Es ist eine Zäsur. Die feixenden Gesichter der AfD-Abgeordneten am Abend im Bundestag tun weh. Die Rechtsextremen feiern sich. Der parlamentarische Geschäftsführer salutiert vor seinen Leuten. Es sind Bilder, die keiner haben wollte. Die Union bekommt eine hauchdünne Mehrheit für die Forderung nach Zurückweisungen an den Grenzen. Praktische Folgen wird das nicht haben, und doch: Das Parlament steht Kopf. Es ist ein Tabubruch. Doch es ist zugleich zu billig, allein Friedrich Merz die Schuld dafür zu geben. Es war der Kanzler, der sich durch Untätigkeit in die Defensive drängen ließ.
Verantwortung für Aschaffenburg tragen Scholz und Faeser
Olaf Scholz hat die Stimmung im Land unterschätzt. Ein „Ich bin es leid!“ reicht eben nicht mehr als Reaktion, und die Ankündigung der Innenministerin, „jeden Stein umzudrehen“, um Fehler aufzudecken, klang schon nach dem Anschlag von Magdeburg abgedroschen und hilflos. Das Bundesamt für Migration räumt eine Überlastung ein, nur deshalb war der Mörder von Aschaffenburg noch im Land. Verantwortung dafür tragen Nancy Faeser – und der Kanzler! Doch statt über Konsequenzen zu reden, streitet die Politik darüber, ob es einen Kurswechsel in der Migrationspolitik geben darf, wenn er nur mit den Stimmen der Rechtspopulisten möglich wird.
Friedrich Merz hatte das im November ausgeschlossen, der Wortbruch ist eindeutig. Und dennoch dürfen notwendige Entscheidungen nicht vom Abstimmungsverhalten der AfD abhängig gemacht werden. Mit einer so definierten Brandmauer knebelt sich das Parlament selbst, kann Politik nicht mehr gestalten und wird die Rechtsextremen damit weiter stärken.
Demokratische Parteien unfähig zum Konsens bei Migration
Der Kanzler allerdings hat die Chance vertan, mit der Union über weitere Gesetzesverschärfungen zu verhandeln. Ein ohnehin abgeschwächtes Sicherheitspaket hat er nicht in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gebracht, weil er nicht einmal in den eigenen rot-grünen Reihen eine Mehrheit dafür findet. Dasselbe gilt für das gebotene Aussetzen des Familiennachzuges, den die Union am Freitag per Gesetz durchbringen will. Die Grünen wollen den Nachzug sogar noch ausweiten.
Dass die demokratischen Parteien unfähig zum Konsens sind, das ist das eigentliche Armutszeugnis an diesem Tag. Aber vier Wochen vor einer Bundestagswahl konnte das wohl niemand anders erwarten. Und auch Friedrich Merz gaukelt den Wählern mit schrillen Tönen vor, es könnte sich vor der Wahl noch etwas ändern. Selbst wenn das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz am Freitag eine Mehrheit findet, wird es im Bundesrat scheitern. Nichts wird sich also verändern. Merz setzt alles auf eine Karte – mit ungewissem Ausgang. Scholz dürfte jetzt die Chance sehen, wieder in die Offensive zu kommen – die Herausforderungen der Migration aber bleiben weiter liegen. Ein Trauerspiel.