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Bundespolizei zu EU-Beschlüssen
"Ich rechne schon mit Effekten"

"Was unser Innenminister Seehofer fordert, ist nichts anderes als die Umsetzung geltenden Rechts", sagte der Vorsitzende der Bundespolizei-Gewerkschaft, Ernst Walter, im Dlf. Deshalb begrüße er die getroffenen EU-Beschlüsse zur Asylpolitik, vor allem den Ausbau von Frontex zu einer "echten Grenzpolizei Europas".

Ernst Walter im Gespräch mit Christine Heuer |
    Ernst G. Walter, Vorsitzender der DPoIG Bundespolizeigewerkschaft, am Kölner Hauptbahnhof. Köln, 08.01.2016
    Weil die Bundeskanzlerin drei Jahre nicht ausreichend gehandelt habe, seien die Hälfte aller illegalen Einreisen ans BAMF weitergeleitet worden, beklagt Ernst G. Walter. (imago stock&people / Future Image)
    Christine Heuer: Angela Merkel findet, die CSU kann mit den Beschlüssen vom EU-Gipfel mehr als zufrieden sein, ob die CSU das genauso sieht, ist noch nicht raus.
    Es ist an der CSU, zu entscheiden, ob sie trotzdem an den deutschen Grenzen den nationalen Alleingang wagen will, wie Innenminister Horst Seehofer es sich ja vorbehalten hat. Die deutsche Polizeigewerkschaft hatte den CSU-Politiker in dieser Drohung öffentlich unterstützt, die Gewerkschaft vertritt unter anderem für den Grenzschutz zuständige Bundespolizisten. Ihr Vorsitzender Ernst Walter ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Ernst Walter: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Wie sehen Sie die Dinge, Herr Walter, nach dem EU-Gipfel? Fordern Sie immer noch einen deutschen Alleingang?
    Walter: Also ich denke, grundsätzlich ist es natürlich positiv, dass die Europäische Union sich jetzt auf ein paar ganz konkrete Beschlüsse geeinigt hat, aber mit Beschlüssen alleine ist das Problem natürlich nicht vom Tisch. Und wenn unser Innenminister Seehofer nicht die starken Forderungen gestellt hätte, wäre es ja noch nicht einmal dazu gekommen. Die Sekundärmigration ist ja durch die Beschlüsse nun nicht gelöst worden, und das, was unser Innenminister Seehofer fordert, ist ja nichts anderes als die Umsetzung geltenden Rechts, die wir seit September 2015 einfach außer Kraft gesetzt haben. Es geht ja hier nicht um etwas Neues, sondern es geht um das, was in Recht und Gesetz quasi für jeden Polizisten verpflichtend ist, nämlich umzusetzen das, was im Aufenthaltsgesetz, was im Asylgesetz und auch in den europäischen Regelungen steht.
    "Das was Seehofer fordert, ist meines Erachtens nach völlig richtig"
    Heuer: Gut, da gibt es jetzt unterschiedliche Rechtsauffassungen, haben wir hier auch im Programm viel drüber gesprochen, kommen wir beide vielleicht auch noch mal drauf, aber ich verstehe Sie richtig, Sie finden, Horst Seehofer soll jetzt ernst machen und den nationalen Alleingang einleiten?
    Walter: Wissen Sie, ich bin seit 40 Jahren Bundespolizist, und ich habe gelernt, nach Gesetz und Recht zu verfahren. Und das, was wir momentan an der Grenze zu Österreich machen, ist davon nicht abgedeckt. Seinerzeit, im September 2015 zur Hochzeit der Migrationskrise, ist das so angeordnet worden, dass das Recht außer Kraft gesetzt wurde, das war auch in der damaligen Situation völlig nachvollziehbar, weil wir dort eine Ausnahmesituation haben. Die gibt es nicht mehr, und deswegen sollten wir zurückkehren zu dem, was in unseren Gesetzen steht. Ansonsten muss man die Gesetze ändern. Und das, was Innenminister Seehofer fordert, ist meines Erachtens nach völlig richtig.
    Heuer: Nun sagt aber – wir sprechen ja vor allen Dingen über die bayrisch-österreichische Grenze, wenn ich das richtig verstehe –, nun sagt der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, er ist inzwischen gegen einen nationalen Alleingang der Deutschen, er ist sozusagen von der Fahne gegangen. Und Österreich wird ja reagieren.
    Walter: Ja, richtig, Österreich wird reagieren. Wenn wir an der deutsch-österreichischen Grenze, wo ja das Schengener Durchführungsübereinkommen temporär außer Kraft gesetzt ist mit Wissen und Wollen von Brüssel – so übrigens, wie die Dänen das bereits seit Anfang 2016 an der dänisch-deutschen Grenze tun, darüber spricht niemand, dass die auf einmal europäisches Recht brechen sollen. Wir verhalten uns da nicht anders als Frankreich beispielsweise an der Grenze zu Italien oder Dänemark an der Grenze zu Deutschland. Von daher gesehen ist es ein Unding, dass wir weiterhin diese Leute alle reinlassen, ohne eben halt die entsprechenden gesetzlichen Zurückweisungspflichten zu erfüllen. Und Österreich wird selbstverständlich in einem solchen Fall auch seine Grenzen nach Italien entsprechend kontrollieren. Dazu hat Österreich ja schon die entsprechenden Vorbereitungen getroffen, und dann werden wir natürlich an der Grenze auch weniger Zurückweisungen zu verzeichnen haben.
    Heuer: Und dann haben wir den Dominoeffekt in Europa und das Chaos, das dieser Gipfel gerade versucht hat zu verhindern.
    Walter: Ich halte das nicht für ein Chaos, wenn wir nationale Grenzen nach unseren entsprechenden europäischen Regeln, die wir uns nach Dublin gegeben haben, entsprechend umsetzen. Dann hätte man Dublin III nicht in Kraft setzen dürfen, wenn man das als Chaos ansieht. Ich halte es schon für richtig, dass jeder Staat zunächst einmal darauf achtet, dass er seine Gesetzgebung entsprechend umsetzt, und es ist ja nicht so, als wenn wir irgendwelche Asylantragsteller zurückweisen würden, sondern wir weisen Leute zurück oder wir würden Leute zurückweisen, die bereits in einem anderen europäischen Staat Schutz vor Verfolgung gefunden haben oder entsprechend registriert sind. Es geht ja hier nicht um inhumane Aktionen, sondern es geht lediglich darum, zu verhindern, dass jemand in mehreren Ländern Europas Asylanträge stellt und dadurch eben halt das gesamte System außer Kraft setzt.
    Heuer: Nun sagt Angela Merkel ja auch, diese Zurückweisungen sollen durchaus möglich sein, aber dann bitte eben in enger Zusammenarbeit mit anderen Europäern. Und man könnte ja auch sagen dann, Deutschland soll eine Verwaltungsvereinbarung schließen mit Österreich.
    Walter: Ja, das können wir natürlich sehr gerne tun, ich frage mich natürlich, warum wir das die letzten drei Jahre eigentlich nicht getan haben, denn das wäre ja die Aufgabe und die Pflicht unserer Bundeskanzlerin gewesen, diese Dinge entsprechend voranzutreiben. Dass das jetzt erst nach dem Druck, den Herr Seehofer initiiert hat, erfolgen soll, ist zwar schön, aber es ist natürlich jetzt momentan noch nicht ausreichend. Was hindert uns denn daran, unsere rechtlichen Grundlagen entsprechend umzusetzen an der Grenze und trotzdem parallel dazu entsprechende Verfahren zu entwickeln? Das wäre ja auch eine Möglichkeit.
    Heuer: Also Sie fänden das aber gut, wenn der Bundesinnenminister jetzt seinen Job macht und solche Vereinbarungen aushandelt?
    Walter: Ich fände das gut, wenn der Bundesinnenminister nach Recht und Gesetz handelt und die Bundespolizei an der Grenze, da, wo Grenzkontrollen angeordnet wurden, auch ihren Job machen lässt, richtig.
    Heuer: Über wie viele Menschen sprechen wir eigentlich, Herr Walter?
    Walter: Wenn wir wirklich alle nehmen, die irgendwo anders bereits in Europa registriert worden sind oder dort Schutz vor Verfolgung gefunden haben, sprechen wir im Jahr von roundabout 20.000 Zurückweisungen. Es ist also nicht der ganz große Wurf, aber es ist das, was im Gesetz entsprechend abgebildet ist, im Aufenthaltsgesetz und im Asylgesetz, und was auch Dublin III eigentlich verlangt.
    "Hälfte aller illegaler Einreisen ans BAMF weitergeleitet"
    Heuer: Und wie viele kommen da trotzdem durch und werden eben nicht zurückgewiesen?
    Walter: Ja, das sind eben halt von denen … Wenn Sie bereits die Zahlen mal nehmen von diesem Jahr, da haben wir 4.000 Feststellungen unten an der Grenze bereits gehabt, von denen wird nur ungefähr die Hälfte, also die, die keine Asylanträge stellen, zurückgewiesen. Wir führen ja Zurückweisungen durch, es ist ja im Prinzip nichts Neues für uns, es geht hier eben halt nur um die Grundlage, in welchen Fällen die Zurückweisungen durchgeführt werden. Und die Hälfte aller illegalen Einreisen sind eben halt ans Bamf weitergeleitet worden, an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und nicht eben dann den österreichischen Kollegen wieder übergeben worden.
    Heuer: Ich hab gelesen, dass 2017, also das Jahr, das schon zu Ende gegangen ist und wo man die Bilanz fürs ganze Jahr ziehen kann, dass da 1.563 Personen trotz Einreisesperre eingereist sind. Stimmt das?
    Walter: Ja, das kann durchaus der Fall sein, weil sie eben durch den Erlass des Innenministers de Maizière von September 2015, der ja durch Herrn Altmaier und die Kanzlerin abgedeckt war, keine Leute mehr an der Grenze zurückgewiesen haben, die einen Asylantrag gestellt haben – egal ob sie bereits vorher einen gestellt haben, egal ob sie woanders in Europa einen gestellt haben oder egal ob bereits ein gestellter Asylantrag in Deutschland zuvor abgelehnt wurde und eine Einreisesperre ausgesprochen wurde.
    Wir haben diese Leute alle an das Bundesamt für Migration für Flüchtlinge weitergeleitet zur erneuten Prüfung, ob nicht gegebenenfalls erneute Asylgründe vorliegen. Und das ist in der Tat eine Auswirkung, wovon die Kanzlerin ja sagt, sie hätte das angeblich nicht gewusst. Ich kann mir das persönlich natürlich vorstellen, dass die Kanzlerin nicht über alles Bescheid weiß, aber ihre Leute haben es gewusst, denn das war ja der Sinn der ganzen Anordnung gewesen seinerzeit. Und so was über zwei Jahre laufen zu lassen, ohne das zu wissen, ist schone in bisschen merkwürdig.
    Heuer: Okay, Herr Walter, der Punkt ist ja angekommen, aber 1.563 Personen, mal ehrlich, lohnt sich die ganze Aufregung und der Streit da?
    Walter: Also noch mal, die 1.563 Personen, das bezieht sich nur auf die, die eine Einreiseverweigerung haben. Sie dürfen es nicht verwechseln mit der Zahl von circa …
    Heuer: Die trotzdem eingereist sind. 1.563.
    Walter: Nein, noch mal, Sie verwechseln gerade die Zahlen. Die 1.563 sind nur diejenigen, die bereits eine Wiedereinreisesperre hatten. Dazu kommen an die 20.000 oder über 20.000, die bereits in anderen europäischen Staaten Schutz vor Verfolgung gefunden haben. Wir reden hier von zwei völlig verschiedenen Dingen. Die Wiedereinreisesperre ist wirklich nur der geringste Teil der Menschen, die eine solche hat, weil die meisten Verfahren werden ja gar nicht abgeschlossen …
    Heuer: Genau. Aber Herr Walter, das ist ja der Teil, über den nun politisch gerade gestritten wird.
    Walter: Nein, das ist nicht der Teil, über den gestritten wird. Diese Zurückweisungen von Leuten mit Wiedereinreisesperre ist bereits seit einer Woche Fakt, die hat Herr Seehofer bereits angeordnet, und das machen wir auch wieder an den Grenzen. Aber das ist nicht der große Teil. Der große Teil ist der, über den wir streiten, nämlich die, die in anderen europäischen Staaten Schutz vor Verfolgung gefunden haben.
    Frontex wird endlich "echte Grenzpolizei Europas"
    Heuer: Nun hat der Asylstreit in der Union ja für mächtig Wirbel gesorgt. Die EU hat sich in dieser aufgeheizten Atmosphäre auf Abschottung geeinigt, jedenfalls in Grundzügen. Rechnen Sie mit Effekten dieser Beschlüsse von Brüssel oder sagen Sie, das ist eigentlich alles nur Absichtserklärung und wird nicht kommen?
    Walter: Nein, ich rechne schon mit Effekten, also insbesondere der Beschluss, dass die europäische Grenzschutzagentur Frontex jetzt endlich – das fordert die Deutsche Polizeigewerkschaft übrigens schon seit über zehn Jahren, diese Grenzschutzagentur zu einer echten Grenzpolizei Europas auszubauen –, da hat man sich ja nun endlich drauf geeinigt. Nur ich frage mich natürlich, wie soll das so schnell gehen, wenn man jetzt sagt, wir bauen eine Grenzpolizei auf von 1.500 derzeit auf 10.000 Leute bis 2020. Im Endeffekt habe ich die große Sorge, dass die Bundespolizei, die gerade verstärkt wird, um ihre eigenen Aufgaben wahrzunehmen, dass die wieder im Endeffekt die Hauptlast tragen wird und die gerade neu zugewiesenen Stellen dann für diese Aufgabe entsprechend gebraucht werden, denn 8.500 Leute innerhalb von zwei Jahren mal eben kurz nach Frontex abzuordnen, das wird nur gehen, indem man massiv die Bundespolizei entsprechend da miteinbringt.
    Heuer: EU-Politiker, Herr Walter, die verweisen ja darauf, zum Beispiel Donald Tusk, der Ratspräsident, dass die Migration um 96 Prozent zurückgegangen ist. Also wir reden und streiten hier seit Wochen über ein Problem, das zumindest entschärft war. Diese ganze Aufregung, lockt die nicht gerade akut neue Flüchtlinge an, die sagen, wir versuchen das jetzt noch, bevor die Grenzen wirklich dicht sind. Spüren Sie das?
    Geschlossene Zentren europarechtlich problematisch
    Walter: Ich halte zunächst einmal den Vergleich von dem Rückgang von 96 Prozent mit dem Jahr 2015, wo wir exorbitante Migrationszahlen hatten, für nicht zulässig. Man sollte die Zahlen vergleichen mit 2014 und davor den Jahren, und dann sind die wesentlich anders. Die Belastung durch illegale Migration ist sehr, sehr hoch, das war in 2015 ein absolutes Ausnahmejahr. Und erst nachdem die so sehr kritisierten Staaten wie Ungarn beispielsweise die Balkanroute dichtgemacht haben, sind die Zahlen ja wieder auf das, ich sag jetzt mal, auf das normale Maß, was wir bereits kennen, zurückgegangen. Also immer den Vergleich anzustellen mit 2015, ist eigentlich der Diskussion nicht angemessen. Wir müssen die faktischen Zahlen sehen, und das sind immer noch sehr, sehr viele Illegale, die hier in die Europäische Union einreisen an den Außengrenzen, und da muss natürlich was getan werden. Wobei ich persönlich nicht glaube, dass wir diese geschlossenen Zentren, die jetzt eingerichtet werden dürfen, an den Außengrenzen überhaupt rechtlich, europarechtlich haltbar machen können.
    Heuer: Spüren Sie, dass mehr Flüchtlinge kommen in jüngster Zeit, haben Sie darüber Erkenntnisse?
    Walter: Also wir haben bereits die Erkenntnis, dass über die Landroute – von der Türkei über Griechenland und Bulgarien – die Zahlen sich massiv in den ersten Monaten erhöht haben. Also das, was wir immer so schön als Türkei-Deal bezeichnen, das betrifft ja nur die Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland, der Landweg erfreut sich momentan großer Beliebtheit bei Schleusern. Von daher gesehen haben wir dort einen Anstieg der Migration zu verzeichnen. Der Weg auf dem Mittelmeer ist etwas zurückgegangen, aber insgesamt sind die Zahlen im Prinzip gleich mit denen vom letzten Jahr.
    Heuer: Ernst Walter, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Walter, haben Sie vielen Dank!
    Walter: Herzlichen Dank auch für Ihr Interesse!
    Heuer: Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.