Deutschland könne sich die Direktwahl des Bundespräsidenten leisten, betonte Hold. Denn dieser könne im Gegensatz zu anderen Ländern der Demokratie nicht gefährlich werden: "Ein Bundespräsident wäre gar nicht in der Lage, den Staat auszuhebeln, wie etwa in der Türkei."
Nach Holds Einschätzung würde ein Populist ohnehin keine Mehrheit bei einer Direktwahl bekommen. Jemand vom rechten oder linken Rand werde es allenfalls in die Stichwahl schaffen. Denn spätestens dann würden alle Demokraten zusammenhalten.
Hold tritt bei der Wahl zum Bundespräsidenten am Sonntag gegen den gemeinsamen Kandidaten von Union und SPD, den früheren Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an. Die Freien Wähler stellen elf der 1.260 Wahlmänner und -frauen.
Das Interview in voller Länge:
Dirk Müller: Sprechen wir nun mit jemandem, der auch antritt zur Wahl im Reichstag, der keine Chance hat, dennoch als Staatsoberhaupt kandidiert, nämlich der frühere Richter Alexander Hold, der vielen auch als Fernsehrichter bei SAT1 bekannt ist. Alexander Hold ist der Kandidat der Freien Wähler. Guten Morgen.
"Mehr Diskussion über mehr direkte Demokratie"
Alexander Hold: Guten Morgen.
Müller: Herr Hold, sind Sie Kanonenfutter für die Demokratie?
Hold: Nein. Ich halte es einfach für wichtig, dass man sich engagiert, dass es in der Demokratie Alternativen gibt. Sonst wäre es ja keine Demokratie. Und da gehört natürlich gerade dazu, dass auch jemand antritt ohne die Sicherheit, am Ende Wahlsieger zu sein. Für den Herrn Steinmeier ist es ja leicht anzutreten. Aber wenn man das nicht tun würde, dann gäbe es ja auch nicht bei den Gemeinderäten, bei den Stadträten oder bei den Landtagen die Listen, die auch Plätze haben, wo man auswählen kann. Man braucht die Auswahl, das ist das eine.
Und zum anderen ist es mir natürlich schon wichtig, dass durch diese ganze Kampagne jetzt auch die Diskussion über mehr direkte Demokratie etwas Auftrieb bekommt. Wir Freien Wähler sind strikt für eine Direktwahl des Bundespräsidenten. Wo kann man denn sonst Demokratie leben, wenn nicht bei der Wahl des eigenen Staatsoberhauptes.
"Die häufigste Frage von Bürgern ist, wieso werden wir nicht gefragt"
Müller: Aber bleiben wir noch mal bei der Auswahl. Das heißt, es ist wichtig, dass es eine Auswahl gibt. Was ist das für eine Auswahl, wenn der Sieger schon feststeht?
Hold: Dafür kann ja ich nichts, dass am Ende der Sieger nicht feststeht. Das ist übrigens die häufigste Frage von Journalisten, wieso treten Sie überhaupt an, und die häufigste Frage von Bürgern ist, wieso werden wir nicht gefragt. Das ist ja die Krux des Ganzen dabei. Man muss sich mal vorstellen: Die Union hat in der Bundesversammlung 150 Stimmen mehr als die SPD, lässt sich aber von Sigmar Gabriel seinen Kandidaten aufzwingen. Und allein die Tatsache, dass drei Parteivorsitzende im Hinterzimmer in Berlin beim Abendessen bestimmen, wer unser nächstes Staatsoberhaupt wird, das sorgt für zusätzliche Politikverdrossenheit, für Verdrossenheit mit dem, was viele inzwischen Establishment nennen, und genau das ist etwas, was wir ja verhindern wollen.
"Den Bürgern einfach auch mehr zutrauen"
Müller: Ist das pseudodemokratisch?
Hold: Das geht in die Richtung Pseudodemokratie, und ich meine, die Väter des Grundgesetzes haben sich damals schon was dabei gedacht, das so indirekt zu machen. Das war nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Dritten Reiches sicher richtig. Aber wir leben seit 70 Jahren in einer doch inzwischen sehr gefestigten Demokratie. Wir haben laut Grundgesetz einen Bundespräsidenten, der von seinen Kompetenzen her gar nicht in der Lage wäre, einen Staat auszuhebeln, wie wir das gerade in der Türkei erleben. Da muss man den Bürgern einfach auch mehr zutrauen und den Bürgern die Gelegenheit geben, sich selber ihr Staatsoberhaupt auszusuchen.
Müller: Sie sind Richter und plädieren dann für Verfassungsänderungen?
Hold: Ich plädiere absolut in diesem Fall für eine Verfassungsänderung.
Müller: Aber was bisher gelaufen ist, um da keine Verwirrung zu stiften, das ist vollkommen legal, es ist auch vollkommen legitim, und die meisten haben sich offenbar daran gewöhnt.
Hold: Ja ich habe das Gefühl, die große Politik hat sich daran gewöhnt. Es ist eigentlich schon seltsam, dass zum Beispiel in der Union jetzt niemand bereit ist, sich auf einen offenen Wettstreit einzulassen. Aus meiner Sicht zeichnet das Demokratie aus.
"Nicht erster Wahlsieger zu sein, ist in der Politik doch kein Scheitern"
Müller: Die haben keinen gefunden!
Hold: Na ja! Die hätten durchaus welche gefunden, die es gern geworden wären. Aber da hatte jeder Angst davor, vielleicht am Ende nicht Sieger zu sein. Entschuldigung! Wenn das so wäre, dann dürfte auch im Pokal niemand gegen den FC Bayern antreten, weil man weiß, am Ende verliert man sowieso, und es dürfte in Bayern niemand zur Landtagswahl antreten außer der CSU. Das gehört doch dazu. Nicht erster Wahlsieger zu sein, ist in der Politik doch kein Scheitern, so es auch im Sport bei einem Spiel nur einen Sieger geben kann, aber der andere ist doch deswegen dann nicht verdammt, sondern er hat vielleicht weniger Tore geschossen oder hat weniger Wahlmänner hinter sich gehabt. Das gehört einfach dazu.
Müller: Das ist für Sie am Sonntag dann auch sportlicher Wettkampf? Sie kommen dorthin und wenn wir das richtig gezählt haben, haben Sie mit den Freien Wählern elf Stimmen von insgesamt 1260.
"So gewinnen wir das Vertrauen zurück"
Hold: Genau.
Müller: Ich will jetzt nicht unhöflich klingen, aber man könnte auch sagen, sparen Sie sich das Geld und bleiben Sie zuhause im schönen Allgäu.
Hold: Ja das finde ich genau den falschen Ansatz zu sagen, ich habe keine Chance, deswegen trete ich gar nicht an. Dann haben wir am Ende nur noch einen und dann haben wir keine Demokratie. Das ist Teil der Demokratie. Ich bin jetzt kein Fantast. Mir ist schon klar, dass die meisten Wahlmänner und Wahlfrauen leider nicht auf ihr Gewissen hören werden, sondern auf Machtarithmetik und auf Fraktionszwang und ähnliche Dinge und dass wir deswegen nicht unbedingt viel mehr Stimmen als diese elf bekommen werden. Aber das ist ja eigentlich sehr, sehr traurig. Das ist sehr, sehr traurig. Deswegen bin ich der Meinung, traut den Bürgern da mehr zu. So gewinnen wir das Vertrauen zurück, das ja momentan schon sehr, sehr massiv bröckelt.
Müller: Jetzt sagen ja einige, das ist eine Farce, zumindest von denjenigen Beobachtern, die von außen draufschauen. Jetzt kommen auch ganz viele Prominente, Schauspieler, Kulturschaffende und so weiter. Beim Thema Pseudodemokratie - ist das auch so ein Zeichen, eine Art Beruhigungspille, dass man sagt, na ja, das Volk ist ja dabei?
Hold: Ja, das ist sicherlich der Geburtsfehler dieser Bundesversammlung. Wie gesagt, das war am Anfang sicher richtig. Damals wollte das Ganze vorsichtig angehen. Aber jetzt fühlt sich das Volk nicht mehr dabei. Das Volk hat das Gefühl, wir werden nicht gefragt, die da oben machen sowieso was sie wollen. Nichts persönlich gegen den Herrn Steinmeier, aber das Volk hat nicht das Gefühl, das ist unser Präsident, weil nicht das Volk diesen Präsidenten unterm Strich wählt.
Müller: Jetzt ist Steinmeier zufällig auch sehr beliebt. Ändert das was?
Hold: Das ändert - - Na ja, ob das so viel ändert? - Ich glaube, dass viele Menschen sich da doch schon eher damit abfinden. Wenn wir jetzt einen Kandidaten hätten, der sehr polarisiert, aber von der Großen Koalition getragen würde, ich glaube, dann gäbe es schon einen sehr großen Aufschrei. So machen viele ihren Frieden damit, weil sie sagen, na ja, es ist zwar demokratisch nicht so toll, wie ich mir das vorstelle, aber unterm Strich, der gibt schon einen passablen Präsidenten ab, mach einen Haken dahinter. Das ist sicherlich schon auch jetzt ein Thema.
"Das ist, wie wenn der Klassensprecher vom Schuldirektor gewählt wird"
Müller: Jetzt wollen Sie die Direktwahl. Das ist ja dann eine Art Direktwahl oder Volksabstimmung. Da wird immer wieder gesagt: Oh, viel zu gefährlich, wir haben die Situation in Österreich erlebt. Kann Deutschland aus Ihrer Sicht sich inzwischen so etwas leisten?
Hold: Absolut! Da bin ich überzeugt davon. Zum einen, ich habe schon gesagt: Ein Präsident in Deutschland kann dem Staat, kann unserer Demokratie nicht gefährlich werden.
Müller: Und das soll auch so bleiben, auch wenn er direkt gewählt wird?
Hold: Das soll auch so bleiben! Ich bin jetzt nicht dafür, eine Direktwahl einzuführen und zugleich diesen Präsidenten massiv zu stärken, sodass er ein starkes politisches, alltagspolitisches Gegengewicht zum Bundeskanzler ist. Das ist nicht meine Intention. Aber der Herr Bundespräsident hat doch vor allem die Aufgabe, unser Land nach außen zu repräsentieren und aber auch nach innen zu wirken, was jetzt unsere Wertediskussion und Ähnliches betrifft. Und Entschuldigung! Gerade so jemand, der uns nach außen repräsentieren soll, den muss ich doch selber wählen. Das ist, wie wenn der Klassensprecher vom Schuldirektor gewählt wird. Das kann nicht sein.
"Ich glaube, dass in Deutschland ein Populist nicht gewählt werden könnte"
Müller: Entschuldigung, ich muss Sie hier unterbrechen. Wir haben nicht mehr so viel Zeit. Und wenn dann der Bruder von Donald Trump gewählt werden würde in Deutschland?
Hold: Da glaube ich, ehrlich gesagt, nicht dran, dass wir diese Gefahr überhaupt hätten. Natürlich könnte es mal jemand vom extremen Rand, links oder rechts, bis in die Stichwahl schaffen. Aber wir haben nach wie vor in Deutschland einen so starken Konsens, was die Werte der Demokraten betrifft. Spätestens in einer Stichwahl würden die Demokraten, ob links oder rechts, so zusammenhalten, glaube ich, dass in Deutschland ein Populist nicht gewählt werden könnte. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Selbst wenn, was ich nicht glaube, selbst wenn, na und: Dann haben wir halt mal fünf Jahre den falschen. Wir hatten ja schon mal den Falschen, zwar nicht so arg lang. Aber das würde unser Land auch aushalten. Vielleicht würden wir auch dadurch dann alle mehr zusammenrücken. Dann würden wir halt gegen den Präsidenten zusammenarbeiten. Aber ich glaube nicht daran, weil wir einen sehr starken Konsens in der Mitte der Bevölkerung haben, und wenn es zu einer Stichwahl käme, käme ein Populist in Deutschland nicht über 50 Prozent.
Müller: Das ist die Meinung des früheren Richters Alexander Hold, der für die Freien Wähler am Sonntag ebenfalls für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und heute auch einen schönen Tag.
Hold: Herzlichen Dank! Das wünsche ich auch.
Müller: Danke Ihnen. Auf Wiederhören!
Hold: Auf Wiederhören.
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