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Bundestags-Debatte zu rechtem Terror
"Die höchste Bedrohung geht vom Rechtsextremismus aus"

Der Bundestag debattiert über Hanau - und viele Abgeordnete gestehen ein, dass die rechtsextreme Gefahr viel zu lange unterschätzt wurde. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) findet eine eindeutige Antwort auf die Frage, welcher Extremismus bedrohlicher ist.

Von Gudula Geuther |
Eine Frau steht auf dem Marktplatz in Hanau vor dem Denkmal der Brüder Grimm. Vor dem Denkmal stehen Blumen, Kerzen und ein Plakat mit der Aufschrift «Getötet, weil sie Muslime waren».
Hanau: Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
Mehr als zehn Minuten lang setzte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Agenda für eine komplexe Debatte, einen Tag nach der Trauerfeier in Hanau. Mit dem Gedenken an die namentlich genannten Opfer. Mit Fragen zum Zustand der Gesellschaft, in der sich manche überfordert fühlten, mit der Frage, wie heute diskutiert würde, hätte es sich in Hanau nicht um einen rechtsextremistischen, sondern um einen islamistischen Anschlag gehandelt. Und mit dieser Feststellung: "Betroffenheit reicht längst nicht mehr. Hanau fordert vor allem Aufrichtigkeit. Aufrichtigkeit vom Staat, der sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben."
Seehofer: Gefahr von rechts ist die höchste Bedrohung
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verwies auf die rechtsextremistischen Gewalttaten in Deutschland in den vergangenen Monaten, auf aufgefundene Waffen und Sprengstoff und zog das Fazit:
"Die höchste Bedrohung in unserem Lande geht vom Rechtsextremismus aus. Und man kann diese Bedrohung nicht damit relativieren, dass man sagt: Wir haben ja auch Linksextremismus. Der Rechtsextremismus, der Rechtsterrorismus, der Antisemitismus sind die höchsten Gefährdungen unseres freiheitlichen Rechtsstaates."
Auf einem Plakat während einer Mahnwache steht: Stoppt die Hetze! Rassismus tötet!
Ausgrenzung wegen Herkunft oder Hautfarbe nimmt zu
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bekommt vermehrt Meldungen, in denen Menschen rassistisch bedingte Benachteiligungen erleben. Als Grund sieht die Behörde nicht nur das veränderte gesellschaftliche Klima.
Der FDP-Abgeordnete Bijan Djir-Sarai betonte, er hätte noch vor Jahren Deutschlands Weltoffenheit betont. Heute müsse er etwas hinzufügen: "Ich spüre zum ersten Mal seit langem, dass Menschen in diesem Land zu Recht Angst vor der Zukunft haben."
Rassismus ist weit vorgedrungen
Sie hätten Angst, das hätten ihr auch Hinterbliebene in Hanau gesagt, gab Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wieder.
"Und ich würde gerne hier stehen als Justizministerin und all diesen Menschen, die jetzt Angst haben in diesem Land und all diesen Menschen versprechen, dass sich solch unermessliches Leid nicht wiederholt. Aber ich kann das nicht. Dafür ist die rechtsterroristische Bedrohung zu groß. Und dafür ist der Rassismus zu weit in diese Gesellschaft vorgedrungen. Aber eines kann ich ihnen versichern: Wir nehmen den Kampf gegen diese Bedrohung auf."
Wie auch Horst Seehofer zählte sie die beschlossenen und angestoßenen jüngsten Gesetzesverschärfungen auf. Wie fast allen anderen, so ging es aber auch ihr um das Klima in der Gesellschaft – und auch im Bundestag. Auch hier hatte Wolfgang Schäuble den Ton gesetzt.
"Gewählte Repräsentanten stehen in der besonderen Verantwortung, sich von extremistischen und rassistischen Ausfällen nicht nur verbal zu distanzieren, sondern deren Urheber konsequent dort zu verorten, wo sie stehen: Jenseits jedes bürgerlichen Anstands und außerhalb unserer demokratischen Ordnung."
Die AfD im Abseits
Die Redner der AfD entschieden sich für das Gegenteil. So Gottfried Curio, der Wahnvorstellungen des mutmaßlichen Täters wiedergab und hinzufügte: "Diese krankhafte Übersteigerung, das ist gerade das Wahnhafte. Der geistig gesunde Mensch reagiert auf Missstände, indem er die AfD wählt."
Ein Demonstrant hält bei einer Kundgebung ein Banner mit der Aufschrift "NSU". München, 2018.
Rechte Gewalt als Konstante deutscher Geschichte
Rassistisch oder nationalistisch motivierte Gewalt ist als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte noch kaum erforscht. Aber auch die Geschichte von Solidarität und Gegenwehr der Opfer ist erst lückenhaft dokumentiert. Der "Zeithistorische Arbeitskreis Extreme Rechte" versucht eine Bestandsaufnahme.
Und Roland Hartwig, ebenfalls von der AfD, befand: "Es ist doch schön, nicht wahr, wenn man einen gemeinsamen Feind hat und sich auch einig ist, wo man ihn suchen muss. Nämlich rechts. Extremismus aber entwickelt sich an allen Rändern, rechts ebenso wie links."
Ein Täter mit eindeutigen Motiven
Nicht angemessen nannte das etwa SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der Anteilnahme vermisste. Und Stephan Thomae von der FDP nannte Curios Abrenzung zwischen geistiger Verwirrung und Extremismus abenteuerlich.
"Nein. Wenn man das Manifest des Täters von Hanau liest, seine Auslöschungsphantasien - ja was soll denn noch rassistisch sein, rechtsextremistisch, wenn nicht dieser Täter?"
Einige Redner erinnerten sehr konkret an die Opfer von Hanau. Darunter Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. "Und sie alle hatten nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht. Sie alle fehlen. Und sie werden im Übrigen auch noch fehlen, wenn diese Debatte längst vorbei ist wir uns anderen Themen zugewandt haben."