Dirk-Oliver Heckmann: Weiterhin ist kein Ende der Krise in Libyen in Sicht, im Gegenteil. Augenzeugen berichten, dass Piloten der libyschen Luftwaffe Munitionsdepots im Osten des Landes bombardiert hätten, die zuerst unter Kontrolle der Aufständischen. Derweil geht der Massenexodus weiter und in Tripolis kam es erneut zu Gewalt.
Wäre die Aufstandsbewegung im arabischen Raum nicht, wäre die Reise von Bundespräsident Christian Wulff nach Kuwait und Katar wohl unter "ferner liefen" abgebucht worden. So aber erlangte sein Besuch ungeahnte Aktualität. Schon im Vorfeld ließ sich Wulff mit ungewöhnlich deutlichen Tönen zitieren. Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi nannte er einen Psychopaten und Staatsterroristen. Am Abend hat der Bundespräsident wieder deutschen Boden erreicht. Mein Kollege Gerwald Herter hat ihn begleitet und hatte kurz vor dem Rückflug die Gelegenheit, folgendes Interview mit ihm zu führen:
Gerwald Herter: Herr Bundespräsident, Sie haben in den letzten drei Tagen die beiden Golfstaaten Kuwait und Katar besucht, lange geplant, aber zu einem Zeitpunkt, der jetzt sehr interessant war, weil die arabische Welt im Umbruch ist. War das Ihr schwierigster Besuch bisher in Ihrem Amt als Bundespräsident?
Christian Wulff: Das sehe ich tatsächlich anders, weil für einen deutschen Bundespräsidenten Besuche beispielsweise in Auschwitz als einem der grausamsten Orte, des Schreckens überhaupt, natürlich am schwierigsten sind. Hier in die arabische Welt, in die Golfstaaten, haben wir ja vielfältige Kontakte, wir haben auch über diese Länder gute Kenntnisse und aus den Ländern Erkenntnisse. Also gerade vom Emir von Katar weiß ich zu schätzen, dass er sich seit Jahren bemüht um die Allianz der Zivilisationen, den Ausgleich zwischen den verschiedenen Religionen, den verschiedenen Kulturen, Herkünften in der Welt, um hier zu einem friedlichen Miteinander zu kommen, und da ist jedes Gespräch lohnenswert, man nimmt sehr viel Neues mit. Jedes Land im nördlichen Afrika, jedes Land in der arabischen Welt ist völlig anders zu sehen, mit Eigenheiten der Sunniten, der Schiiten, bestimmter Strömungen im Islam, bestimmter Erfahrungen auch der Kolonialgeschichte, bestimmter Strukturen im Bevölkerungsaufbau. Also man muss einfach sehr viel mehr erfahren über diesen Teil der Welt, weil es im europäischen Interesse liegt, und deswegen ist es gut gewesen, dass ich die Reise durchgeführt habe.
Herter: Aber war es denn schwieriger, die richtigen Signale zu setzen oder die falschen zu vermeiden?
Wulff: Katar ist sicher ein offeneres Land als andere arabische Länder und Kuwait hat ein Parlament mit gewachsenen Rechten, also geht in Richtung konstitutioneller Monarchie. Dort ist ein offenes Wort eher möglich, dort ist auch das Gespräch mit der Zivilgesellschaft, der Bürgergesellschaft, mit Studierenden an der Universität, mit Schülern an Schulen leichter möglich. Also ich glaube, dass man dadurch viel mehr erreichen kann, als wenn man vom grünen Tisch aus, vom Schreibtisch aus die Situation zu beurteilen versucht.
Herter: Aber Katar ist sicher keine Musterdemokratie. Sie sagen, Deutschland müsse deutlicher den Abstand machen zu Diktaturen. Wo ist jetzt das Kriterium, welches Regime kann man unterstützen und welches nicht mehr?
Wulff: Wenn Gewalt gegen friedliche Demonstranten angewandt wird, wenn Polizei oder Militär auf friedliebende Menschen schießen, dann müssen wir den Kontakt unterlassen, abbrechen, dann finden Reisen nicht statt. Deswegen bin ich jetzt nicht nach Bahrain gegangen und deswegen müssen wir jetzt ganz klar machen, dass der libysche Staatsführer jegliche Legitimation verloren hat, dass er Realitätsverlust erlitten hat, dass er nach 41 Jahren Herrschaft völlig an den Interessen der Menschen vorbei regiert hat, gar nicht für sozialen Ausgleich gesorgt hat, für Ausbildungs-, Bildungschancen, Berufschancen junger Leute, von denen es ja gerade im nördlichen Afrika sehr viele gibt, gesorgt hat, und diese Verfehlungen müssen zu einer anderen Einstellung führen.
Auf diesen Feldern war ich immer sehr zurückhaltend. Bei Katar bemüht man sich sehr um mehr Beteiligung und weiß, dass man noch einen Weg zurückzulegen hat, aber man hat doch eine Situation, sehr stark auf die junge Generation gesetzt zu haben, ausgebildet zu haben, Forschung, Entwicklung zu befördern, die Entwicklung des Landes, und daran auch alle teilhaben zu lassen. Da muss man schon Einiges positiv feststellen zu einem solchen Land und ich habe mit den Kataris in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass sie ausgesprochen verlässlich sind, ausgesprochen kompetent sind. Das muss man anerkennen.
Herter: Ist Bahrain nun schon eine Diktatur, weil der Herrscher auf die eigene Bevölkerung hat schießen lassen?
Wulff: Jeder weiß, dass die Betrachtungen differenziert erfolgen müssen. Ich wollte jetzt nicht nach Bahrain, weil dort jetzt gerade nicht gewährleistet ist, dass friedlich für mehr Beteiligung eingetreten werden kann. Wenn sich die Situation dort wieder entspannt und verändert und die Reformen in die richtige Richtung unternommen werden, spricht viel dafür, dass man dann gerade besonders intensiv und länger hinfährt, um die richtige Entwicklung zu verstärken.
Herter: Sie haben kein Blatt vor den Mund genommen, was die Fehler der Europäer angeht. Welche Fehler hat denn die deutsche Politik gemacht in Bezug auf diesen Umbruch in der arabischen Welt?
Wulff: Ich bin ja auch nicht der Oberschiedsrichter zur deutschen Politik, sondern versuche, für mich jeweils die richtigen Worte in der jeweiligen Situation zu finden. Darum bemühen sich alle anderen auch. Fakt ist, dass wir Systeme in Europa, in Deutschland positiv eingeschätzt hatten, die ein kritischeres Wort verdient gehabt hätten, und dass wir vor allem in Europa manches Land für relativ stabil gehalten haben, an dem wir jetzt erleben können, dass es völlig instabil geworden war, weil die Staatsführungen korrupt waren, nicht wandlungsfähig, erneuerungsfähig waren, und weil da einfach der alte Satz gilt, wer sich nicht verändert, wird verändert, und die Bewegung erfolgt dann von unten, von unten nach oben, und da ist jetzt eindrucksvoll zu sehen, wie Menschen ihr Leben riskieren für eine bessere Perspektive ihrer Länder.
Herter: Strategische Interessen Deutschlands haben da keine Rolle gespielt?
Wulff: Es ist immer eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Natürlich muss man sich auch mit den jeweiligen Regierungen, ob sie einem genehm sind oder weniger genehm, grundsätzlich zu verständigen versuchen, sich austauschen, sie zumindest anhören, sich ein eigenes Bild machen. Einfach zu sagen, bei all den Ländern, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen, machen wir einen weiten Bogen da herum, das wäre eine völlig falsche Strategie, sondern die Kontakte öffnen ja auch, bringen ja auch Informationen in beide Richtungen. Ich erlebe ohnehin, dass jetzt das Internet als Verbreiter von Nachrichten und Informationen einen weltweiten Austausch gestattet, der bestimmte Systeme ins Wanken geraten lässt.
Herter: Gibt Ihnen das die Hoffnung, dass die Entwicklung in Richtung Demokratie gehen wird und nicht bloß Wechsel der Diktatoren?
Wulff: Ich glaube, es geht in Richtung mehr Teilhabe von mehr Bürgerinnen und Bürgern, ein stärkeres Anmahnen nicht zu großer Ungleichheit, also es wird mehr hinterfragt, es wird mehr aufgedeckt. Natürlich ist das zentrale Thema deutscher Politik, für eine langfristige Stabilität zu sorgen. Niemandem ist gedient, wenn spontan Wahlen durchgeführt werden und der Wahlsieger als Erstes die Wahlen für die Zukunft wieder abschafft.
Herter: Herr Bundespräsident, vielen Dank für das Gespräch.
Heckmann: Christian Wulff zieht Bilanz seiner Reise nach Kuwait und Katar. Mein Kollege Gerwald Herter hat dieses Gespräch mit dem Bundespräsidenten im Flugzeug kurz vor dem Abflug geführt.
Hinweis: Das Interview mit Christian Wulff wurde auch in Deutschlandradio Kultur gesendet.
Wäre die Aufstandsbewegung im arabischen Raum nicht, wäre die Reise von Bundespräsident Christian Wulff nach Kuwait und Katar wohl unter "ferner liefen" abgebucht worden. So aber erlangte sein Besuch ungeahnte Aktualität. Schon im Vorfeld ließ sich Wulff mit ungewöhnlich deutlichen Tönen zitieren. Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi nannte er einen Psychopaten und Staatsterroristen. Am Abend hat der Bundespräsident wieder deutschen Boden erreicht. Mein Kollege Gerwald Herter hat ihn begleitet und hatte kurz vor dem Rückflug die Gelegenheit, folgendes Interview mit ihm zu führen:
Gerwald Herter: Herr Bundespräsident, Sie haben in den letzten drei Tagen die beiden Golfstaaten Kuwait und Katar besucht, lange geplant, aber zu einem Zeitpunkt, der jetzt sehr interessant war, weil die arabische Welt im Umbruch ist. War das Ihr schwierigster Besuch bisher in Ihrem Amt als Bundespräsident?
Christian Wulff: Das sehe ich tatsächlich anders, weil für einen deutschen Bundespräsidenten Besuche beispielsweise in Auschwitz als einem der grausamsten Orte, des Schreckens überhaupt, natürlich am schwierigsten sind. Hier in die arabische Welt, in die Golfstaaten, haben wir ja vielfältige Kontakte, wir haben auch über diese Länder gute Kenntnisse und aus den Ländern Erkenntnisse. Also gerade vom Emir von Katar weiß ich zu schätzen, dass er sich seit Jahren bemüht um die Allianz der Zivilisationen, den Ausgleich zwischen den verschiedenen Religionen, den verschiedenen Kulturen, Herkünften in der Welt, um hier zu einem friedlichen Miteinander zu kommen, und da ist jedes Gespräch lohnenswert, man nimmt sehr viel Neues mit. Jedes Land im nördlichen Afrika, jedes Land in der arabischen Welt ist völlig anders zu sehen, mit Eigenheiten der Sunniten, der Schiiten, bestimmter Strömungen im Islam, bestimmter Erfahrungen auch der Kolonialgeschichte, bestimmter Strukturen im Bevölkerungsaufbau. Also man muss einfach sehr viel mehr erfahren über diesen Teil der Welt, weil es im europäischen Interesse liegt, und deswegen ist es gut gewesen, dass ich die Reise durchgeführt habe.
Herter: Aber war es denn schwieriger, die richtigen Signale zu setzen oder die falschen zu vermeiden?
Wulff: Katar ist sicher ein offeneres Land als andere arabische Länder und Kuwait hat ein Parlament mit gewachsenen Rechten, also geht in Richtung konstitutioneller Monarchie. Dort ist ein offenes Wort eher möglich, dort ist auch das Gespräch mit der Zivilgesellschaft, der Bürgergesellschaft, mit Studierenden an der Universität, mit Schülern an Schulen leichter möglich. Also ich glaube, dass man dadurch viel mehr erreichen kann, als wenn man vom grünen Tisch aus, vom Schreibtisch aus die Situation zu beurteilen versucht.
Herter: Aber Katar ist sicher keine Musterdemokratie. Sie sagen, Deutschland müsse deutlicher den Abstand machen zu Diktaturen. Wo ist jetzt das Kriterium, welches Regime kann man unterstützen und welches nicht mehr?
Wulff: Wenn Gewalt gegen friedliche Demonstranten angewandt wird, wenn Polizei oder Militär auf friedliebende Menschen schießen, dann müssen wir den Kontakt unterlassen, abbrechen, dann finden Reisen nicht statt. Deswegen bin ich jetzt nicht nach Bahrain gegangen und deswegen müssen wir jetzt ganz klar machen, dass der libysche Staatsführer jegliche Legitimation verloren hat, dass er Realitätsverlust erlitten hat, dass er nach 41 Jahren Herrschaft völlig an den Interessen der Menschen vorbei regiert hat, gar nicht für sozialen Ausgleich gesorgt hat, für Ausbildungs-, Bildungschancen, Berufschancen junger Leute, von denen es ja gerade im nördlichen Afrika sehr viele gibt, gesorgt hat, und diese Verfehlungen müssen zu einer anderen Einstellung führen.
Auf diesen Feldern war ich immer sehr zurückhaltend. Bei Katar bemüht man sich sehr um mehr Beteiligung und weiß, dass man noch einen Weg zurückzulegen hat, aber man hat doch eine Situation, sehr stark auf die junge Generation gesetzt zu haben, ausgebildet zu haben, Forschung, Entwicklung zu befördern, die Entwicklung des Landes, und daran auch alle teilhaben zu lassen. Da muss man schon Einiges positiv feststellen zu einem solchen Land und ich habe mit den Kataris in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass sie ausgesprochen verlässlich sind, ausgesprochen kompetent sind. Das muss man anerkennen.
Herter: Ist Bahrain nun schon eine Diktatur, weil der Herrscher auf die eigene Bevölkerung hat schießen lassen?
Wulff: Jeder weiß, dass die Betrachtungen differenziert erfolgen müssen. Ich wollte jetzt nicht nach Bahrain, weil dort jetzt gerade nicht gewährleistet ist, dass friedlich für mehr Beteiligung eingetreten werden kann. Wenn sich die Situation dort wieder entspannt und verändert und die Reformen in die richtige Richtung unternommen werden, spricht viel dafür, dass man dann gerade besonders intensiv und länger hinfährt, um die richtige Entwicklung zu verstärken.
Herter: Sie haben kein Blatt vor den Mund genommen, was die Fehler der Europäer angeht. Welche Fehler hat denn die deutsche Politik gemacht in Bezug auf diesen Umbruch in der arabischen Welt?
Wulff: Ich bin ja auch nicht der Oberschiedsrichter zur deutschen Politik, sondern versuche, für mich jeweils die richtigen Worte in der jeweiligen Situation zu finden. Darum bemühen sich alle anderen auch. Fakt ist, dass wir Systeme in Europa, in Deutschland positiv eingeschätzt hatten, die ein kritischeres Wort verdient gehabt hätten, und dass wir vor allem in Europa manches Land für relativ stabil gehalten haben, an dem wir jetzt erleben können, dass es völlig instabil geworden war, weil die Staatsführungen korrupt waren, nicht wandlungsfähig, erneuerungsfähig waren, und weil da einfach der alte Satz gilt, wer sich nicht verändert, wird verändert, und die Bewegung erfolgt dann von unten, von unten nach oben, und da ist jetzt eindrucksvoll zu sehen, wie Menschen ihr Leben riskieren für eine bessere Perspektive ihrer Länder.
Herter: Strategische Interessen Deutschlands haben da keine Rolle gespielt?
Wulff: Es ist immer eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Natürlich muss man sich auch mit den jeweiligen Regierungen, ob sie einem genehm sind oder weniger genehm, grundsätzlich zu verständigen versuchen, sich austauschen, sie zumindest anhören, sich ein eigenes Bild machen. Einfach zu sagen, bei all den Ländern, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen, machen wir einen weiten Bogen da herum, das wäre eine völlig falsche Strategie, sondern die Kontakte öffnen ja auch, bringen ja auch Informationen in beide Richtungen. Ich erlebe ohnehin, dass jetzt das Internet als Verbreiter von Nachrichten und Informationen einen weltweiten Austausch gestattet, der bestimmte Systeme ins Wanken geraten lässt.
Herter: Gibt Ihnen das die Hoffnung, dass die Entwicklung in Richtung Demokratie gehen wird und nicht bloß Wechsel der Diktatoren?
Wulff: Ich glaube, es geht in Richtung mehr Teilhabe von mehr Bürgerinnen und Bürgern, ein stärkeres Anmahnen nicht zu großer Ungleichheit, also es wird mehr hinterfragt, es wird mehr aufgedeckt. Natürlich ist das zentrale Thema deutscher Politik, für eine langfristige Stabilität zu sorgen. Niemandem ist gedient, wenn spontan Wahlen durchgeführt werden und der Wahlsieger als Erstes die Wahlen für die Zukunft wieder abschafft.
Herter: Herr Bundespräsident, vielen Dank für das Gespräch.
Heckmann: Christian Wulff zieht Bilanz seiner Reise nach Kuwait und Katar. Mein Kollege Gerwald Herter hat dieses Gespräch mit dem Bundespräsidenten im Flugzeug kurz vor dem Abflug geführt.
Hinweis: Das Interview mit Christian Wulff wurde auch in Deutschlandradio Kultur gesendet.