Nach dem vorläufigen Endergebnis hat die SPD die Bundestagswahl mit 25,7 Prozent der Stimmen gewonnen. Die CDU kam auf 24,1 Prozent. Eine Analyse der Korrespondentinnen und Korrespondenten des Dlf-Hauptstadtstudios.
Die SPD hat die Bundestagswahl nach dem vorläufigen Ergebnis mit 25,7 Prozent der Stimmen gewonnen. Im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren konnte sie 5,2 Punkte zulegen. Die Union kommt auf 24,1 Prozent, das ist ein Minus von 8,8 Punkten. Die Grünen erreichten mit 14,8 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte und sind damit drittstärkste Kraft. Die FDP verbesserte sich auf 11,5 Prozent. Die AfD verlor leicht auf 10,3 Prozent. Deutliche Verluste musste die Linke hinnehmen. Sie erzielte nur 4,9 Prozent, weil sie aber drei Direktmandate errang, zieht sie trotzdem in Fraktionsstärke in den Bundestag ein, obwohl sie unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt. Der Südschleswigsche Wählerverband, der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist, ist künftig mit einem Abgeordneten vertreten.
Wahlkreisergebnisse der Bundestagswahl 2021
Die Wahlbeteiligung lag Schätzungen zufolge auf ähnlichem Niveau wie 2017. Laut infratest dimap gaben 76,0 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.
Die Sozialdemokraten liegen klar vor der Union. Kanzlerkandidat Olaf Scholz erhob danach den Anspruch zu regieren. In seiner Rede im Willy-Brandt-Haus betonte er die Geschlossenheit der Partei und bedankte sich dafür, dass das so gut funktioniert habe. Das war tatsächlich in der Vergangenheit bei den Sozialdemokraten nicht immer so. Ihr Konzept, alles auf die Karte Olaf Scholz zu setzen, scheint aufgegangen zu sein. Scholz konnte seine Popularität als Finanzminister in Prozentpunkte für die Partei umwandeln.
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet bestätigt am Tag nach der Wahl Medienberichte, wonach CDU und CSU keinen Anspruch auf eine Regierungsbildung erheben. Auch er persönlich trage Verantwortung für das schlechte Abschneiden der Union. Er kündigte Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP an. Gleichzeitig sprach er aber auch der SPD ab, einen Regierungsauftrag bekommen zu haben. Laschet sagte, als Volkspartei müsse man mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen hinter sich wissen, dies sei weder der Union noch den Sozialdemokraten gelungen.
Der Bundesvorstand der FDP beschloss unterdessen, Vorsondierungen mit den Grünen über eine mögliche Regierungszusammenarbeit aufzunehmen. Zwischen FDP und Grünen gebe es einerseits die größten inhaltlichen Unterschiede, andererseits hätten sich beide Parteien am stärksten gegen den Status Quo der großen Koalition gewandt, sagte Parteichef Christian Lindner. Die Grünen ihrerseits geben Gesprächen mit SPD und FDP den Vorrang vor Sondierungen mit Union und FDP. Die SPD liege nach dem Wahlergebnis vorn, "daraus ergibt sich ein Prä der Gespräche mit der SPD und der FDP", sagte Grünen-Parteichef Robert Habeck.
Wählerwanderungen
Den Anspruch zur Regierungsbildung begründete Scholz mit einem "sehr, sehr guten Wahlergebnis" und mit Blick auf die Ergebnisse von SPD und Grünen auch damit, dass "bei ein paar Parteien die Wahlbalken nach oben" gehen. "Bei anderen gehen sie nach unten und ziemlich weit nach unten", sagte er mit Blick auf die Union.
Im Konrad-Adenauer-Haus sprach CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak von "bitteren Verlusten" seiner Partei.
Kanzlerkandidat Armin Laschet bemühte sich, ein starkes Signal des Zusammenhalts zu senden.
Er betrat mit der gesamten Parteiführung die Bühne im Konrad-Adenauer-Haus und erhob selbstbewusst ebenfalls den Anspruch, eine Regierung bilden zu wollen. Die Union habe einen klaren Auftrag bekommen, sagte Laschet. Er werde alles daran setzen, "eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden", sagte der CDU-Vorsitzende. Es brauche jetzt eine "Zukunftskoalition", fügte er offenbar mit Blick auf ein mögliches Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP hinzu. Kanzler werde derjenige, dem es jetzt gelänge, zusammenzuführen, Gegensätze zu überwinden, Koalitionen zu bilden, in denen sich jeder Partner wiederfinde. Dies wolle er jetzt gemeinsam mit Söder versuchen.
Im Gegensatz zu anderen Verfassungen regelt das deutsche Grundgesetz nicht, welche Partei nach einer Wahl als erstes mit einer Regierungsbildung beauftragt wird.
Zusammen kommen die beiden ehemals großen Volksparteien nur noch auf knapp 50 Prozent. Mit dem Ende der Ära Merkel scheint Deutschland damit bei Mehrheitsverhältnissen abgekommen, wie sie in anderen europäischen Ländern längst Realität sind. Aus europäischer Sicht sei Deutschland bei dieser Wahl normal geworden, meinte Dlf-Chefredakteurin Birgit Wenzien. Aus nationalen Perspektive sei Deutschland eine verspätete Nation. Der Wahlausgang sei ein Arbeitsauftrag an die Parteien, mit aller Kreativität Kompromisse zu suchen und zu finden.
Auf der Wahlparty der Grünen in der Columbiahalle in Berlin brandete erstmals Applaus auf, als um 18 Uhr bei den ersten Prognosen das Ergebnis der FDP verkündet wurde. Das zeigt, wie sehr die Ambitionen der Grünen in den letzten Monaten des Wahlkampfs gesunken sind. Die Partei musste zuletzt Angst haben, in die Nähe der Liberalen zu geraten. Die liegen mit 14,8 Prozent am unteren Ende dessen, was die Umfragen in den letzten Wochen hergegeben haben. Trotzdem versuchte man das Bundesergebnis mit eifrigem Applaus zu würdigen. Aber das erfreulichste, was die Grünen an diesem Abend feiern durften, war ihr Abschneiden bei den Abgeordnetenhaus-Wahlen in Berlin.
Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock
sagte bei ihrem Auftritt, dass es nicht nur Jubel geben könne
, trotz des historisch besten Ergebnises der Grünen auf Bundeseben. Man habe mehr gewollt. Dennoch meldete sie Ansprüche an, künftig politische Verantwortung zu übernehmen. "Diesmal hat es noch nicht gereicht", sagte Baerbock mit Blick auf ihr ursprüngliches Ziel, die künftige Regierung anzuführen. "Aber wir haben einen Auftrag für die Zukunft. Diesen Auftrag gehen wir jetzt beherzt an."
Beim Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck war keine Riesenenttäuschung zu spüren.
Er habe schon einen Haken an diese Wahl gemacht, sagte er dem Dlf.
FDP und Grüne können Kanzlermacher werden
Habeck verwies auf seine Erfahrung aus Schleswig-Holstein, dass er dort schon einmal vor der exakt gleichen Situation gestanden habe, als man sich entscheiden musste zwischen einer Ampel- oder einer Jamaika-Koalition. Wenn alle Parteien so dicht beieinanderlägen, insbesondere die beiden stärksten, dann müssten die Qualitäten und die Substanz entscheiden und nicht so sehr die Personen, betonte Habeck. Nach der Landtagswahl 2017 in Schleswig-Holstein einigten sich CDU, FDP und Grüne am Ende auf die Bildung einer Jamaika-Koalition.
Grundsätzlich zeigte sich Habeck am Wahlabend sowohl für ein Ampel-Bündnis als auch für eine Jamaika-Koalition offen. Ein Bündnis mit SPD und der FDP "kann gelingen, schließt aber Jamaika-Gespräche aber auch nicht aus", sagte Habeck in der ARD. Auch FDP-Chef Christian Lindner hielt sich alle Optionen für eine Beteiligung an einer künftigen Regierungskoalition offen, machte aber deutlich, dass er eine "größere inhaltliche Übereinstimmung" mit der Union sieht. Zugleich flirtete Lindner ganz offen mit den Grünen und warb für Vorab-Sondierungsgesprächen zwischen beiden Parteien.
Finden FDP und Grüne in solchen Gesprächen zu Kompromissen, könnten sie gemeinsam zum Kanzlermacher werden. "Wenn die beiden, die auf jeden Fall dabei sind, es schaffen würden, sich abzustimmen, könnten sie relativ entspannt auf den anderen zugehen und sagen: Du bist es",
sagte der Politikwissenschaftler Thorsten Faas im Dlf.
Größter Knackpunkte dürfte dabei, neben einer gemeinsamen Linie in der Haushalts- und Steuerpolitik, Leitung und Zuschnitt des Finanzministeriums werden. Sowohl Habeck als auch Lindner haben Interesse am Amt des Finanzministers angemeldet.
Den Ausschlag zu Gunsten von Jamaika könnte aber auch eine weitere Personalie spielen: die des Bundespräsidenten. Laschet dürfte keine Problem haben, dieses Amt den Grünen anzudienen. Scholz müsste dafür seinen Parteigenossen Frank-Walter Steinmeier opfern, der sicher gerne für eine zweite Amtszeit kandidieren würde.
Nach den Hochrechnungen sind mehrere Koalitionsmodelle möglich. Am realistischsten erscheinen derzeit eine sogenannte Ampel- oder eine Jamaika-Koalition.
Ein Mitte-Links-Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei ist nicht mehr möglich. Rechnerisch würde es für eine erneute Große Koalition sowie für eine Kenia- oder eine Deutschland-Koalition reichen.
Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin wird in Deutschland nicht direkt gewählt. In den Umfragen vor der Wahl erhielt SPD-Kandidat Olaf Scholz zuletzt aber deutlich mehr Zustimmung als Armin Laschet von der CDU. Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock folgte auf dem dritten Platz. Ende Juli 2021 war Scholz in diesem Trio noch das Schlusslicht.
Annalena Baerbock (Grüne)
Mit Annalena Baerbock stellten die Grünen erstmalig in ihrer Geschichte offiziell eine Kanzlerkandidatin auf. Im Fall des Wahlerfolgs wäre sie mit 40 Jahren die jüngste in der Reihe der bisherigen Kanzlerinnen und Kanzler. Den Titel der jüngsten Kandidatin hat sie bereits sicher. Seit 2018 teilt sich Baerbock den Parteivorsitz der Grünen mit Robert Habeck und war früher bereits deren Landesvorsitzende in Brandenburg (2009 bis 2013). Regierungserfahrung hat Baerbock allerdings nicht.
Olaf Scholz (SPD)
Dass der Kanzlerkandidat der SPD Olaf Scholz heißen wird, hatte sich bereits im Sommer 2020 angedeutet und damit deutlich früher als bei den anderen Parteien. Der 63 Jahre alte Bundesfinanzminister und Vizekanzler war in seiner politischen Laufbahn u.a. bereits Bundesminister für Arbeit und Soziales sowie Erster Bürgermeister von Hamburg. Als einstiger SPD-Generalsekretär unter Gerhard Schröder setzte er die umstrittenen Arbeitsmarktreformen Hartz IV mit durch.
Armin Laschet (CDU)
Nach langem Ringen um die Kanzlerkandidatur der Union setzte sich der amtierende CDU-Parteivorsitzende und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, gegen den CSU-Vorsitzenden Markus Söder durch. Der gebürtige Aachener ist 60 Jahre alt und gilt im Grundsatz als treuer Merkel-Mann und Vertreter der Mitte der CDU.