Auf den ersten Blick ist es ein ganz normaler Staatsbesuch, der Bundespräsident Joachim Gauck nach Südkorea führt. Die politischen Beziehungen sind gut, sollen aber noch ausgebaut werden. Das gleiche gilt für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zahlreiche Gespräche werden geführt und die Delegationen geben sich beiderseits große Mühe, für den Erfolg des Treffens zu sorgen. Nicht die kleinste Verstimmung ist wahrzunehmen in diesen drei Tagen. Aber als Bundespräsident, der aus Ostdeutschland kommt, nimmt Joachim Gauck in der Wahrnehmung der Koreaner doch eine besondere Rolle ein. Präsidentin Park sieht in ihm einen wichtigen Mitspieler bei ihren Bemühungen die Teilung des Landes zu überwinden. Der Sprecher der Nationalversammlung, in der Gauck eine Rede über die deutsche Wiedervereinigung und die koreanischen Hoffnungen hält, bezeichnet ihn sogar als Missionar der Demokratie. Doch jenseits der großen Worte führt die Reise abseits der offiziellen Empfänge an Orte mit bedrückenden Geschichten. Einer davon ist die Yeo Myng Schule, die einzig anerkannte Schule in Seoul die seit elf Jahren geflüchteten Kindern aus Nordkorea den Weg für das Leben in der neuen Heimat bereiten soll.
Da ist etwa der 23-jährige Han, der vor drei Jahren aus Nordkorea geflohen ist. Über China, Laos und Thailand, wo er noch einen Monat im Gefängnis saß, ist er schließlich alleine nach Südkorea gekommen. Im Norden ging er nur bis zur 3. Klasse in die Schule. Danach musste er sie verlassen, weil die Eltern arm waren und er der Familie helfen musste. "Ich wusste von der Existenz von Südkorea, das habe ich in der Schule gelernt, nur ich hatte überhaupt keine Ahnung gehabt, wie die südkoreanische Gesellschaft aussieht, wie das Leben hier ist."
Mit 20 sah er heimlich einen Film über Südkorea und der hat ihn zur Flucht bewegt. Jetzt hat er in wenigen Jahren die Grundschule nachgeholt und ist jetzt in der 3. Klasse der Oberschule. Dass man im Norden keine oder überwiegend falsche Vorstellungen von Südkorea hat, berichtet auch die 16-jährige Kim, die mit ihren Eltern geflohen ist: "Ich hatte enorme Erwartungen gehabt, als ich nach Südkorea kam, und meine Tante hatte immer von Südkorea aus Geld geschickt. Deswegen dachte ich, in Südkorea fällt das Geld vom Himmel. Und ich habe erst hier gelernt, dass man sich hier wahnsinnig anstrengen muss, und ich glaube, die süd- und nordkoreanischen Gesellschaften haben sich mit der Zeit so weit auseinander entwickelt."
Seit 62 Jahren kein Frieden, nur Waffenstillstand
Offen reden durfte man zuhause nicht über die Pläne das Land zu verlassen, weil die Geheimpolizei ihre Ohren überall hat. Der 17-Jährige Kim Chuan hat auch eine psychisch und physisch anstrengende Flucht hinter sich. Seine Mutter ist schon vor Jahren geflohen, ohne dass er wusste, wohin. Plötzlich war sie einfach weg und er lebte fortan bei einer Tante. "Sie hat mir gesagt, ich werde sehr viel Geld verdienen und damit können wir glückliche werden. Und ich habe daran geglaubt. Aber Jahre vergingen, und erst nach fünf oder sechs Jahren habe ich über einen mir völlig Unbekannten erfahren, dass meine Mutter in Südkorea ist."
Ähnliche Geschichten erzählen alle Jugendliche. Wer nicht den beschwerlichen Weg über China, Laos und Thailand wählt, der versucht es mit den Schleusern, die einen für gutes Geld durch die Grenzregion bringen, die aber die Flüchtlinge bei der geringsten Gefahr alleine lassen.
Wer die Demilitarisierte Zone betreten darf, bekommt ein erschreckendes und eindringliches Bild an diesem hochgerüsteten Grenzverlauf, an dem seit 62 Jahren kein Frieden, sondern nur Waffenstilstand herrscht. Am Grenzort Panmunjom stehen sich die Soldaten beider Seiten unmittelbar gegenüber, immer den Feind im Blick. Es ist ein geradezu surreales Bild, wie sich das Regime in Nordkorea militärisch abschirmt.
Die Botschaften Gaucks werden gerne gehört
"Und all dies zu sehen, als politische Wirklichkeit und nicht etwa in einem Museum, wo man schaut, so war es einmal. Sondern als ganz real existierende, zum Teil sehr blutige und schreckliche Wirklichkeit, und das an einem schönen sonnigen Herbstnachmittag in einer Landschaft, die so auch in Thüringen oder in Hessen sein könnte - ja da verschlägt es einem schon ein wenig die Sprache", sagt Joachim Gauck, der sich an diesem Ort wie die anderen deutschen Besucher auch in die Vergangenheit zurückversetzt sieht.
Kurz zuvor hatte der Bundespräsident auf dem Bahnhof von Dorasan feierlich den Bahnsteig der Wiedervereinigung eingeweiht. Dieser hochmoderne Geisterbahnhof ist in Beton gegossener Ausdruck der südkoreanischen Hoffnung nach einer Wiedervereinigung. Kurz vor der Grenze in die Landschaft gebaut sollen hier irgendwann einmal die Züge nach Pjöngjang und andere nordkoreanische Städte fahren können. Bislang ist das jedoch nur auf den Schildern zu lesen.
"Und wir müssen uns klar machen: Wir wissen nicht, wann der große Wunsch in Erfüllung geht. Aber eins wissen wir genau: Er wird nie in Erfüllung gehen, ohne diesen Geist der Hoffnung und der Zuversicht." Diese Botschaften des Bundespräsidenten wurden gerne gehört. Der Direktor der Yeo-Myng-Schule etwa ist sichtbar stolz darauf, dass der deutsche Bundespräsident seine Schule besucht: "Das höchste Ziel für die Yeo-Myng-Schule ist die Wiedervereinigung Südkoreas. Und es ist für die nordkoreanischen Flüchtline, für die Jugendlichen eine große Hoffnung, dass Sie aus der ehemaligen DDR kommen und auch die Bundeskanzlerin aus der DDR kommt."
Er habe als Jugendlicher in Ostdeutschland ganz gewiss nicht davon geträumt einmal Bundespräsident im wiedervereinigten Deutschland zu werden, antwortet Joachim Gauck. "Und mir gefällt eigentlich die Vorstellung, dass vielleicht eine der jungen Damen später mal Regierungschefin sein könnte hier in diesem Land."
Eine ferne Vorstellung. Der Alltag der Flüchtlinge, die aus dem Norden nach Südkorea kommen, ist nicht leicht. Die ersten drei Monate müssen sie in einem Auffanglager leben. Danach werden sie drei weitere Monate ideologisch geprüft, aus Angst vor Spionen aus dem Norden. Wer das überstanden hat und in der neuen Heimat keine Verwandtschaft hat und niemand kennt, der fängt auch im wohlhabenden Südkorea ganz unten an.