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Bundesparteitag der Linken
Hennig-Wellsow: "Wir wollen Verantwortung übernehmen"

Die designierte Chefin der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow, will alles daran setzen, die schwachen Umfragewerte der Linken von sieben Prozent zu verbessern. Dazu müsse ihre Partei zum Beispiel radikal in eine veränderte Klimapolitik und eine vernünftige Sozialpolitik einsteigen, sagte Hennig-Wellsow im Dlf.

Susanne Hennig-Wellsow im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Erfurt: Susanne Hennig-Wellsow Die Linke in der 29. Plenarsitzung des Thüringer Landtags in der 7. Wahlperiode am 12. November 2020.
Susanne Hennig-Wellsow: "Linke, die nicht streiten, sind keine Linken" (imago-images/Jacob Schröter)
Für die schwachen Umfragewerte ihrer Partei gebe es verschiedene Ursachen glaubt Susanne Hennig-Wellsow. So würde derzeit die die Corona-Politik der Bundesregierung alles überlagern. Linke Themen und linke Antworten würden nicht gehört werden. Ihrer Partei bliebe nur eine Zuschauerrolle, so die 43-Jährige in den "Informationen am Morgen".
Bei Themen wie Klimapolitik, Sozialpolitik und Rüstungsexporten wolle ihre Partei Teil dessen sein, "was man eine progressive Mehrheit" nenne. Mit der Bundestagswahl könnten in dieser Hinsicht neue Wege eingeschlagen werden, sagte die designierte Parteichefin.
Darüber hinaus bekräftigte Hennig-Wellsow die Forderung ihrer Partei, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Die thüringische Landeschefin der Linken sagte, der Verfassungsschutz trage nicht dazu bei, die Demokratie zu schützen. Er sei auch nicht der Maßstab, zu beurteilen, ob eine Organisation auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Dies müssten Gerichte entscheiden.
Am Freitag (26.02.2021) und Samstag trifft sich die Linke zu einem digitalen Bundesparteitag. Hennig-Wellsow stellt sich gemeinsam mit der hessischen Landtagsfraktionschefin Janine Wissler zur Wahl als neue Parteivorsitzende. Die bisherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger treten nicht mehr an. Sie haben die Partei seit 2012 geführt. Hennig-Wellsow wurde unter anderem bekannt durch einen Blumenstrauß, den sie im thüringischen Landtag dem FPD-Politiker Thomas Kemmerich vor die Füße warf, nachdem dieser mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.
Montage: Porträts von Wissler und Henning-Wellsow 
Mit weiblicher Doppel-Spitze in die Regierung?
Viel spricht dafür, dass zwei Frauen die Partei in die Bundestagswahl 2021 führen werden. Mit Offenheit für eine Regierungsbeteiligung? Vor dem Bundesparteitag gibt es dazu in der Partei unterschiedliche Meinungen.

Das Interview in voller Länge.
Christoph Heinemann: Frau Hennig-Wellsow, warum erzielt Die Linke in den bundesweiten Umfragen zurzeit sechs, höchstens sieben Prozent?
Susanne Hennig-Wellsow: Das ist eine Frage, die wir uns natürlich auch stellen. Aus meiner Sicht gibt es da verschiedene Ursachen, weil man ja gemeinhin eher von einer Zeit der linken Themen und der linken Antworten spricht, die aber nicht gehört werden, weil in der Corona-Zeit die Zeit der Exekutive, sprich der Regierung ist, die versuchen, die Pandemie zu klären, auf ihre ureigenste Weise. Im Bund ist Die Linke nicht in der Bundesregierung und deswegen haben wir da eher eine Zuschauerrolle.

"Müssen uns verstehen auch als Partei der Mitte"

Heinemann: Sind sieben Prozent bundesweit mit Blick auf den Zustand der Partei viel oder wenig?
Hennig-Wellsow: Aus meiner Sicht ist das kein Maßstab, wenn man in einen Wahlkampf geht. So würde ich vielleicht antworten. In diesem Sinne trete ich dafür ein, dass wir natürlich über die sieben Prozent hinauswachsen.
Heinemann: Wie denn?
Hennig-Wellsow: Indem wir uns zum Beispiel entscheiden. Wir müssen uns verstehen auch als Partei der Mitte, und das tun wir, weswegen die Bundestagswahl eine Richtungswahl ist, wo es darum geht, ob wir tatsächlich radikal in eine veränderte Klimapolitik einsteigen, in eine vernünftige Sozialpolitik, ob es uns gelingt, Rüstungsexporte zu stoppen und und und. Und wir wollen Teil dessen sein, was man eine progressive Mehrheit nennt und mit der Bundestagswahl den entscheidenden Unterschied ausmachen. Sprich: Wir wollen Verantwortung übernehmen.
Susanne Hennig-Wellsow (l), Landesvorsitzende von Die Linke Thüringen, und Janine Wissler, stellvertretende Parteivorsitzende der Linken auf Bundesebene, stehen auf dem Landesparteitag der Linken Thüringen zusammen und lächeln
Wie links darf Die Linke sein?
Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler wollen die Führung der Partei Die Linke übernehmen. Kritiker werfen den beiden Politikerinnen vor, linksradikal zu sein und Kontakte zu Gruppierungen zu unterhalten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Heinemann: Warum erzielen Sie dann mit diesen Themen, die Sie als wichtige Themen gekennzeichnet haben, nur sieben Prozent?
Hennig-Wellsow: Das meine ich ja. Da ist aus meiner Sicht viel in Bewegung. Wir haben jetzt seit einem Jahr das große Thema Corona-Politik, was auch andere politische Eingriffe erfordert hat. Die Zeit wird nach dem Sommer weitestgehend vorbei sein und man kann sich durchaus den Folgen von Corona widmen als auch gleichzeitig wieder jetzt als Oppositionspartei und möglicherweise weniger als Teil eines Bündnisses wesentlich besser und anders eingreifen in Politik, und das bedeutet auch eine andere Wahrnehmung und eine andere Glaubwürdigkeit für das, was wir wollen.

"Aufbruch in etwas Neues"

Heinemann: Fabio De Masi, einer der Fähigsten in der Linksfraktion, zieht sich aus dem Bundestag zurück. Er kandidiert auch nicht für die Parteiführung, weil er, wie er schrieb, seine Energie nicht in eingeübten Ritualen und Machtkämpfen verausgaben will. Was reizt Sie daran?
Hennig-Wellsow: Ich komme aus einem Bundesland, wo wir einen Ministerpräsidenten stellen, Bodo Ramelow, und ich weiß, was gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen und dasselbe Ziel haben, nämlich das Leben der Menschen im Hier und Jetzt zu verändern. Mich reizt es, diesen Gedanken in die Partei Die Linke nicht nur zu tragen, sondern die Partei Die Linke zu motivieren, mit aller Euphorie und mit allem Engagement dafür zu streiten. Das ist unser ureigenstes Ziel, Verhältnisse zu verbessern, und das alle zusammen und mit dem Aufbrechen der alten Konflikte und einem Aufbruch in etwas Neues.
Heinemann: Alte Konflikte: Die Umgangsformen in der Linken sind ja sehr ruppig. Katja Kipping und Sahra Wagenknecht haben sich aneinander abgearbeitet. Gregor Gysi sprach einst von Hass. Wie möchten Sie für besseres Benehmen in der Linken sorgen?
Hennig-Wellsow: Linke, die nicht streiten, sind keine Linken. Insofern ist Streiten auch etwas Positives.
Heinemann: Aber Hass ist doch was anderes.
Hennig-Wellsow: Sie haben recht, was Umgangsformen angeht. Es geht viel um Kommunikation, da sein, dabei sein, auch klarzustellen, dass die Partei Die Linke die wichtigen Mandate für alle Abgeordneten in der Fraktion stellt, dass die Partei Die Linke diejenige ist, die auch demokratisch legitimiert ist, politisch die Prozesse zu entscheiden für Die Linke, auch im Bundestag. Darum geht es und im allermeisten geht es tatsächlich darum, miteinander zu reden, zu reden, zu reden und damit nicht aufzuhören.

"Die Bundeswehr gehört nicht ins Ausland"

Heinemann: Schauen wir aufs Inhaltliche. Mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow für und gegen eine Regierungsbeteiligung, für und gegen Auslandseinsätze als Blauhelm-Einsätze der Bundeswehr. Kann man das schon ein Programm nennen?
Hennig-Wellsow: Was meinen Sie damit?
Heinemann: Ob Sie mit einer Pro- und Kontra-Haltung in der Parteiführung gut aufgestellt sind.
Hennig-Wellsow: Ach so! Jetzt habe ich es verstanden. – Wir haben auch in diesem Punkt keine Pro- und Kontra-Haltung.
Heinemann: Seit wann nicht mehr?
Hennig-Wellsow: Schon die ganze Zeit nicht. Ich versuche, es mal zu erklären. Natürlich sind die Mitglieder der Partei Die Linke und ich auch dafür, dass keine Bundeswehrsoldaten im Ausland ihren Dienst machen. Die Bundeswehr gehört nicht ins Ausland. Dieser Satz steht und der ist fest. Es gibt aber aus meiner Sicht viele andere Fragen, die auch in diesem Feld zu klären sind. Das eine ist, was ist eigentlich mit Blauhelm-Einsätzen nach Kapitel VI der UN-Charta. Da geht es um nicht bewaffnete nach Konflikten sichernde Friedensmissionen. Und wir haben da noch ganz andere Fragen zu klären. Was ist eigentlich mit der Wehrpflicht? Ich bin für die komplette Abschaffung der Wehrpflicht. Ich bin für die Verkürzung oder Kürzung des Haushaltes der Bundeswehr, um sie tatsächlich …
Heinemann: Frau Hennig-Wellsow, es ging jetzt um den Konflikt zwischen Ihnen und Frau Wissler in der Frage der Auslandseinsätze. Ihre Kollegin sagt absolut Nein dazu.
Hennig-Wellsow: Das stimmt, sie sagt absolut Nein. Das Erfurter Programm sagt etwas anderes. Insofern ist das Erfurter Programm von uns als Partei Die Linke an diesem Punkt durchaus interpretierbar. Ich sage nicht, wir müssen ins Ausland gehen. Ich sage nur, im Einzelfall müssen wir es prüfen, und da haben wir keinen Dissens. Wir werden auch an anderen Punkten natürlich – und das ist auch Die Linke und das ist auch das Leben – unterschiedlicher Auffassung sein, aber wir werden zusammenstehen.

"Man kann das russische Vorgehen nur kritisieren"

Heinemann: Worin unterscheiden sich die Äußerungen der Partei Die Linke zu Russland von denen des Kreml?
Hennig-Wellsow: Aus meiner Sicht schon sehr, weil wir natürlich nicht mit zweierlei Maß messen, wenn es darum geht, Menschenrechte zu sichern, wenn es darum geht, Demokratie zu sichern, Demokratie zu leben, und wenn es darum geht, eine Opposition eine Opposition sein zu lassen. Aus meiner Sicht kann man das russische Vorgehen – Sie meinen mit Sicherheit auch Nawalny – nur kritisieren und verurteilen und in keiner Form rechtfertigen oder spekulieren, und insofern gibt es keine Äußerung der Partei Die Linke, die etwas anderes sagt.
Heinemann: Wenn wir mal durchdeklinieren: Nato abschaffen, Sanktionen auf keinen Fall, Annexion der Krim, na und, Nawalny wurde vielleicht in Deutschland vergiftet, war aus der Linkspartei zu hören. Ist diese Russland-Politik noch stark von der SED geprägt?
Hennig-Wellsow: Ich würde sagen, wenn Sie das meinen, sie ist in Teilen von einzelnen geprägt, aber nicht von der Partei Die Linke.
Heinemann: Wie gehen Sie damit um? Irgendwie müssen Sie auch daraus ein Programm bilden.
Hennig-Wellsow: Die Partei Die Linke ist da sehr eindeutig. Es gibt nicht einen Doppelstandard, wenn es um die Bewertung von Menschenrechten, von Demokratien, vom Umgang mit der eigenen Bevölkerung gibt. Das ist der Maßstab, kein anderer.
Heinemann: Frau Hennig-Wellsow. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete vorgestern, dass Janine Wissler bis vor kurzem Mitglied der Organisation "Marx 21" gewesen sei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Welche Botschaft sendet Die Linke, wenn sie eine Linksextremistin in die Führung wählt?
Hennig-Wellsow: Da muss ich erst mal laut lachen. – "Marx 21" ist ja bekannt – es ist ja bekannt, dass Janine Wissler nicht erst seit gestern oder vorgestern in der Strömung der Partei aktiv war. Und wenn es darum geht, die Beobachtung des Verfassungsschutzes als Maßgabe für Extremismus zu machen, für Linksextremismus, dann frage ich mich, wie Sie Bodo Ramelow bewerten, der ja 30 Jahre lang vom Bundesverfassungsschutz beobachtet worden ist und heute Ministerpräsident des Freistaates Thüringen ist. Ich weiß nicht, ob Sie da den gleichen Maßstab anlegen.
Heinemann: Mit welchem Recht wollen Sie denn dann künftig die AfD kritisieren?
Hennig-Wellsow: Ich kritisiere die AfD, weil es eine, in ihren Grundzügen faschistische Partei ist, und das bleibt so. Ich halte auch nicht viel davon, dass der Verfassungsschutz auch die AfD beobachtet, weil ich der Auffassung bin, in dem Punkt gilt die politische Meinungsfreiheit. Das was aber die AfD macht, ist keine Meinungsfreiheit, sondern das sind zum Teil extrem rechte Äußerungen, das ist extrem rechtes Handeln, das ist die Zusammenarbeit mit den extremen Rechten, und da kann man auch jetzt handeln – mit polizeilichen Maßnahmen, mit politischen Maßnahmen und und und.

"Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft"

Heinemann: Stehen Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, für Sie zweifelsfrei auf dem Boden des Grundgesetzes?
Hennig-Wellsow: Für mich ist der Verfassungsschutz nicht der Maßstab zu beurteilen, ob eine Organisation auf dem Maßstab des Grundgesetzes steht oder nicht.
Heinemann: Welche Organisation kann das denn beurteilen?
Hennig-Wellsow: Zum Beispiel Gerichte.
Heinemann: Sie sprechen das dem Gremium, dem Verfassungsschutz ab?
Hennig-Wellsow: Sie kennen doch meine Haltung. Der Verfassungsschutz gehört abgeschafft, weil er nicht dazu beiträgt, Demokratie zu schützen, sondern gerade mit Blick mal auf Thüringen auch dazu beigetragen hat, tatsächlich Rechtsextremistentum auszubauen und bis heute auch in diesen Strukturen verfestigt zu sein. Wenn wir uns den Verfassungsschutz in Thüringen angucken, Ende der 90er und Anfang der 2000er, dann ist der Verfassungsschutz einer der Verursacher für den NSU. Das können wir vergessen, oder wir können verstehen, dass das eine Organisation ist, die nicht taugt, die Demokratie zu schützen.
Heinemann: Frau Hennig-Wellsow, wir haben jetzt einige Punkte durchdekliniert. Welche Partei, glauben Sie, will mit dieser Linken eine Koalition bilden?
Hennig-Wellsow: Eine Partei, die zum Beispiel ziemlich zügig unterschiedliche Subventionen in soziale Strukturen stecken will, eine Partei, die ziemlich zügig eine echte Grundsicherung im Land schaffen will, die sanktionsfrei und vermögensfrei ist, die höher ist, als das jetzt mit Hartz IV der Fall ist, eine Partei, die sich tatsächlich darum bemüht, das Öffentliche in der Gesundheitsversorgung wieder stark zu machen. Solche Parteien sind mit Sicherheit daran interessiert, mit uns zu koalieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.