Die EU-Staaten haben sich auf eine Reform der Agrarpolitik verständigt. Nach fast zweitägigen Verhandlungen einigten sich die zuständigen Minister der Mitgliedstaaten am Mittwochmorgen (21.10.2020) in Luxemburg auf einen Kompromissvorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Der Kompromiss der EU-Minister sieht unter anderem vor, dass EU-Staaten 20 Prozent der Direktzahlungen an die Landwirte für Öko-Regelungen reservieren müssen. Das sind Umweltvorgaben, die über die verpflichtenden Anforderungen hinausgehen. Erfüllt ein Landwirt sie, bekommt er zusätzliches Geld. Mehrere Staaten hatten eine verpflichtende Einführung jedoch abgelehnt. Deshalb ist nun eine zweijährige Lernphase vorgesehen.
Klöckner: Systemwechsel bei EU-Subventionen
Die Verhandlungen unter Leitung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatten am Montagmorgen begonnen. "Es war eine schwere Geburt", sagte Klöckner im Dlf. 27 Staaten mit unterschiedlichen Landwirtschaften hätten einen Konsens finden müssen.
Der gefundene Konpromissvorschlag läute einen Systemwechsel ein, so Klöckner. EU-Subventionen würden nicht mehr nur von der Fläche der Landwirtschaftsbetriebe abhängen, sondern Umwelt- und Klimaschutz sowie Tierwohl einbeziehen. Der Kompromiss sichere außerdem die Ernährungsversorgung für die 450 Millionen EU-Bürger - ein Thema, das häufig unter den Tisch falle, so Klöckner.
Europaparlament will mehr Dirktzahlungen an Ökostandards binden
Auch das Europaparlament verständigte sich auf zentrale Punkte der Reform. Das Parlament möchte unter anderem mindestens 30 Prozent der Direktzahlungen für Öko-Regelungen reservieren, also zehn prozent mehr als die Minister.
Seit 2018 hatte die EU über eine Reform der gemeinsamen Agrarpolitik beraten. Der Landwirtschafts-Etat ist der größte Posten im EU-Haushalt.
Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Die Meldung kam so ungefähr nach 20 Minuten nach vier, dass Sie sich geeinigt haben, wie knapp war es denn?
Julia Klöckner: Es war eine schwere Geburt, muss ich ganz klar sagen. Am Nachmittag sah es noch so aus, dass die Einigung in weite Ferne gerückt ist, aber ich bin wirklich froh, dass es uns gelungen ist, mit meinem Vorschlag auch Europa zu einen in der Frage, wie wir auf der einen Seite Ernährung sichern, die Einkommen auch stützen von Landwirten, aber auf der anderen Seite einen Systemwechsel auch starten und einläuten. Das ist ein Meilenstein, und es war schwer. Warum? Weil wir 27 Mitgliedsstaaten haben, und die Minister, die diese Staaten vertreten, die Agrarminister, haben natürlich so unterschiedliche Interessen, weil ihre Landwirtschaften auch so unterschiedlich sind.
Kein "weiter so"
Schulz: Sie sprechen von einem Systemwechsel, jetzt waren Ihre Vorschläge und Ihre Idee für einen Kompromiss, die lagen ja schon länger auf dem Tisch, und Kritiker sprechen eher von einem "weiter so".
Klöckner: Ja, wer so was sagt, der ist nicht im Thema, muss ich jetzt ganz offen sagen. Das ist so schnell, so lapidar hingesagt, ein "Weiter so", das ist alles andere als ein "Weiter so". Für Deutschland heißt das zum Beispiel, dass wir eine Milliarde Euro jetzt nutzen werden und auch müssen am Ende, sonst verlieren wir Geld, für Ökoregelungen, für Bioregelungen. Es wird darum gehen – und das ist wirklich ein Systemwechsel, wie wir ihn noch nie hatten –, dass es Bedingungen gibt für Geldzahlungen aus Brüssel. Diese Bedingungen sind Allgemeinwohl-orientiert, also mehr Umweltschutz, mehr Klimaschutz. Uns ist es auch gelungen, das Thema Tierwohl aufzunehmen, dass wir hier viel stärker an allgemeine Kriterien orientiert die Geldzahlungen auch knüpfen. Wer da sagt, das ist ein "weiter so", der ist, glaube ich, ein bisschen in einem Standbild festgefahren oder ist auch ideologisch motiviert.
Schulz: Nennen Sie uns ein Beispiel, was künftig gefördert werden kann, was vorher nicht möglich war!
Klöckner: Wir müssen auch immer unterscheiden, die europäische Agrarpolitik ist etwas komplex, zwischen der ersten und der zweiten Säule. Bei der zweiten Säule, da gingen vorher schon Umweltmaßnahmen, die gefördert worden sind. Bei der ersten Säule ist es so gewesen, dass das die Direktzahlungen waren, die an die Ackerfläche geknüpft werden. Jetzt ist es so, dass davon mindestens 20 Prozent – und das hatte noch nicht mal die Kommission vorgeschlagen – Ökoregeln sein müssen, sei es zum Beispiel, wenn es um die Biodiversität geht, um Flächen, die nicht produktiv sind, die zwar einem Landwirt gehören, aber worauf er dann nichts produziert, also auch keine Einnahmen hat, dass die quasi nicht bewirtschaftet werden, damit dort zum Beispiel Biodiversität stärker entsteht. Oder Gewässerrandstreifen, mehr Abstand dazu, oder andere Fruchtfolgen, Fruchtfolgen, die vielleicht für das Betriebsergebnis des Landwirts nicht so ertragreich sind oder weniger Ertrag bringen, aber für den Umwelt- oder den Klimaschutz besser sind, weil sie mehr CO2 zum Beispiel binden.
"Das wird jetzt unbequemer in einer gewissen Weise"
Schulz: Und das, was jetzt neu ist an dieser Regelung, ist, dass wir in dieser ersten Säule, von der wir sprechen, in der es bisher diese ökologische Bindung ja nicht gab, da gibt es die jetzt zu 20 Prozent, aber der Grundpfeiler, den es ja gibt und an dem es auch die viele Kritik gibt, nämlich die pauschale Flächensubvention, die bleibt ja zu 80 Prozent erhalten. Inwiefern ist das ein Systemwechsel, wenn von 100 Euro 80 Euro genau nach dem gleichen Prinzip, nämlich nach dieser Flächensubvention, die sich null darum kümmert, was mit dem Land gemacht wird, wenn das so fließt?
Klöckner: So kann man das ja gar nicht sagen, Landwirtschaft hat sich ja schon immer verändert. Das heißt, die Auflagen innerhalb der Europäischen Union, was zum Beispiel die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln anbelangt, also welche nicht mehr genutzt werden dürfen zum Beispiel, oder wie gedüngt wird, diese Fragestellungen, die beziehen sich übrigens dann auch auf die anderen 80 Prozent, das gehört ja immer dazu. Das heißt ja nicht, jeder kann plötzlich auf seinem Feld machen, als gäbe es kein Morgen. Da haben wir ja die höchsten Standards in der EU weltweit, das muss man ja ganz deutlich sagen. Und jetzt haben wir versucht, auch etwas zu verzahnen, zum Beispiel die sogenannte Farm-to-Fork-Strategie. Da geht es um die gesamte Ernährungsmittelkette oder -erzeugung vom Stall auf den Tisch. Da ist es uns so wichtig, dass wir vor allen Dingen unabhängiger werden von Drittlandimporten. Also wir müssen 450 Millionen Menschen ernähren, es geht ja nicht nur drum, dass wir Landschaft pflegen, sondern auch Menschen ernähren, und das jetzt zusammenzukriegen, das ist ein Systemwechsel, kann ich Ihnen sagen, denn ansonsten hätten wir nie so lange gerungen. Natürlich haben jetzt Mitgliedsstaaten und deren Landwirte – das wird jetzt unbequemer in einer gewissen Weise.
Schulz: Sie sprechen jetzt viele Themen auf einmal an. Sie sagen, es gebe die höchsten Standards weltweit, aber wir sprechen im Moment in Europa und auch in Deutschland ja über eine Landwirtschaft, die mit den Vorgaben, die sich Europa gesetzt hat für den Klimaschutz, nicht vereinbar ist. Wir sprechen über eine Landwirtschaft, die mit den Vorgaben, die sich mit den Zielen, die sich Europa gesetzt hat in Sachen Artenvielfalt, nicht vereinbar ist, und wir sprechen über eine Landwirtschaft, die in Deutschland unheimlich viele Höfe, kleinere Betriebe zum Aufgeben gezwungen hat. Inwiefern ist das ein Status quo, den man da jetzt als hohen Standard loben sollte?
Klöckner: Nein, Sie werfen jetzt etwas zusammen, was, glaube ich, nicht so ganz statthaft ist, dass Sie sagen, dass viele kleine Höfe aufgeben wegen der Landwirtschaftspolitik. Wir müssen uns fragen, warum geben kleine Höfe heute auf.
"Wir wollen, dass wir regionale, heimische Landwirtschaft haben"
Schulz: Weil die großen viel Geld kriegen.
Klöckner: Na ja, gut, das ist jetzt sehr, sehr, sehr, sehr pauschal. Ich glaube, beim Deutschlandfunk sollten wir uns schon ein bisschen in die Details reinbegeben.
Schulz: Wie würden Sie es differenzierter sagen, sodass es auch die Bauern und Landwirte und Landwirtinnen verstehen, die vielleicht in den letzten Jahren aufgeben mussten?
Klöckner: Es liegt doch nicht daran, dass ein anderer Hof Geld bekommt, sondern es liegt daran, ob die kleinen Höfe auch Auflagen, die wir machen und die wir machen müssen – auch wegen des Umweltschutzes, auch wegen des Verbraucherschutzes, nur mal ein Beispiel –, dass wir in der EU einen hohen Standard haben, wenn es jetzt um das Grundwasser geht. Sie wissen, wir haben die Nitratrichtlinie überarbeitet, dass weniger Nitrat ins Grundwasser kommt. Das heißt, man darf weniger düngen auf dem Feld und hat auch weniger Einnahmen.
Schulz: Ja, weil Brüssel Deutschland da auf die Finger schaut, intensiv.
!!Klöckner:! Na ja, aber das sind ja hohe Standards, die wir haben, und das ist ja auch richtig, das ist einer der Gründe. Aber wenn wir jetzt noch mal reingehen: Wir machen uns auf den Weg zu etwas hin, was Landwirte ja auch schaffen müssen in der Umstellung. Das heißt, wir haben zum Beispiel bei den kleinen Betrieben jetzt ganz stark drauf geachtet, dass die ersten Hektare viel mehr zum Beispiel gefördert werden, dass Junglandwirte mehr gefördert werden. Wir haben darauf geachtet, dass kleine Höfe nicht die großen bürokratischen Auflagen haben, die die großen zum Beispiel stemmen können. All diese Dinge, da haben wir Wert drauf gelegt, weil wir wollen, dass wir regionale, heimische Landwirtschaft haben und nicht eine Großkonzentration.
Schulz: Auf das Thema Artenvielfalt würde ich mit Ihnen gerne noch schauen, da hat sich die EU-Kommission ja das Ziel gesetzt, bis 2030 den Einsatz von Pestiziden zu halbieren. Da hat Ihre Runde, also die Runde der Ministerinnen und Minister, die jetzt getagt hat, die haben gesagt, ja, wir nehmen das zur Kenntnis. Ist dieses "wir nehmen das zur Kenntnis" ein verklausuliertes "da machen wir jetzt aber erst mal nichts"?
Klöckner: Nein, im Gegenteil. Zum einen ist es ja so, wir müssen immer unterscheiden zwischen Rechtsakten, Gesetzesvorgängen und dem, was eine EU-Kommission beschreibt, wo sie hin will. In der gemeinsamen Agrarpolitik, das heißt in den ganz konkreten Vorschlägen, hat die Kommission ja nicht vorgeschlagen minus 50 Prozent – das hätte sie ganz konkret auch nicht machen können, weil sie erst eine Folgenabschätzung braucht, und das hat sie …
"Wir als deutsche Ratspräsidentschaft sind schon über die Kommission hinausgegangen"
Schulz: Das ist das Ziel der Strategie, die Sie ja auch gerade zitiert haben, Farm to Fork.
Klöckner: Genau, und das hat sie uns natürlich auch zugestanden, auch bei den Nachfragen musste die Kommission eingestehen, dass das ein Wunsch ist, minus 50 Prozent hinzubekommen, aber konkret muss man werden. Es gibt Mitgliedsstaaten, die haben bereits sehr viel Pflanzenschutzmittel reduziert. Wir machen das in Deutschland zum Beispiel, indem wir durch Präzisionslandwirtschaft, durch Alternativen, durch mechanische Bearbeitung Schritt für Schritt Pflanzenschutzmittel reduzieren. Die EU-Kommission hat klar auch erkannt, ja, so pauschal kann man das gar nicht fordern. Wenn wir zum Beispiel Schädlinge haben wie die Kirschessigfliege, wo zum Beispiel ganze Ernten dahingerafft werden und Ressourcen verschwendet werden, da muss man noch Schädlinge bekämpfen können. Deshalb sagt die Kommission, ja, es ist gut, wenn wir reduzieren können, aber dort, wo Schädlinge sind, müssen wir ja Ernten noch retten können, und wir wollen es konkretisieren. Das ist das Ergebnis gewesen, und da sind wir uns auch einig mit der Kommission.
Schulz: Sie haben jetzt viele Stunden gerungen in diesem Ministerrat und haben sich geeinigt in dieser ersten Säule eben auf diese 20 Prozent Ökovorgaben, wir wissen aber jetzt schon, dass das Europäische Parlament sehr wahrscheinlich mehr will, mindestens 30 Prozent. Wie kommen Sie da zusammen?
Klöckner: Ja, da müssen wir verhandeln miteinander, das ist ja ein Gesamtpaket. Wir haben ja nicht so lange gerungen, weil wir jetzt bei einer Zahl uns nicht einig geworden sind als Agrarminister, sondern weil die gemeinsame Agrarpolitik ein ganz großes Paket ist, in dem viele einzelne Punkte auch vorhanden sind. Man muss auch sagen, bei der Zahl, da tut sich ein Parlament auch leichter als jetzt Agrarminister, die sich mit der konkreten Umsetzung beschäftigen bei ihren Landwirten. Da ist dann die Fantasie auch irgendwann etwas eingeschränkter, wenn die Konkretheit kommt. Das heißt …
Schulz: Lassen Sie mich noch diese Nachfrage stellen: Sie müssen verhandeln, das heißt, da ist noch Luft nach oben, und der klassische Kompromiss sind dann 25 Prozent.
"Es geht um unser aller Ernährungssicherung"
Klöckner: Wenn das so einfach und schlicht wäre, müsste man nicht so viele Stunden zusammensitzen. Wir gehen ja in einen Trilog, und Trilog heißt, einmal ist der Agrarrat, den wir vertreten, dabei, dann ist das Parlament dabei und die Kommission ist dabei. Sie müssen sehen, die Kommission hatte weder ein Mindestbudget vorgeschlagen, noch hatte die Kommission eine feste Zahl vorgeschlagen. Das heißt, wir als deutsche Ratspräsidentschaft sind schon über die Kommission hinausgegangen, und jetzt wird es ein Gesamtpaket werden, und das müssen wir uns dann anschauen.
Schulz: Ja, aber es kommen ja aus dem Parlament die Stimmen, die sagen, das reicht alles überhaupt nicht, schon diese 30 Prozent, die waren ja ein Kompromiss, mit dem viele auch im Europäischen Parlament nicht einverstanden sind, weil es um die großen Themen geht – Klimaschutz, Naturschutz. Warum glauben Sie, dass das EP sich da runterverhandeln wird lassen?
Klöckner: Erst mal geht es um noch ein weiteres großes Thema, das irgendwie immer unter den Tisch fällt: Es geht um unser aller Ernährungssicherung. Landwirte müssen dafür sorgen, dass wir unser Essen auf dem Tisch haben, und das ist genauso wichtig, das müssen wir in einen Einklang bringen, denn es bringt wenig, wenn Betriebe aufhören und wir die Nahrungsmittel importieren, dann ist unser CO2-Fußabdruck auch nicht besser. Und noch einmal: Wir brauchen ein ganzes Paket, um dann miteinander weiterzukommen, aber da bin ich sehr zuversichtlich.
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