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Bundestagspräsident begrüßt Verfassungsurteil zu Vermittlungsausschuss

Bei strittigen Gesetzesvorlagen muss der Vermittlungsausschuss den Bundestag umfassend über eigenmächtige Änderungen im Gesetzesvorhaben informieren. Norbert Lammert ist einverstanden mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts - die im übertragenen Sinn auch die öffentlich-rechtliche Medienberichterstattung berührt.

    Christoph Heinemann: Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte von Abgeordneten bei strittigen Gesetzesvorhaben gestärkt. Keinesfalls dürften die Mitglieder des Bundestages durch zu knappe Informationen quasi übergangen werden mit dem Ziel, für umstrittene Vorgaben gleich im Vermittlungsausschuss einen Kompromiss zu erzielen, hieß es in einem in dieser Woche veröffentlichten Beschluss des Gerichts. Vielmehr müssten sie umfassend informiert werden, eine abstrakte Auflistung genüge nicht. – Mein Kollege Jürgen Liminski sprach darüber mit Bundestagspräsident Norbert Lammert. Erste Frage: Werden (zusammen mit den Abgeordneten) nicht auch die Parteien gestärkt und damit das, was die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" als Parteienfeudalismus bezeichnet hat?

    Norbert Lammert: Das kann ich nicht erkennen, schon gar nicht im konkreten Vorgang, der Anlass für diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war, denn es wird ja ausdrücklich moniert, dass ein Verfahren nicht verfassungsgemäß sei, dass ein im Bundestag abgeschlossenes Gesetzgebungsverfahren durch Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat gewissermaßen, ich sage das mal jetzt etwas salopp, auf die Ebene einer Verhandlung in kleinem Kreis unter führenden Repräsentanten des Bundesrates, was im Klartext natürlich dann auch immer heißt, der besonders betroffenen Parteien und ihrer Vorsitzenden abgewickelt wird.

    Jürgen Liminski: Aber die Richter stärken den Bundestag und damit den Eindruck, dass das Hohe Haus zu sehr unter Fraktionszwängen und Parteiengeklüngel leiden könnte. Haben Sie auch diesen Eindruck?

    Lammert: Nein. Wenn überhaupt, will das Bundesverfassungsgericht sicherstellen, dass Gesetzgebungsvorgänge in diesem Lande unter maßgeblicher Gestaltung des Bundestages erfolgen und dieses Verfahren öffentlich stattzufinden hat. Das Vermittlungsverfahren – und darin liegt ja die wesentliche Klarstellung – findet dann statt, wenn der Bundesrat gegen eine im Bundestag abgeschlossene Gesetzgebung Einwände geltend macht, aber der Vermittlungsausschuss ist kein selbstständiges Gesetzgebungsorgan, und auch der Umstand, dass der Bundesrat mit einer bestimmten Zielsetzung zusätzliche Gesichtspunkte in einen Gesetzgebungsvorgang einführen will, reicht nach Auffassung und Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts nicht aus, um den parlamentarischen Entscheidungsprozess im Bundestag zu ersetzen. Insofern gibt es hier eine ganz eindeutige, manche sicher überraschende Prioritätenbildung in den Funktionen von Bundestag und Bundesrat.

    Liminski: Der Vermittlungsausschuss muss nun einen Kompromiss finden zwischen Vorschlägen des Bundesrates und des Bundestages, und das ohne öffentliche Debatte. Wo ist denn die Grenze zwischen Kompromiss und eigenem Gesetzesvorschlag? Lässt sich eine Grenze überhaupt festlegen?

    Lammert: Im konkreten Fall ist sie festgelegt worden. Ob dies in künftigen Fällen wieder Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfungen sein könnte, darüber will ich jetzt nicht spekulieren, aber der wesentliche Punkt, zu dem es bisher jedenfalls nach meiner Kenntnis eine höchst richterliche Rechtsprechung auch gar nicht gab, ist genau dieser Hinweis, dass das Vermittlungsverfahren einen Kompromiss zwischen im Gesetzgebungsverfahren anhängigen Vorschlägen finden muss, nicht aber ein eigenes Initiativrecht zum Gegenstand hat, und genau das ist der monierte Vorgang, dass hier in einem Vermittlungsverfahren unter ausdrücklichem Hinweis auf eine Vereinbarung von zwei Ministerpräsidenten und damit natürlich auch zwei prominenten Repräsentanten der beiden großen politischen Parteien eine zusätzliche Überlegung eingeführt worden ist, die im Gesetzgebungsverfahren des Bundestages keine relevante Rolle gespielt hatte.

    Liminski: Der Vermittlungsausschuss hat also kein eigenes Gesetzesinitiativrecht, so das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht begründet diese Aussage damit, dass die Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte nicht gegeben sei. Kann man diesen Mangel an Öffentlichkeit nicht auch für die Beratung in den Ausschüssen beklagen?

    Lammert: Sicher könnte man das beklagen. Nach meiner Überzeugung hat sich die Regelung sehr bewährt, dass Ausschüsse des Deutschen Bundestages öffentlich tagen können, aber nicht öffentlich tagen müssen. Immer mehr Ausschüsse machen von der Möglichkeit Gebrauch, ihre Sitzungen ganz oder teilweise öffentlich durchzuführen, (was übrigens keineswegs zu einem spektakulären Zuwachs an öffentlichem Interesse führt), aber die Logik, die der Möglichkeit nicht öffentlicher Beratung zugrunde liegt, ist durchaus ähnlich wie die, die für ein nicht öffentliches Vermittlungsverfahren spricht, nämlich die Chance zu erhöhen, dass durch das ruhige und nicht unter öffentlichem Rechtfertigungsdruck stehende Abgleichen von unterschiedlichen Positionen eine Verständigung über eine gemeinsame, jedenfalls mehrheitliche Position erleichtert werden soll. Das darf eben nur nicht – und das ist eben wieder die Grenze, die das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich markiert – zu einem Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Beratungsverfahren führen, und deswegen haben wir ja auch bei jedem Gesetzgebungsvorgang die berühmten drei Lesungen: Einbringung in den Deutschen Bundestag mit in der Regel erster öffentlicher Debatte über die Positionen der Fraktionen, beteiligten Gruppierungen, Überweisung in den Ausschuss, dann kommt es unter Berücksichtigung der Beratungsergebnisse der beteiligten Ausschüsse ins Plenum zurück, wird im Plenum öffentlich gelesen, behandelt, gegebenenfalls dort noch mit Änderungsanträgen versehen und anschließend in öffentlicher Sitzung beschlossen.

    Liminski: Mehr Gewicht für den Bundestag, das ist sozusagen das Ergebnis dieses Urteils. Wird durch diese Entscheidung der Föderalismus geschwächt?

    Lammert: Auch das glaube ich nicht, denn das Bundesverfassungsgericht hat sich ja nicht mit der Frage beschäftigt, ob die Teilhabe der Länder über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes ausreichend, unzureichend oder gar übertrieben sei; sondern es hat sich mit den Verfahrensabläufen beschäftigt, und hat klargestellt, dass nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht etwa der Bundestag gegebenenfalls ein Vetorecht gegenüber Vorschlägen des Bundesrates hat, sondern umgekehrt der Bundesrat gegen Gesetzgebungsvorgänge im Deutschen Bundestag, als dem zentralen Gesetzgebungsorgan des Bundes, gegebenenfalls ein Veto einlegen kann. Aber die Vermutung, es gäbe hier gewissermaßen gleiche parallele Zuständigkeiten, die hat das Bundesverfassungsgericht nun allerdings nach meinem Verständnis dieses Urteils korrigiert.

    Liminski: Das Hauptargument der Richter ist, die parlamentarische Öffentlichkeit und die Sichtbarkeit politischer Verantwortung gegenüber den Bürgern müsse gestärkt werden. Ist diese Sichtbarkeit heute gegeben? Sie selbst, Herr Lammert, haben vor einigen Wochen bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages gerügt, dass die Medien nicht genügend Augenmerk auf die Arbeit des Bundestages legten. Wird mit dem Vermittlungsausschuss nicht die falsche Institution gerügt?

    Lammert: Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass jetzt das Bundesverfassungsgericht anstelle des Vermittlungsausschusses besser die Zögerlichkeit der Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten hätte kritisieren sollen, zumal man ja bitte immer berücksichtigen muss: Das Bundesverfassungsgericht wendet sich nicht aus seiner Sicht spannenden Themen zu, um dazu mal diese oder jene Art von rechtsverbindlicher Meinungsäußerung zu platzieren, sondern das Bundesverfassungsgericht entscheidet in konkreten Streitfällen über die gültige Rechtslage, und so ist es auch hier gewesen. Ob unter Berücksichtigung des vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigten Informationsversorgungsauftrages, der Verpflichtung der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu einer Grundversorgung der Öffentlichkeit mit relevanten Informationen, hier sich besondere Verpflichtungen auch und gerade gegenüber parlamentarischen Entscheidungen ergeben könnten, ist bisher in dieser Form nie Gegenstand eines Prüfungsverfahrens gewesen - eine durchaus reizvolle Vorstellung, die aber über das weit hinausgeht, was jetzt Gegenstand dieses Urteils war.

    Heinemann: Bundestagspräsident Norbert Lammert im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.

    Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zu Vermittlungsausschuss-Urteil