Archiv

Bundestag zu BDS-Kampagne
„Es geht hier ganz klar darum, Antisemitismus zu verurteilen“

Die mögliche Bundestagsresolution gegen die BDS-Kampagne stößt auf Kritik: Damit werde Antisemitismus mit legitimer Kritik an israelischer Politik gleichgesetzt. Bijan Djir-Sarai (FDP) verteidigte den Antrag seiner und drei weiterer Fraktionen im Dlf - dabei gehe es explizit nicht um Tagespolitik.

Bijan Djir-Sarai im Gespräch mit Christiane Kaess |
Bijan Djir-Sarai (FDP) spricht während einer Sitzung im Bundestag zum Thema "70 Jahre NATO".
Der außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, Bijan Djir-Sarai, will mit der Resolution ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
Christiane Kaess: Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen – dafür steht die Abkürzung BDS und dahinter verbirgt sich eine Kampagne, die versucht, Israel zu isolieren. Die Strategie: Es wird dazu aufgerufen, israelische Produkte nicht zu kaufen. Damit will die Protestbewegung gegen Israels Politik gegenüber den Palästinensern protestieren, und das schon seit 15 Jahren.
Israels Regierung betrachtet die Kampagne als strategische Bedrohung und als antisemitisch. Der Bundestag will jetzt ein Signal gegen die Kampagne setzen – mit einem Antrag von einer fraktionsübergreifenden Mehrheit aus Union, SPD, FDP und Grünen. Aber der anstehende Beschluss ist umstritten.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Bijan Djir-Sarai. Er ist außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, aus der die Initiative für die Resolution gegen die BDS-Kampagne kam. Guten Morgen!
Bijan Djir-Sarai: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Kaess: Im Antrag heißt es, die Boykott-Kampagne erinnere an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte. "Die "Don’t buy"-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten wecken unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole "kauft nicht bei Juden" und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern." – Ist das nicht überzogen?
Djir-Sarai: Nein, das ist aus meiner Sicht nicht überzogen. Der Sachverhalt ist dem Deutschen Bundestag, der deutschen Politik schon lange bekannt. Von daher war es aus meiner Sicht auch höchste Zeit, dass der Deutsche Bundestag diesbezüglich Position bezieht.
Übrigens andere sind schon vorgegangen, beispielsweise der Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es schon bereits eine gemeinsame Resolution, beziehungsweise Position. Und es war höchste Zeit, dass der Deutsche Bundestag hierzu sich positioniert.
Nein, es ist keineswegs überzogen. Es sind immer bewusst auch Verbindungen aufgesetzt worden, die auch im Zusammenhang stehen mit dunklen Zeiten unserer Geschichte und die teilweise außerordentlich geschmacklos sind, und es war höchste Zeit, dass der Deutsche Bundestag sich hierzu positioniert.
"Es ist kein Problem, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren"
Kaess: Aber, Herr Djir-Sarai, ich muss da noch mal nachhaken, weil ich mir vorstellen könnte, dass das für viele tatsächlich schwer nachzuvollziehen ist. Dieser Vergleich, Pogrome gegen Juden in der NS-Zeit, die zum Mord an Millionen Menschen geführt haben, zu vergleichen mit einer politischen Kampagne heute, die ein Land international für eine sehr umstrittene Politik kritisiert, mit Boykott seiner exportierten Produkte, hinkt dieser Vergleich nicht zumindest?
Djir-Sarai: Es wirkt ja zunächst einmal so, als wäre es ein sachlicher Israel-Vergleich. Es wird ja auch übrigens im Zusammenhang in Debatten mit BDS-Anhängern oder mit dieser Bewegung immer gesagt, es geht hier nicht um das Thema Juden, sondern es geht hier um Israel-Kritik.
Das ist kein Problem, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren. Das ist jederzeit möglich. Übrigens das macht der Deutsche Bundestag regelmäßig. Wir kritisieren im Deutschen Bundestag bei unseren Debatten regelmäßig die Politik der israelischen Regierung. Das ist aber die eine Seite.
Aber dann hinzugehen und das vor allem auch oft bei Aktionen und Veranstaltungen so zu versuchen, und wir haben das auch vorhin in dem Beitrag gehört, dass es um Grundpfeiler dieses Staates geht, dass es grundsätzlich um den Staat Israel geht, vor allem, wenn es um die Existenz dieses Staates geht, und wenn das Ganze dann in Frage gestellt wird, dann geht es ganz klar nicht nur ums Tagesgeschäft, geht es nicht nur um Tagespolitik in Bezug auf Israel, sondern da geht es viel weiter und es geht dann Richtung Antisemitismus und Judenfeindlichkeit.
Kaess: Jetzt gibt es aber sogar Protest aus Israel selbst. Mehr als 60 jüdische und israelische Wissenschaftler warnen davor, die BDS-Kampagne mit Antisemitismus gleichzusetzen. Sie sagen, diese Vermischung sei inakzeptabel, und sie nennen das sogar eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland. Ist diese Kritik von Experten, muss man ja sagen, die selbst sogar betroffen sind, einfach so zu übergehen?
Djir-Sarai: Was heißt Experten? – Ich bin auch ein bisschen über diese Debatte irritiert, wenn eine Minderheit in Israel so etwas sagt. Selbstverständlich gibt es in Israel auch Menschen, …
Kaess: Das sind renommierte namhafte Experten. Ich nenne einen kurz: Amos Goldberg, Professor für die Geschichte des Holocaust an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Der hat den Appell initiiert.
"Das sind zwei völlig unterschiedliche Schuhe"
Djir-Sarai: Natürlich, ja. Aber entschuldigen Sie! Ich glaube, die Mehrheit wird das Ganze hier begrüßen. Ich glaube, selbst wenn Sie in Deutschland mit der israelischen Botschaft sprechen, ich glaube, die werden das begrüßen.
Selbst wenn Sie mit jüdischen Organisationen in Deutschland sprechen, wenn Sie mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland sprechen, die werden diese Aktion begrüßen. Es geht hier ganz klar darum, Antisemitismus zu verurteilen, und das ist überhaupt nicht dasselbe beziehungsweise das ist nicht die Debatte nach dem Motto, es ist nicht gewünscht, die israelische Politik oder die israelische Regierung zu kritisieren. Das sind völlig unterschiedliche Schuhe!
Auch die Kritiker, die Sie genannt haben – ich habe mir ja den einen oder anderen Beitrag oder Punkt schon im Vorfeld dieser Sendung angehört. Die stellen das immer so dar: In dem Moment, wo die BDS-Bewegung nicht mehr erlaubt ist, ist im Grunde genommen Israel-Kritik nicht erlaubt.
Und wie gesagt: Das sind zwei völlig unterschiedliche Schuhe. Die Debatten haben nichts miteinander zu tun, sondern das eine ist Politik und das andere, da geht es einfach um Antisemitismus, Judenfeindlichkeit in Deutschland zu bekämpfen, weltweit zu bekämpfen. Das sind völlig unterschiedliche Debatten, die man im Übrigen nicht vermischen kann. Die Vermischung ist durchaus gefährlich.
Kaess: Herr Djir-Sarai, es gibt noch einen anderen Punkt. Diese Wissenschaftler warnen auch davor, dass mehr als 100 palästinensische zivilgesellschaftliche Organisationen, die den BDS-Aufruf unterzeichnet haben, künftig von deutscher Förderung eventuell ausgeschlossen sind. Die Wissenschaftler sagen, das würde die gesamte palästinensische Gesellschaft schwächen. Inwiefern haben Sie sich mit diesen Organisationen auseinandergesetzt?
Djir-Sarai: Dass ein Antrag des Deutschen Bundestages die gesamte palästinensische Organisation oder andere Organisationen der Palästinenser schwächen würde, das halte ich für ein Gerücht. Was Sie ansprechen, ist aber völlig richtig.
Kaess: Das können Sie beurteilen? Sie haben sich mit diesen Organisationen auseinandergesetzt, mit der Arbeit, die die vor Ort leisten?
Djir-Sarai: Genau, und das ist der entscheidende Punkt. Die Arbeit vor Ort, da ist es in der Regel so, dass man an BDS-Bewegungen oder Gruppen oder Organisationen, die mit BDS in Berührung stehen, nicht vorbeikommt. Das ist auch eine Realität, was die Arbeit vor Ort anbetrifft.
Da ist der Antrag bewusst auch sehr umfassend gefasst. Wir reden hier nicht über Verbot von Vereinen, sondern es ist auch bewusst Raum gelassen worden, dass man mit diesen Organisationen vor Ort zusammenarbeiten kann.
Kaess: Wie soll das funktionieren, wenn sie künftig von deutscher Förderung ausgeschlossen werden? Das wird ja Konsequenzen haben für die Arbeit dieser Organisationen.
Djir-Sarai: Das wird für die Organisationen, die in Deutschland offen weiterhin agieren, offen antisemitisch agieren, Konsequenzen haben.
Für Organisationen, die vor Ort sich für Sacharbeit interessieren, für Hilfe für Palästinenser organisieren, das ist noch mal eine andere Geschichte. Aber hier in Deutschland ist es nicht die Intention dieses Antrages, die Position der Palästinenser an irgendeiner Stelle zu schwächen. Darum geht es überhaupt nicht.
Das hat auch mit dem Thema Palästinenser-Israelis gar nichts zu tun an der Stelle, sondern es geht einfach darum, Antisemitismus zu bekämpfen. Der Versuch, das zu vermischen mit der Tagespolitik, ich glaube, das ist eher ein Versuch von den Gegnern des Ganzen, um hier zusätzlich Verwirrung zu stiften.
"Die Antragsteller wollten keine tagespolitische Debatte"
Kaess: Warum unterscheidet dieser Antrag nicht zwischen Israel und den besetzten Gebieten? Denn die Folge ist ja, dass auch Boykott von Waren, die aus israelischen Siedlungen stammen, verurteilt wird als antisemitisch, obwohl diese Siedlungen völkerrechtlich illegal sind.
Djir-Sarai: Das hat schlicht und einfach damit zu tun, dass wir ganz klar in erster Linie – ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen – Antisemitismus-Bekämpfung wollten und versucht haben, bewusst die Tagespolitik hier rauszuhalten.
Kaess: Aber ist das eventuell ein Fehler in dem Antrag, denn es gibt sogar eine UNO-Resolution, die die Staaten auffordert, zwischen dem Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden. Warum haben Sie das nicht berücksichtigt?
Djir-Sarai: Die UNO ist doch an der Stelle kein Maßstab. In der UNO werden permanent Resolutionen verabschiedet gegen Israel, die aus unserer Sicht mit der Realität nichts zu tun haben oder nur einseitig den Nahost-Konflikt wiedergeben. Das ist an der Stelle kein Maßstab.
Kaess: Auch diese Resolution zur Unterscheidung zwischen diesen beiden Gebieten erkennen Sie nicht an?
Djir-Sarai: Nein! Es geht doch gar nicht um diese Gebiete. Es geht ja auch nicht darum jetzt im Detail, weil das, was wir gerade besprechen, geht ja exakt in die Richtung, die die Antragsteller bewusst vermeiden wollten.
Die Antragsteller wollten keine tagespolitische Debatte. Die Antragsteller wollten keine außenpolitische Debatte.
Den Antragstellern ging es auch nicht um die Frage, den Nahost-Konflikt zu bewerten. Das ist definitiv nicht die Aufgabe der Antragsteller, sondern die Antragsteller wollten, in Bezug auf Deutschland ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus oder gegen Organisationen, die Antisemitismus unterstützen. Darum ging es!
Wir werden mit Sicherheit auch nicht als Antragsteller – ich glaube, da spreche ich auch für die anderen Antragsteller – uns jetzt nicht in die Debatte reinstecken oder die Debatte führen, was die richtige oder falsche Israel-Politik ist.
Diejenigen, die die BDS-Bewegung bis jetzt geführt haben, denen ging es auch gar nicht um die israelische Politik, sondern die haben grundsätzlich im Kern das Existenzrecht eines jüdischen Staates in Frage gestellt, und das ist etwas, was wir an der Stelle nicht dulden wollen, und das hat mit Tagespolitik an der Stelle überhaupt nichts zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.