"Die Menschen wollen klare Alternativen, und wir werden sie ihnen mit einem Wahlprogramm bieten", betonte Oppermann. Ob eine rot-rot-grüne Koalition möglich werde, entschieden letztlich nicht die Parteien, sondern die Wähler. Dass die SPD dafür offen sei, habe man klar gesagt.
Die Große Koalition dürfe keine Dauereinrichtung werden, weil sonst die politischen Ränder gestärkt würden, erklärte der Fraktionsvorsitzende der SPD. Er sei dagegen, die Wähler der Alternative für Deutschland (AfD) zu beschimpfen. Vielmehr müsse man zwischen zwei Gruppen unterscheiden. Auf der einen Seite gebe es Leute, die offen rassistisch seien. Dafür sei in unserer demokratischen Gesellschaft kein Platz, gegen solche Positionen müsse man deshalb "klare Kante" zeigen. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Menschen, denen einfach die Richtung nicht passe oder denen gesellschaftliche Veränderungen zu schnell gingen. Diese hätten einen Anspruch auf Diskussion, sagte Oppermann. Ihnen müsse man Angebote machen, etwa im Hinblick auf größere soziale Sicherheit.
Oppermann verteidigte die Entscheidung der SPD, sich erst Ende Januar auf einen Kanzlerkandidaten festzulegen. Man lasse sich da von außen nicht unter Druck setzen. Am Ende werde man mit der Kandidatin oder dem Kandidaten in die Bundestagswahl ziehen, der oder die die größten Chancen habe. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hatte seine Partei zuletzt aufgefordert, in dieser Frage "cool" zu bleiben.
Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatte am Sonntag bekannt gegeben, dass sie im kommenden Jahr noch einmal antreten wird. Bei den Grünen sollen die Mitglieder in einer Urwahl bis Mitte Januar zwei Spitzenkandidaten bestimmen. Die Linke will sich ebenfalls im Januar festlegen.
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Was die SPD aus der Situation macht, darüber können wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Thomas Oppermann.
Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Die Diskussion ist doch längst in vollem Gange. Ist der Januar-Termin noch zu halten?
Oppermann: Das ist ein vernünftiger Termin. Den haben wir schon sehr lange festgelegt. Wir wollen in aller Ruhe darüber reden, mit welchen Botschaften, mit welchen Inhalten wir in die Bundestagswahl gehen. Wir wollen nicht nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin präsentieren, sondern auch sagen, was ist unsere Vorstellung von der Zukunft Deutschlands, was ist das für ein Land, in dem wir leben wollen, wie wollen wir die grundlegenden Probleme lösen, die wir haben.
Schulz: Aber was soll da bis Januar passieren, dass Sie diese Antworten dann geben können, die Sie jetzt nicht geben können? Sie lassen den CDU-Parteitag vorbeiziehen, noch mal die Chance, für die nächste CDU-Kandidatin Angela Merkel sich stark zu positionieren. Was wollen Sie da gegenhalten gegen eine Frau, über die im Moment sogar Barack Obama sagt, er würde sie wählen, wenn er könnte?
"Angela Merkel hat keinen Plan für die Zukunft"
Oppermann: Ich sehe aber nicht, dass sich die CDU irgendwo stark positioniert. Die CDU hat jetzt mit Angela Merkel eine Kandidatin nominiert, aber diese Kandidatin hat offenkundig keine klaren Vorstellungen davon, wie es weitergeht. Angela Merkel hat ja durchaus Verdienste. Das kann niemand bestreiten. Aber sie hat keinen Plan für die Zukunft. Die Menschen wollen wissen, wie steuern wir die Einwanderung besser, wie halten wir Europa zusammen, wie gehen wir um mit der wachsenden Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Arm und Reich, wie helfen wir berufstätigen Familien, ihren Alltag besser zu bewältigen. Das sind alles Fragen, Alltagsfragen, die die Bürgerinnen und Bürger bedrängen, und auf die muss man Antworten geben. Darüber wird in der Bundestagswahl am Ende abgestimmt, nicht über die bisherigen Verdienste.
Schulz: Herr Oppermann, was wollen Sie denn anders machen, die SPD?
Oppermann: Wir wollen auf jeden Fall die soziale Spaltung dieses Landes stoppen. Wir wollen etwas für den sozialen Zusammenhalt tun. Wir denken über eine Bürgerversicherung nach, damit wir nicht mehr Patienten erster und zweiter Klasse haben und damit eine Gesundheitsbehandlung für alle auch in Zukunft gewährleistet bleibt. Wir wollen ein Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen, um die Einwanderung von Fachkräften besser zu steuern, und zwar so, dass die Menschen das auch gut verstehen und auch mitgehen können. Wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit. Wir wollen, dass der Wohnort oder das Verdienst oder die Ausbildung der Eltern keine Rolle spielen dürfen. Deshalb sagen wir, kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni.
"Wir wollen Kandidatur und Programm verknüpfen"
Schulz: Herr Oppermann! Jetzt gehen Sie schon ganz stark in Richtung Wahlprogramm. Ich muss noch mal daran erinnern: Sie sind ja im Moment auch Regierungspartei und da müssen wir den Schritt jetzt doch noch mal zurückmachen, denke ich, zur Kandidatenfrage, weil wir da ja noch nicht besonders weit gekommen sind. Wer macht’s denn, Schulz oder Gabriel?
Oppermann: Aber, Frau Schulz! Die Kandidatenfrage hat genau etwas mit diesen Inhalten zu tun. Wir wollen Kandidatur und Programm verknüpfen. Wir wollen unsere Kandidatur mit einer klaren Botschaft verbinden und ich glaube, das ist auch richtig. Das erwarten auch die Menschen in diesem Lande. Warum sollen wir uns dafür nicht noch einige Wochen Zeit nehmen? Die Bundestagswahl ist erst in zehn Monaten. Der Wahlkampf wird im Sommer beginnen und wir werden in aller Ruhe diese Wahl vorbereiten, und da lassen wir uns von außen nicht unter Druck setzen. Es gibt auch gar keinen Grund zur Eile.
Schulz: Schicken Sie denn dieses Mal einen Kandidaten ins Rennen, der auch die besten Chancen hat?
Oppermann: Ganz sicher wird unser Kandidat die besten Chancen haben und wir werden sicher einen Kandidaten nominieren, hinter dem dann auch die Partei geschlossen steht. Nur so können wir diese Wahl auch erfolgreich bestreiten. Dabei ist klar: Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hat den ersten Zugriff. Er hat ein Vorschlagsrecht und das wird er zu gegebener Zeit auch machen.
Schulz: Aber wie passt das jetzt zusammen, was Sie mir sagen? Nach Umfragen hat ja Martin Schulz bessere Chancen. Der liegt jedenfalls in Umfragen im Moment vor Sigmar Gabriel. Wie passt das jetzt dazu, was Sie schon lange und immer wieder gesagt haben, zu diesem Erstzugriffsrecht des Vorsitzenden?
Oppermann: Warten Sie doch ab, welchen Vorschlag der Vorsitzende macht. Ich will jetzt nicht über die Kandidaten spekulieren. Wir werden auf unserer Klausur Ende Januar diese Entscheidung treffen und deshalb macht es jetzt auch keinen Sinn, darüber zu reden, wer es sein könnte oder wer es nicht sein könnte.
Schulz: Aber dann stimmt der Grundsatz als solcher nicht, dass Sie prinzipiell den ins Rennen schicken, der die besten Chancen hat?
"Die Große Koalition darf keine Dauereinrichtung sein"
Oppermann: Wir werden am Ende mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin in das Rennen gehen, die die besten Chancen hat, und das muss auch unser Ziel sein. Und wer das sein wird, das werden wir dann sehen.
Schulz: Sie haben jetzt gerade inhaltliche Positionen schon skizziert. Sie haben das Problem, Sie sind in einer Großen Koalition mit einer relativ beliebten Kanzlerin Angela Merkel, die sich zuletzt jetzt am Wochenende ja auch ausgesprochen schwergetan hat, zu begründen und zu erklären, was sie denn eigentlich künftig anders machen will, weil sie ja von vielen Menschen - ich habe es vorhin gesagt - auch auf starke Ablehnung trifft. Braucht es da jetzt nicht die ganz starke Abgrenzung? Warum machen Sie nicht das ganz klare Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün?
Oppermann: Wir sind für Rot-Rot-Grün offen. Wir haben das klar gesagt. Das ist aber eine Frage von Inhalten. Am Ende entscheiden das aber nicht die Parteien, sondern es entscheiden die Wählerinnen und Wähler, ob es eine Alternative zur Großen Koalition gibt. Ich sage ganz klar: Die Große Koalition hat gute Arbeit geleistet in schwierigen Zeiten. Wir haben in dieser Koalition viel durchgesetzt, konkrete Reformen, die das Leben vieler Menschen verbessert hat. Aber diese Große Koalition darf keine Dauereinrichtung sein. Das stärkt die Ränder in diesem Land. Die Menschen wollen klare Alternativen und wir werden sie ihnen mit einem Wahlprogramm bieten, das auf sozialen Zusammenhalt setzt in Deutschland, das auf Investitionen setzt, damit die Wirtschaftskraft erhalten bleibt, das auf soziale Sicherheit setzt. Viele Menschen haben Angst, dass sie möglicherweise abrutschen bei den wirtschaftlichen Veränderungen, die wir vor uns haben -, und das darauf setzt, dass wir einen starken, einen handlungsfähigen Staat haben, der in der Lage ist, die Menschen zu schützen, der insbesondere die Schwachen schützen kann, der aber auch Recht und Ordnung in diesem Lande herstellt, dass man hier sicher und gut leben kann. Das wird das Programm der SPD sein.
Schulz: Aber, Herr Oppermann, was ist daran neu? Das sind doch alles uralte SPD-Forderungen, mit denen Sie im Moment in Umfragen zwischen 20 und 25 Prozent landen.
"Wir positionieren uns inhaltlich, nicht parteistrategisch"
Oppermann: Ich wüsste nicht, dass das alles Dinge sind, die schon umgesetzt sind. Wir haben keine Bürgerversicherung, wir haben kein Einwanderungsgesetz, das können wir mit der Union nicht umsetzen. Wir haben noch keine kostenfreie Kita-Bildung in Deutschland. Wir wollen die Gebühren für die Meisterfortbildung abschaffen. All das gibt es noch nicht. Daran werden wir arbeiten. Und was wir mit diesem Koalitionspartner nicht durchsetzen können, das hoffen wir in der nächsten Wahlperiode umzusetzen, und wir werden sehen, welche Partner uns da zur Verfügung stehen.
Schulz: Aber dann verstehe ich nicht, warum Sie dieses Ziel - - Sie sagen ja, wir sind offen für Rot-Rot-Grün. Aber wird das so beim Wähler ankommen? Müsste man sich da nicht klar positionieren?
Oppermann: Ich habe doch gerade über unsere Positionierung gesprochen, Frau Schulz. Wir positionieren uns aber inhaltlich, nicht parteistrategisch. Das werden am Ende die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Die werden die Mehrheiten wählen oder die Parteien wählen, die dann Mehrheiten bilden können. Und so viel Respekt vor dem Wähler muss sein.
"Den Wählerinnen und Wähler der AfD Angebote machen"
Schulz: Was tun Sie, um die AfD nicht noch stärker zu machen?
Oppermann: Ich glaube, da braucht man eine Doppelstrategie. Leute, die offen rassistisch sind, die andere Menschen abwerten, die haben eigentlich keinen Platz in unserer demokratischen Gesellschaft, und da muss man klare Kante zeigen. Menschen aber, denen die Richtung nicht passt, oder denen die Veränderungen mit zu großer Geschwindigkeit vonstattengehen, die haben einen Anspruch auf Diskussion. Ich bin dagegen, die Wählerinnen und Wähler der AfD zu beschimpfen, weil wir müssen ihnen Angebote machen, Angebote auf soziale Sicherheit. Niemand soll in diesem Land Angst haben müssen, aufgrund wirtschaftlicher Veränderungen etwa im Zuge der Digitalisierung abrutschen zu müssen. Wir müssen aber auch den Menschen klar machen, dass der Staat sie schützen muss vor Übergriffen, vor Gewalt, vor Kriminalität, vor Terroranschlägen. Und wir müssen klar machen, dass wir einen Staat haben, der Regeln setzt und durchsetzt für alle, für Einwanderer, für Flüchtlinge, aber auch für alle Deutschen.
Schulz: Wann fangen Sie damit an?
Oppermann: Wir sind mitten drin. Wir haben ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht. Die SPD hat ein Einwanderungsgesetz erarbeitet. Wir arbeiten ständig an diesen Fragen. Was wir mit diesem Koalitionspartner durchsetzen können, das machen wir noch in dieser Wahlperiode. Was wir nicht durchsetzen können, das stellen wir im Wahlkampf zur Abstimmung.
Schulz: Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Interview heute Morgen.
Oppermann: Ich danke auch.
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