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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble
Legislaturperiode geht "regulär Ende 2021 zu Ende"

In Deutschland werde es keine vorgezogenen Neuwahlen geben, davon gehe er aus, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Dlf. Er bleibe aber bei seiner Einschätzung, dass die Große Koalition keine glückliche Entscheidung in dieser Legislaturperiode gewesen sei.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Stephan Detjen |
Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident, spricht am 16. März 2019 in seinem Büro in Berlin mit Journalisten.
Demokratischer Wettstreit müsse lebhaft sein, sonst verliere er jede Anziehungskraft, so Wolfgang Schäuble (picture alliance / Kay Nietfeld)
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich zuversichtlich gezeigt, dass es keine vorgezogenen Neuwahlen in Deutschland gibt. Schäuble sagte, er gehe davon aus, dass die nächste Bundestagswahl regulär im Herbst 2021 stattfinden werde. Man müsse dabei auch im Blick haben, dass am 1. Juli kommenden Jahres die Ratspräsidentschaft Deutschlands in der EU beginne. Es sei nicht üblich, dass man während der Ratspräsidentschaft keine im Amt befindliche Regierung habe, sagte Schäuble.
Die Zeit, bis dahin eine neue Regierung zu bilden, sei knapp, sagte der Bundestagspräsident. Im jetzigen Bundestag gebe es keine Mehrheit, einen anderen Bundeskanzler als Angela Merkel zu wählen. Daher sei insoweit "alles eigentlich ganz stabil", erklärte Schäuble. Zugleich fühle er sich in seiner Vorhersage nicht widerlegt, dass eine Große Koalition keine glückliche Entscheidung sei. Schäuble sagte, er habe nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen im Herbst 2017 intern dazu geraten, eine Minderheitenregierung zu bilden. Das Grundgesetz habe dazu Vorkehrungen getroffen und dem gewählten Bundeskanzler eine starke Stellung gegeben.
Schäuble appellierte an die Fraktionen des Bundestages, sich auf eine Reform des Wahlrechts zu einigen, um die Größe des Bundestages zu begrenzen. Wenn die Legislaturperiode bis 2021 dauere, sei genügend Zeit, einen Kompromiss zu finden, auch wenn es vielleicht nur eine unvollkommene Lösung gebe. Schäuble erklärte, die Verwaltung des Bundestages habe vorsorglich beim zuständigen Bauamt in Berlin bereits eine Genehmigung zum Aufbau von Containern beantragt, um nötigenfalls auch mehr als 800 Abgeordnete und ihre Mitarbeiter unterbringen zu können. Er hoffe jedoch, dass man durch eine Änderung des Wahlrechts sicherstellen könne, dass es dazu nicht komme.

Stephan Detjen: Herr Bundestagspräsident, schön, dass Sie sich Zeit für das Deutschlandfunk-Interview der Woche nehmen, herzlich willkommen.

Wolfgang Schäuble: Gerne.

Stephan Detjen: Wir haben bis vor wenigen Tagen immer wieder aus der SPD gehört, zum Nikolaus ist GroKo aus. Jetzt ist der 3. Advent und die Regierung regiert noch. Gehen Sie jetzt heute davon aus, dass damit auch die Wahlperiode des Deutschen Bundestages bis zum regulären Ende 2021 geht oder stellen Sie sich innerlich jetzt immer noch darauf ein, das kann jeden Moment Anfang nächsten Jahres zu Ende gehen?

Wolfgang Schäuble: Davon gehe ich immer aus, dass die Legislaturperiode regulär Ende 2021 zu Ende geht. Das Grundgesetz will ja auch nicht vorzeitiges Ende der Legislaturperiode. Das ist eigentlich die Ausnahme. Die verfassungsrechtlichen Hürden sind relativ hoch dafür, wie wir wissen, und deswegen, ja gut, andererseits, man weiß nie, was passiert und ganz so stabil ist das alles dann auch wieder nicht. Trotzdem, ich gehe davon aus, dass die nächsten Neuwahlen im Herbst 2021 stattfinden. Man muss im Übrigen im Blick haben, am 1. Juli kommenden Jahres übernimmt die Bundesrepublik Deutschland die Präsidentschaft in der Europäischen Union, also im Rat, und das ist eigentlich nicht üblich, dass man während der Ratspräsidentschaft keine im Amt befindliche Regierung hat.

Stephan Detjen: Aber bis dahin wäre ja noch Zeit für Neuwahlen. Jetzt haben Sie gesagt, Neuwahlen …

Wolfgang Schäuble: Wir brauchen ja nach Neuwahlen auch Zeit, Regierungen zu bilden. Das haben wir inzwischen erfahren.

Stephan Detjen: Das haben wir erfahren.

Wolfgang Schäuble: Die Zeit ist relativ knapp.
"Große Koalition vielleicht keine glückliche Entscheidung"
Stephan Detjen: Jetzt sagen Sie, Neuwahlen wären auch verfassungsrechtlich die Ausnahme. Die Verfassung will eigentlich, dass der Bundestag für vier Jahre tagt, aber jetzt gibt es etwas anderes, was Sie mit anderen Worten auch als eine Ausnahme beschrieben haben, nämlich eine Große Koalition. Sie haben das immer als eine Notlösung bezeichnet, die auf Dauer nur schiefgehen könne. Gab es in diesem zu Ende gehenden Jahr Momente, wo Sie gedacht haben, die Situation ist so schwierig, die Koalition ist, wie es Ihr Freund Friedrich Merz sagte, so grottenschlecht, wäre doch gut, wenn das jetzt alles vorzeitig und schnell zu Ende geht.

Wolfgang Schäuble: Ich hatte schon nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen intern dazu geraten, den Weg über die Bildung einer Minderheitenregierung zu gehen. Auch dafür hat das Grundgesetz aus den Erfahrungen der Weimarer Republik im Übrigen, das ist alles schon lange her, aber wenn man alt genug ist, weiß man das, ja hinreichend Vorkehrungen getroffen. Ein gewählter Bundeskanzler oder eine gewählte Bundeskanzlerin hat nach dem Grundgesetz eine ganz starke Stellung. Es gibt in diesem Bundestag so wie wir ihn heute haben, keine Mehrheit, um einen anderen Kanzler als Frau Merkel zu wählen und infolgedessen ist das eigentlich alles soweit ganz stabil und dass die Große Koalition vielleicht keine glückliche Entscheidung in dieser Legislaturperiode war, mit der Vorhersage fühle ich mich eigentlich noch nicht völlig widerlegt durch den Gang der Ereignisse der letzten zwei Jahre.

Stephan Detjen: Grottenschlecht?

Wolfgang Schäuble: Der Ausdruck stammt nicht von mir und das ist auch nicht mein Sprachgebrauch.

Stephan Detjen: Nun haben wir gerade in Großbritannien gesehen, da haben die Wahlen zu einer Neuordnung, auch zu einer Klärung einer verfahrenen Situation geführt. Sehen Sie das Wahlergebnis in Großbritannien überwiegend vielleicht sogar mit Erleichterung oder überwiegend dann doch die Sorge, dass dass Sie jetzt zusehen, dass wir jetzt sehen werden, wie Großbritannien mit Volldampf aus der EU raussegelt?
Wolfgang Schäuble: Die Debatte in Großbritannien war eigentlich mehr ein Beweis dafür, dass wenn man einmal eine Entscheidung durch einen Volksentscheid getroffen hat, dass es dann furchtbar schwierig ist, davon wieder runterzukommen und das hat ja diese Debatten in Großbritannien so mühsam gemacht. Im Übrigen ist Großbritannien ja vielfältiger, eine andere Situation, wenn man sieht, auch bei dem Wahlergebnis jetzt in der vergangenen Woche, wie stark die schottischen Nationalisten in den schottischen Wahlkreisen geworden sind. Also für den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs ist das ja auch nicht so besonders berauschend, was da als Wahlergebnis sichtbar geworden ist, aber damit müssen die Briten umgehen. Ich glaube, wir sollten mit unseren, mit unserer demokratischen Institution versuchen, die Probleme besser zu lösen und erst gar nicht in eine Lage zu kommen, in die Großbritannien ein Stück weit deswegen geraten ist, weil die großen Volksparteien traditionell nicht mehr in der Lage waren, das Problem zu lösen. So ist ja diese unselige Entscheidung überhaupt entstanden, ein Referendum über den Brexit durchzuführen. Die Absicht war ja mal gewesen, den Zusammenhalt in der konservativen Partei wieder herzustellen. Das ist leider schiefgegangen.
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"Rechtsstaatliche Demokratie das beste Modell"
Stephan Detjen: Ja, jetzt kann man sehen, da gibt es viele Fragen, vor denen stehen die Parteien hier auch. Ein Befund, wenn Sie sagen, wir müssen auf unsere Institutionen schauen, dann ist ein Befund, dass diese Institution, die Institutionen unserer parlamentarischen Demokratie unter einem dramatischen Vertrauensverlust, in einer Vertrauenskrise stehen. Das Institut Allensbach, die Meinungsforscher, haben von einem erdrutschartigen Vertrauensverlust vor wenigen Wochen gesprochen. Das trifft auch den Bundestag. Entspricht das auch Ihrer Wahrnehmung, nehmen Sie diese Vertrauenskrise, diesen Vertrauensabriss genauso wahr?
Ein Aktivist von Greenpeace trägt den Buchstaben C aus dem Parteiennamen CDU aus der CDU-Bundesgeschäftsstelle, dem Konrad-Adenauer-Haus.
CDU - Diskussionen über Ausrichtung der Union
Konservativ, christlich-sozial oder liberal? Was davon ist die CDU und in welche Richtung wird das neue Grundsatzprogramm gehen? Zwei Tage vor dem Parteitag diskutieren die Christdemokraten über ihr Profil.
Wolfgang Schäuble: Ja, wir haben es überall in der westlichen Welt. Das ist ja das eigentliche Problem. Ich sage oft, unser Modell, unser westliches Modell, parlamentarisch rechtsstaatlicher Demokratie, ob das nun eine Präsidialverfassung ist, ein Mehrheitswahlrecht oder ein Verhältniswahlrecht, das ist alles zweitrangig, aber die Herrschaft Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, das westliche Modell seit den großen Revolutionen Ende des 18. Jahrhunderts steht offenbar im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung unter einem besonderen Druck und deswegen haben wir in fast allen Ländern des Westens, in Europa, Frankreich, Italien, Spanien, jedes Land wieder eigen, Österreich relativ stabil, aber mit ganz besonderen Problemen. Schauen Sie in Skandinavien, fast überall Minderheitenregierungen und ich rede noch gar nicht von den Vereinigten Staaten von Amerika. Das heißt, ja, unser Modell ist unter Stress, aber gut, die disruptiven Veränderungen im 21. Jahrhundert fordern uns stärker. Ich bleibe optimistisch, dass die Erfahrungen der freiheitlich-liberalen rechtsstaatlichen Demokratie, dass das für die Welt des 21. Jahrhunderts das beste Modell ist. Man muss nur nach Hongkong schauen oder nach Istanbul oder in die islamische Welt, andere Teile der islamischen Welt, um zu sehen wie nervös die Führer sind. Die fürchten, die wissen um die Attraktivität unseres westlichen Modells. Es ist eigentlich nur die Aufgabe, dass wir selber, die darum beneidet werden von der großen Mehrzahl der acht Milliarden Menschen, dass wir so leben können wie wir leben können, diese Ordnung für Wert halten und nicht für selbstverständlich garantiert und stärker dafür engagieren, neue Antworten auf neue Strukturen finden, aber im Rahmen der bewährten Überzeugungen, die wir uns in einer langen Geschichte, Freiheit, Demokratie, Würde jedes Menschen, Herrschaft des Rechts, sozialer Zusammenhalt, steckt ja auch schon in der Fraternität der Französischen Revolution und natürlich heute durch die technologische Entwicklung Nachhaltigkeit, also Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Wer, wenn nicht wir, soll in der globalisierten Welt darauf die Antworten liefern.
Keine "gemeinsame Öffentlichkeit mehr"
Stephan Detjen: Sie haben eben mit Blick auf die Rolle der Parteien gesagt, es geht um Problemlösungskompetenzen, die müssen zeigen, dass sie Probleme lösen. Jetzt kann man das vielleicht mit Blick auf Großbritannien sagen, ja, da haben auch die Parteien Probleme, insbesondere das Verhältnis zu der EU nicht lösen zu können. Mit Blick auf Deutschland kann man das ja anders sehen. Man kann sagen, diese Große Koalition hat funktioniert, sie hat eine Zwischenbilanz gezogen, auch unabhängige Stiftungen. Die Bertelsmann-Stiftung bescheinigt den Parteien, dass sie eine Menge Probleme gelöst haben, dass sie ihren Koalitionsvertrag abgearbeitet haben. Also, das Problem für die Vertrauenskrise scheint ja doch auch woanders zu liegen.
Wolfgang Schäuble: Es liegt ein bisschen tiefer, glaube ich. Wir sind ein Stück weit in diesem unheimlich schnellen Wandel, auch durch die Veränderung der Öffentlichkeit, das muss ich Ihnen nicht erklären, das wissen Sie besser als ich. Wir haben nicht mehr die gemeinsame Öffentlichkeit. Zwischen den Generationen haben wir völlig unterschiedliche Medien und ohne einen gemeinsamen Öffentlichkeitsraum ist es nicht einfach, Demokratie nachhaltig zu machen. Also müssen wir erst in der digitalisierten Welt das wiederfinden. Dann die Herausforderung der Globalisierung, die ist für schwärmerische Ansätze, insbesondere in Wohlstandsgesellschaften, wunderbar, aber sie wird dann schwierig, wenn man konkret Probleme lösen muss, denn die Vertrautheit, die wir brauchen, um in einer freiheitlich organisierten Ordnung auch zu stabilen Mehrheitsentscheidungen zu kommen, die setzt natürlich eine Zugehörigkeit voraus, also Bindungen, Identität. Das Nationale allein reicht nicht aus, aber das Nationale ist immer noch mit die stärkste Bindekraft für viele Menschen, nicht nur in Europa. Deswegen müssen wir versuchen, nationale Bindungen mit der Erkenntnis, dass die globale Welt neue Formen von internationaler Governance braucht, in eine bessere Zusammenarbeit zu bringen. Daran arbeiten wir in Europa bisher auch noch nicht völlig überzeugend.
Stephan Detjen: Wenn wir auf Bindung schauen, man kann nationale Bindung ansprechen, landsmännische Bindung, dann gehört dazu aber sicherlich auch der Befund, dass milieuhafte Bindungen, die ja auch für Parteien in Deutschland sehr, sehr wichtig waren, dass die nicht mehr so prägend, nicht mehr so wirksam sind, wie sie das mal waren.

Wolfgang Schäuble: Ja, weil sich die Welt verändert hat. Die Arbeitswelt ist nicht mehr so. Sie haben nicht mehr Betriebe, wo 40.000 Arbeiter Autos produzieren, sondern Sie haben eben viele kleine Betriebe. Die Welt verändert sich, das spüren die Menschen, das verunsichert, das schafft Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen den Generationen. Wenn ich mit meinen Kindern rede, dann leben die in einer anderen Welt als meine Erfahrung ist, wenn ich mich zurückerinnere an die Zeit, als ich so alt war wie meine Kinder.

Stephan Detjen: Diese Auflösung von traditionellen Milieus spüren alle Parteien in Deutschland. Ihre, die CDU, die SPD.

Wolfgang Schäuble: Die Gewerkschaften, die Kirchen.
"Wettstreit sollte im demokratischen Bereich stattfinden"
Stephan Detjen: Ich will aber jetzt auf die Parteien zu sprechen kommen. Die SPD macht gerade einen Versuch, Bindung wieder herzustellen, indem sie sich auf traditionelle, die einen sagen sozialdemokratisch, die anderen sagen linke Werte wieder beruft. Das schärft auch Profil einer Partei. Das ist der Versuch, ja wieder Polarisierung im politischen System herzustellen. Ist das ein richtiger Weg?

Wolfgang Schäuble: Ich kann dazu nichts aus dem Amt des Bundestagspräsidenten Urteile abgeben, zumal ich ja neben dem Amt des Bundestagspräsidenten noch CDU-Bundestagsabgeordneter bin, also nicht so völlig neutral und vor allen Dingen wirke ich nicht ganz unvoreingenommen, aber da ich ja gesagt habe, was Sie vorher zitiert haben, ich halte Große Koalition, jede Partei kann mit jeder koalieren, aber im Prinzip sollte eigentlich der demokratische Wettstreit, der ja konstitutiv, also begründend für die Demokratie ist, der sollte im demokratischen Bereich stattfinden und nicht an die Ränder verlagert werden und das ist der Fehler einer dauernden Großen Koalition. Das haben wir in Österreich über Jahrzehnte beobachten können und jetzt haben wir eben in Deutschland auch die 3. Legislaturperiode mit einer Großen Koalition. Das ist zu viel und das schafft Probleme, im Übrigen für beide Partner. Die SPD geht ein bisschen voran, die hat noch das Traditionelle. Das Problem, das die demokratische Linke überall in Europa oder fast überall in Europa hat, wenige Ausnahmen, das heißt, sie muss mit den Veränderungen der Arbeitswelt und der Gesellschaft kann sie auch nicht die Antworten aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts noch überzeugend sein, sondern sie muss ihre Überzeugungen für die Welt des 21. Jahrhunderts tauglich machen. Das ist nicht ganz einfach, aber ich glaube, das kann man schaffen, ich bin nach wie vor überzeugt, dass die parlamentarische Demokratie oder die Demokratie überhaupt auf die Rolle von Parteien stark angewiesen ist. Man kann in Frankreich beobachten, dass es im Präsidialsystem ohne Parteien auch nicht so richtig gut funktioniert und infolgedessen und man kann sehen, was ist, wenn die Parteien nicht mehr in der Lage sind, in erster Linie auch Gemeinwohl-orientierte Entscheidungen zu treffen. Das kann man in den USA beobachten. Die Debatte um das Impeachment-Verfahren ist wirklich nicht gerade ein Ruhmesblatt für die amerikanische Demokratie, aber das müssen die Amerikaner lösen und wir müssen halt, die Volksparteien wie alle Parteien, versuchen, bessere Antworten zu finden. Dann wird es auch gelingen, die Menschen davon zu überzeugen. Im Übrigen muss man ja bei dem dramatischen Vertrauensverlust, den Sie zitiert haben, den ich gar nicht bestreite, den kann jeder, der noch einigermaßen im Leben steht, mit Händen greifen und wer Parteipolitik macht, sowieso, aber vielleicht hat der ja auch damit zu tun, was Obama in seiner Abschiedsrede gesagt hat. Es gibt eine Gefahr für die Demokratie, nämlich dass wir sie für selbstverständlich halten, und wir wissen ja, so sind wir Menschen, das was uns gefährdet erscheint oder was wir nicht haben oder was knapp ist, das hat einen höheren Wert als das, was selbstverständlich und garantiert erscheint und weil das so ist, jetzt wird es wieder gefährdet, darin liegt übrigens die Chance der Krise und das ist der Grund für den Optimismus von Karl Popper.
Menschen erwarten von der Politik Antworten
Stephan Detjen: Mit Blick auf die eigene Partei hatten Sie jedenfalls vor dem Parteitag im letzten Jahr in Hamburg einen klaren Rat an die CDU. Sie haben da in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen gesagt, wir müssen zusammen mit der CSU mehr von den Rändern zur Mitte hin integrieren und der Union als Volkspartei wieder mehr Profil geben, also von den Rändern …

Wolfgang Schäuble: Den Rat würde ich mutatis mutandis der SPD genauso geben.

Stephan Detjen: Das tut sie ja gerade.

Wolfgang Schäuble: Das tut sie gerade.

Stephan Detjen: Jetzt meine Frage, kann man sagen, das ist das, was sie gerade tut und meine Frage wäre …

Wolfgang Schäuble: Aber wahrscheinlich hat die mehr auf meinen Rat gehört als meine Partei.

Stephan Detjen: Ist es so, Ihre Partei hat nicht genügend darauf gehört? Müsste stärker von den Rändern her integrieren.
Wolfgang Schäuble: Nein, das war jetzt ein bisschen ironisch gemeint. Ich habe Sie schon verstanden, aber im Kern, ja, ich glaube, die Parteien, der demokratische Wettstreit, der notwendig ist, der auch lebhaft sein muss, sonst verliert er jede Anziehungskraft, das Parlament ist auch ein Stück weit wie eine Bühne, also man muss Aufmerksamkeit sich auch erwerben, sich erringen, im Wettstreit mit vielen anderen Wettbewerbern um Aufmerksamkeit. Das hat ja auch zugenommen. Der Streit muss lebhaft sein, aber er sollte im demokratischen Spektrum stattfinden und deswegen haben die Parteien eine Aufgabe von den Rändern hin zu integrieren. Und das machen sie.
Würfel mit dem Logo von CDU und SPD, Symbolfoto für die Große Koalition 
Mythos Mitte - Parteien suchen ihren Kompass 
Die Mitte galt lange als Herzstück der Wahlerfolge in Deutschland. Als es aber eng wurde in dieser Mitte, blieb der Wählerzuspruch aus – vor allem Union und Sozialdemokraten leiden entsprechend.
Stephan Detjen: Aber Sie sehen dann, dass Sie dann eben in der Mitte zugleich verlieren. Sie haben gesagt, die CDU muss mit der CSU diesen Weg gehen und die CSU ist ja gerade in diesem letzten Jahr, seitdem Sie das gesagt haben, eigentlich mehr zur Mitte hingegangen und hat sich vergrünt, um Konkurrenz in der Mitte des bürgerlichen Milieus, um ein Abrutschen hin zu den Grünen zu verhindern. Da war eigentlich wenig von der Integration vom Rand her, auch bei der CSU.

Wolfgang Schäuble: Ja gut, aber die CSU hat sich doch aus einer für sie auch nicht einfachen Situation in den letzten Monaten ganz gut herausentwickelt. Ich bin ja in den 90er Jahren als Fraktionsvorsitzender meiner CDU/CSU-Fraktion damals immer von denjenigen, die da ein bisschen anders das gesehen haben, als ein damals sogenannter Schwarz-Grüner kritisch hinterfragt worden, weil ich damals schon gesagt habe, es kann ja wohl nicht wahr sein, dass wir Fragen der zunehmenden jungen Generation, und zwar auch die, die sehr wertegebunden eigentlich Nachwuchs für die christlich-demokratische Union sein müssten, dass wir für die keine Antworten mehr haben. Die ökologische Frage ist schon in den 90er Jahren gewesen und Parteien, die nicht die Fragen von Gegenwart und Zukunft beantworten, sondern den Eindruck erwecken, sie beschäftigen sich nostalgisch mit einer früheren Zeit, die müssen sich nicht wundern, wenn sie an Bindekraft verlieren. Also müssen Parteien, ob das die SPD ist oder die CDU, aber natürlich auch die Grünen, die FDP, immer wieder neu darum ringen, Antworten für das, was die Menschen von der Politik an Antworten erwarten. Und die Menschen erwarten ja von der Politik nicht eine Pflege des Geschichtsbilds, sondern eine Antwort, was machen wir denn nun und wo geht es hin. Deswegen werde ich nicht müde davon zu reden, dass wir insbesondere als Europa, europäische Einigung, wenn wir stärkere außenpolitische Verantwortung mitübernehmen müssen, müssen wir uns auch den schwierigen Fragen widmen, die damit zu tun haben, dass man in der Welt, wie sie ist, außenpolitische, sicherheitspolitische Verantwortung nicht tragen kann, indem man anderen nur gute Ratschläge gibt, sondern man muss selbst ein Stück weit sich mehr engagieren und etwas von dem auch übernehmen, was der amerikanische Politikwissenschaftler (unverständlich) vor Kurzem genannt hat. Das hat nicht nur finanzielle, es hat auch moralische Kosten, Ordnungsmacht in der Welt oder eine ordnende Rolle zu spielen.
Stephan Detjen: Stärkeres Engagement, gerade mit Blick auf die Regionen, von denen Sie sprechen, ist was an Kurs für Ihre vor einem Jahr gewählte Parteivorsitzende, Kramp-Karrenbauer, jetzt einsteht. Da geht es auch in den innenpolitischen Kampf. Trotzdem, vor einem Jahr vor dem Hamburger Parteitag haben Sie ihrer Partei eine sehr klare Wahlempfehlung gegeben. Sie haben gesagt, es wäre besser für das Land, wenn Friedrich Merz eine Mehrheit bekäme.

Wolfgang Schäuble: Nein, Entschuldigung.

Stephan Detjen: Das war das FAZ-Interview vor dem Parteitag. Meine Frage ist, ob Sie heute sagen würden, Merz kann ja immer noch Kanzlerkandidat werden, wäre besser für das Land, wenn der noch Kanzlerkandidat wird?

Wolfgang Schäuble: Nein, heute finde ich … Wissen Sie, die Lage vor einem Jahr war so: Frau Merkel hat, aus guten Gründen ist sie von uns ... , sie hat es genau begründet, vorbildlich übrigens, dass sie von einer generellen Position eine Ausnahme macht. Sie hat gesagt, eigentlich gehört das Amt des Parteivorsitzenden der Partei, die den Kanzler stellt, die gehören zusammen, aber sie hat in der Lage, wie sie im Herbst 2017 war, gesagt, es geht so nicht weiter oder nein, 2018, und wir müssen eine Ausnahme machen. Deswegen kandidiert sie nicht mehr als Parteivorsitzende. Dann hat die CDU, finde ich, fast mustergültig im Rahmen der gewählten Gremien repräsentative Demokratie, auch in der Partei, auf dem Parteitag entschieden, aber unter einer starken Beteiligung aller Mitglieder in Regionalversammlungen, in öffentlichen Beiträgen, und da bin ich auch gefragt worden, was meine Position ist und vor der Wahl habe ich mich für einen von drei ausgezeichneten Kandidaten ausgesprochen. Die Gründe habe ich dargelegt, aber mit der Wahl in Hamburg, mit der Verkündung des Wahlergebnisses ist die Debatte beendet. Wir haben eine Parteivorsitzende, die macht ihre Aufgabe gut.
"Bevölkerung ist von Personaldebatten wirklich müde"
Stephan Detjen: Aber vor der Wahl ist nach der Wahl und die Debatte über die Kanzlerkandidatur beschäftigt ...

Wolfgang Schäuble:: Nein, die beschäftigt sich im Moment nicht, ich habe nie was von dem alten Satz gehalten, den ich von guten Freunden kenne, der nächste Wahlkampf beginnt am Tag nach der Wahl. Ich habe noch immer die altmodische Auffassung, am Tag nach einer Wahl beginnt die Aufgabe an der Verantwortung, für die man gerade bei der Wahl gestern die Verantwortung übertragen bekommen hat und nicht schon wieder der nächste Wahlkampf. Deswegen, Kanzlerkandidat müssen wir dann benennen, Frau Merkel wird nicht mehr antreten, das hat sie gesagt, da gibt es gar keinen Zweifel, also müssen wir rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl uns dann entscheiden, mit welcher personellen Konstellation wir antreten. Das wird die Union tun, aber das muss sie nicht jetzt machen. Sonst machen wir den Fehler, den die SPD nicht vermeiden konnte, nämlich sich in endlosen Personaldebatten so zu verstrampeln, dass am Ende jeder, der gewählt wurde, im Grunde nur zunächst mal eine ganz schwierige Ausgangsposition hat, um die Partei jetzt wieder zusammenzuführen und die Bevölkerung ist von Personaldebatten wirklich müde. Die sagen, kümmert euch um die Probleme, die wir empfinden. Kümmert euch um die Probleme des Landes und wir sollten eigentlich der Bevölkerung sagen, was die Probleme unseres Landes vorrangig sind. Da finde ich neben vielen innenpolitischen Problemen die Probleme von Außen- und Sicherheitspolitik, die Probleme der Bewahrung unserer Schöpfung, also des Klimawandels, ökologischen Fragen und der Umgang mit diesen völligen Veränderungen für Politik und Gesellschaft durch die Digitalisierung. Denken Sie mal daran, was in China mit der absoluten Kontrolle drohen kann. Dagegen ist Orwell fast ein harmloses Weihnachtsmärchen für Kinder, Orwell, 1984. Das sind die großen Fragen und die müssen wir der Bevölkerung auch erklären. Das sind die wichtigen Fragen. Wenn wir das nicht tun und uns nur mit den Befindlichkeiten des Tages beschäftigen, dann erfüllen wir unsere Führungsaufgabe für die öffentliche Debatte nicht ausreichend.
Das Logo der CDU ist in Berlin an der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, rot beleuchtet.
CDU-Parteitag - Von Reformwillen und Kompromisspolitik
Die CDU macht derzeit auf viele Beobachter einen wenig geschlossenen Eindruck. Personaldebatten, aber auch Streit in Sachfragen entzweien die Partei. Auf dem Parteitag in Leipzig wird die Parteiführung versuchen, die Fliehkräfte zu bändigen. Die Machtfrage dürfte vertagt werden
"Größe des Bundestages vorhersehbar begrenzt halten"
Stephan Detjen: Eine letzte Frage noch an den Bundestagspräsidenten Wolfang Wolfgang Schäuble:. In einer Sitzung, in der Sie präsidiert haben, hat der Bundestag in dieser Woche über die Geschäftsordnung, über Debattenregeln im Bundestag debattiert. Es ging darum, lange Nachtsitzungen zu verhindern und Redezeiten, auch Befragungszeiten für die Bundesregierung etwas zu kürzen. Die AfD hat dagegen gestimmt und der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD hat in dieser Debatte gesagt, wir, die AfD, haben den links-grünen Einheitsbrei der Altparteien aufgemischt, wir haben die Demokratie und das Parlament belebt. Sie saßen in dem Augenblick auf dem Sitz des Präsidenten hinter Baumann. Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Wolfgang Schäuble: Die Gedanken des sitzungsleitenden Präsidenten sind absolut darauf konzentriert, die Sitzung zu leiten. Nein, Spaß beiseite, ich glaube, manche dieser parlamentarischen Debatten sind lebhafter geworden, aber ich habe ja vorher gesagt, ich finde, die parlamentarische Auseinandersetzung sollte in der demokratischen Mitte sein und mir gefallen nicht alle Beiträge, die im Bundestag geleistet werden, von allen Fraktionen. Wir brauchen ja nicht Parteien vom rechten oder linken Rand, um lebhafte Debatten zu führen, das brauchen wir nicht. Die Änderung der Geschäftsordnung, dass man also kürzere Debattenzeiten macht, das ist wahrscheinlich in der gegebenen Lage eine richtige Entscheidung, aber ich konnte auch das Argument dagegen verstehen. Wollen wir wirklich sagen, das Problem im Parlament sind die zu langen Debatten? Vielleicht ist es stärker, dass wir uns auf die wirklich wichtigen Fragen stärker fokussieren sollten und im Übrigen, wenn wir schon über Geschäftsordnung diskutieren, dann müssen wir natürlich eine Frage dringend lösen, die wir immer noch nicht gelöst haben, obwohl ich mir unendliche Mühe gebe, seit ich Bundestagspräsident bin. Wir brauchen ein Wahlrecht, mit dem wir einigermaßen die Größe des Bundestages vorhersehbar begrenzt halten können.

Stephan Detjen: Den letzten Vorschlag der Oppositionsparteien Grüne, Linke, FDP haben Sie auch zurückgewiesen.

Wolfgang Schäuble: Jeder Vorschlag hat seine spezifischen Nachteile. Unser Wahlrecht ist furchtbar kompliziert, aber am Ende kommt es ja vor allen Dingen darauf an, es muss sich eine relativ breite Mehrheit im Bundestag auf irgendeine Lösung verständigen. Es hat überhaupt keinen Sinn, dass jeder seine Position vertritt. Es gibt gute Argumente zu sagen, Wahlkreise sind das ganz wichtige Instrument für die Bindung der Wähler an Personen. Durch Personen vermittelt sich für viele Menschen immer noch ein Stück weit Politik. Deswegen ist das Argument, wir wollten nicht weniger Wahlkreise, ein starkes.

Stephan Detjen: Aber die Einigkeit im Grundsatz ist ja so groß.

Wolfgang Schäuble: Hilft uns aber nicht.

Stephan Detjen: Ja und es hilft nicht, deshalb aller letzte Frage an dieser Stelle am Ende des Interviews, wenn die Wahlperiode bis 2021 regulär dauert, glauben Sie wirklich, der Bundestag schafft dann diese Reform in eigener Sache noch?

Wolfgang Schäuble: Er wird, ich glaube, er muss es schaffen. Ich bin auch nach wie vor, weil ich überzeugt bin, es muss sein und ich habe laufend Gespräche und ich weiß auch von allen Fraktionen, dass sie die Dringlichkeit sehen. Deswegen bin ich eigentlich zuversichtlich, nicht, dass wir eine ideale Lösung bringen, dafür ist unser Wahlrecht auch durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ein bisschen so kompliziert geworden, hat gleichzeitig ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, nur dass man eben damit das Problem der Größe des Parlaments nicht so einfach lösen kann. Vielleicht gibt es nur eine unvollkommene Lösung, aber ich hoffe doch, dass wir sicherstellen können, dass wir davon nicht Gebrauch machen müssen, was wir vorsorglich auch schon mal getan haben. Die Verwaltung hat mal beim zuständigen Bauamt des Bezirks Mitte in Berlin ein Genehmigungsverfahren für den Bau von Bürocontainern beantragt, damit wir notfalls auch bei einem Parlament von mehr als 800 Abgeordneten in Bürocontainern die abgeordneten Mitarbeiter unterbringen könnten, aber das zeigt eigentlich nur wie dringend es ist, ich kann nur dringend wieder und wieder mahnen, auch mit allen Beteiligten reden, dass wir zu einer Lösung kommen und am Ende, ja doch, da ich grundsätzlich zuversichtlich bin, würde ich Ihre Frage mit Ja beantworten. Wenn wir bis 2021 Zeit haben, werden wir es auch schaffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.