Mit den Stimmen der großen Koalition hat der Bundestag die umstrittene Neuregelung beschlossen. Zum einen wird damit die schon bekannte Online-Durchsuchung ausgedehnt. Polizisten sollen sie künftig auch bei Straftatbeständen wie Hehlerei oder Drogenhandel anwenden können. Hier geht es nicht um das Abhören, sondern um den kompletten Zugriff auf Smartphones, Tablets und Computer von Verdächtigen mithilfe einer speziell entwickelte Software (Bundestrojaner), die sich heimlich im Gerät einnistet und Daten weitergibt. Technisch gesehen ist es die gleiche Vorgehensweise, zu der auch Online-Kriminelle greifen - nur eben in diesem Fall zur Aufklärung von Verbrechen. Die Ermittler sollen die Software in Zukunft auch bei Straftaten wie Mord, Totschlag oder Geldfälschung einsetzen dürfen - und nicht wie bisher nur zur Terrorabwehr. Ähnlich wie bei klassischen Abhörmaßnahmen soll die Online-Überwachung nur auf richterlichen Beschluss möglich sein.
Völlig neu ist für die Ermittler die Möglichkeit, die Kommunikation auch über Messenger-Dienste wie WhatsApp, Telegram oder Threema mitlesen zu können (Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz: Quellen-TKÜ). Um die Verschüsselung der Dienste zu umgehen, wird auf den Geräten eine Trojaner-Software installiert. Diese ermöglicht es den Ermittlern, die Nachrichten und Chats am Bildschirm mitzulesen noch bevor sie verschlüsselt werden. Angewandt werden darf diese Überwachung bei insgesamt 38 schweren Straftaten, wie etwa Mord oder Bandendiebstahl, aber auch Sportwettbetrug und Drogendelikte.
Große Koalition verteidigt Gesetz gegen Kritik
Während Kritiker vom weitreichendsten Überwachungsgesetz seit dem großen Lauschangriff sprechen, ist das neue Gesetz für Union und SPD nur eine Anpassung an die Realität. Übers Telefon bestellten Täter allenfalls noch Pizza, meint etwa die rechtpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker. Alles andere laufe mittlerweile über verschlüsselte Messenger-Dienste - und deshalb stoße die bisher gebräuchliche Telekommunikationsüberwachung an ihre Grenzen. Ihrer Ansicht nach gehen die Ermittlungsmethoden und die Strafverfolgung völlig am Verhalten der Täter vorbei. Bundesinnenminister de Maizière erklärte, der Bundestag habe nun endlich eine "Befugnislücke" bei der Strafverfolgung geschlossen. Verschlüsselung sei kein Freibrief für Verbrecher.
Linkspartei und Grüne lehnten die Neuregelung als massiven Eingriff in die Bürgerrechte ab. Sei die Schnüffelsoftware einmal installiert, könne die Reichweite der Überwachung kaum kontrolliert werden. Das Gesetz habe ein "Anwendungsfeld, das seines gleichen sucht", kritisierte der Linken-Politiker Jörn Wunderlich in der Bundestagsdebatte. Seine Parteikollegin Mihalic zweifelte im Deutschlandfunk zudem die Verfassungsmäßigkeit der Messenger-Überwachung an. Vielen Kritiker ist die Liste der Straftaten, bei denen online überwacht werden darf, außerdem viel zu lang.
Der Chaos Computer Club (CCC) sieht eine Gefährdung der allgemeinen IT-Sicherheit in Deutschland - denn um die Trojaner-Software auf den Geräten der Verdächtigen zu installieren, müssen in der Regel Sicherheitslücken im Betriebssystem oder in anderer Software genutzt werden. Solche Schwachstellen, die bewusst bestehen gelassen werden, können auch von Kriminellen entdeckt und missbraucht werden. Erst vor kurzem war eine vom US-Abhördienst NSA entdeckte Sicherheitslücke im Windows-Betriebssystem für einen weltweiten Angriff mit dem Erpressungstrojaner "WannaCry" ausgenutzt worden. Auch der Vergleich mit dem Mitlesen von SMS hinkt aus Sicht des CCC, wie Constanze Kurz im Deutschlandfunk Kultur erläutert.
Richterbund unterstützt Gesetzes-Vorhaben
Der Deutsche Richterbund argumentiert ähnlich wie die Große Koalition. Der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Rebehn,
sagte im Deutschlandfunk
, es sei für die Strafverfolgung wichtig, auf die Höhe der Zeit zu kommen. Allerdings betonte er, die Justiz müsse dementsprechend personell ausgestattet werden. Der sogenannte Richtervorbehalt, der in der geplanten Gesetzesänderung vorgesehen ist, schreibt den Ermittlungsbehörden vor, bei einem Richter das Einverständnis einzuholen, um eine Überwachung von WhatsApp oder anderen Messenger-Diensten vorzunehmen. Rebehn sagte, dazu müssten Tag und Nacht Richter zur Verfügung stehen, das sei mit dem bestehenden Personal nicht zu leisten.
Rebehn übte aber auch Kritik an der Geschwindigkeit, mit der über die Änderung des Überwachungsgesetzes von den parlamentarischen Gremien entschieden wurde. Fehlende Zeit führe oft dazu, dass Vorschriften sehr schnell zusammengestöpselt würden. Er glaube zwar nicht, dass mit leichter Hand Straftatbestände zusammengeschrieben worden seien, bei denen eine Überwachung angeordnet werden könne. Man müsse jetzt aber in der Praxis überprüfen, ob das ausufere und der Katalog der Straftaten, bei denen Überwachung angeordnet werden solle, reduziert werden müsse.
Gesetz ist selbst ein "Trojaner"
Kritik gibt es auch an der Art und Weise, wie der Bundestag heute über das Gesetz abstimmt. Heribert Prantel von der Süddeutschen Zeitung kommentiert, das neue Überwachungsgesetz komme selbst durch die Hintertür. Die neuen Regelungen seien an ein anderes Gesetz angehängt worden, in dem es unter anderem um den Führerschein-Entzug bei Nicht-Verkehrsstraftaten geht ("Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens"). Für Prantl ist das mit ein Grund, warum die öffentliche Debatte über "eines der weitreichensten Überwachungsgesetze in der Geschichte der Bundesrepublik" bislang ausgeblieben ist.
Eine Kritik, der auch der Deutsche Anwaltverein teilt. Er sprach von einem verfassungsrechtlich "äußerst bedenklichen" Vorgang. Gesetzesvorschläge, die derartig gravierende Grundrechtseingriffe mit sich bringen, dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass sie versteckt in einem Änderungsantrag eingebracht werden, um ohne Diskussion und mit großer Eile durchgesetzt zu werden", erklärte Verbands-Präsident Ulrich Schellenberg.
Der Grünen-Abgeordnete Ströbele prophezeite der Regierung ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht. "Dieses Gesetz darf so nicht durchkommen", sagte Ströbele in der Debatte. "Dieses Gesetz muss spätestens in Karlsruhe fallen."
(rm/tep/gwi)