Archiv


Bundespräsident dringend gesucht

Im Netz wurde über den jetzt zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler gebloggt, debattiert und polemisiert, was die Breitbandverbindung hergab. Nun geht es um die Nachfolge - mit den üblichen Folgen in sämtlichen communities.

Von Jens Rosbach |
    Kaum ist die Meldung raus, dass Christian Wulff der Unionsfavorit ist, hagelt es giftige Kommentare der Web-Community:

    Wir wollen keinen Parteisoldaten als Bundespräsidenten!

    … erregt sich etwa ein Facebook-Nutzer mit dem Namen Carsten Voelz über den niedersächsischen Ministerpräsidenten.

    Das Amt des Bundespräsidenten kann nicht als Endlagerstätte für Angelas Konkurrenten und Parteisoldaten dienen.

    Auch ein Rainer Pasta zeigt sich in einer Facebook-Gruppe unzufrieden.

    Wulff - den will doch auch keiner! Aber den kriegen wir auch weg.

    Den kriegen wir auch weg. Die Blogger-Szene, auch Bloggosphäre genannt, gibt sich selbstbewusst. Ist sie doch davon überzeugt, Ursula von der Leyen als Kandidatin verhindert zu haben.

    In den vergangenen zwei Tagen hatte sich die Netzgemeinde voll auf die CDU-Politikerin eingeschossen. "Zensursula" wird von der Leyen dort hämisch genannt. Ob in Musik-Videos oder in Diskussionsforen – überall nimmt man ihr bis heute übel, dass sie sich als Familienministerin Internet-Sperren für Kinderpornografie auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Eine Facebookgruppe mit dem Namen "Zensursula – Not My President" konnte innerhalb kürzester Zeit mehr als 20.000 Mitglieder vorweisen. Der Berliner Markus Beckedahl hatte die Web-Aktion gegen von der Leyen mit losgetreten – in seinem Blog netzpolitik.org.

    Also sie trägt das Image, Symbolpolitik zu machen und viele fragen sich jetzt natürlich: Was ist überhaupt die Kernqualifikation von Frau Ursula von der Leyen, außer dass sie in der CDU ist und über vierzig.

    Nun wird CDU-Politiker Wulff unter Beschuss genommen. So ist auf Twitter etwa Folgendes zu lesen:

    Eigentlich eine clevere Taktik, erst Zensursula zu präsentieren, um Wulff danach deutlich schmackhafter aussehen zu lassen.

    Die Netz-Gemeinde nimmt nicht nur Unionskandidaten durch die Mangel. Sondern auch Oppositionspolitiker.
    Was macht eigentlich Gesine Schwan? Die hat doch die Frisur für stürmische Zeiten.

    Vieles ist nicht ganz so ernst gemeint. Einige schlagen - mit einem Smiley versehen – Satirefigur Horst Schlämmer als Kandidaten vor oder richten Blogs ein mit dem Aufruf: Margot Käßmann for President! Dazu die Forderung, Unterstützer-Mails zu schicken an internetredaktion@bundesrat.de. Gleich daneben findet sich ein tiefsinniges Video der zurückgetretenen Bischöfin.

    Erst war alles ganz wunderbar, paradiesisch. Und dann hat der Mensch das Chaos geschaffen ...

    Böse Polemik kommt dagegen an anderer Stelle von einem "Martin Haugwitz": Die Theologin würde bestimmt gern ins Schloss Bellevue einziehen.

    Frau Käßmann hätte dann auch kein Problem mehr mit'm Saufen, die wird ja dann gefahren.

    Mittlerweile haben virtuelle Scherzbolde auf Facebook die Gruppe "Wir wollen Horst Köhler zurück" eingerichtet. Mit über 3500 Unterstützern. Ein Köhler-Fan mit Namen "Alper Arslan":

    Komm, Horst gib dir einen Ruck. Jeder kann mal eine übereilte Entscheidung treffen, es ist aber nichts Schlimmes diese Entscheidung, wieder zu annullieren. HORST komm zurück!

    Eine weitere Spaßgruppe nennt sich "Ich stehe nicht für das Amt des Bundespräsidenten zur Verfügung!" Hier witzeln Internetnutzer, warum sie selbst leider nicht das Staatsamt antreten können. Typische Begründung: keine Zeit. Oder:

    Sehnenscheiden-Entzündung kann nicht mehr ordentlich winken ... Sorry, nächstes Mal!

    Viele Blogger sind stolz, dass die Massenmedien - seit Köhlers Rücktritt und der Anti-von-der Leyen-Kampagne - die Welt des Web 2.0 ernster nehmen als zuvor. Der Berliner Netzaktivist Markus Beckedahl bezweifelt aber, dass die Foren-Schreiber die Bundespräsidentenwahl wirklich beeinflussen können.

    Die wichtigen Fernsehmacher, die wichtigen Zeitungsmacher entscheiden immer noch viel mehr, was in der Politik passiert als alle Blogs zusammen