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Bundestag
Unterstützung für den "größten Pflegedienst der Nation"

Bisher konnten Beschäftigte, die sich um die Pflege ihrer Angehörigen kümmern wollten, kaum mit Unterstützung rechnen. Ein neues Gesetz soll das ändern. Doch der Opposition geht es nicht weit genug: Grund zur Freude hätten vor allem die Arbeitgeber.

Von Dirk-Oliver Heckmann |
    Zwei Spaziergänger gehen am 13.01.2014 in Ostfildern bei Stuttgart (Baden-Württemberg) durch den Scharnhauser Park, einer von ihnen nutzt einen Rollator.
    In Zukunft soll ein Beschäftigter, der sich akut um die Pflege eines Angehörigen kümmern muss, zehn Tage lang eine Auszeit nehmen können. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    "Die Familien in unserem Land, sie sind der größte Pflegedienst der Nation und deshalb haben sie unsere Unterstützung verdient."
    Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gibt sich im Bundestag überzeugt: Mit dem "Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf" geht die Große Koalition entscheidende Schritte in die richtige Richtung.
    Bereits heute sind zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland als pflegebedürftig registriert – Tendenz stark steigend. Sieben von zehn Menschen leben zuhause und werden auch oder ausschließlich von Familienangehörigen gepflegt. Doch die wurden bisher ziemlich alleine gelassen – vor allem wenn sie gleichzeitig auch noch einer Arbeit nachgehen oder nachgehen müssen.
    Das will die Koalition nun ändern. In Zukunft soll ein Beschäftigter, der sich akut um die Pflege eines Angehörigen kümmern muss, zehn Tage lang eine Auszeit nehmen können. In dieser Zeit erhält er – anders als zuvor – 90 Prozent seines Einkommens von der Pflegekasse ausgezahlt. Außerdem soll es einen Rechtsanspruch auf eine unbezahlte Freistellung vom Job geben – entweder für 6 Monate komplett oder per Teilzeit für bis zu zwei Jahre. Die Familienpflegezeit soll auch für die Pflege schwer kranker Kinder oder Schwerstkranker in Hospizen in Anspruch genommen werden können.
    Zeit für Familie und Beruf
    Schließlich: Der Arbeitnehmer kann für diese Zeit ein zinsloses Darlehen aufnehmen, das vom Bund getragen wird. Zeit für die Familie und für den Beruf – auch in einer Pflegesituation – das sei ein Anspruch moderner Familienpolitik, meint Ministerin Schwesig:
    "Klar ist, dass man für die Pflege und Sorge Auszeiten braucht. Aber man muss eben nicht voll mehrere Jahre aussteigen, denn das bedeutet: raus aus dem Job, weniger Einkommen, weniger Rente."
    "Frau Ministerin, ich schlage vor, wir setzten jetzt einfach mal kollektiv Ihre rosarote Brille ab und schalten auch mal den Weichzeichner aus", meint dazu Elisabeth Scharfenberg, Pflege-Expertin der Bündnisgrünen. Und auch Pia Zimmermann von der Linken hält es geradezu für sensationell, wie kleinste Verbesserungen als Fortschritt verkauft würden, hinter denen sich auch noch Verschlechterungen verbürgen.
    Zimmermann: Vor allem Arbeitgeber können sich freuen
    Eine Pflege innerhalb von zehn Tagen organisieren zu wollen – das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Liegen wichtige, betriebliche Gründe vor, könnten die Unternehmer den Wunsch nach einer Auszeit ablehnen. Und: Menschen, die in Betrieben mit 15 oder weniger Beschäftigten sind, sind von dem Rechtsanspruch auf Pflege-Auszeit ganz ausgeschlossen. Grund zur Freude, meint Pia Zimmermann, hätten vor allem die Arbeitgeber:
    "Die werden bei der Finanzierung nämlich völlig außen vor gelassen. Die Beschäftigten bauen Zeitschulden auf dem Arbeitszeitkonto auf, die sie später abarbeiten müssen und sie verschulden sich finanziell, weil sie das Darlehen zur Aufstockung des Nettogehalts zurückzahlen müssen. Da nutzen Ihre wohlfeilen Worte, Frau Schwesig, herzlich wenig. Die Kosten tragen nämlich diejenigen, die eigentlich entlastet werden sollen: Beschäftigte, die ihre Angehörigen pflegen."
    Elisabeth Scharfenberg von den Bündnisgrünen sieht das ganz ähnlich. Geringverdiener – und das sind zum großen Teil Frauen – könnten es sich überhaupt nicht leisten, das Darlehen in Anspruch zu nehmen. Die Angehörigen von Demenzkranken gehen nach derzeitigem Stand leer aus. Und: Die Familienpflegezeit ende nach zwei Jahren – ebenso wie das Rückkehrrecht zur vollen Arbeitszeit.
    "Die Pflegerealität sieht aber ganz anders aus. Die dauert nämlich oft viel länger als zwei Jahre. Ihre Regelungen passen einfach nicht in die Lebenswirklichkeit der Menschen. Ihre Regelungen gehen an den Bedürfnissen der pflegenden Angehörigen und der Pflegebedürftigen vorbei."