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Bundesnetzagentur zur Gaskrise
Müller: "Es liegt jetzt an uns"

Nach Ausrufung der Gas-Alarmstufe hat Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller die Bevölkerung und Industrie dazu aufgefordert, Gas einzusparen. Noch seien die importierten Gasmengen nicht so reduziert, dass die Versorger die Preise weiter erhöhen dürften, sagte er im Dlf. Die nächsten Tage seien dafür aber entscheidend.

Klaus Müller im Gespräch mit Friedbert Meurer |
Der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller in einer Portraitaufnahme
Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, vor seiner Behörde (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am Donnerstag (23.06.2022) die zweite von drei Eskalationsstufen im Notfallplan Gas ausgerufen, die sogenannte Alarmstufe. Mit dieser soll Experten zufolge der Ernst der Lage verdeutlicht werden - mit dem Ziel, möglichst viel Energie freiwillig einzusparen. Die erste Stufe, die Frühwarnstufe, galt seit Ende März, also gut vier Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, der die Energiepreise in die Höhe getrieben hat.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, betonte im Dlf, alle Möglichkeiten zur Senkung des Gasverbrauchs müssten genutzt werden. Derzeit sei nicht damit zu rechnen, dass die Speicher vor dem Winter auf die gewohnten Niveaus gefüllt werden könnten.
Im Hinblick auf weitere Preiserhöhungen der Versorger sagte er, soweit sei man noch nicht, die kommenden Tage wären dafür aber entscheidend. Allen voran die Zeit rund um routinemäßige Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord-Stream-1. Es gibt Befürchtungen, dass Russland danach den Gashahn zudreht. Die Speicher seien nicht gut gefüllt. Und: "Die Verlässlichkeit Russlands ist absolut infrage gestellt."

Das gesamte Interview im Wortlaut:

Friedbert Meurer: Sie müssen entscheiden. Sie kennen das Zitat und den Paragraphen. 'Wenn eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland vorliegt, dann dürfen die Versorger die Preise anheben.' Liegt das nicht schon vor mit der erheblichen Reduzierung?
Klaus Müller: Dazu gucken wir uns ja nicht nur die täglichen Reduzierungen an. Und in der Tat: Seit letzter Woche, seitdem Russland, Gazprom Exports die Verträge gegenüber vielen Gasimporteuren gebrochen hat, ist über Nord-Stream-1 die tagtägliche Menge um 60 Prozent reduziert worden. Wir gucken uns das auch im Wochen- beziehungsweise mehrwöchigen Verlauf an und da kommen wir zum Ergebnis, dass dieses bisher noch nicht der Fall ist.
Meurer: Wann ist das der Fall?
Müller: Dafür gibt es im Gesetz keine ganz genaue Tages- oder Terrawattstunden-Grenze. Darum hat es viel damit zu tun, wie sich die nächsten Tage entwickeln. Wir kriegen ja aus Moskau ganz unterschiedliche verbale Signale. Allein uns fehlt nach den jüngsten Ereignissen der Glaube. Darum gucken wir uns das ganz genau an. Minister Habeck hat ja zurecht darauf hingewiesen, dieser Paragraph 24 im Energiesicherungsgesetz ist ein sehr, sehr scharfes Schwert, das will sehr genau abgewogen sein.

Müller: Speicher von Nord-Stream-1 "sind nicht gut gefüllt"

Meurer: Wird dieses Schwert dann kommen, wenn es jetzt im Juli zu den Wartungsarbeiten kommt? Die russische Seite will die Pipeline warten und danach vielleicht den Gashahn zugedreht lassen. Das wäre der absolute Worst Case. Wird nach diesen zwei Wochen von Ihnen entschieden?
Müller: Sie sprechen damit ein ganz, ganz markantes Datum an. In der Tat: Jedes Jahr gab es eine Wartung von Nord Stream eins. Das war in den letzten Jahren nicht mal eine Meldung wert, weil es danach verlässlich wieder nach oben gegangen ist, die Speicher meistens voll waren, wir konnten in der Zeit das nutzen und alles war wie immer. Davon kann man in diesem Jahr nicht zwingend ausgehen. Erstens: Die Speicher sind zwar deutlich besser gefüllt worden als in den letzten Wochen. Daran haben wir und viele andere hart gearbeitet. Aber sie sind nicht gut gefüllt. Und zweitens: Die Verlässlichkeit Russlands ist absolut in Frage gestellt und insofern werden wir ab dem 11. Juli – da ist der Beginn terminiert – die nächsten zehn Tage, sagen die Erfahrungswerte, ganz besonders sensibel auf die Situation gucken. Das ist korrekt.
Meurer: Gehen Sie davon aus, dass die Versorger von Ihnen grünes Licht bekommen, oder gibt es noch eine Chance, dass dem nicht so sein wird?
Müller: Das ist das Problem mit Glaskugeln. Man kann das ganz schlecht prognostizieren. Das Signal von gestern mit der Alarmstufe ist ja nicht, jetzt lehnen wir uns alle ohnmächtig zurück und starren wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange. Nein, so ist es ja nicht, sondern es liegt jetzt an uns. Uns sind die Industrie mit all ihren Substitutions- und Einsparmöglichkeiten. Uns sind die privaten Haushalte, die spätestens jetzt, glaube ich, aufgewacht sind. Und wenn wir einen Ruck sehen, der sagt, das Handwerk wird geflutet mit Wünschen nach Heizungsoptimierungen, dem hydraulischen Abgleich, und wir sehen, dass plötzlich die Baumärkte gestürmt werden, weil alle jetzt die vielen kleinen Maßnahmen in den Duschköpfen, in weiteren Möglichkeiten nutzen, um selber Energie zu sparen, das mag angesichts sommerlicher Temperaturen auf den einen oder anderen lächerlich wirken, aber in drei Monaten beginnt die Heizsaison und insofern ist das keine statische Geschichte, sondern ist eine Frage, engagieren wir uns, geht ein Ruck durch Deutschland an der Stelle, dass wir Gas sparen.

"Es ist ja schon so, dass es jetzt bereits teurer wird"

Meurer: Da Sie diesen Ruck für so wichtig halten – das könnte ja auch zur Schlussfolgerung führen, dann machen wir es doch jetzt, dann sagen Sie jetzt, es wird teurer, die Versorger können die Preiserhöhungen weitergeben, und dann weiß wirklich jeder, was die Stunde geschlagen hat.
Müller: Es ist ja schon so, dass es jetzt bereits teurer wird. Im Rahmen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehen wir, dass praktisch so gut wie alle Stadtwerke und Energieversorger etwas unterschiedlich im Ausmaß die Preissteigerung aus dem Herbst/Winter _21 bereits weitergeben. Wenn ich in meine Briefeingänge schaue, wenn ich in meinem Bekanntenkreis mich umhöre, dann sind das Preissteigerungen von 30, von 50, teilweise von 100 Prozent. Die sind jetzt schon da und das ist sicherlich etwas, was viele Menschen unter Stress setzt und hoffentlich dann mit einer positiven Energie versieht, Energie und Gas einzusparen an der Stelle. Preissteigerungen sind schon da. Das was Sie ansprechen wäre noch mal eine weitere Preissteigerung und die will gut abgefedert, gut vorbereitet, gut abgewogen sein. Soweit sind wir noch nicht.
Meurer: Es ist sehr wahrscheinlich – ich glaube, darin sind wir uns einig, oder wie auch immer, lassen wir die Glaskugel weg. Nehmen wir mal an, Herr Müller, es kommt dazu, Sie geben grünes Licht, die Versorger können die Preiserhöhung weitergeben. Gehen Sie als Experte, als jemand, der den Markt kontrolliert, reguliert, davon aus, dass die Versorger aus dem Stand heraus voll zu 100 Prozent die Erhöhung weitergeben?
Müller: In der Tat, wir sind jetzt im spekulativen Bereich. Aber sollte das mal der Fall sein, bin ich sicher, dass das geschieht. Das hat auch einen ökonomischen Grund, weil viele Energieversorger kaufen zurzeit Gas zu extrem teuren Preisen auf dem Spotmarkt ein, weil ihre Verträge ausgelaufen sind, weil sie nicht für die gesamte Gasmenge langfristig geplant haben. Insofern gibt es einen erheblichen Druck innerhalb der Energieversorgungsunternehmen. Das spüren wir auch.
Umgekehrt gibt es die berechtigte Sorge in der Industrie, bei privaten Haushalten, dass das so kommen würde, und in dem Spannungsverhältnis werden jetzt auch politische Entscheidungen diskutiert und vorbereitet. Ich glaube, es ist klar, so ein Moment wäre nur dann denkbar, wenn gleichzeitig auch deutlichgemacht wird, wie es eine soziale Flankierung gibt, wahrscheinlich – das muss man ehrlicherweise sagen – nur für einen Teil der Bevölkerung, nämlich die, die tatsächlich finanziell bedürftig sind.

Müller: Nicht mehr weitergeben als die zwingende Preiserhöhung

Meurer: Aber die soziale Absicherung ist für Sie, die Bundesnetzagentur kein Kriterium, wie Sie entscheiden?
Müller: Nein! Für die Bundesnetzagentur ist das kein Kriterium. Aber es gibt ja Dinge, die sich parallel entwickeln, und ich könnte mir vorstellen, dass die Diskussionen auch parallel zu unserer Beobachtung des Marktes weiter laufen. Ich sage auch einmal aus Verbraucherschutzgesichtspunkten, es muss genau darauf geachtet werden, dass nicht mehr weitergegeben wird als die zwingenden Preiserhöhungen. Da hat man in der Vergangenheit ja auch schon mal ambivalente Erfahrungen gemacht.
Meurer: Die Alarmstufe dient ja auch dazu, vielleicht sogar in erster Linie dazu, die Gasspeicher, den Pegelstand oder die Füllmenge zu erhöhen. Im Moment – korrigieren Sie mich – liegt sie bei 59 Prozent. Werden wir das schaffen, bis November auf 90 Prozent zu kommen?
Müller: Ja! Genau das ist die Gretchenfrage und das war das ernüchternde Moment am Mittwochabend, wo die Bundesnetzagentur ein Szenarienmodell vorgestellt hat, wo wir modelliert haben. Das heißt, wir haben Annahmen getroffen. Aber gemäß dieser Annahmen, die zumindest erfahrungsgemäß nicht unplausibel waren, kommen wir in praktisch kaum einem Szenario dazu, alle drei Ziele des Gasspeichergesetzes zu erfüllen. Sie wissen, zum 1. Oktober, zum 1. November und dann im Frühjahr sollen bestimmte Gasstände erreicht sein, und unsere Modelle zeigen, das unterschreiten wir in der Regel. Darum ist diese Alarmstufe ausgerufen worden, um was dagegen zu tun, um gegenzusteuern.
Meurer: Das heißt aber, dann wird es düster. Ab wann? Ab Februar?
Müller: Genau das kommt auf uns an. Es kommt darauf an, wie stark gelingt es uns jetzt auf der Input-Seite mehr Gas zu beschaffen. Die Bundesregierung hat 15 Milliarden Euro an Unterstützungskreditlinien zur Verfügung gestellt, um selber Gas über THE, den Marktgebietsverantwortlichen einzukaufen. Es kommen zwei Flüssiggas-Terminals noch in diesem Winter, die uns helfen würden. Wir nutzen Gas aus Norwegen, Holland, Belgien. Das heißt wir tun einiges dafür, die Speicher zu befüllen. Wir werden auch für die Industrie noch mal ein sogenanntes Regelenergieprodukt, ein Auktionsmodell anbieten, dass Unternehmen das tun können. Und es kommt auf uns Verbraucherinnen und Verbraucher an. Es ist kein statisches Modell. Je mehr Kraft wir ins Energie und Gas sparen stecken, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass wir tatsächlich an Gasmangel leiden.

"Zeitpunkt für Wahrheit und reinen Wein"

Meurer: Wir alle müssen uns vorbereiten. Wir alle müssen uns wappnen. Sie machen Ihre Modelle und Berechnungen in der Bundesnetzagentur. Können Sie garantieren, dass es wirklich beim Worst Case bleibt, dass die Haushalte geschont werden und es erst an die Wirtschaft geht?
Müller: Es ist jetzt der Zeitpunkt für Wahrheit und reinen Wein. Garantieren kann man im Leben leider ganz, ganz wenig. Aber wir können alles dafür tun, und unsere Modelle sagen zwar, wir fahren die Speicher womöglich runter, aber es kann auch sogar sein, dass wir im Industriebereich Kürzungen vornehmen müssen, was bitter wäre für Arbeitsplätze, für die Produktion, für die Wertschöpfung. Darum wollen wir das vermeiden. Aber in unseren Modellen ist es, Stand heute, nicht so, dass wir an die privaten Haushalte herangehen müssen. Aber es hängt von uns allen ab und sollte man einen sehr, sehr kalten Winter erleben, sollten wir fahrlässig und viel zu großzügig mit Gas umgehen, dann wird es nicht schön werden.
Meurer: Stand heute, haben Sie eben gesagt. Von was hängt das ab, dass Sie in so einer Situation sagen, tut mir leid, jetzt müssen wir an die Haushalte gehen?
Müller: Es hängt schlicht davon ab, ob es uns insgesamt gelingt, die Gasspeicher weiter zu befüllen und selber sparsam zu werden. Es gibt natürlich noch eine europäisch-internationale Komponente. Die Schutzverordnungen gelten wechselseitig. Das heißt, andere Länder würden uns in einer Gasnotlage helfen müssen. Aber es gilt auch eine Verpflichtung für Deutschland. Deutschland als Land, geographisch in der Mitte mit großen Speicherkapazitäten, nicht gut gefüllt, aber großen Kapazitäten, stünde auch, wenn es Nachbarländern schlecht ginge, in einer Pflicht. Auch dann gilt, private Haushalte sind die geschütztesten Kunden, gemeinsam mit Krankenhäusern und Pflegeheimen. Es ist aber so volatil und so unsicher, dass niemand zurzeit die Hand dafür ins Feuer legen kann, aber man kann alles dafür tun, dass es so nicht kommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.