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Bundestagspräsident Schäuble (CDU)
"Die Verfassung hat die Prüfung durch die Coronakrise gut überstanden"

Nach Ansicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ist in der Coronakrise eine kluge Balance zwischen den Kompetenzen des Bundes und der Länder gelungen. Die entscheidende Verantwortung des Bundestags bei der Feststellung der epidemischen Lage sei ein Verdienst der Opposition gewesen, sagte Schäuble im Dlf.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Stephan Detjen |
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU)
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) (picture alliance/ dpa/ Michael Kappeler)
Rückblick auf ein Krisenjahr: Die Coronavirus-Pandemie hat Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Jahr 2021 dominiert. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) lobte im Deutschlandfunk den Umgang der Bundesregierung mit der Coronakrise. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe sich immer wieder um einheitliche Linien bemüht und mit ihrer bemerkenswerten Mischung aus Entschlossenheit und Geduld viel erreicht. Gleichzeitig betonte Schäuble, das Verdienst der Opposition sei es anfangs gewesen, darauf zu bestehen, dass nicht die Bundesregierung, sondern der Bundestag die "epidemische Lage nationaler Tragweite" feststellen muss – und auch, wann sie beendet ist.

Die Verantwortung des Parlaments

"Ich habe auch früh gemahnt: Wir müssen schon zeigen, dass es da unterschiedliche Meinungen gibt, dass die Mehrheit dieser Meinung ist. Aber dazu muss das Parlament die entscheidende Verantwortung haben", sagte Schäuble. Die Große Koalition sei darauf rasch eingegangen. Der Bundestag habe mit dem Infektionsschutzgesetz dann auch nicht die Bundesregierung, sondern die Länder ermächtigt – "das entspricht dem Grundgesetz", betonte der Bundestagspräsident. "Ich glaube, im Ergebnis haben wir eine kluge Balance gefunden. Und die Länder hatten ja dann auch immer den Druck, dass wenn sie nicht einheitlich handeln, sie es rechtfertigen müssen. In der Kulturpolitik, in der Bildungspolitik haben Sie das schon lange, und jetzt haben sie es in anderen Fragen auch gesehen." Die Verfassung habe die Prüfung durch die Coronakrise gut überstanden – wie schon viele Prüfungen zuvor, etwa die Wiedervereinigung.
Ein auf den Boden gespraytes Symbol weist in der Fußgängerzone auf die Pflicht hin, Mund-Nasenschutz zu tragen.
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Der Bundestag als "Forum der Nation"

Dass die Digitalisierung in Deutschland "kräftige Anstöße" bekommen hat, sieht Schäuble als einen positiven Effekt der Coronakrise. Er hoffe darauf, in Zukunft bei digitalen Parteitagen, wie die CDU jetzt einen plant, auch digitale Wahlen abhalten zu können, was bisher noch nicht geht.
Nicht durch digitale Technik zu ersetzen ist nach Einschätzung des Bundestagspräsidenten allerdings das persönliche Zusammenkommen der Abgeordneten im Plenum des Parlaments. "Die eigentliche parlamentarische Arbeit findet im Plenarsaal statt", so Schäuble. Deshalb gebe es strenge Abstandsregeln, um das zu ermöglichen. "Es geht ja nicht nur darum, Gesetze zu beschließen, sondern das Für und Wider für Gesetze in der parlamentarischen Debatte transparent zu machen."
Das Parlament sei eine Bühne – nicht im abwertenden Sinne, sondern im Sinne eines "Forums der Nation". Eine Bühne, auf der die Vielfalt von Meinungen und Interessen, die zur Freiheit gehörten, sichtbar würden. Es gehe um Emotionen, um eine lebendige Debatte. Sogar das Unsachliche gehöre zum politischen Streit. Zum Auftreten der AfD, die seit dieser Legislaturperiode im Bundestag sitzt, äußerte sich Schäuble entspannt: Es gebe es "ein paar Ordnungsrufe mehr" als zuvor, "aber lieber Himmel, das ist auch nicht so schlimm." Der Bundestag sei noch immer ein "ziemlich zivilisiertes Parlament".
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Vertrauen in die Politik gestärkt

Das Vertrauen in die Handelnden in der Politik und in die Fähigkeiten des freiheitlichen Rechtsstaats sei in diesem Jahr gestiegen, sagte Schäuble: "Alle, die handeln mussten, haben Vertrauen gewonnen." Das gelte für die Kanzlerin, die Anfang des Jahres noch nicht so hohe Zustimmungswerte gehabt habe wie jetzt, ebenso wie für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker wie etwa den Landrat von Heinsberg. Für die Politik sei es wichtig, einen Kontrollverlust zu vermeiden. "Kontrollverlust ist das eigentlich Gefährliche für die freiheitliche Demokratie", sagte Schäuble. Populisten hätten dann leichtes Spiel.
Um das repräsentative Prinzip der deutschen Demokratie weiter zu stärken, macht Schäuble sich für die Idee von Bürgerräten stark. "Das sind Menschen, die bereit sind, sich mit einem Thema mal intensiver zu befassen." Das bringe neue Impulse und könne eine interessante Ergänzung zum Parlamentarismus sein.