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Bundestag
Politische Parole darf nicht ins Parlament

Wer "refugees welcome" - auf Deutsch: "Flüchtlinge willkommen" - auf seinem Pullover stehen hat, ist im Bundestag nicht willkommen. Das erfuhr eine Schülerin beim Besuch des Parlaments. Der Vorgang erntete Kritik - dabei entsprach er der Hausordnung des Parlaments.

    Vor dem Gebäude des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg (Bayern) steht am 29.10.2016 ein Wagen mit der Aufschrift "Refugees Welcome" (Flüchtlinge Willkommen).
    Refugees welcome-Schriftzug vor dem Gebäude des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (dpa / picture alliance / Nicolas Armer)
    Ein 13-jähriges Mädchen wurde vom Sicherheitspersonal des Bundestags aufgehalten, weil auf ihrem Sweatshirt der Schriftzug "refugees welcome" stand. Nach Angaben der Mutter durfte das Mädchens erst hinein, nachdem sie ihre Jacke geschlossen hatte, so dass der Slogan nicht mehr zu sehen war. In den sozialen Netzwerken äußerten sich viele irritiert, dass eine solche Botschaft im Bundestag nicht öffentlich getragen werden darf, an einem Ort, der, so die Mutter, "für die Meinungsfreiheit und für das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl steht".
    Vorgehen entspricht der Hausordnung
    Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, die den Fall per Twitter öffentlich gemacht hatte, findet das Vorgehen der Sicherheitsleute dagegen "absolut unverhältnismäßig". Für Kaddor ist es absurd, "dass der Bundestag einer Schülerin, die ja gerade einen nicht diskriminierenden und nicht ausgrenzenden Slogan trägt, den Zutritt verbieten will." Ähnlich äußerte sich zunächst auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf. Später sagte sie, das Vorgehen sei "juristisch gerade noch vertretbar". Die SPD-Abgeordnete Mechtild Grawert schrieb bei Twitter, sie hätte gerne eingegriffen.
    Aber mit welcher Handhabe? Nach Angaben der Bundestagsverwaltung entspricht das Vorgehen dem in der Hausordnung festgelegten Verhaltenskodex. Auf Nachfrage erklärte sie dem Deutschlandfunk: "Meinungsbekundungen (etwa durch Spruchbänder, Flugblätter oder eben Teile der Bekleidung) sind dagegen ungeachtet ihres Inhalts im Parlament untersagt." Das gelte für Besucher, wie auch für alle anderen Personen, die sich im Deutschen Bundestag aufhalten. Ziel sei es, "eine von äußeren Einflüssen ungestörte Atmosphäre der parlamentarischen Arbeit" zu sichern. Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt sagt, sie habe der Schülerin das Vorgehen erklärt und sie für ihr politisches Engagement gelobt.
    Die Grenze für verbotene Meinungsbekundungen ist unklar
    Wo die Grenze zwischen verbotenen und unverfänglichen Parolen verläuft, wollte die Pressestelle des Bundestages allerdings nicht definieren. Was ist zum Beispiel, wenn die Abgeordneten über die Zulassung eines Medikaments entscheiden und jemand trägt ein Trikot mit dem Schriftzug eines Pharma-Herstellers? Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel jedenfalls durfte im Herbst 2015 einen Button der Bild-Zeitungs-Kampagne "Wir helfen" im Parlament tragen. Darauf stand auch "#refugeeswelcome" und niemand störte sich dran.
    Dagegen wurden T-Shirts mit einem roten Stern oder einer Faust, die ein Hakenkreuz zerschlägt, von der Bundestags-Security schon moniert. 2009 musste ein Schüler sein T-Shirt mit der Aufschrift "Make love not war" falsch herum anziehen, um den Spruch zu verbergen. Damals beschwerte sich der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour, weil die Hippie-Parole keine aktuelle politische Brisanz gehabt habe. Heute sagte er dem Deutschlandfunk, er finde das Vorgehen der Sicherheitsleute schade, aber richtig. Er habe selbst ein Shirt mit dem Slogan "Refugees welcome", aber, so Nouripour, ein Verbot politischer Aussagen müsse für alle gelten: "Ich will auf der Bundestags-Tribüne auch keine Hassparolen sehen." Tatsächlich kann man der Bundestags-Verwaltung keine politische Einseitigkeit vorwerfen. So ist zum Beispiel die bei Rechtsradikalen beliebte Kleidungsmarke "Thor Steinar" im Bundestag und einigen anderen Parlamenten komplett verboten - egal, was draufsteht.
    (mw/cvo)