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Bundestagsdebatte zur Sterbehilfe
In Würde sterben - und legal

Der Bundestag debattiert am morgigen Donnerstag in erster Lesung über vier Gesetzesentwürfe zur Sterbehilfe. Dabei geht es vor allem um die Beihilfe zur Selbsttötung. Die Abstimmung erfolgt im November - ohne Fraktionszwang, denn die Meinungen zu dem Thema sind innerhalb der Parteien alles andere als einheitlich.

Von Gudula Geuther und Gerhard Schröder |
    Zu sehen ist die Hand eines alten Menschen auf einer Bettdecke
    Die Debatte über die Sterbehilfe dauert schon seit Jahren an (picture-alliance / dpa / Sami Belloumi)
    Bettina Schardt schaut wach und sicher in die Kamera. Die damals 79-Jährige sitzt in einem Liegesessel, Wolldecke über den Knien, sie trägt eine rosafarbene, ärmellose Bluse, das weiße, halblange Haar in weiche Locken gelegt.
    "Ich finde es in Deutschland - außer man hat eine Möglichkeit, sich eine Pistole oder einen Revolver zu besorgen oder an Gift zu kommen - äußerst schwierig, das Leben zu beenden zu einem Zeitpunkt, wo man erstens dazu bereit ist und zweitens alle Kriterien vorhanden sind, die einen ein Lebensende herbeiwünschen lassen."
    Der Sterbehelfer Roger Kusch selbst hat dieses und andere Videos ins Netz gestellt - Gespräche mit Sterbewilligen, denen er bei ihrem Suizid helfen wollte - und würde. Bettina Schardt hatte eine Krebsbehandlung gegen einen Knoten in ihrer Brust abgelehnt. Über permanente unerträgliche Schmerzen klagt sie nicht. Aber ein Pflegeheim, sagt sie dem früheren Hamburger Justizsenator Kusch, würde sie nie betreten.
    "Ich bin nicht der Mensch, der von anderen völlig abhängig sein kann. Das kann ich nicht ertragen."
    Das war 2008. Kurz nach diesen Aufnahmen nahm sich Bettina Schardt das Leben, unterstützt vom "Verein Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e. V.". Auch Frieda Felger, zu der Zeit 97 Jahre alt, trieb vor ihrem assistierten Suizid die Angst vor der Fremdbestimmung um.
    "Diese Angst, dass ich dann noch mal ins Krankenhaus komme oder vielleicht in ein Altersheim, in ein Pflegeheim. Und dann liege ich da."
    Es sind solche Fälle, die schon in der vergangenen Legislaturperiode die Politik auf den Plan riefen. Damals wollten vor allem Unionspolitiker das Strafrecht verschärfen, wollten organisierte Formen der Sterbehilfe unter Strafe gestellt wissen. Es ging nicht nur um den Hamburger Verein, es ging auch um einen Berliner Arzt, der mehrfach Sterbewilligen Suizidbeihilfe geleistet und vor allem klar gemacht hatte, dass er das auch wieder tun würde.
    Peter Hintze: "Wir gehen vom selbstbestimmten Bürger aus"
    Es ging um die Schweizer Sterbehilfeorganisationen Dignitas und Exit und mögliche Helfer in Deutschland. Was die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, vorlegte, reichte vielen Bundestagsabgeordneten aber nicht. Die Gesetzesinitiative wurde vertagt. Vor Monaten haben Parlamentarier das Thema wieder aufgenommen. Der Bundestag wird nun über die Zukunft der Sterbehilfe in Deutschland entscheiden. Morgen diskutieren die Abgeordneten in erster Lesung über vier verschiedene Gesetzentwürfe - ohne Fraktionszwang, die Meinungen gehen quer durch die Parteien. Dies so sehr, dass bei drei der vier Entwürfe schon die Initiatoren aus verschiedenen Fraktionen kommen - in einem Fall sogar aus allen vier im Bundestag vertretenen Parteien. Und nach wie vor entzündet sich die Kritik am derzeitigen Recht an der organisierten Suizidbeihilfe à la Kusch. Michael Frieser etwa, CSU-Politiker und Anhänger einer gemäßigt-repressiven Lösung, sagt:
    "Nicht nur die deutsche Rechtsprechung, sondern vor allem die Aggressivität von Organisationen, von Vereinen in diesem Land, aber auch im benachbarten europäischen Ausland, zwingen uns dazu, dieses aggressive Vorgehen von Organisationen, die den Tod auf Bestellung servieren, dass wir denen etwas zu Leibe rücken müssen und etwas entgegenstellen müssen."
    Andere warnen: Peter Hintze, CDU, gelernter evangelischer Pfarrer, sagt: Angehörige und Ärzte gehörten an das Krankenbett, nicht der Staatsanwalt:
    "Alle Argumente für eine Strafverfolgung sind Argumente, die den Bürger entmündigen, die sagen: Hier, die Kirche oder der Staat, die wissen besser, was gut für Dich ist. Wir gehen vom selbstbestimmten Bürger aus, von der Menschenwürde. Und der Kern der Menschenwürde ist die Selbstbestimmung des Menschen, die wollen wir in Schutz nehmen."
    Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
    Passive und indirekte Sterbehilfe sollen weiter straffrei, die aktive Sterbehilfe strafbar bleiben. (picture alliance / dpa / Jm Niester)
    Trotz solcher Plädoyers gegen Strafverschärfungen - alle vier Gesetzentwürfe wollen die derzeitige Rechtslage in einem Punkt verändern: dem der Beihilfe zur Selbsttötung, des so genannten assistierten Suizids. Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn unter dem Begriff Sterbehilfe, sagt Carsten Bokemeyer, wird ganz Unterschiedliches verstanden. Der Professor für Onkologie, der Therapie bösartiger Erkrankungen, leitet die Zweite Medizinische Klinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.
    "Wir haben einmal Sterbenlassen oder passive Sterbehilfe als Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen. Wir haben indirekte Sterbehilfe - schmerzlindernde Behandlung unter Inkaufnahme von nicht beabsichtigter, aber möglicher Lebensverkürzung. Wir haben das, worum es heute hauptsächlich geht: den assistierten Suizid, das heißt: die Hilfeleistung zur Selbsttötung, zum Beispiel durch Beschaffung und Bereitstellung von tödlichen Medikamenten. Und aktive Sterbehilfe geht eben weit über das hinaus - nämlich die Beschleunigung oder das Herbeiführen des Todeseintritts. Und da wird der Tod nicht nur in Kauf genommen, sondern er ist im Grunde das Ziel natürlich der entsprechenden Handlung."
    Umstritten ist im Bundestag nur die Beihilfe zur Selbsttötung, also der assistierte Suizid. Hier ist die derzeitige Rechtslage etwas unklar: Sich das Leben zu nehmen, ist nicht strafbar, kann auch nach dem freiheitlichen Menschenbild unserer Verfassung nicht strafbar sein. Nach den Regeln des Strafrechts gilt aber im Allgemeinen: Wo es keine strafbare Haupttat gibt, kann es auch nicht strafbar sein, diese - erlaubte - Handlung zu unterstützen. Deshalb ist auch die Beihilfe zur Selbsttötung an sich straffrei.
    Wobei es im einzelnen Unsicherheiten gibt: Muss der, der beim Suizid hilft, den Sterbenden wiederbeleben, sobald er bewusstlos ist? Heißt das andererseits, dass er ihn, um sich nicht selbst in Schwierigkeiten zu bringen, gerade im Sterben allein lassen muss? Das galt früher einmal, heute ist es wohl überholt, eine ganz klare höchstrichterliche Bestätigung dafür gibt es bisher aber nicht. Vor allem aber verbietet das ärztliche Standesrecht in manchen Teilen Deutschlands Medizinern, ihren Patienten, die sich das Leben nehmen wollen, dabei zu helfen. Ohnehin klar ist - und das wird auch in der aktuellen Debatte nicht infrage gestellt: Straffrei kann ein Helfer nur den Sterbewilligen unterstützen, der in der Lage ist, seinen Willen selbstbestimmt und frei zu bilden. Das kann kein Minderjähriger, das kann niemand, der durch seelische Krankheit in den Todeswunsch getrieben wird oder der dement ist.
    Indirekte Sterbehilfe ist breit akzeptiert
    So sehr hier also noch Randfragen offen sind - über alle anderen Formen der Sterbehilfe herrscht Einigkeit: Die aktive Sterbehilfe, das, was das Strafgesetzbuch "Tötung auf Verlangen" nennt, ist strafbar und soll es bleiben. Der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen ist es nicht, auch wenn der Tumorspezialist Bokemeyer einräumt, dass gerade unerfahrenere Ärzte da zuweilen unsicher seien. Mathias Freund, auch er Professor für Onkologie und damit täglich mit dauerhaft schwerkranken, oft sterbenden Menschen befasst, sagt über dieses Sterbenlassen, das früher passive Sterbehilfe hieß:
    "Das, denke ich, ist die tägliche Praxis. Wir besprechen mit unseren Patienten, dass natürlich bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung es nicht sinnvoll ist, eine Beatmung durchzuführen oder eine Reanimation. Und viele Patienten sind auch erleichtert, wenn dieses Thema angesprochen wird."
    Straflos und breit akzeptiert ist auch die indirekte Sterbehilfe, sagt Mathias Freund. Er ist Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie.
    "Es ist nicht so, dass Opiatgabe auch in hohen Dosen zu Atemlähmung führt, in der Regel, und dass das den Tod herbeiführt - das wird überschätzt. Aber, natürlich, rein theoretisch ist das ein Risiko und insofern sprechen wir hier von einer indirekten Sterbehilfe. Hier wird die Linderung der Symptome höher gestellt als die mögliche Erhaltung des Lebens."
    Auch hier ist die Rechtslage in Deutschland inzwischen eindeutig. Auch keiner der Abgeordneten, die Gesetzentwürfe vorgelegt haben, ruft hier nach Strafverschärfungen. Im Gegenteil. Denn gerade die Angst vor einem qualvollen Tod führt dazu, dass Schwerkranke darüber nachdenken, selbst den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen. Im vergangenen November prägten deshalb in einer ersten Orientierungsdebatte im Bundestag der Zustand in Krankenhäusern und Pflegeheimen, die Möglichkeiten der häuslichen Pflege am Lebensende, die Diskussion. Für manche mit dem Tenor: Solange wir die Situation da nicht verbessert haben, brauchen wir über Strafrechtsverschärfungen nicht zu reden.
    Das mag auch an dem liegen, was der Hamburger Onkologe Bokemeyer in vielen Gesprächen mit schwerstkranken Patienten erlebt hat:
    "Und immer wieder zeigen diese Gespräche, die extrem persönlich sind, oft unter vier Augen stattfinden, dass es vor allem um Unsicherheit im Sterbeprozess geht. Um die Symptome, die dort auftreten können, die Angst davor, dass diese Symptome nicht ausreichend kontrolliert werden können und die innere Verzweiflung mit der Prognose."
    "Wenn ich meine Waffe noch hätte, hätte ich Schluss gemacht"
    Hausbesuch in Mariendorf, ein gutbürgerliches Viertel im Süden Berlins. Wolfgang Fiedler steht im blauen Trainingsanzug im Wohnzimmer, 87 Jahre alt, den untersetzen Körper auf eine Krücke gestützt. Die wachen grauen Augen erwartungsvoll auf Petra Anwar gerichtet, seine neue Ärztin:
    "Wo tut es weh, wenn das weh tut. Hier am Oberbauch. Mögen Sie mir Ihren Bauch mal zeigen..."
    Petra Anwar tastet den Bauch ab, Leber, Nieren, findet dann die Stelle über dem Magen: Wolfgang Fiedlers Schmerzzentrum:
    "Ja da, da sitzt es hauptsächlich." - "Weil hier ist so ein Nervengeflecht. Und da drückt der olle Tumor drauf."
    Vor fünf Wochen erhielt Wolfgang Fiedler die niederschmetternde Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs, mit Metastasen in der Leber und im Bauchfell. Das Krankenhaus bot eine Chemotherapie an, Fiedler lehnte ab.
    "Denn ich habe da schlimme Fälle gesehen, und gesagt: so möchtest du mal nicht sterben."
    Wolfgang Fiedler zeigt auf den großen Garten, die gepflegten Blumenbeete und die Grillecke, die Tischtennisplatte hinten rechts und die Sitzecke gegenüber. Das alles hat er, der gelernte Polizist, aufgebaut, hier sind die Töchter groß geworden. Hier will er die Wochen oder Monate verbringen, die ihm noch bleiben. Will in Würde sterben, im Kreis der Familie. Wenn nur diese unerträglichen Schmerzen nicht wären, diese Angst vor einem qualvollen Tod.
    "Wenn ich noch im Amt - ich war bei der Polizei - meine Waffe gehabt hätte, ich hätte Schluss gemacht. Vor Schmerzen."
    Petra Anwar, die Palliativmedizinerin, rückt noch ein wenig näher zu ihrem Patienten, legt ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
    "Das haben Sie ja jetzt auch schon gemerkt, dass Sie nie wieder im Bett liegen werden und denken, sie erschießen sich, weil sie solche Schmerzen haben, das wird nicht mehr auftreten. Das kriegen wir immer in den Griff."
    Umfragen: Große Mehrheiten sind für Sterbehilfe
    Ein tröstliches Versprechen, das Gesundheitsminister Hermann Gröhe mit einem Gesetzentwurf untermauert hat. Ziel ist ein flächendeckendes Betreuungsangebot für Schwerstkranke.
    "Wir wollen, dass sich sterbende Menschen darauf verlassen können, bestmöglich medizinisch versorgt zu sein. Deswegen werden wir die ambulante wie die stationäre Hospizarbeit, aber auch die palliativmedizinische Versorgung stärken."
    200 Millionen Euro sollen die Kranken- und Pflegekassen ab 2016 zusätzlich bereitstellen für Hospize, Palliativstationen und ambulante Dienste. Ein wichtiges Signal, sagt der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn.
    "Dieses Angebot auszubauen, ist auch die richtige Antwort auf die Debatte zur Sterbehilfe. Die meisten Menschen haben keine Angst vorm Tod, sondern vor einem qualvollen Sterbeprozess. Und der muss nicht sein."
    Ein Stationsarzt und eine Krankenschwester während einer Visite auf einer Palliativstation.
    Die Palliativmedizin soll ausgebaut werden. (Imago / EPD)
    Die Frage, wie wir sterben, rückt wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein. Gleichzeitig zeigen Umfragen: Große Mehrheiten sind für Sterbehilfe, wobei teilweise nicht genau zwischen den verschiedenen Formen unterschieden wird. 10.000 Menschen nehmen sich in jedem Jahr in Deutschland das Leben. Viele von ihnen leiden unter seelischen Krankheiten. Wie oft Sterbehilfe geleistet wird, ist nicht bekannt. Assistiert ist in jedem Fall nur ein sehr geringer Teil der Selbsttötungen - Fachleute gehen von bis zu 500 aus. Warum sich trotzdem so viele Menschen dafür aussprechen, dass Hilfe bei der Selbsttötung erlaubt ist, erklärt Bettina Schöne-Seifert damit, dass viele Menschen die Sorge um einen fremdbestimmten Tod umtreibt. Und das auch, sagt die Münsteraner Professorin für Medizinethik, wenn sie selbst tatsächlich nie in die Situation kommen mögen:
    "Davon dann nicht Gebrauch zu machen, ist eine andere Frage. Aber es ist auch ein Beitrag zum beruhigten Leben, dass im schlimmsten Fall eine Möglichkeit offen steht, sich das Leben von eigener Hand zu nehmen."
    Aus alledem ziehen die Abgeordneten ganz unterschiedliche Konsequenzen. Das eine Extrem markiert ein Entwurf zweier CDU-Abgeordneter, Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger: Das bisherige Recht soll auf den Kopf gestellt werden, jede Beihilfe zum Suizid bestraft werden, mit bis zu fünf Jahren Haft. Auch die Suizidhilfe durch Angehörige und Ärzte und auch der Versuch sollen strafbar sein. Würden lebenserhaltende Therapien und der Tod als gleichwertige Alternativen gesehen, heißt es in der Begründung, würde der, der weiterleben will, gegenüber Angehörigen und Gesellschaft begründungspflichtig. Der Entwurf kann als chancenlos gelten.
    Wenig Chancen werden auch dem Vorschlag am anderen Ende der Skala eingeräumt: Die Gruppe um die Grüne Renate Künast und Petra Sitte von der Linkspartei will als einzige die Suizidbeihilfe auch solchen Sterbewilligen ermöglichen, die unter keiner tödlichen Krankheit leiden. Der Grünen-Politiker Kai Gehring gehört zu den Initiatoren:
    "Jede Form von Verboten, Tabuisierung oder auch Kriminalisierung helfen diesen Menschen in höchster Not eben nicht, sondern sie verschärfen die Lebenskrisen und erhöhen so möglicherweise auch das Risiko brutaler Affekt- und Verzweiflungssuizide, was wir eben nicht wollen."
    Stattdessen wollen diese Abgeordneten Voraussetzungen des assistierten Suizids definieren: Beratung, Bedenkzeiten. Nur diese Gruppe will dann Sterbehilfevereine nicht kriminalisieren - außer, sie wollen Gewinn machen. Medizinisches Standesrecht, das die Beihilfe zur Selbsttötung verbietet, soll unwirksam sein. Das ist rechtlich schwierig, der Bund dürfte dafür keine Gesetzgebungskompetenz haben.
    Viele Abgeordnete noch unentschlossen
    Solche Fragen stellen sich für den wohl derzeit chancenreichsten Entwurf nicht. In der Orientierungsdebatte hatten die meisten Redner für eine Verschärfung des Strafrechts plädiert, soweit es um die organisierte Sterbehilfe geht, drei Gruppen mit ähnlichen Vorstellungen haben sich jetzt zusammengetan: Gruppen um Michael Brand, CDU, Kerstin Griese, SPD und den Grünen Harald Terpe. Sie wollen auch das ärztliche Standesrecht unangetastet lassen. Seit 2011 sieht die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer vor, dass Ärztinnen und Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen. Rechtsverbindlich wird diese Vorschrift erst, wenn Landesärztekammern sie in ihre ärztlichen Berufsordnungen übernehmen. Das haben 10 von 17 Kammern getan. Sechs entschieden sich bewusst dagegen; eine, die Kammer Westfalen-Lippe, milderte das starre Verbot mit einem "sollen nicht" ab. Bisher wurde kein Arzt wegen Übertretung des Verbots zur Rechenschaft gezogen. Unklar ist allerdings, welche Auswirkungen die Norm im Vorfeld hat, wie weit Ärzte also von Hilfe abgeschreckt werden, die sie sonst möglicherweise leisten würden.
    Die Gruppe um Brand, Griese und Terpe will, dass Sterbehilfe durch Vereine unter Strafe gestellt wird. Aber auch die durch Ärzte, die klar machen, dass sie nicht nur im extremen Einzelfall handeln, auch wenn sie mit ihrer Hilfe kein Geld verdienen wollen. Damit stünde jeder Arzt mit einem Bein im Gefängnis, der einem Patienten hilft, sagen Kritiker. Der CDU-Politiker Michael Brand sagt, der Arzt könne - und müsse - den Gegenbeweis antreten. Die Befürworter einer solchen Verschärfung glauben, damit die freie Entscheidung nicht zu beschneiden, sondern zu erhalten. Michael Brand:
    "Wir wollen nicht, dass Menschen sich unter Druck gesetzt fühlen, als Last empfinden. Sondern wir wollen mit unserem Entwurf die Selbstbestimmung schützen, gerade auch in schweren Lebenslagen. Ich sage auch ergänzend dazu: Das auch in einer Zeit, in der schon viel zu häufig Alte, Schwache als Kostenfaktor und Belastung für die Gesellschaft diskutiert werden."
    Niemand solle durch eine Tür gedrängt werden, durch die er nicht gehen wolle. Die Initiatoren machen allerdings klar: Angehörige, die eine solche Beihilfe unterstützen, sollen straffrei bleiben. Das gilt für den, der seinen Onkel in die Schweiz fährt ebenso wie für den, der dem Elternteil im Tod die Hand hält.
    Bisher haben sich dieser Gesetzesinitiative die meisten Abgeordneten angeschlossen, viele sind aber noch unentschlossen.
    Lauterbach: Palliativmedizin ist nicht die einzige Antwort
    Gewisse Chancen hat auch der vierte Entwurf, der die Suizidassistenz weiter ermöglichen will, der aber auch Regeln aufstellen will - Beratungspflichten, Bedenkzeiten, Transparenz. Dieser Entwurf, hinter dem unter anderem Peter Hintze, CDU, sowie die SPD-Politiker Karl Lauterbach und Carola Reimann stehen, will aber sicherstellen, dass es Ärzte und nur Ärzte sind, die den Sterbewilligen unterstützen. Carola Reimann formuliert es anders herum: Wer wegen weniger einzelner Sterbehilfevereine das Strafrecht für alle, auch für Ärzte, verschärfen wolle, müsse sich fragen:
    "Rechtfertigen die Aktivitäten weniger Sterbehelfer einen Eingriff ins Strafrecht, der Auswirkungen hat auf die Arbeit einer viel größeren Zahl verantwortungsvoller Ärzte? Ich finde, hier richten die Nebenwirkungen einen so großen Schaden an, dass sie die Nutzen der Hauptwirkung bei Weitem übersteigen."
    Die Palliativmedizin sei nicht immer die einzige Antwort für schwerstkranke Patienten. Karl Lauterbach, SPD, selbst Mediziner, sagt, es gebe andere Gründe, das Leben in der letzten Phase verkürzen zu wollen:
    "Es geht also da nicht um Schmerzlinderung oder Symptomlinderung. Sondern: Diese Menschen kommen zu dem Schluss, dass sie das eigene Leben und den zu erwartenden Tod nicht als würdevoll bewerten. Das ist keine Bewertung, die anderen erlaubt sein dürfte. Das sind Verzweifelte. Und als Arzt sehe ich diese Menschen und die Frage ist, was können wir in der Politik ihnen anbieten?"
    Diese Frage wird jeder einzelne Abgeordnete für sich entscheiden müssen - nur nach seinem Gewissen. Nach der morgigen ersten Lesung werden die Entwürfe in den Ausschüssen beraten. Voraussichtlich im November zeigt sich, welcher die meisten Stimmen bekommt.