Unter der Woche hat Christian Seifert, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, die Vertreter der ersten und zweiten Bundesliga mit deutlichen Worten aufgefordert, doch bitte nicht öffentlich über die Verteilung der TV-Gelder zu diskutieren. Das beschädige das Gesamtbild und erschwere die Verhandlungen über einen noch besser dotierten TV-Vertrag. Es scheint ein zunehmendes Bestreben zu geben, den Ligafußball als harmonisches, steriles Hochglanzprodukt ohne Kontroversen und Schattenseiten zu präsentieren. Das gilt längst auch für die TV-Bilder, die dem Publikum präsentiert werden.
Die "Deutsche Fußball Liga" brüstet sich gerne mit spektakulären technischen Neuerungen. Die Bilder von der Bundesliga werden mit immer größerem Aufwand produziert, es gibt Hochgeschwindigkeitskameras für extreme Zeitlupen und spektakuläre Luftaufnahmen von den Spielen. Jedes Tor kann aus einem Dutzend Blickwinkeln betrachtet werden, kein Foul, keine Schiedsrichterentscheidung bleibt unbeleuchtet. Das Produkt strahlt, allerdings hat diese Entwicklung eine Schattenseite.
Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen Selbstinszenierung und Journalismus. Die Bilder von den Spielen der ersten und zweiten Liga werden nicht mehr von unabhängigen Berichterstattern produziert, sondern von der Firma Sportcast, einer einhundertprozentigen Tochter der Deutschen Fußball Liga.
DFL entscheidet, was relevant ist
Der Medienwissenschaftler Dietrich Leder von der Kunsthochschule für Medien in Köln sieht die Tendenz, dass die Auswahl der gezeigten Bilder immer mehr vom Vorsatz abweicht, das Geschehen möglichst realitätsnah abzubilden und stattdessen von bestimmten Interessen geleitet wird. Er sagt:"Der Einfluss ist da und er wird tendenziell zunehmen. Warum? Da sagt die DFL, das ist unser Produkt und wir entscheiden, was dafür relevant ist."
Es gibt Richtlinien die festlegen, welche Bilder von einem Fußballspiel in den Übertragungen auftauchen sollen und welche nicht. Zuschauer, die Feuerwerkskörper abbrennen, dürfen allenfalls aus großer Entfernung im Bild erscheinen. Selbst Leute, die rauchen oder Bier trinken, sind unerwünscht. Ebenso wie viele Banner und Gewalt auf den Rängen. Ulrike Polenz, die Sprecherin der Fanorganisation "Unsere Kurve", sagt in der Sendung "Sport Inside" des WDR-Fernsehens, die Schattenseiten wolle man klein halten:
"Das möchte man nicht zu groß nach außen tragen. Man möchte so ein schönes Hochglanzprodukt, das man wie so ein Werbebanner schön vor sich her tragen kann. Diese Entwicklung, dass eben auf der einen Seite ein steriles Stadion erwartet wird und auf der anderen Seite Geld hin und her geschoben wird, das geht so nicht."
"international längst üblich"
Die Ausblendung von Gewalt und von verbotenen Aktionen lässt sich noch mit dem verständlichen Vorsatz begründen, Störern keine Bühne bieten zu wollen. Ärgerlich für viele Fans ist allerdings, dass immer wieder auch das wichtigste Kommunikationsmittel des Publikums im Stadion betroffen ist: Spruchbänder werden nur dann gezeigt, wenn ihre Botschaft niemanden kritisiert und kein politisches oder religiöses Gedankengut verbreitet.
Kritik an der TV-Vermarktung, an der Polizei oder den Verbänden wird oftmals ebenso ignoriert, wie Unmut über Klubverantwortliche oder Proteste gegen zu hohe Ticketpreise. Dietrich Leder sagt: "Das Ideal von Betreibern und Veranstaltern ist, dass es immer perfekt aussieht - und davon träumt natürlich auch die DFL. Dass die Zuschauer nicht stören, dass die Spiele 4:4 ausgehen und dass alle damit zufrieden sind. Das ist aber eine Utopie, die wie viele Utopien in diesem Sinne gleichsam etwas Diktatorisches an sich hat."
Immerhin haben die übertragenden Sender Sky, ARD und ZDF bei vielen Partien eigene Kameras im Stadion. So können sie das Informationsdefizit der verbandseigenen Produktionsfirma ausgleichen. Mit der Tatsache, dass Systeme, über die journalistisch berichtet wird, große Teile der Berichterstattung selbst produzieren, müsse man sich allerdings abfinden, sagt Steffen Simon, der Sportchef des WDR.
Das sei auch bei olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften längst üblich. "Solche Entwicklungen bergen die Möglichkeit einer Zensur. Ich sehe die bei Sportveranstaltungen in Deutschland aber nicht angewandt. Wir haben eine gestalterische Freiheit, die wirklich vorbildlich ist. Wir hätten dann Schwierigkeiten, wenn wir keine Möglichkeit hätten, das Produkt in unseren journalistischen Maßstäben abzubilden. Also, wenn wir keine eigene Kamera mehr im Stadion hätten, sondern darauf angewiesen wären, ausschließlich das Angebot - in dem Fall - der DFL zu nutzen. Dann wäre das für uns problematisch."
Soziale Netzwerke als Gegengewicht
Eine journalistische Qualitätssicherung ist meist aber erst in der Nachberichterstattung möglich. Das Live-Bild wird in der Regel ausschließlich von Sportcast produziert und folgt demnach den Vorgaben des Ligaverbandes. Liegt der Auswahl der Bilder also doch eine Form von Zensur zugrunde? "Wenn wir davon ausgehen, dass das eine unabhängige Berichterstattung in Wort und Bild ist. Sie ist es aber im Bild nicht mehr. Sie ist es im Wort. Der Rest ist etwas, was man im Wort beifügen muss, indem man beispielsweise, was auch schon die Kommentatoren sich nicht trauen, tatsächlich über ihren Monitor hinauszuschauen, was in einem Stadion passiert", sagt Medienwissenschaftler Leder.
Wie überall, wo Berichterstattung interessengeleitet ist, werden daher auch im Fußball soziale Netzwerke immer wichtiger. Denn die Zuschauer posten schon während der Spiele viele Ereignisse, die die Live-Übertragung im Fernsehen ignoriert. Ein vollständiges Gesamtbild von einem Bundesligaspiel entsteht trotz immer größerem Aufwand also erst, wenn das Publikum auf andere Quellen als das Live-Bild im TV zurückgreift.