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Bundesparteitag in Hannover
"Wir organisieren einen neuen Aufbruch für Grün"

Auf ihrem Bundesparteitag bestimmen die Grünen die beiden neuen Parteivorsitzenden. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner äußerte Verständnis dafür, dass Robert Habeck als Landesminister eine Übergangsregelung für sich fordere. Hier bestehe eine Lücke in der Satzung.

Michael Kellner im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der Bundesgeschäftsführer der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Michael Kellner, stellt am im Juni 2017 in Berlin die Eckpunkte für die Bundesdelegiertenkonferenz vor.
    Michael Kellner, politischer Geschäftsführer von Bündnis 90/ Die Grünen (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Christoph Heinemann: Der Parteitag heißt nicht Parteitag, sondern Bundesdelegiertenkonferenz, und an die Parteispitze wird niemand mit 100 Prozent gewählt. Vielmehr muss ein vergleichsweise kompliziertes Gleichgewicht hergestellt werden. Bündnis 90/Die Grünen werden morgen die Führung neu bestimmen; heute treffen sich die Delegierten in Hannover.
    Am Telefon ist Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen!
    Michael Kellner: Einen wunderschönen guten Morgen.
    Heinemann: Herr Kellner, zwei links, zwei rechts, einen fallen lassen. Wie modisch ist das grüne Strickmuster Anno 2018 noch?
    Kellner: Viele Grüne können stricken, auch wenn das nicht die Hauptbeschäftigung der Grünen ist. Natürlich geht es um Personen. Ich habe gerade gehört, was Frau Schmidt-Mattern gesagt hat. Wir haben viele tolle Personen in der Partei und natürlich spielt da Persönlichkeit eine enorme Rolle und die setzen sich durch. Das heißt, es ist ja nicht so, dass es da jetzt einfach nach ganz starren Regeln und Mustern geht.
    Heinemann: Inzwischen nicht.
    Kellner: Wie bitte?
    Heinemann: Inzwischen nicht. Früher war das ja so.
    Kellner: Ja, auch früher war es so, dass es natürlich enorme prägende Persönlichkeiten waren, die in dieser Partei sich durchgesetzt haben und sie geprägt haben. Ich will nur mal sagen, dass es auch in Parteien - und das ist auch die Aufgabe von Parteien - unterschiedliche Meinungen, Positionen, Milieus gibt. Und Parteien haben auch die Aufgabe, dies zu bündeln und das zu einer kohärenten Politik zu bündeln. Das ist Aufgabe von Parteien und deswegen ist es auch normal, dass es in Parteien verschiedene Gruppierungen und Strömungen gibt. Das sehen Sie bei eigentlich allen Parteien.
    "Alle drei wirklich tolle Persönlichkeiten"
    Heinemann: Herr Kellner, was fällt Ihnen auf, wenn Sie die Selbstdarstellungen der Kandidatinnen mit der des Kandidaten vergleichen?
    Kellner: Ich möchte erst mal sagen, dass es alles drei wirklich tolle Persönlichkeiten sind. Was wir mit diesem Parteitag hier in Hannover machen ist: Wir organisieren einen neuen Aufbruch für Grün gegen eine bleierne Große Koalition, die sich ja leider abzeichnet. Wir haben einmal mit Robert Habeck aus dem Norden einen sehr starken Kandidaten und mit Anja Piel und Annalena Baerbock zwei starke Frauen. Und das in einer Zeit, wo der Anteil von Frauen im Deutschen Bundestag zurückgegangen ist, so niedrig wie seit Anfang der 90er-Jahre nicht mehr, weil vor allen Dingen AfD und FDP so viele Männer oder überproportional nur Männer geschickt haben in den Bundestag. Umso wichtiger ist auch, dass wir – und das ist auch eine Stärke für Grüne – da eine Parteivorsitzende haben, die ein starkes Aushängeschild sein wird auch für Emanzipation in dieser Gesellschaft.
    Heinemann: Sehnen sich die Grünen nach einem starken Mann?
    Kellner: Die Grünen sehnen sich, wenn es so was wie eine Sehnsucht auf Führung bei den Grünen gibt, was ja immer sehr gering ausgeprägt ist, sehnen sich, glaube ich, nach einem Team, das zusammenarbeitet, das die Partei voranbringen will, nach Gemeinsamkeiten, aus unterschiedlichen Standpunkten einzubinden. Ich glaube, das ist die Sehnsucht, und das ist auch das, was meines Erachtens auch die Partei erwarten kann von ihrer Führung, dass unterschiedliche Positionen gemeinsam zusammengetragen werden und vorangebracht werden.
    Heinemann: Unterstützen Sie die Lex Habeck?
    Kellner: Ich habe Verständnis dafür, dass Robert Habeck als Minister in Schleswig-Holstein eine Übergangsregelung benötigt.
    Heinemann: Warum ein Jahr?
    Kellner: Er hat ja gesagt, ein Jahr. Es gab dann noch mal unterschiedlichste Gespräche, dass wir auf einen Kompromissvorschlag gekommen sind von bis zu acht Monaten. Und ich würde mich freuen, wenn das beschlossen wird. Aber es ist in der Hand der Delegierten, das zu entscheiden.
    Heinemann: Aber das hieße doch, dass Habecks grüne Nachfolgerin oder Nachfolger in Kiel zu blöde wären, das Geschäft sofort zu übernehmen.
    Kellner: Ich will mich jetzt gar nicht in die Gepflogenheiten in Schleswig-Holstein einmischen. Es ist doch nur so, dass Robert Habeck für sich gesagt hat, um das vernünftig regeln zu können, um einen vernünftigen Übergang hinzubekommen, braucht er Zeit. Darum bittet er und jetzt liegt es an dem Parteitag, an den Delegierten, darüber zu entscheiden.
    "Wir haben Regelungsbedarf in der Satzung"
    Heinemann: Und dafür braten die Grünen ihm eine Extrawurst?
    Kellner: Dass wir einen Regelungsbedarf haben in der Satzung, das ist ziemlich klar. Es ist so: Wir haben ja die Trennung von Amt und Mandat in einem historischen Kompromiss mal aufgehoben. Ein Drittel der Mitglieder des Bundesvorstandes dürfen ein Mandat haben. Das bleibt. Jetzt haben wir nun das erste Mal die Situation, dass ein Landesminister kandidiert, und wir haben diese Frage, was es für eine Übergangsmöglichkeit gibt, nicht geregelt. Damit haben wir eine Regelungslücke in der Satzung, die geschlossen gehört.
    Heinemann: Herr Kellner, der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hat Robert Habeck gelobt. "Die schönsten Autobahnen in Schleswig-Holstein habe man mit Habeck finanzieren können", hat er der Süddeutschen Zeitung gesagt. Das klingt für Grüne nicht so toll. Liegt das an Kubicki oder an Habeck?
    Kellner: Das liegt daran, dass der Kubicki ein kleiner Giftzwerg ist.
    Heinemann: Habeck vielleicht auch?
    Kellner: Nein, ganz bestimmt nicht.
    Heinemann: Aber ein Autobahn-Fan?
    Kellner: Robert Habeck steht in Schleswig-Holstein als Umwelt- und Agrarminister oder als Umweltminister, eine Energiewende voranzubringen, auch eine Agrarwende, und Robert geht halt dahin, wo auch die Konflikte sind. Robert Habeck diskutiert mit den Menschen, das ist eine unglaubliche Stärke. Wolfgang Kubicki hat, glaube ich, in dem gleichen Interview auch gesagt, er mache sich Sorgen, weil natürlich Robert Habeck auch attraktiv sein könnte für Wählerinnen und Wähler seiner Partei. Ich glaube, deswegen ist es ein Stück charmant mit Dreck werfen durch Wolfgang Kubicki.
    Heinemann: Er hat das sogar noch weiter ausgeführt. Er hat gesagt, er befürchtet, die Grünen könnten mit Habeck bei der FDP-Klientel wildern, und damit meinte er die jungen, die digitalisierten, die kreativen und – jetzt kommt es – die Frau vom Zahnarzt. Ich schlage vor, Herr Kellner, wir erweitern jetzt diese Zielgruppe freihändig auf den Gatten der Zahnärztin. Trotzdem die Frage: Sind Sie mit Blick auf die FDP auf der Pirsch?
    Kellner: Wir wollen als Partei, und wir haben ja wichtige Wahlen, wir haben dieses Jahr die Landtagswahl in Bayern, wo wir die absolute Mehrheit der CSU, die sie schon lange nicht mehr verdient, knacken. Wir wollen in Hessen wachsen. Wir sind natürlich auf dem Weg gegen eine so schwächelnde SPD und gegen eine so schwächelnde CDU in einer sich abzeichnenden Großen Koalition. Da wollen wir Grüne als die progressive Kraft in diesem Land, als die Kraft der linken Mitte zulegen und stärker werden. Da freuen wir uns über natürlich alle Menschen, die uns wählen, und natürlich auch über Menschen, die vorher die FDP möglicherweise gewählt haben.
    "Partei der linken Mitte oder links der Mitte"
    Heinemann: Kraft der linken Mitte, haben Sie gerade gesagt. Der "Spiegel" stellt in dieser Woche die Frage, ob die Grünen nach erfolgreicher Özdemisierung überhaupt noch zum linken Lager gerechnet werden können. Können Sie diese Frage beantworten?
    Kellner: Ja, ganz klar!
    Heinemann: Inwiefern?
    Kellner: Wissen Sie, das grüne Projekt ist seit Anbeginn ein emanzipatorisches, ein sozialökologisches Projekt, weil auch ein ökologischer Wandel nur gelingt, wenn er mit Fragen von sozialer Gerechtigkeit einhergeht. Es ist klar, dass die grüne Partei eine Partei der linken Mitte ist oder links der Mitte ist. Das ist sehr deutlich in dem, wie auch wir uns sehen und wie die Partei von außen gesehen wird. Auch da würde ich sagen, eine Spitze im "Spiegel" beschreibt noch nicht die Realität.
    Heinemann: Allerdings stehen die Grünen wie die gesamte Linke ohne Machtoption im Moment da. Deshalb schlägt Familie Wagenknecht-Lafontaine ja jetzt eine linke Sammlungsbewegung vor. Das hieße, aus dreien mach eine. Sollten die Grünen da mitmachen?
    Kellner: Lafontaine und Wagenknecht wollen sammeln. Das finde ich erst mal schon sehr überraschend, sind doch Herr Lafontaine und auch Frau Wagenknecht noch als Spalter bekannt. Und wenn ich mir die Positionen von Frau Wagenknecht und Herrn Lafontaine zu Flüchtlingsfragen, zu Europa, zu der Ablehnung Europas ansehe, dann sehe ich nicht, was das für eine linke Sammlungsbewegung sein soll. Da habe ich das Gefühl, da wird das gemacht, was Oskar Lafontaine, ja auch seine Vita begleitet: Da wird erneut gespalten.
    Heinemann: Die Grünen sind nicht dabei?
    Kellner: Es steht auch überhaupt nicht zur Debatte. Es steht doch zur Debatte, dass wir jetzt eine Große Koalition bekommen. Es steht zur Debatte, dass wir als Grüne stärker werden und dass wir dafür sorgen, dass es in dieser Republik eine andere Regierung gibt als eine Große Koalition. Dafür wollen wir stark werden, dafür suchen wir nach Bündnissen. Aber zu glauben, dass eine Sammlungsbewegung, angeführt von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, das Heil dieser Republik wäre und das Heil der politischen Linken in diesem Land, daran zweifele ich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.