wir wissen, dass Leute beispielsweise eine Nötigung begangen haben und denen dann eine Geldstrafe von 20 oder 110 Tagessätzen verpassen, aber in Fällen, wo wir noch gar nicht wissen, ob die Leute es tun, wo wir es nur glauben, sie 30 Tage in eine Zelle stecken, das ist dann zwar präventiv und ist im technischen Sinne keine Strafe, aber wird von denen natürlich wie so etwas wie Freiheitsstrafe empfunden, da muss man sich natürlich die Frage stellen, ob das verhältnismäßig ist.“
Das Interview der Woche in voller Länge:
Gudula Geuther: Aus unserem Hauptstadtstudio begrüßt Sie, diesmal mit einer Aufzeichnung schon am Donnerstag (17.11.2022), Gudula Geuther. Mir gegenüber sitzt Marco Buschmann, FDP, der Bundesminister der Justiz. Herr Buschmann, Ihre Partei bewegt sich nach den letzten Umfragen zwischen fünf und sieben Prozent – das ist kein sicherer Abstand zur Fünf-Prozent-Hürde. Was machen Sie falsch? Liegt das daran, dass die FDP, wie manche in Ihrer eigenen Partei sagen, zu sehr als „Dagegen-Partei“ wahrgenommen wird?
Marco Buschmann: Also, wir haben ja sehr viele Dafür-Themen, um die wir uns kümmern. Und FDP war schon immer ein Thema für Menschen mit starken Nerven. In der letzten Legislaturperiode hatten wir auch schon schlechtere Umfragewerte und haben dann unser Wahlergebnis trotzdem verbessert. Deshalb empfehle ich uns einfach: Gute Arbeit machen, erfolgreich sein fürs Land in der Regierungsfunktion, die wir ausüben, und dann wird es auch bei der nächsten Bundestagswahl ein gutes Ergebnis geben.
Geuther: Es gibt ja tatsächlich Stimmen in Ihrer Partei – Johannes Vogel zum Beispiel –, die einfordern, dass Sie mehr positiv als Partei wahrgenommen werden, die auch eben gestalterisch etwas bewegt.
Buschmann: Na ja, also wenn Sie mal auf meinen Themenbereich schauen, ich tue etwas für Planungsbeschleunigungen, als erster Minister, mit einem konkreten Gesetzgebungsvorschlag. Ich gehe die Gesellschaftspolitik an, mit dem Namensrecht, mit dem Familienrecht. Also, Gestaltung wo man hinschaut, und deshalb finde ich, das ist überhaupt kein Widerspruch zu dem, was Johannes Vogel sagt. Wir wollen was bewegen. Wir sind eine Reformkoalition. Wir haben das Motto, „Mehr Fortschritt wagen“. Aber wenn ich mir meinen Tätigkeitsbereich anschaue, glaube ich, wirft man mir ja eher vor, zu viel zu machen als zu wenig.
Geuther: Bei der Vorratsdatenspeicherung werfen Ihnen Kritiker – auch aus der Ampelregierung – Blockade vor, weil Sie sich gegen die Speicherung von IP-Adressen wehren. Bundesinnenministerin Nancy Faeser drängt in dieser Woche erneut auf Speicherung.
Buschmann: Na ja, das ist ja genau andersherum. Der Europäische Gerichtshof hat ja gesagt, Vorratsdatenspeicherung ist eine Verletzung unserer Grundrechte – jedenfalls so, wie wir es bislang in Deutschland gemacht haben. Und ich schlage ja gerade ein Instrument mit Quick Freeze vor, das den Ermittlern ein Ermittlungsinstrument in die Hand gibt.
Die haben ja jetzt nichts in dem Bereich, weil es eben rechtswidrig ist, mit dem sie arbeiten können und wo feststeht, wo auch die Kritiker sagen, das steht in jedem Fall im Einklang mit der Verfassung und mit den europäischen Grundrechten. Und das, was einige da diskutieren, ist schlichtweg ein Verstoß auch gegen den Koalitionsvertrag. Denn wir haben uns ja im Koalitionsvertrag geeinigt, dass wir die Vorratsdatenspeicherung beenden und all das, was vorher im Anwendungsbereich der Vorratsdatenspeicherung war, nur noch anlassbezogen machen. Und das ist genau mein Vorschlag. Und das klingt jetzt sehr technisch, aber ich will mal eines sagen, die Grundidee unserer Strafprozessordnung für alle Ermittlungsinstrumente die es gibt, ist immer: Wir lassen die Menschen in Ruhe, wir haben keinen Generalverdacht gegen alle Bürger, sondern wir können dann ermitteln, wenn es einen konkreten Anlass gibt, Verdachtsmomente. Und das meinen wir mit Anlassbezogenheit, und genau das setze ich um.
Geuther: Aber nun hat ja zumindest der Europäische Gerichtshof für die IP-Adressen eine Speicherung zugelassen eben mit dem Argument, dass das für die Aufklärung von Straftaten, die im Internet begangen werden, eben besonders wichtig wäre.
Buschmann: Na ja, er hat nicht dafür plädiert, sondern er hat gesagt, er hat eine ganz kleine Lücke auf...
Geuther: ... das wäre möglich.
Buschmann: Es wäre möglich, und zwar – das ist ganz wichtig, das gehört dazu – für den unbedingt notwendigen, also mindestmöglichen Zeitraum. So, und jetzt kommen wir zu folgendem Problem: Seit fast 20 Jahren sind wir auf der Suche nach Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung, die mit dem Grundgesetz und den europäischen Grundrechten vereinbar sind.
Seit fast 20 Jahren sind Regierungen immer wieder gescheitert, weil immer sozusagen ein Zu-Viel an den Tag gelegt wurde. Jetzt haben wir hier wieder zwar ein kleines Tor, das auf ist, aber kein Mensch weiß, wie weit es ist, weil einem niemand sagen kann, was ist eigentlich dieses Minimum.
Es gibt ja auch Vorschläge, das sechs Monate zu machen – da glaube ich, würden wir wieder vor den Gerichten scheitern. Und mein Wunsch ist einfach nur, dass wir diesen 20 Jahre währenden Streit, der alle in den Wahnsinn treibt – die betroffenen Unternehmen, die das machen müssen, die Ermittler, die nicht wissen, wann sie endlich mal was Verlässliches in der Hand haben und die Bürgerinnen und Bürger, die Sorge haben, dass ihr Privatleben überwacht wird –, lasst uns diesen 20 Jahre währenden Streit doch einfach beenden. Alle sagen, dass mein Vorschlag in jedem Fall rechtssicher ist, und Rechtssicherheit und Verlässlichkeit sind im Rechtsstaat auch ein Wert an sich, und dafür plädiere ich.
Quick-Freeze-Verfahren
Geuther: Nun sagen Sie, dieser Streit ist alt. Dieser Streit ist so alt, dass wesentliche Protagonistin darin ihre Vor-Vor- oder noch Vorgängerin war, nämlich Ihre Parteifreundin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die ja erstmals einen Entwurf für dieses Quick-Freeze-Verfahren vorgeschlagen hat. Wir sollten vielleicht nochmal dazu sagen, das bedeutet also, die Daten, die in dem Moment da sind, die aber nicht auf Geheiß des Staates gespeichert wurden, werden in dem Moment, sobald die Ermittler eben merken, dass sie sie brauchen, eingefroren und für die Zukunft wird eingefroren.
Aber selbst Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat in ihrem Vorschlag für ein solches Quick-Freeze-Verfahren eine Speicherung von IP-Adressen für mehrere Tage vorgesehen, auch eben mit dem Argument, dass der Eingriff da nicht so tief gehe, wie zum Beispiel bei Telefonverbindungs- oder Standortdaten.
Buschmann: Ja, wenn Frau Leutheusser-Schnarrenberger jetzt neben mir sitzen würde, dann würde sie sagen: Na ja, das war ja ein Kompromissangebot an die Union, also eine deutlich konservativere Partei, die bei Bürgerrechtsfragen nicht die Sensibilität besitzt, die wir als FDP besitzen und die unsere Koalitionspartner von sich behaupten auch zu besitzen.
Und wir haben es einfach auch anders entschieden. Und hier ist es einfach eine politische Entscheidung, die sagt, wir wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht unter Generalverdacht stellen, sondern wir wollen so arbeiten in diesem Bereich, wie in anderen Bereichen der Strafprozessordnung auch. Ermittelt wird, wenn es einen Verdachtsmoment, einen Anlass gibt, ansonsten lässt der Staat die Bürgerinnen und Bürger in Ruhe.
Dagegen, wir haben uns entschieden, dass wir von diesem Grundsatz abweichen. Und deshalb setze ich den Koalitionsvertrag um mit einem Instrument, dass den Ermittlern dann zur Verfügung steht – rechtssicher und um diesen Streit zu beenden.
Geuther: Aber was sagen Sie denn den Ermittlern, die sagen, Quick Freeze bedeutet also Einfrieren von Daten, die da sind, aber wenn nichts da ist, kann ich auch nichts einfrieren?
Buschmann: Ja, das wird immer wieder behauptet. Aber schauen Sie, wir sind ja in verschiedenen Deliktsbereichen im Internet wahnsinnig erfolgreich. Wir sind heute erfolgreicher bei der Aufklärung von bestimmten Deliktsbereichen im Internet, insbesondere auch ganz schlimmen, wie eben der Darstellung von Missbrauch von Kindern, da sind wir wesentlich erfolgreicher als in der Zeit, als es die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gab.
Und man kann doch nicht sagen, dass ein Instrument, das wir schon mal hatten und als wir es hatten uns nicht erfolgreicher gemacht hat, dass das jetzt die Wunderwaffe wäre, um heute die Probleme zu lösen. Ich will man eines sagen. Es wird ja immer wieder über die sogenannten NCMEC-Daten gesprochen, das sind Daten, die aus den USA über einen Verein im Zusammenhang mit Regierungsbehörden kommen, wo es um die Aufklärung von diesen Missbrauchsdarstellungen geht. Da sind wir so erfolgreich, dass es sozusagen nur in nicht mal 3,5 Prozent der Fälle zu Problemen kommt wegen fehlender IP-Adressen, was immer genannt wird. Also, wir sind unfassbar erfolgreich in diesem Bereich. Und ich will auch mal eines sagen, wenn wir ...
Geuther: Weil Sie sich auf Daten verlassen, die anderswo durchaus gespeichert werden?
Buschmann: Auf Daten, die aus den USA kommen, einfach weil in den USA die großen Internet Companies sitzen. Wo sollen die Daten denn sonst herkommen, wenn nicht von dort, wo die Internet Companies sitzen? Und ich will nochmal was anderes sagen. In diesem Zusammenhang ist es ja so, wir haben ja so ein ähnliches Instrument wie Quick Freeze, das ist die sogenannte Bestandsdatenabfrage.
Quick Freeze sagt ja: Liebe Provider, ihr löscht jetzt erstmal nicht die Daten bestimmter Personen, weil die sich im Umfeld eines möglichen Verbrechens bewegen, die könnten wir nochmal brauchen. Aber was ja heute schon geht, sind Bestandsdaten, die nicht gespeichert werden, sondern die jetzt noch da sind. Und in dem Zusammenhang gibt es die sogenannte Bestandsdatenabfrage. Und die ist in 80 Prozent der Fälle erfolgreich. Und das widerlegt ja die Behauptung, dass nie was da sei. Sondern wenn ich mit der Bestandsdatenabfrage in diesem Deliktsbereich vorgehe und in 80 Prozent der Fälle schon jetzt etwas vorfinde, dann würde ich ja mit Quick Freeze diese Quote noch weiter erhöhen.
Geuther: Bleiben wir bei der liberalen Rechtspolitik, Herr Buschmann, zu der gehört klassischerweise, dass das Strafrecht ultima ratio sein soll. Ein Mittel also, dass nur angewendet werden sollen, wenn andere Mittel versagen. Jetzt denken Sie derzeit laut über höhere Strafen für Klimaaktivisten nach, die sich zum Beispiel in Museen an Kunstwerke kleben. Wie passt das zusammen?
Buschmann: Ja, das ist, glaube ich, ein Missverständnis. Mir geht es nicht um die klassische Diskussion, brauchen wir höhere Strafen für Tatbestände, die es schon gibt. Wir haben mit der Nötigung, mit der Sachbeschädigung und auch den Straftatbeständen der fahrlässigen Körperverletzung etwa, eigentlich Instrumente, die vieles von dem abdecken, was wir da auf der Straße erleben.
Geuther: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.
Buschmann: Auch das gibt es. Auch Behinderung von Rettungskräften. Also, es gibt eine ganze Reihe von Tatbeständen, die da zur Verfügung stehen, die wenden die Gerichte auch an. Und bei dem, was, sagen wir mal, auf der Straße von den, ich nennen sie jetzt mal Klimaklebern, passiert, da gibt es jetzt auch Urteile. Die fallen im Süden der Republik ein bisschen höher aus – in Stuttgart fängt man sich dann so 110 Tagessätze, in Berlin sind es dann eher 20. Aber damit können die Gerichte umgehen und da will ich auch gar nicht reinreden.
Mir geht es um was anderes. Mir geht es nicht um höhere Strafen für schon bestehende Tatbestände, sondern ich finde, dass, was da in den Museen stattfindet, das darf man nicht verharmlosen. Weil dieses Bewerfen von wirklich herausragenden Kunstschätzen mit Tomatensuppe, Kartoffelbrei, Öl und so weiter, das führt im Moment dazu, dass private Mäzene sich überlegen, ob sie öffentlichen Kunststammlungen noch ihre Werke zur Verfügung stellen können.
Das führt zu der Frage, ob öffentliche Museen ihre besten Stücke im Depot verbergen. Das führt zu der Frage, ob das knappe Geld – das wird ja nicht mehr werden, im Moment ist das Geld ja sehr knapp - in den Museen in Sicherheit statt in Kunst investiert werden kann. Und das ist ein Angriff auf ein Versprechen unseres sozialen Rechtsstaates, unseres Kulturstaates, nämlich dass wir auch normalen Menschen Zugang zu hochwertiger Kunst und Kultur ermöglichen.
Und wenn jetzt die Gerichte – ich bin sofort fertig, ein bisschen längerer Gedanke –, wenn jetzt die Gerichte sagen: Okay, wir können das erfassen als versuchte Sachbeschädigung, dann ist das in Ordnung, dann hat man eine Antwort des Rechtsstaates darauf.
Wenn die Gerichte sagen: Na ja, das ist vielleicht nur eine sogenannte bewusste Fahrlässigkeit gewesen und dann können wir keine Versuchsstrafbarkeit annehmen, Fahrlässige Sachbeschädigung gibt es auch nicht und die Antwort des Rechtsstaates wäre, das ist aus strafrechtlicher Sicht einfach gar nichts, dann finde ich, haben wir hier eine Lücke, weil dieses Versprechen unseres Kulturstaates, dass die Funktionsfähigkeit unserer Museen schon ein wertvolles Gut ist, und dann wäre ich bereit, eine Debatte darüber zu führen, ob man diese Lücke schließt.
„Habe meine Zweifel, ob das die richtige Lösung sein kann“
Geuther: Bayern löst das Problem präventiv, mit bis zu 30 Tagen Gewahrsam, vor einer möglichen Tat. Die Möglichkeiten mit sehr viel geringeren Tagen, um die es da geht, gibt es auch in anderen Ländern.
Buschmann: Ja, also, ich will jetzt gar nicht zu rechtssystematisch werden. Das ist tatsächlich was völlig anderes. Also, die Strafe ist immer eine Reaktion auf etwas, was schon vollendet wurde, also die Strafe schaut in die Vergangenheit. Das präventive Polizeirecht, für das der Bundesjustizminister gar nicht zuständig ist, ...
Geuther: Selbstverständlich.
Buschmann: ... das machen die Länder, das schaut immer in die Zukunft. Und jetzt kommen wir aber zu einem Problem. Wenn wir sagen, in Fällen, wo wir wissen, dass Leute beispielsweise eine Nötigung begangen haben und denen dann eine Geldstrafe von 20 oder 110 Tagessätzen verpassen, aber in Fällen, wo wir noch gar nicht wissen, ob die Leute es tun, wo wir es nur glauben, sie 30 Tage in eine Zelle stecken, das ist dann zwar präventiv und ist im technischen Sinne keine Strafe, aber wird von denen natürlich wie so etwas wie Freiheitsstrafe empfunden, da muss man sich natürlich die Frage stellen, ob das verhältnismäßig ist.
Und da will ich, da darf ich jetzt nicht zu scharf formulieren, weil da ja auch Gerichte eingebunden sind und der Bundesjustizminister ist ja auch nicht für Einzelfälle zuständig, aber ich habe so ein bisschen meine Zweifel, ob das die richtige Lösung sein kann, dass wir Leute härter rannehmen aus grundrechtlicher Sicht, die noch gar nichts getan haben, von denen wir nur glauben, dass sie etwas tun könnten, als Menschen, von denen wir wissen, dass sie es getan haben. Und das ist so ein bisschen das Problem, was ich da sehe.
Paragraph 130 des Strafgesetzbuches, die Volksverhetzung
Geuther: Im Deutschlandfunk hören Sie das Interview der Woche mit dem Bundesjustizminister. Herr Buschmann, eine weitere Strafrechtsverschärfung, die Sie auf den Weg gebracht haben, hat der Bundestag beschlossen. In der kommenden Woche ist der Bundesrat am Zug. Es geht um Paragraph 130 des Strafgesetzbuches, die Volksverhetzung.
Der Straftatbestand wird zum Teil konkreter gefasst, soweit es darum geht, dass Kriegsverbrechen gebilligt, geleugnet oder gröblich verharmlost werden. Das kann ja deutsche Strafgerichte durchaus breit betreffen, wenn man etwa an den Völkermord an den Armeniern denkt und hierlebende Türken und Armenier oder besonders jetzt Russen und Ukrainer und ihren Blick auf den Krieg.
Buschmann: Ja, dazu muss man eins sagen. Diese Sorge gibt es in der Öffentlichkeit immer wieder, aber sie ist eigentlich unbegründet. Denn dieser Tatbestand soll gar keine Verschärfung sein, sondern seit 2008 diskutieren wir mit der Europäischen Union und der Kommission darüber. Seit 2008 gibt es nämlich einen Rahmenbeschluss, der einen solchen Tatbestand von Deutschland verlangt. Und in der Vergangenheit haben wir immer wieder argumentiert, dass wir das im Prinzip mit unserem Strafrecht eigentlich schon erfasst haben.
Dann war die Kommission anderer Meinung. Und jetzt stand die Frage an: Riskieren wir ein Vertragsverletzungsverfahren? Und deshalb haben wir diese Präzisierung übernommen. Ich will nur so ein bisschen, um die Sorgen zu nehmen, Folgendes sagen: Dieser Tatbestand setzt immer voraus, dass man nicht nur einfach das irgendwie leugnet oder verharmlost, sondern das in einer Art und Weise tut, die den öffentlichen Frieden geeignet ist zu gefährden, also sprich das so macht, dass vielleicht Menschen – ich überspitze jetzt mal – zu Mistgabeln greifen, und dass es dann zu Unruhen und solchen Dingen kommt.
Das sind sehr, sehr hohe Hürden. Deshalb haben auch sehr renommierte Strafrechtler ja auch schon gesagt, also, das ist vielleicht ein bisschen ein Sturm im Wasserglas. Die Leute haben sich, glaube ich, ein bisschen mehr am Verfahren gestört, dass wir nicht noch mal eine separate erste Lesung gemacht haben. Ich habe daraufhin in meinem Hause auch gesagt, also, beim Strafrecht machen wir das jetzt nicht mehr über Formulierungshilfen, weil die Leute sich Sorgen machen, ob das dann angemessen sorgfältig beraten wird. Wir haben das sehr sorgfältig gemacht. Es ist auch im Wesentlichen nur eine Präzisierung als eine Veränderung. Da muss sich eigentlich niemand Sorgen machen.
Geuther: Lassen Sie uns bei diesem Punkt gleich mal bleiben. Es war ja so, dass diese – sei es jetzt Strafrechtsverschärfung, sei es Konkretisierung, an das Gesetzgebungsverfahren zum Bundeszentralregistergesetz angehängt wurde. Und das war nicht das einzige Mal, dass so ein Verfahren gewählt wurde. Es gab andere Beispiele, wie zum Beispiel die Midi-Jobgrenze für Rentner, die zur Energiepauschale angehängt wurde.
Es gab in ähnlicher Weise, wie hier im Fall der Volksverhetzung, Änderungen im Insolvenzrecht, die so angehängt wurden. Es gibt – und das ist ein anderer Punkt – auch Klagen von Verbänden, die immer wieder beklagen, dass es im Gesetzgebungsverfahren extrem kurze Stellungnahmefristen gibt. Nun haben wir unter anderem aus dem Corona-Kontext noch im Ohr, dass gerade die FDP die Beteiligung der Parlamente besonders ernst nimmt und die ihr besonders wichtig ist. Wie passt das zusammen?
Buschmann: Ja, also einmal – wie Sie richtig sagen – der Weg einer sogenannten Formulierungshilfe der Regierung an die regierungstragenden Parlamentsfraktionen ist ein Instrument, das immer wieder genutzt wird, wenn man etwas zügig erledigen möchte. In diesem Fall war es eben so: Die Kommission hat sehr energisch bei uns auf Umsetzung gedrungen. Und wir wollten schlichtweg ein Vertragsverletzungsverfahren vermeiden. Es ist aber nicht so, dass dieses Verfahren dem Parlament Rechte abschneidet, weil ja die Parlamentsfraktionen selber entscheiden können, ob sie das akzeptieren oder nicht. Und es wäre völlig in Ordnung gewesen, wenn die Parlamentsfraktionen gesagt hätten: Nein, das möchten wir in einem anderen Verfahren machen oder das möchten wir in der Sache auch nicht.
„Sturm im Wasserglas“
Geuther: Sie haben zu Zeiten der Opposition auch eben ganz besonders Wert gelegt auf die Einbindung der Opposition. Und Sie haben sich im Koalitionsvertrag auch gute Gesetzgebung vorgenommen. Sie sehen da also keine Defizite bei der Ampel?
Buschmann: Na ja, also, ich habe noch niemanden gehört, der jetzt sagt, das ist ein schlecht gemachter Tatbestand gewesen. Sondern es hat sich mehr so ein bisschen am Verfahren aufgehangen. Das nehme ich auch ernst. Das nehme ich auch ernst, aber die Sache selber, die Argumente, die ich da gehört habe, die überzeugen ja deshalb nicht, weil diese Hürde mit der den öffentlichen Frieden gefährdenden Art und Weise, sagen eigentlich diejenigen, die sich damit beschäftigen, ist ja eine so hohe Hürde, dass es praktisch eigentlich keine Auswirkungen gibt. Deshalb ist es vielleicht auch ein bisschen ein Sturm im Wasserglas gewesen.
Geuther: Ja, aber es kann ja schon mal Auswirkungen geben. Man kann sich das ja … also, wir haben eben von Russen und Ukrainern in Deutschland gesprochen. Es ist ja schon denkbar, dass im Rahmen von Demonstrationen der Fall mal auftauchen wird. Und da haben es jetzt den Gerichten schwerer gemacht, als das auch nach den EU-Vorgaben, die Sie angesprochen haben, nötig gewesen wäre. Das zumindest sagen Fachleute, die meinen, man hätte sagen können, man beschränke sich auf solche Taten, die ein internationales Gericht schon mal festgestellt hat. Und jetzt müsse möglicherweise ein kleines erstinstanzliches Strafgericht Beweis einholen über Kriegsverbrechen in der Ukraine.
Buschmann: Nein, das muss es allenfalls in zumutbarer Art und Weise, weil eine Grundregel unseres Rechtsstaates ja lautet: in dubio pro reo. Also, wenn der Staat seinen Strafanspruch behauptet, dann ist er in der Beweislast. Und, wenn das Gericht sagt, ich kann das gar nicht feststellen, dann wird das immer zugunsten des Angeklagten ausgehen. Also, wir müssen uns keine Sorgen machen, dass da Menschen jetzt damit rechnen müssten, ins Gefängnis zu wandern oder eine Geldstrafe zu bekommen, weil die Gerichte da nicht gut ermitteln. Das geht immer dann zugunsten des Angeklagten. Das ist auch ganz wichtig im Rechtsstaat. Deshalb glaube ich, dass wir da in Wahrheit keine Probleme bekommen werden.
Geuther: Mir ging es dabei auch eher um die Belastung der Gerichte. Aber bleiben wir trotzdem noch mal bei den Kriegsverbrechen in der Ukraine. Sie setzen sich ja sehr ein für die Verfolgung, auch mit deutscher Hilfe und möglicherweise auch in Deutschland. Sie sind deshalb nach Kiew gefahren, nach Washington. Sie haben Mittel für ein drittes Referat beim Generalbundesanwalt zugesagt, das sich unter andrem um Strukturermittlungsverfahren kümmert. Und gleichzeitig ist ja klar: Nur ein Bruchteil der Taten und der Täter wird einmal vor Gericht kommen. Warum ist das trotzdem so wichtig?
Buschmann: Schauen Sie, wenn Sie sich mit der Frage beschäftigen, was Kriegsverbrechen … das ist so ein Wort, das spricht man so einfach aus, was das konkret bedeutet. Das bedeutet, dass beispielsweise Russland gezielt Infrastruktur zerstört, Kraftwerke zerstört, und dass Menschen in der Ukraine möglicherweise in einem Winter bei minus 30 Grad ohne Strom, ohne Energieversorgung sind. Das wird unter Kranken, Alten, Kindern möglicherweise ein Massaker anrichten.
Und es muss der Anspruch der internationalen Rechtsgemeinschaft sein, dass wir da nicht wegschauen. Wir haben als Deutschland meiner Meinung nach da eine besondere historische Verantwortung. Das ist auch der Grund, warum wir das sogenannte Weltrechtsprinzip in unserem Strafrecht verankert haben. Und wir haben … das bedeutet eben, wir können auch Verfahren führen gegen nicht deutsche Täter, die nicht deutsche Opfer auch außerhalb Deutschlands mit Kriegsverbrechen geschädigt haben. Und wir haben das in der Vergangenheit immer wieder getan. Wir haben immer wieder bewiesen, dass es geht.
Und das ist ein wichtiges Signal. Das Signal ist nämlich, dass Kriegsverbrecher sich nirgendwo auf der Welt sicher fühlen können, erst recht nicht in Deutschland. Und das ist wirklich ein ganz wichtiges Signal. Da kriegen wir auch sehr viel Zuspruch auf der ganzen Welt. Und da gibt es sehr viel Respekt vieler NGOs, auch vor den großen Anstrengungen, die Deutschland da unternimmt. Und wie gesagt, ich bin der festen Überzeugung, das ist auch ein Stück Verantwortung aus unserer Geschichte, die wir dort übernehmen müssen.
Internationalen Strafgerichtshof stärken
Geuther: Und nun gibt es große Zweifel daran, aus verschiedenen Gründen, ob es möglich sein könnte, insbesondere die Spitze, das heißt vor allem eben auch Wladimir Putin, insbesondere vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Setzen Sie sich für ein Sondertribunal ein?
Buschmann: Also, zunächst einmal muss man sagen, nach unserem deutschen Strafecht, nachdem wir jetzt vor den Oberlandesgerichten beispielsweise Folterknechte von Assad oder so verurteilt haben, da können wir kein Ermittlungsverfahren gegen Wladimir Putin durchführen. Das ist aber nichts Besonderes, sondern den deutschen Strafverfolgungsbehörden ist es durch Recht verboten, aktive Staatsoberhäupter oder Außenminister … sozusagen gegen die strafrechtlich zu ermitteln.
Das ist ein Grundsatz. Dieser Grundsatz gilt für den Internationalen Strafgerichtshof nicht. Da gibt es aber andere Beschränkungen. Der Internationale Strafgerichtshof kann gegen Wladimir Putin vorgehen, wenn er nachweisen kann, oder wenn es Verdachtsmomente gibt, dass Wladimir Putin Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf den Weg gebracht hat.
Geuther: Aber nicht wegen des Angriffskrieges.
Buschmann: Genau. Und die Debatte, die im Moment geführt wird, da geht es um die Frage des Angriffskrieges, weil das dort nicht erfasst ist. Es gibt auch noch andere Modelle. Ich höre, dass im Moment auch darüber nachgedacht wird, ob die ukrainische Strafjustiz, die ja dieses „crime of aggression“, also diesen Angriffskrieg, unter Strafe gestellt hat, ob sie das auf ein internationales Gremium überträgt. Also, da gibt es sehr viele, auch rechtlich sehr komplizierte Diskussionen. Für die Bundesregierung ist im Moment eins wichtig: Wir haben im Moment den Eindruck, dass es sehr viel Skepsis gegenüber dem Strafgerichtshof gibt, insbesondere aus dem globalen Süden, weil sehr viele afrikanische Staaten sagen, also, wenn es um Kriegsverbrechen in Afrika ging, dann ist der Internationale Strafgerichtshof gut genug. Und sobald es bei euch in Europa zu solchen Fällen kommt, wollt ihr was Besonderes haben. Und das erhöht natürlich die Skepsis. Und wir wollen unbedingt den Internationalen Strafgerichtshof stärken, weil das wirkliche eine Errungenschaft ist. Und wie wir diese Dinge zusammenbringen können, den Internationalen Gerichtshof einerseits zu stärken, aber auch dafür zu sorgen, dass es natürlich ein großes Bedürfnis gibt, auch die Kriegsverbrechen, die von der russischen Führung möglicherweise – ich muss das so vorsichtig formulieren, weil wir ja auch im Strafrecht den Grundsatz haben, dass bis zur Verurteilung niemand schuldig ist. Das gilt auch für Kriegsverbrechen. Dass wir natürlich das Bedürfnis haben, dass da alle Verantwortlichen auch einer Strafe zugeführt werden, das kann ich sehr gut verstehen. Und im Moment versuchen wir, so viel wie möglich mit dem Internationalen Strafgerichtshof zu erledigen.
Geuther: Wie geht es in dieser Frage weiter?
Buschmann: Ja, also, wir sprechen im Moment auch mit der Europäischen Kommission darüber. Es wird sehr viel auch in Washington, im Umfeld der Vereinten Nationen darüber diskutiert. Und wir haben unseren Standpunkt klargemacht. Vielleicht könnte ja diese Übertragung der ukrainischen Strafjustiz auf ein internationales Richterkollegium ein Kompromissvorschlag sein. Das ist jetzt nicht die offizielle Haltung der Bundesregierung, aber man muss ja mal auch über Wege nachdenken. Darüber muss man mit allen Beteiligten sprechen. Mir ist aber eins wichtig: Wir wollen den Internationalen Strafgerichtshof stärken. Er hat eine wichtige Position. Wir unterstützen den Chefankläger dort auch mit Geld, mit Personal. Und die Botschaft darf keinesfalls sein, dass der ICC, der Internationale Strafgerichtshof, da so an die Seite gedrängt würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.