Dirk-Oliver Heckmann: Bei der letzten Bundestagswahl haben die Liberalen ja ihr Waterloo erlebt und scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Nach vier Jahren soll sich das wieder ändern und verließe man sich auf die Demoskopen, so haben sie dazu auch gute Chancen. Am Vormittag wurde der Bundesparteitag eröffnet. Um zwölf Uhr begann Christian Lindner mit seiner Rede.
Dort erreichen wir Burkhard Hirsch, ehemaliger Vizepräsident des Bundestages und ehemals Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Tag, Herr Hirsch.
Burkhard Hirsch: Schönen guten Tag. Sie haben mich richtig aus der Rede von Herrn Lindner rausgerissen, die ja noch läuft.
Heckmann: Ganz herzlichen Dank dafür schon mal vorab, dass Sie sich die Zeit nehmen, die Rede kurz zu verlassen. Sie können sich von Ihren Parteifreunden ja erzählen lassen, was Sie verpasst haben. – Zum Einstieg die Frage: Christian Lindner fordert, dass Personen wie Özil die Nationalhymne singen sollten. Kommt Ihnen das auch ein bisschen komisch vor für eine liberale Partei?
Hirsch: Er hat das doch gar nicht gefordert. Er hat das ja eigentlich klargestellt. Er hat gesagt, im Grunde genommen ist das Singen der Nationalhymne ja ein Bekenntnis zu unserem Land, zu seinen Rechten und zu seiner Lage. Es wäre schön, wenn sie mitsingen, und wenn sie nicht mitsingen, ist es ihre eigene Entscheidung. Das heißt, der Herr Lindner hat doch gar nicht gesagt, der muss oder der soll mitsingen, sondern es wäre schön, wenn er es täte, aber es ist völlig seine eigene Entscheidung. – Was sollen wir anderes dazu sagen? Wir haben in der Nationalmannschaft Fußballspieler aus allen möglichen Ländern. Warum sollten die alle die Nationalhymne singen. Wissen Sie, das erinnert mich ein bisschen an Bilder aus den Vereinigten Staaten, wo die Leute noch dazu gebracht werden, ihre Hand aufs Herz zu legen. Das sind alles Äußerlichkeiten, die im Grunde genommen doch schnurz sind, finde ich.
"Wir wollen eine eigene Politik formulieren"
Heckmann: Schauen wir mal auf die Liberalen insgesamt. Die sind ja bemüht, sich ein neues Image zu geben. Da ist schon die Rede von der "neuen FDP". Viele Beobachter haben aber den Eindruck, das ist alter Wein in neuen Schläuchen, wenn man sich da die ewig gleiche Forderung nach Steuersenkungen beispielsweise anguckt. Geht Ihnen, Herr Hirsch, die Erneuerung der FDP eigentlich weit genug?
Hirsch: Es ist ja richtig, dass Sie auf die Steuerfrage ansprechen. Die Kernaussage von Lindner, der ich zustimme und beipflichte, ist doch, dass er sagt, es gibt keinen Unterschied zwischen den Wirtschaftsliberalen, den Neoliberalen, den Sozialliberalen, den Linksliberalen, sondern man ist entweder liberal, oder man ist es nicht. Zu einer Liberalität gehört, die Möglichkeiten des Einzelnen, seine Chancen, die Chancengleichheit, eine gute Bildungspolitik durch Angebot von Arbeitsplätzen, durch die Möglichkeit einer Weiterbildung. Die Chancen des Einzelnen, sich zu verwirklichen, das ist der Kern liberalen Denkens, und das finde ich auch richtig. Man sollte das nicht auf eine einzelne Frage reduzieren und sagen, liberal ist nur der, der Steuersenkungen will. Wir haben ein enormes Steueraufkommen. Warum soll es nicht möglich sein, in vernünftiger Weise Steuern zu senken. Ich denke, dass Herr Lindner da das Richtige ausspricht, nämlich in der Sozialpolitik, sowohl in den Bürgerrechtsfragen wie im Verhältnis zur Türkei waren drei wesentliche Punkte zu sagen, wir sind Liberale, wir sind nicht die Anhängsel irgendeiner anderen Partei, wir möchten nicht, dass der Wähler uns deswegen wählt, damit einer, der nicht Liberaler ist, Bundeskanzler wird, sondern wir wollen eine eigene Politik formulieren, für die wir eintreten und von der wir dem Wähler sagen, so stellen wir uns eine liberale Gesellschaft vor.
Heckmann: Dann kommen wir zu einem speziellen Punkt, Herr Hirsch. Gehört es denn auch zum Kern liberalen Denkens, in der Flüchtlingspolitik beispielsweise scharfe Töne anzuschlagen, wie es Christian Lindner ja auch tut? Er geißelt den Kontrollverlust der Regierung. Das tun auch andere Parteien, das tut auch die AfD beispielsweise. Und während die Jungliberalen fordern, Abschiebungen nach Afghanistan in der jetzigen Situation zu stoppen, fordert die FDP, die Abschiebungen im Gegenteil zu verstärken, auch nach Afghanistan. Ist es richtig, Töne anzuschlagen, um beim Wähler anzukommen und zu verhindern, dass Wähler zur AfD beispielsweise abwandern?
Hirsch: Das Problem unserer Einwanderungspolitik liegt doch darin, dass wir in Wirklichkeit kein Einwanderungsgesetz haben, sondern dass Asylanten und die sogenannten sekundären Flüchtlingsberechtigten und Einwanderer, dass das total miteinander vermischt wird. Nach geltendem Recht sieht es so aus, dass Asyl und Einwanderung aus humanitären Gründen zeitlich begrenzt ist. Es ist keine Einwanderung. Wenn wir von einer Einwanderung reden, dann möchten wir, dass wir uns selber aussuchen, wen können wir brauchen, wer bekennt sich zu uns, wer bejaht unsere Verfassung, wer spricht einigermaßen Deutsch. Wer das alles erfüllt, hat eine Chance einzuwandern. Aber jemand, der nur zu uns kommt, weil er in einem anderen Land in Gefahr ist, der muss wissen, dass das eine Aufnahme auf Zeit ist. Das darf man nicht miteinander vermischen.
"Wir möchten die Wähler gewinnen, die für eine liberale Politik sind"
Heckmann: Das ist nachvollziehbar, dass man das trennen möchte. Aber haben Sie trotzdem den Eindruck, …
Hirsch: Darf ich das noch sagen? – Wenn Sie mich auf Afghanistan ansprechen: Es gibt in Afghanistan auch Leute, die dort leben können, ohne verfolgt zu sein. Ich bin dagegen, jemand nach Afghanistan abzuschieben, der dort Gefahr für Leib und Leben hätte. Aber ich bin dafür, jemand nach Afghanistan abzuschieben, der hier in Deutschland uns vorlügt, er sei zum Christentum übergetreten. Es ist neulich durch die Zeitungen gekommen, dass jemand gesagt hat, ich bin zum Christentum übergetreten, deswegen bin ich in Afghanistan mit dem Tode bedroht. Aber er wusste vom Christentum überhaupt nichts, außer dass Johannes der Täufer Christus getauft hat. Mehr hatte er vom Christentum nicht verstanden.
Heckmann: Das heißt, Sie würden nicht sagen, dass die FDP rechts blinkt, um keine Wähler an die AfD beispielsweise zu verlieren?
Hirsch: Nein. Wir möchten die Wähler gewinnen, die für eine liberale Politik sind. Die AfD-Mitglieder sind doch keine Liberalen. Das sind Leute aus dem 19. Jahrhundert oder aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die dabei bleiben wollen bei einem Europa der Vaterländer. Wir sind doch Europäer und wollen eine möglichst enge und gute Zusammenarbeit mit den anderen haben. Die AfD-Leute sind doch alles andere als Liberale. Ich denke, dass auch hier Herr Lindner in seiner Rede die richtigen Grenzziehungen gefunden hat. Ich bin mit dem, was er gesagt hat, ganz einverstanden.
"Zu einer Koalition gehört auch menschlieches Vertrauen"
Heckmann: Ganz, ganz kurz zum Schluss mit einem Satz vielleicht, Herr Hirsch. Die FDP hat ja eine Ampelkoalition in Nordrhein-Westfalen ausgeschlossen. Ist das aus Ihrer Sicht richtig?
Hirsch: Ich hätte selber große Schwierigkeiten, mit den Grünen-Politikern, die in der Landesregierung sind, zusammenzuarbeiten. Zu einer Koalition gehört auch menschliches Vertrauen. Das habe ich zu den Sozialdemokraten, weil ich mit einer Koalition mit der SPD in meinem politischen Leben gute und verlässliche Erfahrungen gemacht habe. Was ich im Verhältnis zu den Grünen erlebe, muss ich sagen, ich könnte mir nur schwer vorstellen, dass es dort eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt.
Heckmann: Der ehemalige Vizepräsident des Bundestages Burkhard Hirsch war das. Schönen Dank für Ihre Zeit, Herr Hirsch.
Hirsch: Bitte schön!
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