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Bundesverkehrsminister Wissing (FDP)
Neun-Euro-Ticket soll nicht verlängert werden

Es gebe ermutigende Rückmeldungen zum Neun-Euro-Ticket, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im Dlf. Forderungen, den stark ermäßigten ÖPNV-Fahrschein zu verlängern, erteilte er aber eine Absage. Zum umstrittenen Tankrabatt erklärte Wissing, eine kurzfristige Änderung sei dabei nicht möglich.

Volker Wissing im Gespräch mit Nadine Lindner |
Volker Wissing (FDP) ist Bundesminister für Digitales und Verkehr
Volker Wissing (FDP) ist Bundesminister für Digitales und Verkehr (picture alliance/dpa | Annette Riedl)
Der Bundesminister für Verkehr und Digitales, Volker Wissing (FDP), lehnt eine Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets über den 31. August hinaus ab. Das Ticket sei auf drei Monate angelegt, sagte Wissing im Dlf. Der Gesetzgeber habe es auf diesen Zeitraum beschränkt. "Es ist nicht daran gedacht, das zu verlängern", sagte Wissing. Er begründete dies mit der "schwierigen finanzpolitischen Lage" und der Notwendigkeit eines soliden Haushalts.
Man wolle die Bürgerinnen und Bürger, die jetzt "mit großer Begeisterung" das Ticket nutzen, nach ihren Erfahrungen fragen und dies analysieren, sagte der Minister. Er habe bereits ermutigende Rückmeldungen erhalten. "Auf mich sind einige zugekommen, die mir gesagt haben, also wir werden das drei Monate ausprobieren, und wenn das wirklich funktioniert, dann ist das unser Weg, künftig zum Arbeitsplatz zu pendeln."

Kritik an Koalitionspartnern wegen Tankrabatt

Für den umstrittenen Tankrabatt wies Wissing die Verantwortung zurück: "Nur weil Autos betankt werden, ist der Verkehrsminister nicht für die Mineralölsteuer zuständig." Aber Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe ja auch einen anderen Vorschlag gemacht, der die jetzige Situation "sicher vermieden" hätte. Bei den Koalitionspartnern sei das nicht durchsetzbar gewesen, so Wissing.
Man hätte, wie von Lindner vorgeschlagen, besser "an den Mineralölkonzernen vorbei" unmittelbar die Bürgerinnen und Bürger entlasten sollen, so der Minister. Die jetzige Regelung könne man kurzfristig nicht ändern, denn es gebe ja einen Vorlauf mit einem Gesetzgebungsverfahren von mehreren Wochen. Statt dessen verwies er auf das Kartellamt.
Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr, steht in seinem Büro im Bundesministerium für Digitales und Verkehr - mit Kunst an der Wand und Hunde-Skulpturen am Boden.
Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr, in seinem Büro - mit Kunst an der Wand und Hunde-Skulpturen am Boden. (picture alliance/dpa)
Zum 1. Juni war bundesweit der sogenannte Tankrabatt in Kraft getreten. Es handelt sich um eine auf drei Monate befristete Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe. Dennoch stiegen die Spritpreise an den Tankstellen in den letzten Tagen wieder.
Zum Erscheinungsbild der FDP in der Ampel-Koalition mit SPD und Grünen sagte der frühere Generalsekretär der Liberalen: "Wir können uns nicht an kurzfristigen Umfragen orientieren, sondern müssen bei unserer Überzeugung bleiben." Er bleibe dabei, der Freiheit einen hohen Wert einzuräumen, betonte Wissing.

Das Interview in voller Länge
Nadine Lindner: Herr Wissing, lassen Sie uns sprechen in den kommenden Minuten über Mammutaufgaben, und dieses Wort ist durchaus bewusst im Plural formuliert. Es sind mehrere Mammutaufgaben, die im Verkehrsbereich, aber auch im Digitalbereich anstehen, die Sie beide verantworten. Herr Wissing, schön, dass Sie bei uns sind.
Volker Wissing: Ich freue mich auch und grüße Sie herzlich.
Lindner: Lassen Sie uns zuerst Richtung EU blicken. Dort gab es eine grundlegende Entscheidung in dieser Woche. Das Europäische Parlament hat entschieden, dass es eine drastische Emissionsminderung geben soll, 100 Prozent weniger Emissionen bis zum Jahr 2035. Eine Konsequenz daraus ist, wenn es so kommen sollte, dass der Verbrenner der Vergangenheit angehört ab dem Jahr 2035. Was würde das denn, diese Entscheidung, bedeuten für die deutsche Automobilindustrie, für die Zulieferer, aber was würde das auch für das Alltagsleben der Deutschen heißen für das Mobilitätsverhalten, verbunden mit der Frage, würde sich denn vielleicht für die Deutschen gar nicht allzu viel ändern, weil wir im Jahr 2035, also das heißt in 13 Jahren, nicht ohnehin schon vor allem elektrisch fahren?
Wissing: Zunächst einmal begrüße ich die ambitionierten Klimaschutzziele. Die halte ich auch für richtig. Wir müssen klimaneutral werden, aber wir müssen das so machen, dass wir es von den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern aus denken. Die Situation ist ja die, Mobilität ist ein Grundbedürfnis, und wir dürfen jetzt nicht nur über Ausstiegsszenarien reden, sondern wir müssen vor allen Dingen auch den Einstieg in neue Technologien im Blick haben, und da sehen wir noch einiges an Problemen.
Wir haben nicht überall in der Welt, auch nicht überall in Europa einen so engagierten Hochlauf der Ladesäuleninfrastruktur wie in Deutschland. In vielen Teilen der Welt, die wir heute mit deutschen Automobilien beliefern, plant man noch gar keine Ladesäuleninfrastruktur aufzubauen, und das müssen wir alles in den Blick nehmen. Deshalb, glaube ich, ist es wichtig, dass wir Technologien nicht einfach ausschließen, von denen wir heute nicht wissen, in welchem Maße wir sie in Zukunft noch brauchen, um Grundbedürfnisse sicherstellen zu können.

„Ich bin sicher, dass die Elektromobilität unseren Alltag wesentlich bestimmen wird“

Lindner: Was sich ja jetzt gezeigt hat, kurz nach dieser Entscheidung, also quasi minütlich danach, hat es einen Streit innerhalb der Ampel-Regierung hier in Berlin gegeben, durchaus unterschiedliche Standpunkte, die artikuliert wurden. Die FDP, der Sie auch angehören, die pocht auf synthetische Kraftstoffe, auf die Zukunft des Verbrenners, auch nach 2035, Grüne und SPD haben sich eigentlich eher hinter die EU-Kommission gestellt. Wie begründet die FDP, wie begründen Sie diesen Schritt, und wie viel ist auch die FDP bereit, für diese politische Position zu riskieren?
Wissing: Also, zunächst einmal streite ich mit niemandem, sondern ich suche die beste Lösung für unsere Gesellschaft, und ich habe als Verkehrsminister den Auftrag und die Aufgabe, die Gesellschaft mobil zu halten und gleichzeitig, und das ist mir sehr ernst, Klimaschutz zu betreiben. Ich baue deshalb eine Ladensäuleninfrastruktur auf, wie wir sie noch nie gekannt haben und wie sie wahrscheinlich in keinem anderen europäischen Land gegenwärtig ähnlich ambitioniert aufgebaut wird. Ich bin sicher, dass die Elektromobilität unseren Alltag wesentlich bestimmen wird, aber wir können heute nicht sagen, ob ein Verbrennungsmotor, der mit synthetischen Kraftstoffen fährt, nicht auch gebraucht wird, um klimaneutrale Mobilität sicherzustellen.
Ich will mir auch nicht immer wieder anhören, dass der Verbrennungsmotor mit dem Klimaschutz nicht in Einklang zu bringen ist. Das stimmt ja nicht, wenn man den Verbrennungsmotor mit synthetischen Kraftstoffen betankt und diese aus regenerativen Energien gewonnen wurden. Wir sehen natürlich, dass das nicht für unsere Alltagsmobilität in Zukunft das entscheidende Thema sein wird. Wir sehen aber, dass das möglicherweise weltweit eine Rolle spielen wird, und wir müssen ja auch unseren Industriestandort, die Arbeitsplätze und die Relevanz dieser Situation für unseren Sozialstaat im Blick haben.
Lindner: Diese Diskussion rund um das mögliche Verbrenner-Aus, das geht ja auch zurück auf den Vorschlag der EU-Kommission, als Teil des Fit for 55-Klimapakets, und damit sind wir mittendrin in der Klimaschutz-Diskussion, die sich jetzt nicht nur in Brüssel und Straßburg, sondern auch in Berlin abspielt. Wenn man jetzt auf den Verkehrssektor schaut und dort das Wort Klimaschutz erwähnt, fehlt eigentlich selten das dritte Wort, das lautet Sorgenkind, eben wegen der verfehlten Emissionsziele. Das Bundesumweltamt hat Mitte März vorgelegt, dass für das vergangene Jahr 2021 rund 148 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen wurden, und damit liegt man deutlich über dem, was eigentlich laut Bundesklimaschutzgesetz für 2021 als Jahresemissionsmenge zulässig ist. Die Überschreitungen sind drei Millionen Tonnen. Da schließt jetzt an ein politischer Prozess, der auch bei Ihnen landet, nämlich das Sofortprogramm, dort Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Herr Wissing, wie wollen Sie denn kurzfristig diese Klimaschutzziele erreichen? Das ist ja eine der zentralen Fragen, die sozusagen im Jahresrhythmus immer wieder die Bundesverkehrsminister betrifft und dieses Mal jetzt auch bei Ihnen landet.
Wissing: Wir bauen eine Ladesäuleninfrastruktur auf, die den Menschen den Umstieg auf Elektromobilität einfach macht und leicht macht und gleichzeitig die Gesellschaft mobil hält. Wir haben attraktive Angebote für den ÖPNV, etwa jetzt gegenwärtig das 9-Euro-Ticket, mit dem wir ja eine richtigen ÖPNV-Offensive starten. Wir engagieren uns im Bereich der Digitalisierung. Ich habe gerade eine Verordnung auf den Weg gebracht, um autonomes Fahren in Deutschland zu ermöglichen, dass zusätzliche Optionen kommen. All das machen wir. Wir haben während der Koalitionsverhandlungen uns umfangreich mit Fragen beschäftigt, was gehen wir an, um die CO2-Ziele im Verkehrssektor zu erreichen, und das Tempolimit war keinem der Koalitionspartner so wichtig, dass es Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hätte. Wir haben uns auch andere Maßnahmen fokussiert, und diese anderen Maßnahmen, über die ich jetzt schon gesprochen habe, setze ich um.

„Ich habe Rückmeldungen, die mich sehr stark ermutigen“

Lindner: Lassen Sie uns noch mal über das 9-Euro-Ticket sprechen. Es gilt ja jetzt seit Anfang Juni, das heißt seit einer guten Woche, knapp zwei Wochen. Sie haben es im Vorlauf als Feldversuch bezeichnet, was Aufschlüsse darüber geben soll, wo der ÖPNV angenommen wird, ob der Preis eine Einstiegshürde ist, ob es attraktivere Angebote geben muss. Sie haben die Hoffnung geäußert, dass man damit wichtige Erkenntnisse gewinnt, um dann auch Angebote des öffentlichen Personennahverkehrs entsprechend auch ausrichten zu können. Wie genau ist denn dieser Feldversuch angelegt? Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Bürgerinnen und Bürger, die ihr Pfingstwochenende in knallvollen Regionalzügen verbracht haben, durchaus gerne wissen möchte, wie mit ihren Daten, vielleicht auch ihren Erkenntnissen, ihren Erfahrungen und Wünschen dann umgegangen wird in diesem Prozess.
Wissing: Das 9-Euro-Ticket ist ja aus einer besonderen Situation heraus entstanden. Wir waren unter dem Schock dieses Überfalls Russlands auf die Ukraine und den Auswirkungen auch auf unsere Energieversorgung, und mit der Frage befasst, wie können wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, er möchte nicht an den gestiegenen Kraftstoffpreisen auch noch zusätzliche Steuereinnahmen generieren, sondern er möchte, dass die Steuern den Bürgerinnen und Bürgern, soweit es europarechtlich möglich ist an der Stelle, zurückgegeben werden. Die Menschen hatten es ja oder haben es ja schwer genug, und dann haben wir gesagt, wir wollen dann parallel aber auch ein Energieeinsparangebot machen über das 9-Euro-Ticket im ÖPNV.
Ich habe dann im Rahmen dieser Debatte auch eingeführt, dass wir damit gute Chancen haben, auch Fragen zu klären, die uns generell im ÖPNV beschäftigen, etwa die Frage, in welchem Maße spielt der Preis eine Rolle, in welchem Maße spielt das Angebot eine Rolle, und all das wollen wir analysieren. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger, die ja mit großer Begeisterung jetzt dieses Ticket nutzen, fragen, hält diese Begeisterung an, was sind die Erfahrungen, bleiben sie dabei und so weiter. Ich habe Rückmeldungen, die mich sehr stark ermutigen. Auf mich sind einige zugekommen, die mir gesagt haben, also wir werden das drei Monate ausprobieren, und wenn das wirklich funktioniert, dann ist das unser Weg, künftig zum Arbeitsplatz zu pendeln.

"Es ist nicht daran gedacht, das 9-Euro-Ticket zu verlängern"

Lindner: Wie geht es denn weiter mit dem 9-Euro-Ticket? Die politische Debatte ist ja voll im Gange. Es mangelt ja an Vorschlägen derzeit nicht. Das Umweltbundesamt hat unter anderem vorgeschlagen, umweltschädliche Subventionen abzubauen, das Geld dann in verbilligte ÖPNV-Tickets zu stecken. Die Linke hat gefordert, das 9-Euro-Ticket bis Ende des Jahres zu verlängern, auch mit dem Hinweis, dass es ja vor allem ja auch Familien aus niedrigen Einkommensschichten sind, die überproportional häufig kein Auto haben, den ÖPNV nutzen, davon profitieren würden. Können Sie sich das vorstellen, dieses Instrument auch noch über den 31. August hinaus anzuwenden?
Wissing: Nein, das 9-Euro-Ticket ist auf drei Monate angelegt, und wir haben ja eine Entscheidung des Gesetzgebers, die es auch auf diesen Zeitpunkt beschränkt, und es ist nicht daran gedacht, das zu verlängern. Wir müssen ja neben all den Maßnahmen, die wir ergreifen müssen im Energiebereich, im Mobilitätsbereich, auch einen soliden Haushalt sicherstellen. Es ist ja so, wir haben eine schwierige finanzpolitische Lage. Wir haben generell einen hohen Schuldenstand übernommen. Wir haben die Folgen der Pandemie, die wir tragen müssen. Wir haben gleichzeitig die Notwendigkeit auch, jetzt die Folgen des Krieges, die auch zu einer höheren Verschuldung geführt haben, zu stemmen, und wir haben einen Bedarf an enormen Infrastrukturinvestitionen. Wenn ich mir allein das Bahnnetz oder das Straßennetz anschaue, dann muss dort Geld zur Verfügung stehen, damit Mobilität gesichert ist, und da können wir nicht beliebig solche Anreizprogramme weiterführen.
Lindner: Also nein, keine Verlängerung?
Wissing: Also nein, ja, ich wollte das auch begründen, damit man versteht, warum, denn ich bin ja von dem Projekt überzeugt, aber ich halte es wirklich nur finanzierbar für drei Monate.
Lindner: Herr Wissing, ich würde mit Ihnen gerne noch ein bisschen über Leitbilder und Ideen sprechen. Selbst wenn das 9-Euro-Ticket nach drei Monaten Geschichte ist, bleiben die Fragen ja bestehen. Die Fragen, ich habe jetzt ein Ticket für einen Bus, ich wohne auf dem Land, aber wo bleibt denn bitte schön das Angebot, das sind ja Debatten, die ja im Moment noch mal mit voller Wucht auch zurückgekommen sind, die im Monat mit voller Wucht geführt werden, wo auch bestimmte Defizite noch mal wirklich auch deutlich geworden sind in den ländlichen Räumen. Sie waren ja selbst Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz von 2016 bis 2021, haben dort als Verkehrsminister ein Gesetzprojekt hervorgebracht, das Nahverkehrsgesetz in Rheinland-Pfalz, was verschiedene strukturelle Umstellungen vor allem zum Kern hatte. Es gibt nur noch zwei Verkehrsverbünde. Der Nahverkehr wurde als kommunale Pflichtaufgabe definiert. Die Frage ist, ist das das, was Sie als Blaupause für andere Bundesländer, vielleicht auch für einen bundesweiten Angang in Zukunft sehen werden?
Wissing: Nun, nachdem ich der Urheber dieses modernen Nahverkehrsgesetzes in Rheinland-Pfalz bin, wird es nicht verwundern, dass ich das für eine sehr gute Blaupause halte, aber mir geht es vor allen Dingen darum, dass wir, wenn wir über ÖPNV und auch ÖPNV-Finanzierung sprechen, nicht nur dem Irrtum hinterherlaufen, dass mehr Geld alles verbessert, denn Strukturreformen, etwa weniger Verbünde, mehr Effizienz, mehr Digitalisierung, auch vielleicht mehr Bündelung von Aufträgen, dass man größere Einheiten bestellt, günstigere Preise bekommt, das sind ja auch wichtige Dinge, und deswegen habe ich nach meinem Amtsantritt die Länder gebeten, eine Sonderverkehrsministerkonferenz einzuberufen, und dort habe ich vorgeschlagen, dass wir eine Arbeitsgruppe einsetzen, die sich mit diesen strukturellen Fragen beschäftigt. Ich habe es auch vor dem Hintergrund getan, dass mir klar ist, ich hatte ja zehn Jahre Finanzpolitik im Bund gemacht, auf welche schwierige finanzpolitische Situation wir gegenwärtig zusteuern.

„Ich nicht zuständig bin für den Tankrabatt“

Lindner: Herr Wissing, ich möchte mit Ihnen noch über ein anderes Instrument des Entlastungspakets sprechen. Das fängt auch mit T an und bereitet im Moment eher wenig Freude, das ist der Tankrabatt, wo sich im Moment abzeichnet, dass ein Großteil der drei Milliarden Euro der prognostizierten Steuermindereinnahmen wohl in den Taschen der Mineralölkonzerne landet. So hat sich unter anderem Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, geäußert, und auch in dieser Woche hat sogar der Tankstellen Interessenverband den Mineralölkonzernen vorgeworfen, diese Situation auszunutzen, um die Gewinne hochzutreiben, also das heißt auf Deutsch, sich das Geld in die eigene Tasche zu stecken. Herr Wissing, wäre es jetzt nicht eigentlich an der Zeit, bei diesem Instrument nachzusteuern, zu sagen, wir schaffen es ab, wir setzen es vielleicht noch mal ganz anders, neu, aufs Gleis, wir erkennen aber den Fehler und beenden diese Maßnahme wegen Erfolglosigkeit?
Wissing: Also, zunächst einmal möchte ich sagen, dass auch wenn ich der Verkehrsminister bin, ich nicht zuständig bin für den Tankrabatt, weil ich das neulich auch in den Medien gelesen habe, nur weil Autos betankt werden, ist der Verkehrsminister nicht für die Mineralölsteuer zuständig.
Lindner: Ja, aber Sie sind Teil dieser Bundesregierung, die das beschlossen hat, Herr Wissing. Da kommen Sie nicht ganz raus.
Wissing: Ich will gar nicht raus, sondern das wollte ich nur einmal sagen. Ich will aber sagen, dass der Finanzminister ja einen anderen Vorschlag gemacht hat. Der Vorschlag von Christian Lindner hätte ja genau diese Situation sicher vermieden.
Lindner: Ja, aber Sie sind jetzt dort in dem Konjunktiv. Das hilft ja jetzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch den Steuerzahlern nicht weiter in dieser Situation.
Wissing: Nein, aber es wäre besser gewesen, man hätte auf Christian Lindner gehört, denn sein Vorschlag war, dass man eben an den Mineralkonzernen vorbei diese Entlastung unmittelbar den Bürgerinnen und Bürgern zukommen lässt. Jetzt ist es so, dass das innerhalb der Koalition nicht durchgesetzt werden konnte, weil Koalitionspartner das anders wollten. Jetzt kann man natürlich nicht hergehen und kann sagen, wir ändern das jetzt kurzfristig, denn es ist ja ein Gesetzgebungsverfahren dafür durchgeführt worden. Wir erinnern uns, dass es ja auch einen Vorlauf hatten von mehreren Wochen. Jetzt kann man nur Folgendes machen, man kann an diejenigen appellieren, die das über das Kartellamt lösen wollten, hier ihre Aufgaben wahrzunehmen, dafür zu sorgen, dass das auch passiert, soweit es möglich ist, und dann muss natürlich in Zukunft aus diesen Dingen auch die richtigen Schlüsse ziehen. Wenn man wieder in diese Situation kommen sollte, dann empfehle ich allen, den Vorschlag, den der Bundesfinanzminister gemacht hat, ernst zu nehmen. Der hatte sich ja Gedanken darüber gemacht und wollte genau diese Situation vermeiden.
Lindner: Lassen Sie uns noch auf eine andere Herkules-Aufgabe schauen. Das ist die Deutsche Bahn, die soll eigentlich zentraler Pfeiler der Verkehrswende sein. Im Moment sieht man aber nicht nur eine Störung, sondern man könnte ja fast sagen, eine Zerstörung des Betriebsablaufs bei der Deutschen Bahn. Man sieht Verspätungen, man sieht Ausfälle, kaputte Züge, Güter, die sich auf den Trassen stauen, aber auch Personenzüge, die sich dort stauen. 59 Prozent der Fernzüge waren in der dritten Maiwoche nur pünktlich. Wie soll es weitergehen? Richard Lutz hat jetzt angekündigt, der Bahnchef, eine Generalsanierung wichtiger Strecken. Da stehen einem als Bahnkunde ja schon die Haare zu Berge, weil man sich fragt, wird es dann ein Tal der Tränen jetzt erst mal geben, durch das man durch muss als Bahnkunde, bevor dann 2030, so der Wunsch der Ampel-Regierung, sich dann die Fahrgastzahlen bzw. die Verkehrsleistung dann doch auch verdoppelt? Wie soll das gehen, 2030 als Zielpunkt? Beschreiben Sie den Pfad, wie das erreicht werden soll mit der Deutschen Bahn.
Wissing: Als ich ins Amt gekommen bin, habe ich eine sehr schwierig Infrastruktursituation vorgefunden. Das eine betrifft die Autobahnbrücken. Wir haben 4.000 marode Autobahnbrücken in Deutschland. Dafür habe ich bereits in kürzester Zeit ein Sanierungskonzept vorgelegt. Jetzt haben wir eine ähnlich schwierige Situation bei der Bahn. Wir brauchen ja nicht nur neue Strecken, weil wir ambitionierte Ziele haben, die Bahn auszubauen. Wir müssen auch sehen, dass unser heutiges Bahnnetz von der technischen Situation her nicht in der Lage ist, die hohe Leistung zu erbringen, die von diesem Netz erwartet wird.
Es sind verschiedene Verkehrsarten in hoher Dichtung, die hier fahren, und auf den Hauptstrecken sind wir faktisch völlig überlastet, und wenn man jetzt sich anschaut, dass natürlich immer auch reguläre Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten dort getätigt werden müssen, kann man es vielleicht so beschreiben, es gibt schlicht und einfach keinen Raum mehr für irgendwelche Baustellen, ohne dass es zu massiver Beeinträchtigung des fließenden Verkehrs kommt, und das liegt daran, dass das Netz kein Hochleistungsnetz ist. Was liegt jetzt mehr auf der Hand, als zu sagen, wenn es so ist, dann muss man dieses Netz zu einem Hochleistungsnetz umbauen, und das ist mein Weg, und dafür werde ich einige Veränderungen vorschlagen. Ich habe ein Konzept dafür erarbeitet und werde das in diesem Monat auch noch öffentlich vorstellen.

"Das Netz muss mehr Leistung bringen können"

Lindner: Geben Sie vielleicht ein Stichwort dazu, Hochleistungsnetz, was muss man sich darunter vorstellen als Bahnkunde, als Bahnkundin?
Wissing: Also, wissen Sie, als ich ins Amt kam, hat man mir gesagt, wir müssen die Digitalisierung voranreiben. Dann habe ich gesagt, das finde ich gut, finde ich richtig, das ist mal eine Grundhaltung, Digitalisierung ist enorm wichtig. Als ich mich dann näher mit dem Netz beschäftigt habe, habe ich festgestellt, dass es nicht nur nicht digital ist, sondern dass es auch vom technischen Standard im Analogen nicht dem entspricht, was andere Länder im Jahr 2022 haben. Das hat man ganz offensichtlich in den letzten Jahren versäumt voranzubringen. Ich kann aber nicht rückwirkend regieren, deswegen ist es für mich jetzt auch nicht hilfreich, wenn ich analysiere, wer hat da genau was falsch gemacht, sondern ich will das jetzt richtig machen, und daran arbeite ich.
Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass das Netz so ausgebaut wird und so modernisiert wird, auch technisch auf ein Niveau gebracht wird, dass es den dichten und engen Verkehr und die regulären Baumaßnehmen, die man immer braucht, weil die Hochspannungsleitung erneuert werden muss oder das Gleisbett korrigiert und erneuert werden muss, dass es eben beides so verträgt, dass es nicht zu massivsten Verspätungen, Zugausfällen und einer Beeinträchtigung des Güterverkehrs kommt. Das Netz muss mehr Leistung bringen können, weil von ihm heute mehr Leistung verlangt wird, und das ist eben der entscheidende Punkt.
Lindner: Ihr Ministerium ist umbenannt worden in Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Das Digitale ist nach vorne gerutscht, als erste, sozusagen als primäre Bezeichnung Ihres Ministeriums, und wie wichtig die Digitalisierung ist, hat sich ja diese Woche in Berlin gezeigt bei der re:publica, ein wichtiges Gesprächsforum zu digitalpolitischen Themen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat zum ersten Mal gesprochen, aber auch Sie haben dort gesprochen. Deutlich ist geworden, dass es ja eigentlich nicht reicht, dort zu diskutieren, dass es nicht nur Gesten geben darf, nicht nur das Sprechen über die Bedeutung der Digitalisierung, sondern auch konkrete Punkte, konkrete Handlungen.
Es ist jetzt in dieser Woche ein neues Regelwerk verabschiedet worden. Es ist vom Bundesrat bestätigt worden, das Recht auf schnelles Internet, was eine sozusagen garantierte Festnetzgeschwindigkeit, eine Download-Rate von 10 Megabit pro Sekunde und eine Upload-Rate von 1,7 Megabit pro Sekunde erfüllen soll. Das, was man sich jetzt zu Recht fragt, reicht das denn für die Verbraucherinnen und Verbraucher, reicht es für die Familien, für das Homeschooling, aber vielleicht auch für wirtschaftliche Belange, wie das mobile Arbeiten zu Hause, vor allem auch in den ländlichen Regionen, um dort noch einmal wieder zurückzukommen, zu diesem Punkt?
Wissing: Klare Antwort, das reicht nicht, deswegen arbeite ich auch an ambitionierteren Zielen. Nach meiner Gigabit-Strategie werden wir im Jahr 2030 Glasfaser und 5G überall dort haben, wo Menschen leben, arbeiten, wohnen oder sich bewegen. Das ist mein Anspruch, und das Problem, was wir haben, ist, dass das, was jetzt im Bundesrat gerade verabschiedet worden ist, dass es sich dabei um eine Mindestversorgung zur Überbrückung bis zu dem Ziel handelt, von dem ich gerade gesprochen haben. Das Problem ist, dass wenn Sie diese Mindestversorgung jetzt nach oben anheben, dann verlängert sich der Zeitraum, bis zu dem wir dieses Ziel erreichen, nämlich jedem maximal Topversorgung zu liefern, und das ist eben das Dilemma, in dem wir stecken.
Wir können nur die Kapazitäten nutzen, die wir an Fachkräften und an Baukapazitäten am Markt haben, mehr gibt es nicht. Es ist eben die Frage, will man jetzt eine etwas höhere Überbrückungsversorgung haben oder will man eine etwas moderatere Überbrückungsversorgung haben, um dann so schnell wie möglich zur Vollversorgung zu kommen. Ich glaube, mein Anspruch ist der Richtige.
Lindner: Herr Wissing, vielleicht ist es auch einer der Punkte, an denen Sie dann gemessen werden. Die FDP hat sich ja wie keine andere Partei die Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben. Wenn man jetzt die Situation Ihrer Partei, der Liberalen, anschaut, sieht man, das ist durchaus von Trostlosigkeit geprägt. Sie kennen ja das parteipolitische Denken. Sie waren ja selbst Generalsekretär der Liberalen von 2020 bis 2022, und wenn man sich jetzt die letzten Wahlergebnisse der Landtagswahlen anschaut, da sieht man, Nordrhein-Westfalen 5,9 Prozent, Schleswig-Holstein 6,4 Prozent und im Saarland nicht im Landtag vertreten mit 4,8 Prozent. Da stellt sich für die Liberalen natürlich auch die Frage, wie bleiben Sie im Bund eigentlich wahrnehmbar, und wie bleiben Sie auch in einer Konkurrenz zum Beispiel zu den Grünen wahrnehmbar, die ja nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern ja zum Beispiel auch in den bundesweiten Umfragen deutlich die FDP überflügelt haben.
Wissing: Wir haben unterschiedliche politische Angebote, und wir haben unterschiedliche politische Schwerpunkte. Ich kann immer nur nach meiner Überzeugung handeln und ein klar profiliertes Angebot machen. Das ist ein Angebot, das wichtig ist im Pluralismus und wissen Sie, wir können uns nicht an kurzfristigen Umfragen orientieren, sondern müssen bei unserer Überzeugung bleiben. Wir stehen für Technologieoffenheit, für Freiräume, für die Kreativität der vielen, für den Schutz individueller Entscheidungsfreiheit, für den Respekt vor individuellen Lebensplänen, die wir nicht einer staatlichen Einheitslösung unterordnen wollen. Das ist mal populärer, mal weniger, mal steht das im Fokus, mal steht es weniger im Fokus, aber es wird immer von gleich hohem Wert bleiben, denn ohne dass es ein Konzept zum Schutz individueller Freiheit gibt, ist eine parlamentarische Demokratie ärmer. Das motiviert mich, mich zu engagieren und ist für mich jeden Tag Ansporn, bei allen Abwägungsentscheidungen, die auf dem Tisch liegen, das immer mit einzubeziehen und eben der Freiheit einen hohen Wert einzuräumen.
Lindner: Herr Wissing, wie viel, ich möchte schon auch sagen Mitverantwortung liegt denn für das maue Abschneiden der FDP im Moment auch bei Ihnen? Der Focus hat Sie als Problemfall der FDP bezeichnet. Es gab eine Sendung von Markus Lanz, wo der Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, also das heißt Ihr Nachfolger im Amt bei den Liberalen, darauf hingewiesen hat, er möchte jetzt auch nicht alles kommentieren müssen, wo es darum ging, auf die Tempolimit- und die Schilderdebatte noch mal einzugehen. Er hat sich da für Sie jetzt nicht so wirklich in die Bresche geworden. Wie viel Mitverantwortung sehen Sie da bei sich, und was werden Sie möglicherweise ändern, um dieses, na ja, blasse Erscheinungsbild, was den liberalen Ministern attestiert wird, im Moment da auch zu verändern?
Wissing: Ich arbeite jeden Tag mit hoher Motivation und wissen Sie, es sind so viele Dinge, die bewusst missverstanden werden. Da kann ich verstehen, wenn jemand sagt, also die Dinge, die jemand ganz offensichtlich so nicht gemeint hat, möchte man nicht permanent kommentieren. Das ist eigentlich auch teilweise eine Form von Desinformation, wenn man Personen eine Äußerung und eine Missinterpretation anhängt, die nun ganz offensichtlich abwegig ist.