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Bundespräsident
"Er ist sich treu geblieben"

Der Grünen-Politiker Werner Schulz hat Bundespräsident Joachim Gauck zur Hälfte von dessen Amtszeit im Deutschlandfunk gelobt. Gerade durch die Zeit als Bürgerrechtler habe er heute den Mut, auch Politiker wie den heutigen türkischen Präsidenten Erdogan zu kritisieren. Inzwischen habe Gauck auch sein Thema gefunden.

Werner Schulz im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 21.05.2014 in Hamburg im Schauspielhaus bei der Eröffungsfeier zum deutschen Stiftungstag 2014.
    Bundespräsident Joachim Gauck im Mai 2014 im Hamburger Schauspielhaus (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    "Er ist sich treu geblieben", sagt der Grünen-Politiker und frühere DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz im DLF. Das habe er auch erwartet. Anfangs sei Gauck im Amt unsicher gewesen, weil er ja plötzlich ein ganzes Land zu repräsentieren hatte, inzwischen sei ihm das aber gut gelungen. Die meisten Deutschen seien der Meinung, sie hätten einen guten Bundespräsidenten, dem stimmte Schulz zu.
    Inzwischen habe Gauck sein Thema gefunden: die Rolle und Verantwortung Deutschlands in der heutigen Welt. Das habe sich durch die weltweiten Ereignisse aufgedrängt. Bei einer Bundeskanzlerin, die "eher diskursive Zurückhaltung" pflegt, tue uns ein Bundespräsident gut, der klare und mutige Worte findet, sagte Schulz.
    Grünen-Politiker Werner Schulz
    Grünen-Politiker Werner Schulz (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Bürgerrechtler Gauck noch zu erkennen
    Er könne an Gaucks klaren Worten in Danzig überhaupt nichts kritisieren. Dabei hatte Gauck Anfang September zum 75. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf Polen die russische Politik gegenüber der Ukraine verurteilt und eine entschlossene Reaktion angekündigt. Diese Deutlichkeit, sagte Schulz, sei gerade in Polen sehr gut angekommen.
    Gaucks Lebensweg als Bürgerrechtler kann Schulz nach eigenen Worten durchaus noch erkennen. Aus dieser Zeit habe Gauck den Mut bekommen, mit dem er sich heute noch traue, etwa den damaligen türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zu kritisieren oder den Emir von Katar. "Diesen Mut, die hat er sich erarbeitet, diese Zivilcourage, die ist bei ihm eminent."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: 30 Sekunden hat das Telefongespräch mit Angela Merkel gedauert im Februar 2013. Dann, so erzählt es der Taxifahrer Vadim Belon später genüsslich, sagt Joachim Gauck: "Okay, einverstanden, ich mach's." Und an den Fahrer gewandt: "Sie fahren den neuen Bundespräsidenten." Dass er sich das Amt unbedingt zutraut, das kann man heraushören aus dieser Anekdote, und dass ihm Eitelkeit nicht fremd ist, auch. Nach zweieinhalb Jahren im Schloss Bellevue wissen wir außerdem: Die Gefahr, in Ausgewogenheit zu verblassen, besteht jedenfalls nicht. Joachim Gauck kann reden und er hat etwas zu sagen, was allerdings nicht immer jedem gefällt.
    Mitgehört hat Werner Schulz, Politiker der Grünen und Bürgerrechtler in der DDR. Einen schönen guten Morgen.
    Werner Schulz: Schönen guten Morgen!
    Barenberg: Am Anfang des Beitrages haben wir noch gehört, Werner Schulz, wie Joachim Gauck sagt, na ja, die Ecken und Kanten, die manche an mir mögen und manche an mir nicht mögen, die kann ich so natürlich nicht in dem Amt zeigen. Aber es hat sich doch eigentlich im Gegenteil gezeigt, dass er mehr und mehr Ecken und Kanten zur Schau stellt, oder?
    Schulz: Ja, er ist sich treu geblieben. Ich habe das eigentlich auch erwartet, dass wir keinen Bundespräsidenten bekommen, der da mit leisen Sohlen über Allgemeinplätze schleicht. Ich glaube, er war am Anfang unsicher, wie weit er als Bundespräsident gehen kann, weil er repräsentiert natürlich ein ganzes Land und seine Bevölkerung, und da ist man mit einer enormen Verantwortung ausgestattet und muss sich da erst mal vortasten. Das ist ihm aber sehr gut gelungen. Ich finde, das waren jetzt zweieinhalb sehr gute Jahre eines Bundespräsidenten, auf den die Bevölkerung wieder stolz ist. 78 Prozent der Deutschen sind der Meinung, wir haben einen sehr guten Bundespräsidenten.
    "Ich habe damit gerechnet, dass er mutig sein wird"
    Barenberg: Und in der er - Sie haben das ja selber formuliert - mehr und mehr auch Unsicherheit, Zurückhaltung vielleicht abgelegt hat. Jetzt haben wir zum Schluss in dem Beitrag auch Auszüge aus den Reden gehört, die jetzt doch für einigen Widerspruch gesorgt haben: die scharfen Worte in Richtung Russland mit Blick auf die Vorgänge in der Ukraine und sein Plädoyer für ein Deutschland, das mehr auf internationaler Ebene und selbstbewusster und früher Verantwortung übernimmt. Haben Sie damit gerechnet, dass er in der Weise politisch explizit sein wird?
    Schulz: Ich habe damit gerechnet, dass er mutig sein wird, dass er klare Worte finden wird, dass er nicht vor unbequemen Dingen zurückweichen wird, und natürlich dieses Thema, das er jetzt gefunden hat, die Rolle Deutschlands, die Verantwortung Deutschlands in der heutigen Welt, das hat sich natürlich auch durch die Ereignisse aufgedrängt. Ich meine, wenn wir eine Bundeskanzlerin haben, die, ich will mal sagen, eher diskursive Zurückhaltung pflegt, dann tut uns ein Bundespräsident gut, der klare und mutige Worte findet. Und was er da in Danzig gesagt hat, das finde ich absolut richtig. Ich kann da überhaupt nichts dran kritisieren. Das sind genau die Worte, die dort nötig waren, und das sieht man an den Reaktionen in Polen. In Polen ist das von allen Seiten gelobt und begrüßt worden. Im Übrigen hat der polnische Präsident Komorowski im Bundestag noch deutlichere Worte gefunden.
    Barenberg: Und was die gewachsene Verantwortung der Bundesrepublik in der Welt angeht, da argumentiert Joachim Gauck, oder hat argumentiert ja auch so ein bisschen, dass wir zu selbstzufrieden geworden sind in unserem Leben. Ist es das, was so viel Widerspruch hervorgerufen hat, was diese Äußerungen angeht?
    Schulz: Na ja. Joachim Gauck hat deutlich gemacht, auch durch seine vielen Reisen, wo er eine Erinnerungskultur uns vor Augen geführt hat. Er hat ja Yad Vashem, Oradour, Lidice, St. Anna di Stazzema in Italien besucht, also all diese Orte, wo deutsche Verbrechen geschehen sind, und hat uns vor Augen geführt, dass sich unsere Zukunft in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit entscheidet. Und das ist das, was er uns und der jungen Generation immer wieder versucht einzuimpfen: Dass dieses Land zwar aus dem Schatten seiner Diktaturen herausgetreten ist und wir stolz sein können über das, was wir erreicht haben, aber dass aus dieser Erinnerung auch eine Verantwortung erwachsen ist, dass wir uns nicht zurückhalten können. Und die Probleme heute sind natürlich von anderer Natur, aber deswegen können wir uns nicht verweigern, an der Lösung dieser Probleme mitzuwirken. Das geht letztendlich - und das mag wehtun unter uns friedliebenden Menschen in Deutschland - bis hin zum militärischen Engagement!
    "Er hat es in kurzer Zeit geschafft, dieses Amt wieder aufzurichten"
    Barenberg: Wenn Joachim Gauck über Freiheit redet und über Verantwortung, wohl seine beiden großen Themen, hören Sie da noch den Bürgerrechtler durch?
    Schulz: Ja selbstverständlich. Das ist ja sein Lebensweg. Da verdichtet sich auch deutsche Geschichte und das verleiht ihm ja auch so ein hohes moralisches Gewicht. Jemand wie Joachim Gauck ist es eben, der den Mut hat, Erdogan anzusprechen auf Bürgerrechtsverletzungen - das hat ja bisher niemand so deutlich getan -, oder der jetzt den Emir zur Rechenschaft gezogen hat und angesprochen hat, was da in Katar alles schiefläuft, diese Menschenrechts- und Bürgerrechtsverletzungen. Das ist der Bürgerrechtler Joachim Gauck. Das trägt er mit sich und diesen Mut, den hat er sich erarbeitet. Diese Zivilcourage, die ist bei ihm eminent.
    Barenberg: Was sagen Sie denen, die kritisieren, er sei ein Freiheitspathetiker?
    Schulz: Ach Gott, Pathos tut uns ja manchmal ganz gut. Was ist daran so tragisch? Ich finde, mitunter fehlen die Emotionen in der Politik, wird Politik viel zu cool und viel zu emotionslos rübergebracht. Nein, es ist ein Mann, der auch Gefühle zeigt, der auch ein Gespür für symbolische Gesten hat. Das ist sehr, sehr wichtig. Gut, da kommt ihm sein Beruf als Pastor entgegen. Natürlich gibt es auch Kritik. Er wird von rechts und von links kritisiert. Die NPD ist sogar bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen, um ihm einen Maulkorb zu verpassen. Er ist sicherlich ja auch nicht von allen im Bundestag gewählt worden, und die, die ihn nicht gewählt haben, das waren die Rechten und die Linken, die kritisieren ihn. Aber wie gesagt: Wir haben einen Bundespräsidenten, wo drei Viertel der Menschen sehr froh sind darüber, und er hat es in kurzer Zeit geschafft, dieses Amt, was ja total ramponiert war durch die beiden Vorgänger, wieder aufzurichten, diesem Amt wieder Würde, diesem Amt wieder Autorität und Respekt zu verschaffen.
    Barenberg: Der Bürgerrechtler und Politiker Werner Schulz heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
    Schulz: Bitte schön. Auf Wiederhören!
    Barenberg: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.