Schon im August 2020 hatte die Parteispitze den amtierenden Finanzminister Olaf Scholz als Kandidaten vorgeschlagen, auf dem Parteitag im Mai 2021 wurde er dann bestätigt. Seine Kandidatur stand damit deutlich früher fest als die seiner Konkurrenten Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU). Lange galten Scholz' Ambitionen als aussichtlos – das hat sich geändert.
Olaf Scholz setzt im Wahlkampf auf Mindestlohn-Versprechen, mehr Geld für Pflegende oder Maßnahmen zum Klimaschutz. Dass er "Kanzler kann", hat er am 10. Mai 2021 im Interview mit dem Deutschlandfunk bekräftigt. "Da bin ich überzeugt, dass ich das kann, meine Partei auch." Diese Sicherheit gibt Scholz vor allem seine jahrelange Regierungserfahrung – und damit will er neben der Konkurrenz punkten.
Mehr zum Thema Spitzenkandidaten
Der 62-Jährige Hamburger blickt auf eine lange politische Karriere zurück. Scholz trat 1975 in die SPD ein, wurde Juso-Vizevorsitzender, Generalsekretär der SPD unter Altkanzler Gerhard Schröder, Arbeitsminister und Erster Bürgermeister von Hamburg. Seit 2018 ist er Bundesfinanzminister in der Großen Koalition und Vizekanzler unter Angela Merkel.
Auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokraten am 9. Mai machte Scholz seine Pläne für das Kanzleramt noch einmal deutlich – zum Beispiel einen höheren Mindestlohn und eine gerechtere Besteuerung. Das Ziel: ein Mindestlohn von zwölf Euro.
Außerdem auf der Agenda: Der Bau von 400.000 Wohnungen jährlich, davon 100.000 im sozialen Wohnungsbau. In Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten soll ein Mietenstopp kommen.
In der Klimapolitik wirbt Scholz für den massiven Ausbau nachhaltiger Energieerzeugung. Das sei entscheidender als ein womöglich schnellerer Kohleausstieg, denn "wer will, das Deutschland CO2-neutral wirtschaftet, der muss dafür Sorge tragen, dass jetzt Erzeugungsanlagen gebaut werden", sagte Scholz am 22.8.2021 im Deutschlandfunk.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Als konservativer Sozialdemokrat und Gesicht der Großen Koalition müsse sich Scholz innerhalb der Partei immer wieder gegen den linken Flügel behaupten und werde inhaltlich mit dem SPD-Wahlprogramm in einigen Punkten Schwierigkeiten bei der Glaubwürdigkeit haben,
sagte Dlf-Hauptstadtkorrespondent Frank Capellan am 28.4.2021 im Deutschlandfunk.
Er müsse Positionen vertreten, "die eigentlich nicht sein Ding sind".
Verfechter der schwarzen Null
Zum Beispiel stand für Scholz als Finanzminister lange fest, dass es nach der Coronakrise und den damit einhergehenden hohen Neuverschuldungen wieder in Richtung schwarze Null gehen soll. "Er war eben auch lange ein Verfechter der schwarzen Null, und auch deswegen sind ja Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei der Parteivorsitzenden-Wahl gegen ihn angetreten", erklärte Capellan.
In ihrem Wahlprogramm lehnt die SPD das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne neue Kredite nun ab. Für ein hohes Niveau öffentlicher Investitionen will die Partei weiterhin Schulden machen – allerdings nur so viel, wie die Schuldenbremse in der Verfassung erlaubt.
Mit Blick auf die Finanzwirtschaft bekräftigte Scholz am 9.9.201 auf dem Bankentag in Frankfurt am Main, den europäischen Finanzsektor stärken zu wollen und eine europäische Banken- und Kapitalmarktunion voranzutreiben. Einer stärkeren Deregulierung der Banken, wie von der Branche gefordert, erteilte Scholz allerdings eine Absage und verwies auf die Erfahrungen aus der Finanzkrise nach dem Lehman-Zusammenbruch, wie
Dlf-Korrespondent Mischa Ehrhardt berichtete
.
Problem Hartz IV
Ein großes Glaubwürdigkeitsproblem könne Scholz vor allem mit der Abkehr von Hartz IV bekommen. "Denn er ist der Mann, der als Generalsekretär von Gerhard Schröder eben diese Reformen mit durchgepaukt hat und sie später in der ersten Großen Koalition mit der Union als Arbeitsminister auch durchgesetzt hat", so Hauptstadtkorrespondent Capellan. Wenn es nun keine Sanktionen mehr für Hartz-IV-Empfänger, die sich nicht kooperativ verhalten, geben soll, "könnte das auch einem Olaf Scholz auf die Füße fallen". In ihrem Wahlprogramm setzt die SPD auf ein einfacheres Bürgergeld statt Hartz IV. Dabei sollen Wohnung und Vermögen in den ersten zwei Jahren nicht geprüft werden.
Verteidigungsausgaben
Auch beim Thema Verteidigungsausgaben gibt es Kritik aus den eigenen Reihen. Die SPD fordert eine Abkehr vom Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Das sieht vor, dass die Ausgaben an das Bruttoinlandsprodukt gekoppelt sind. Olaf Scholz hingegen habe in seiner Funktion als Bundesfinanzminister steigende Ausgaben für die Verteidigung lange mitgetragen, so Capellan.
Koalitionsperspektiven: Scholz vs. SPD-Parteispitze?
Der Entwurf des SPD-Programms für die Bundestagswahl lese sich wie ein Abschied von der Großen Koalition und wie ein klares Entgegenkommen in Richtung Linkspartei und Grüne. Das sei von der linken Parteispitze Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans auch so gewollt, erkärte Dlf-Hauptstadtkorrespondent Capellan. "Die Frage ist, ob das wirklich zum Kanzlerkandidaten Olaf Scholz passt." Denn der neige eher in Richtung Ampel, also einer Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Für einen Neuanfang der SPD steht Olaf Scholz sicher nicht. Sein großes Pfund ist hingegen seine Erfahrung. In der frühen Phase des Wahlkampfs konnte die SPD damit kaum punkten, die Partei lag zum Jahresanfang 2021 bei nur 15 Prozent in den Umfragen, die Union dagegen bei 35 Prozent, die Grünen bei knapp 18. Doch inzwischen hat sich der demoskopische Trend komplett umgekehrt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa lag die SPD am 24.8.2021 mit 23 Prozent vor der Union (22 Prozent) und Grünen (18 Prozent), inzwischen hat sie den Vorsprung vor der Union weiter ausgebaut.
Auch bei den Umfragen, wen die Deutschen bei einer Direktwahl zum Kanzler machen würden, punktet die SPD mit ihrem Kandidaten, der deutlich beliebter ist als die Spitzenkandidaten von Union und Grünen und vor allem den Vorsprung vor Unions-Kandidat Armin Laschet weiter ausgebaut hat. Deshalb setze die SPD im Wahlkampf auch klar auf Scholz,
sagte Dlf-Hauptstadtkorrespondent Frank Capellan am 12.8.2021 im Deutschlandfunk.
Scholz profitiere dabei von der "Schwäche der anderen", so Capellan.
Die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, musste mehrfach Fehler in ihrem Lebenslauf korrigieren, dann gab es Plagiatsvorwürfe gegen ein Buch, das sie verfasst hatte. Der CDU-Vorsitzende Laschet hingegen geriet wegen seines Verhaltens in den Flutgebieten in die Kritik. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede zu den Folgen der verheerenden Flutkatastrophe aus dem Juli 2021 hielt, lachte Laschet im Hintergrund. Scholz hingegen habe sich bei der Flutkatastrophe nicht zu stark ins Bild gesetzt, sei aber trotzdem präsent gewesen, so Capellan. Er werde nun als "besonnener Krisenmanager" wahrgenommen.
Dennoch räumte Capellan nicht Scholz, sondern Laschet die größten Chancen auf das Kanzleramt ein. Am wahrscheinlichsten sei eine Jamaika-Koalition unter dem CDU-Vorsitzenden als Kanzler. Das hänge auch damit zusammen, dass die Grünen eher zu einer Jamaika-Koalition mit CDU und FDP als zu einer Ampel-Koalition mit SPD und FDP tendierten. Auch die FDP bevorzuge Jamaika.
Vergleich der Kanzlerkandidaten/der Kanzlerkandidatin
Der Fall Wirecard
Scholz hatte bereits vor seiner Kandidatur einen Skandal an sich haften, der allerdings in den vergangenen Monaten kaum noch Wellen geschlagen hat: Im Sommer 2020 musste der ehemalige Dax-Konzern Wirecard Insolvenz anmelden. Die Bilanzen des Zahlungsdienstleisters waren massiv geschönt. Dazu hatte es auch vorab Medienberichte gegeben, die deutsche Finanzaufsicht Bafin hatte diese aber nicht ernst genommen. Der Skandal haftet an Scholz, weil die Bafin dem Finanzministerium unterstellt ist.
Im Interview mit dem Deutschlandfunk verwies Scholz am 22.8.2021 darauf, dass die Konsequenzen aus dieser "schwierigen betrügerischen Handlung" gezogen seien. Die Finanzaufsicht Bafin habe einen neuen Chef. Unternehmen müssten Wirtschaftsprüfer künftig häufiger wechseln, damit sich beide Seiten nicht zu sehr aneinander gewöhnten. "Wir haben alles sofort identifiziert, was an Problemen mit dem nun seit vielen, vielen Jahren existierenden Aufsichtssystem festgestellt werden konnte und haben die Gesetze geändert."
Quellen: Dlf, Frank Capellan, kh, pto, dpa