Archiv

Bundesregierung an Erdogans Adresse
"NS-Vergleiche sind immer deplatziert"

Die Bundesregierung hat den Nazi-Vergleich des türkischen Präsidenten Erdogan im Zusammenhang mit der Absage von Wahlkampfauftritten seiner Minister in Deutschland zurückgewiesen. Erdogans Äußerungen seien nicht zu rechtfertigen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin.

    Der türkische Ministerpräsident Erdogan spricht in ein Mikrofon und zeit auf eine türkische Flagge hinter ihm.
    Der türkische Ministerpräsident Erdogan am 5. März bei einer Rede in Istanbul. (AFP)
    Erdogan hatte am Sonntag gesagt: "Deutschland, ihr habt mit Demokratie nichts zu tun. Eure Praktiken machen keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenheit."
    Dagegen verwahrte sich die Bundesregierung. Die Äußerungen seien nicht zu rechtfertigen, führte Merkel in Berlin aus. Besonders traurig sei, dass damit das unendliche Leid der NS-Opfer verharmlost werde. Mit Blick auf Auftritte türkischer Politiker in Deutschland betonte die Kanzlerin, diese seien innerhalb des geltenden Rechts möglich. Zuvor hatte bereits ihr Sprecher Steffen Seibert mitgeteilt: "Eine Gleichsetzung der Politik des demokratischen Deutschlands mit der des Nationalsozialismus weisen wir entschieden zurück." NS-Vergleiche seien "immer absurd und deplatziert", denn sie führten zu einer Verharmlosung der Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus.
    "Meinungsverschiedenheiten" bei Yücel
    Mit Verweis auf den in Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sprach Seibert von "tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten". Darüber müsse man "unter Partnern die Auseinandersetzung führen". Er appellierte aber an alle Seiten, einen "kühlen Kopf" zu bewahren. Die Bundesregierung arbeite deshalb auch nicht an "irgendwelchen Einreiseverboten" für türkische Politiker.
    Gestern Abend hatte bereits Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) davor gewarnt, sich von Erdogan provozieren zu lassen. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, lehnte Einreiseverbote für türkische Politiker ab. Er sagte im Deutschlandfunk, ein solcher Schritt würde zu einer Eskalation führen. Man sollte vielmehr die Türkei um den Respekt bitten, innenpolitische Konflikte nicht in anderen Ländern auszutragen, so der CDU-Politiker.
    Erdogan legt nach
    Erdogan hatte es gestern nicht bei dem einmaligen Nazi-Vergleich belassen. Am Abend erklärte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Istanbul: "Ich habe gedacht, der Nationalsozialismus in Deutschland ist vorbei, aber er geht noch immer weiter." Zu Berichten, dass er einen Auftritt in Deutschland plane, sagte Erdogan Anadolu zufolge: "Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme, und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich die Welt erschüttern."
    Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen sagte in der ARD, Erdogan betreibe eine Verharmlosung des Faschismus. "Wenn etwas hier irgendwie an den früheren Faschismus erinnert, dann ist das doch die Methode Erdogans: Nämlich Journalisten, Presse und auch die Opposition auszuschalten, seine Gewaltpolitik und gleichzeitig auch die Säuberung des Staatsapparates und seine Hetztiraden." Die Bundesregierung müsse endlich "eine rote Linie ziehen".
    Türkischer Wirtschaftsminister tritt in Köln auf
    In den vergangenen Tagen hatten deutsche Kommunen und Veranstalter mehrere Wahlkampfauftritte türkischer Minister abgesagt - hauptsächlich wegen Sicherheitsbedenken. Erdogan strebt ein Präsidialsystem an, das ihm deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen würde. An der Volksabstimmung dazu am 16. April können auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken teilnehmen, darunter rund 1,41 Millionen in Deutschland. Bei Werbeauftritten für das Präsidialsystem könnten antidemokratische Botschaften in Deutschland verbreitet werden, sagen Kritiker. Am Sonntagabend trat der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci in Köln auf.
    In dieser Woche will sich Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel treffen. Der SPD-Politiker warnte vor einer weiteren Eskalation. "Wir dürfen das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen", schrieb er in der "Bild am Sonntag".
    (nch/am)