Seit über zwei Jahren besitzt Aaron W. keine Fahrerlaubnis. Der Anhänger von Rot-Weiß Oberhausen ist einer von vier Fußballfans, die 2017 wegen angeblicher Verfehlungen im Fußballstadion erstmals hierzulande ihren Führerschein abgeben mussten:
"Nur aufgrund meiner Situation, dass ich einen sehr kurzen Arbeitsweg habe und in einer verhältnismäßigen Großstadt wohne und alle anderen Wege mit dem öffentlichen Nahverkehr machen kann, haben sich die Einschränkungen zum Glück im Rahmen gehalten. Aber natürlich stellt der Führerscheinentzug einen erheblichen Eingriff in mein Privatleben dar."
Nur eine erfolgreich absolvierte Medizinisch-Psychologische Untersuchung MPU hätte ihn noch vor dem Verlust seiner Fahrerlaubnis bewahren können. Doch den umgangssprachlich als "Idiotentest" bekannten Test bestand er nicht.
"Eine Vollkatastrophe"
Im Vorfeld dieser Maßnahme ist er wegen versuchter Körperverletzung und Abbrennen von Pyrotechnik jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Damit gilt er nicht als vorbestraft, zumal diese Ereignisse schon Jahre zurückgelegen haben. Auch deshalb hat er sich vor Gericht gegen die MPU gewehrt.
In der Verhandlung hat die Richterin schnell klargestellt, dass es ihr schon ausreiche, wenn konkrete Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotenzial durch die Polizei vorlägen. Da schon mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet wurden, sei dies bei ihm gegeben. Selbst wenn diese nicht zu einer Verurteilung geführt hätten. Noch heute ärgert ihn diese Einschätzung:
"Sehr vorsichtig formuliert finde ich es damals genauso wie heute eine Vollkatastrophe, dass alleine eine Einschätzung der Polizei über meine Person ausreicht, um so einen gravierenden Einschnitt in mein Privatleben zu rechtfertigen, und dass rechtliche Schritte nichts dagegen ausrichten konnten."
"Charakterliche Ungeeignetheit"
Die Innenministerkonferenz hat diese Maßnahme als Strafe für alle Fußballfans diskutiert. So ließ NRW-Innenminister Herbert Reul verlauten, dass manchen Möchtegern-Rambo aus dem Fanblock ein paar Wochen Fahrverbot mehr schmerzen würden als ein paar Euro Geldstrafe.
Letztendlich konnten sich die Minister darauf noch nicht verständigen. Den konkreten Vorschlag hat Baden-Württemberg in die Konferenz eingebracht, wörtlich ließ das dortige Innenministerium dazu verlauten: "Hierdurch entsteht eine neue fühlbare Sanktion, die an die charakterliche Ungeeignetheit knüpft und nach dem Strafrecht umgesetzt werden soll."
Dabei hat das Innenministerium Baden-Württembergs erst dieser Tage verkündet, dass es mit 20 Prozent weniger Polizeikräften in der Bundesliga, der 2. Bundesliga und der 3. Liga als noch 2016 auskomme.
"Eine paradoxe Entwicklung"
Gegenwind für die umstrittene Maßnahme gab es schon im Vorfeld der Innenministerkonferenz. Die Fanhilfen der Profi-Vereine kritisierten allein die Debatte über Fahrverbote für Fußballfans als realitätsfremd, unverhältnismäßig und rechtswidrig. Sie sehen sich als Solidargemeinschaft von Fans für Fans, deren Ziel es ist, Anhängern die bestmögliche Unterstützung im Umgang mit Polizei und Justiz zu bieten.
Und sie wiesen darauf hin, dass im letzten Polizeibericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der wiederholte Rückgang von eingeleiteten Strafverfahren und verletzten Personen im Fußball festgestellt worden ist. Auch Patrick Arnold von der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte in Nordrhein-Westfalen, der sich als Sozialarbeiter aktiv um Fußballfans kümmert, sieht deshalb keinerlei Rechtfertigung dafür:
"Also ich muss ehrlich sagen, dass ich die Entwicklung ein bisschen paradox finde. Weil auf der einen Seite wird im ZIS-Bericht beschrieben, dass die Gewaltstraftaten im Fußball seit Jahren zurückgehen, und jetzt gibt es verschiedene Maßnahmen, die eigentlich suggerieren, dass eine andere Entwicklung stattfinden würde. Es gibt zum einen präventivpolizeiliche Maßnahmen, die immer mehr Anwendung finden. Darüber hinaus gibt es die Sanktionierungen der Klubs über die Stadionverbote, und deswegen passt es aus unserer Wahrnehmung eigentlich nicht zur aktuellen Situation im Fußball."
"Keine angemessene Strafe"
Patrick Arnold betont im Gespräch, dass Fans jetzt schon mehr Sanktionen drohen, als wenn die mutmaßliche Tat nicht im Fußball-Umfeld stattgefunden hätte. Denn einmal ist mit Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens direkt das obligatorische Stadionverbot verbunden.
Egal, ob dieses Ermittlungsverfahren zu einer Verurteilung oder letztendlich zu einer Einstellung des Verfahrens führt, das Stadionverbot gilt erst einmal. Zudem gibt es eben die strafrechtliche Verfolgung der mutmaßlichen Verfehlung des Fußballfans. Falls jetzt noch der Führerscheinentzug als Strafe dazu käme, sei das für das Verhältnis Polizei und Fan wenig förderlich, meint der Sozialarbeiter:
"Sollte es jetzt noch dazu kommen, dass Führerscheine entzogen werden, dann ist das aus unserer Sicht jedenfalls keine angemessene Strafe. Wir sind der Meinung, wenn Jugendliche mit solchen Maßnahmen belegt werden, dass Vertrauen in die handelnden Organisationen, in staatliche Organisationen, und die Polizei natürlich massiv erschüttert wird, und mit Sicherheit nicht zu einer Verbesserung des Verhältnisses beitragen wird."
Seit einer Gesetzesänderung 2017 ist es auch bei einer Straftat außerhalb des Straßenverkehrs möglich, ein Fahrverbot von bis zu 6 Monaten zu verhängen. Egal, ob Fußballfan, oder nicht.