Christiane Kaess: Vor drei Jahren, als die ersten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bekannt wurden, trat dies eine ganze Welle an Reaktionen los. Immer mehr Opfer kamen mit ihren Berichten an die Öffentlichkeit, der Image-Schaden für die Kirche war enorm. Als Reaktion wurde unter anderem im vergangenen Jahr ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das für Aufklärung und Transparenz sorgen sollte: in einer Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, kurz KFN. Diese breit angelegte Untersuchung ist nun gescheitert. Die Kirche hat den Vertrag mit dem KFN gekündigt, spricht von Vertrauensbruch. Das KFN und dessen Leiter Christian Pfeiffer wirft umgekehrt der Kirche vor, diese habe verlangt, die wissenschaftliche Arbeit zu zensieren. – Vor der Sendung habe ich mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP gesprochen. Sie nahm selbst am Runden Tisch Sexueller Missbrauch der Bundesregierung teil, der nach Hilfe für die Opfer suchte. Ich habe sie zuerst gefragt, ob sich die katholische Kirche nicht traut, die Missbrauchsfälle restlos aufzuklären.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hatte den Eindruck, als wir begonnen haben, uns am Runden Tisch mit den Missbrauchsfällen zu befassen im Jahre 2010, dass die Kirche wirklich aufarbeiten wollte. Sie haben da auch sich sehr eingebracht. Jetzt scheint, diese unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung so wie eigentlich beabsichtigt nicht mehr vonseiten der Kirche durchsetzbar zu sein. Das ist schade, denn es erweckt doch den Eindruck, als wolle man doch letztendlich nicht alles unabhängig aufklären lassen.
Kaess: Wo ist da was schief gelaufen?
Leutheusser-Schnarrenberger: An den Vertragsbeziehungen zwischen Kirche und dem Kriminologischen Forschungsinstitut von Herrn Pfeiffer sind wir natürlich als Bundesregierung/Ministerium in keiner Weise beteiligt, auch nicht Vertragspartner. Aber es ist doch der Eindruck entstanden, dass im Zusammenhang mit Umgang von gewonnenen Erkenntnissen, auch mit dem Umgang von Daten, von personenbezogenen Informationen aus Akten heraus, man am Ende sich jetzt getrennt hat im Streit, im tiefen Streit getrennt hat, und das zeigt doch, dass möglicherweise – so ist der Eindruck im Moment – die Kirche am Ende die Hand darauf haben wollte, darauf, was soll wirklich veröffentlicht werden und was nicht an Erkenntnissen, die gewonnen werden.
Kaess: Auf der anderen Seite wirft der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, Herrn Pfeiffer mangelnde Seriosität vor und spricht von einem völlig desolaten und ruinierten Vertrauensverhältnis. Wie soll man denn auf so einer Basis noch zusammenarbeiten können?
Leutheusser-Schnarrenberger: Anscheinend ist jetzt eine Zusammenarbeit wohl, wenn solche Bewertungen abgegeben werden – das ist ja immer die subjektive Wahrnehmung von der einzelnen Seite -, kaum möglich. Ich kann nur sagen, dass das Kriminologische Forschungsinstitut in Hannover mit Professor Pfeiffer eine der ersten Adressen ist für wissenschaftliche Untersuchungen.
Kaess: Also Sie können sich nicht vorstellen, dass da unseriös gearbeitet wurde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein! Ich habe gute Erfahrungen mit dem Institut gemacht, über viele Jahre, auch schon in meiner ersten Amtszeit als Bundesjustizministerin. So lange gibt es ja das Institut, wahrscheinlich sogar noch viel länger. Und da hat Herr Pfeiffer immer auch sehr intensiv gearbeitet aufgrund der Aufträge, die er bekommt, und auch Ergebnisse vorgelegt, die dann wiederum Anstoß für Gesetzgebung oder anderes waren. Also ich kann nur sagen, er gehört wirklich mit zu den ersten Adressen in Deutschland.
Kaess: Zum Vorwurf der Zensur sagt die katholische Kirche, es sei nie um eine inhaltliche Zensur gegangen. Vertraglich sei lediglich vereinbart worden, dass Herr Pfeiffer vor Auftritten oder Beiträgen in den Medien Rücksprache mit der katholischen Kirche hält. Ist denn so eine Rückversicherung angebracht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht natürlich um die Vertragsgestaltung, die ja ursprünglich, wenn man so die öffentlich zugänglichen Informationen sich ansieht, eine gewisse ständige Information und Rückkoppelung mit der Kirche vorsah. Aber – und ich kann jetzt nur aus meiner Erfahrung aktuell in einem anderen Thema sprechen – wenn es um unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung geht, dann, denke ich, ist am Ende natürlich immer mit Beachtung des Datenschutzes dann auch derjenige, der diese Aufarbeitung vornimmt mit seinen Leuten, auch verantwortlich für ein auch seriös ermitteltes Ergebnis, und da anscheinend kommt man jetzt nicht zusammen. Wir lassen aufarbeiten die NS-Geschichte im Bundesministerium der Justiz von unabhängigen Forschern und natürlich mischen wir uns da nicht in deren Arbeit ein. Dass die den Datenschutz beachten müssen, ist klar.
Kaess: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben gerade schon kurz das Stichwort gesagt: Sicherung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Da argumentiert die katholische Kirche, dass es ihr ausschließlich um diese gehe. Können Sie das aus rechtlicher Sicht nachvollziehen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann das nicht nachvollziehen, denn es hat schon viele wissenschaftliche Aufarbeitungen auch immer mit dem Auftrag gegeben zu sehen, wo es geheimhaltungsnotwendige Dinge gibt, das auch entsprechend zu achten, wenn es um Persönlichkeitsrechte und um Datenschutz geht.
Kaess: Aber daraus interpretiere ich, es könnte tatsächlich zu einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte in diesem Zusammenhang kommen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, denn das ist ja gerade vertraglicherseits zu regeln, dass die Persönlichkeitsrechte und der Datenschutz zu achten sind, und daran muss sich auch jeder Forscher halten. Und wenn das das Grundproblem ist und nicht lösbar durch Einhaltung der geltenden Bestimmungen, dann hätte man ja überhaupt keinen Auftrag vergeben dürfen.
Kaess: Also Sie halten die Sorgen vonseiten der katholischen Kirche in diesem Zusammenhang völlig unberechtigt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann sie nicht nachvollziehen. Dann dürfte es ja in vielen Bereichen keine wissenschaftliche Aufarbeitung geben.
Kaess: Was wäre so schlimm daran, wenn das Projekt mit einem anderen Partner fortgesetzt werden würde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist allein in der Hand der katholischen Kirche. Es geht ja auch darum, wenn man jetzt die Reaktion auch aus der Kirche selbst heraus mitnimmt, dass es um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Kirche geht, auch gerade der Gläubigen, und deshalb muss der Maßstab eigentlich nur sein, es muss wissenschaftlich unabhängig aufgearbeitet werden, denn es geht ja um die Ursachen, um die Strukturen, gibt es besondere Strukturen, die möglicherweise sexuellen Missbrauch begünstigen könnten, in der katholischen Kirche, und im Hinblick damit auch auf Prävention für die Zukunft. Und von daher, wenn die Kriterien eingehalten werden, muss die katholische Kirche selbst entscheiden, wie sie mit der weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung umgeht.
Kaess: Halten Sie es für sinnvoll, dass Herr Pfeiffer mit seiner Forschung unabhängig von der Kirche weitermachen will?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann nicht beurteilen, was für Informationen, was für einen Sachstand er jetzt schon hat, ob das aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse möglich ist und wie sich das mit dem jetzt ja anscheinend gekündigten Vertrag oder nicht mehr vollziehenden Vertrag vereinbaren lässt. Ich kann nur sagen, dass davon abgesehen eigentlich alles wichtig ist, was mehr Licht hineinbringt in die Tatsache, wie konnte über Jahrzehnte hinweg es sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche geben, ohne dass irgendetwas nach außen drang und ja auch viele Familienangehörigen und Eltern nichts erfahren haben.
Kaess: ... , sagt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Danke für das Gespräch!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hatte den Eindruck, als wir begonnen haben, uns am Runden Tisch mit den Missbrauchsfällen zu befassen im Jahre 2010, dass die Kirche wirklich aufarbeiten wollte. Sie haben da auch sich sehr eingebracht. Jetzt scheint, diese unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung so wie eigentlich beabsichtigt nicht mehr vonseiten der Kirche durchsetzbar zu sein. Das ist schade, denn es erweckt doch den Eindruck, als wolle man doch letztendlich nicht alles unabhängig aufklären lassen.
Kaess: Wo ist da was schief gelaufen?
Leutheusser-Schnarrenberger: An den Vertragsbeziehungen zwischen Kirche und dem Kriminologischen Forschungsinstitut von Herrn Pfeiffer sind wir natürlich als Bundesregierung/Ministerium in keiner Weise beteiligt, auch nicht Vertragspartner. Aber es ist doch der Eindruck entstanden, dass im Zusammenhang mit Umgang von gewonnenen Erkenntnissen, auch mit dem Umgang von Daten, von personenbezogenen Informationen aus Akten heraus, man am Ende sich jetzt getrennt hat im Streit, im tiefen Streit getrennt hat, und das zeigt doch, dass möglicherweise – so ist der Eindruck im Moment – die Kirche am Ende die Hand darauf haben wollte, darauf, was soll wirklich veröffentlicht werden und was nicht an Erkenntnissen, die gewonnen werden.
Kaess: Auf der anderen Seite wirft der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, Herrn Pfeiffer mangelnde Seriosität vor und spricht von einem völlig desolaten und ruinierten Vertrauensverhältnis. Wie soll man denn auf so einer Basis noch zusammenarbeiten können?
Leutheusser-Schnarrenberger: Anscheinend ist jetzt eine Zusammenarbeit wohl, wenn solche Bewertungen abgegeben werden – das ist ja immer die subjektive Wahrnehmung von der einzelnen Seite -, kaum möglich. Ich kann nur sagen, dass das Kriminologische Forschungsinstitut in Hannover mit Professor Pfeiffer eine der ersten Adressen ist für wissenschaftliche Untersuchungen.
Kaess: Also Sie können sich nicht vorstellen, dass da unseriös gearbeitet wurde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein! Ich habe gute Erfahrungen mit dem Institut gemacht, über viele Jahre, auch schon in meiner ersten Amtszeit als Bundesjustizministerin. So lange gibt es ja das Institut, wahrscheinlich sogar noch viel länger. Und da hat Herr Pfeiffer immer auch sehr intensiv gearbeitet aufgrund der Aufträge, die er bekommt, und auch Ergebnisse vorgelegt, die dann wiederum Anstoß für Gesetzgebung oder anderes waren. Also ich kann nur sagen, er gehört wirklich mit zu den ersten Adressen in Deutschland.
Kaess: Zum Vorwurf der Zensur sagt die katholische Kirche, es sei nie um eine inhaltliche Zensur gegangen. Vertraglich sei lediglich vereinbart worden, dass Herr Pfeiffer vor Auftritten oder Beiträgen in den Medien Rücksprache mit der katholischen Kirche hält. Ist denn so eine Rückversicherung angebracht?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht natürlich um die Vertragsgestaltung, die ja ursprünglich, wenn man so die öffentlich zugänglichen Informationen sich ansieht, eine gewisse ständige Information und Rückkoppelung mit der Kirche vorsah. Aber – und ich kann jetzt nur aus meiner Erfahrung aktuell in einem anderen Thema sprechen – wenn es um unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung geht, dann, denke ich, ist am Ende natürlich immer mit Beachtung des Datenschutzes dann auch derjenige, der diese Aufarbeitung vornimmt mit seinen Leuten, auch verantwortlich für ein auch seriös ermitteltes Ergebnis, und da anscheinend kommt man jetzt nicht zusammen. Wir lassen aufarbeiten die NS-Geschichte im Bundesministerium der Justiz von unabhängigen Forschern und natürlich mischen wir uns da nicht in deren Arbeit ein. Dass die den Datenschutz beachten müssen, ist klar.
Kaess: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben gerade schon kurz das Stichwort gesagt: Sicherung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Da argumentiert die katholische Kirche, dass es ihr ausschließlich um diese gehe. Können Sie das aus rechtlicher Sicht nachvollziehen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann das nicht nachvollziehen, denn es hat schon viele wissenschaftliche Aufarbeitungen auch immer mit dem Auftrag gegeben zu sehen, wo es geheimhaltungsnotwendige Dinge gibt, das auch entsprechend zu achten, wenn es um Persönlichkeitsrechte und um Datenschutz geht.
Kaess: Aber daraus interpretiere ich, es könnte tatsächlich zu einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte in diesem Zusammenhang kommen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, denn das ist ja gerade vertraglicherseits zu regeln, dass die Persönlichkeitsrechte und der Datenschutz zu achten sind, und daran muss sich auch jeder Forscher halten. Und wenn das das Grundproblem ist und nicht lösbar durch Einhaltung der geltenden Bestimmungen, dann hätte man ja überhaupt keinen Auftrag vergeben dürfen.
Kaess: Also Sie halten die Sorgen vonseiten der katholischen Kirche in diesem Zusammenhang völlig unberechtigt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann sie nicht nachvollziehen. Dann dürfte es ja in vielen Bereichen keine wissenschaftliche Aufarbeitung geben.
Kaess: Was wäre so schlimm daran, wenn das Projekt mit einem anderen Partner fortgesetzt werden würde?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist allein in der Hand der katholischen Kirche. Es geht ja auch darum, wenn man jetzt die Reaktion auch aus der Kirche selbst heraus mitnimmt, dass es um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Kirche geht, auch gerade der Gläubigen, und deshalb muss der Maßstab eigentlich nur sein, es muss wissenschaftlich unabhängig aufgearbeitet werden, denn es geht ja um die Ursachen, um die Strukturen, gibt es besondere Strukturen, die möglicherweise sexuellen Missbrauch begünstigen könnten, in der katholischen Kirche, und im Hinblick damit auch auf Prävention für die Zukunft. Und von daher, wenn die Kriterien eingehalten werden, muss die katholische Kirche selbst entscheiden, wie sie mit der weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung umgeht.
Kaess: Halten Sie es für sinnvoll, dass Herr Pfeiffer mit seiner Forschung unabhängig von der Kirche weitermachen will?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann nicht beurteilen, was für Informationen, was für einen Sachstand er jetzt schon hat, ob das aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse möglich ist und wie sich das mit dem jetzt ja anscheinend gekündigten Vertrag oder nicht mehr vollziehenden Vertrag vereinbaren lässt. Ich kann nur sagen, dass davon abgesehen eigentlich alles wichtig ist, was mehr Licht hineinbringt in die Tatsache, wie konnte über Jahrzehnte hinweg es sexuellen Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche geben, ohne dass irgendetwas nach außen drang und ja auch viele Familienangehörigen und Eltern nichts erfahren haben.
Kaess: ... , sagt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. Danke für das Gespräch!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bedanke mich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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