Das Duell zwischen Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) um die Kanzlerkandidatur der Union überschatte die Debatte über die Corona-Lage, sagte der SPD-Ko-Vorsitzende Norbert Walter Borjans im Deutschlandfunk. Den eigenen Ehrgeiz so in den Vordergrund zu rücken, sei in der gegenwärtigen Lage "unverantworlich". Das Duell werde am Ende zulasten der Gesellschaft gehen, weil der unterlegene Bewerber ebenfalls etwas erhalten werde, den Preis der Debatte aber die Gesellschaft zahle.
"Kluge frühe Entscheidung der SPD für Scholz"
Bei den Grünen laufe das Duell um die Kanzlerkandidatur deutlich geordneter und geräuschloser ab, sagte Walter-Borjans. Es zeige sich nun auch, dass es klug gewesen sei, dass die SPD Olaf Scholz so früh zum Kandidaten ernannt habe. Dass seine Partei keine Schlagzeilen über einen Kandidaturwettstreit mache, sei sehr begrüßenswert. Die SPD müsse sich mit ihrem Kandidaten keineswegs auf eine Rolle als Junior-Partner einstellen. Es werde sich zeigen, dass die Sozialdemokraten einen sehr erfahrenen Kandidaten aufgestellt hätten. Dies würden die Wähler am Ende honorieren.
"Strengsten Corona-Regeln nicht nur bei den Schwächsten anwenden"
Zur laufenden Diskussion um die Corona-Regeln sagte Water-Borjans, dass die Regeln so aufgestellt werden müssten, dass "man nicht immer nur die strengsten Regeln bei den Schwächsten macht". Politik müsse einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen moderieren. Ein Verzicht auf Unterricht sei beispielsweise für viele Familien kaum hinnehmbar. Es müsse über die Bereitschaft der Unternehmen zu weiteren Maßnahmen diskutiert werden.
Tobias Armbrüster: Herr Walter-Borjans, wie steht Ihre Partei nun zum Bundeslockdown?
Walter-Borjans: Wir stehen so dazu, dass wir jetzt eine schnelle Lösung brauchen und dass wir es uns nicht leisten können, noch Tage und schon gar nicht Wochen zu diskutieren. Ich glaube allerdings, dass sich die Fraktionen von CDU/CSU und unsere Fraktion der SPD doch sehr nahe gekommen sind und dass diese Lösung möglich ist.
Walter-Borjans: Unternehmen müssen Beitrag in Krise leisten
Armbrüster: Müssen wir denn unbedingt an dieser Inzidenz-Zahl von 100 festhalten? Die gerät jetzt ja immer mehr in die Kritik.
Walter-Borjans: Ja. Eine Inzidenz-Zahl ist ja immer eine Größe. Die Zahl 100 ist natürlich eine, in einer gewissen Weise gegriffene Größe, die aber doch, was die Wissenschaft uns sagt, Anhaltspunkte ergibt. Aber Sie sehen ja gerade, dass beispielsweise bei der Frage der Öffnung der Schulen diskutiert wird auch über Werte, die darüber liegen. Ich kenne die Kritik, die daran auch uns gegenüber geäußert wird, und die nehme ich auch ernst. Aber wir müssen auch als Politik die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zusammenbringen, und wenn wir sehen –
Ihr Kollege Herr Finthammer hat das in einem Beitrag beschrieben
-, dass über Monate Kinder schon nicht in die Schule gegangen sind und jetzt noch mal einen Verzicht auf Unterricht für viele Familien, gerade für die Schwächeren bis zu den Sommerferien ansteht, dann muss man auch das mit ins Kalkül ziehen und muss eine Lösung finden, die nicht immer die strengsten Regeln nur bei den Schwächsten macht, sondern dann muss man auch darüber reden, welchen Beitrag leisten die Unternehmen, wie sieht es bei denen mit der Testpflicht aus, wie ist es mit der Bereitschaft, alles ins Homeoffice zu verlegen, was nur eben geht, weil das ist ein Punkt, der muss auch von der Wirtschaftsseite gegeben werden.
Armbrüster: Jetzt sagen viele Verfassungsrechtler trotzdem, das alles hätte in Karlsruhe keine Chance. Da würde diese Bundesnotbremse einfach so durchfallen. Wie ernst nehmen Sie die Gefahr, dass die Bundesregierung, in der ja auch Ihre Partei einen nicht unerheblichen Anteil hat, dass auch Ihre Bundesregierung wieder einmal am obersten deutschen Gericht scheitert?
Union führt "Gladiatorenkampf" um K-Frage
Walter-Borjans: Erst mal haben wir dafür ein Verfassungsgericht, dass sichergestellt wird, es gibt immer eine überwachende Institution. Auf der anderen Seite: Wenn man aber in einer so schwierigen Situation von vornherein jedem, der auch möglicherweise aus anderen Motiven ankündigt, zum Verfassungsgericht zu gehen, beziehungsweise schon ankündigt, wie das Verfassungsgericht dann entscheiden wird, wenn man dann jede Möglichkeit schon von vornherein ausschließt, dann wird man eine solche Krisensituation nicht bewältigen können.
Armbrüster: Herr Walter-Borjans, heute sind ja alle Augen neben diesem Aspekt, neben der Corona-Bundesnotbremse auf Personalfragen gerichtet in Berlin. Wir wollen das auch im Gespräch mit Ihnen klären. Da geht es einmal natürlich bei der Union um die Frage, wer dort das Rennen macht, Markus Söder oder Armin Laschet, und auch bei den Grünen steigt die Spannung. Die wollen heute ihren Kanzlerkandidaten oder ihre Kandidatin bekanntgeben. Um Ihren Kandidaten Olaf Scholz, um den Kanzlerkandidaten der SPD ist es dagegen sehr ruhig geworden. Woran liegt das?
Walter-Borjans: Dass wir sehr geschlossen sind und dass wir sehr konstruktiv uns im Moment mit dem beschäftigen, was wir gerade besprochen haben, nämlich eine solche Krise nicht auch noch dadurch zu überlagern, dass man seinem eigenen Ehrgeiz nachgeht und sich damit in der Öffentlichkeit offenbar aufmerksamkeitsstärker produziert. Ich finde das sehr unverantwortlich. Wir haben es hier zu tun nicht nur mit zweien, die ihre eigenen Zukunftsambitionen so ausspielen, dass praktisch die Gespräche, die ich eben angesprochen habe, über das Infektionsschutzgesetz überlagert und natürlich auch behindert werden. Die Konzentration liegt bei der anderen Seite ja ganz offenbar ganz irgendwo anders. Man muss ja sogar davon ausgehen, dass am Ende ein solcher Gladiatorenkampf auch noch zu Lasten der Gesellschaft geht, was die Folgen angeht, denn jeder kann sich ausmalen, dass der Unterlegene am Ende auch etwas bekommen muss, und es kann nicht sein, dass das in einer solchen schwierigen Situation am Ende immer von der Gesellschaft zu bezahlen ist und das Ansehen der Politik insgesamt ramponiert.
"Kein Interesse daran, dass wir auch noch ablenken"
Armbrüster: Woher nehmen Sie denn die Schlussfolgerung, dass die Union nicht mehr in der Lage ist, wirklich angemessen über diese Corona-Pandemie zu debattieren? Wir hatten ja in der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag einen ganz anderen Eindruck bekommen. Und auch wenn ich mir heute Morgen die Zeitungen durchlese, die Nachrichten anschaue, da ist die Debatte auch in der Union ja sehr rege. Wirkliche Ablenkung, davon kann man ja nicht gerade sprechen durch diese Klärung der K-Frage.
Walter-Borjans: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich sage ganz klar, es gibt natürlich auch in CDU und CSU viele, die sich mit dem beschäftigen, was jetzt ansteht, nämlich mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, Regierungsverantwortung ernst zu nehmen, die vielen auch widerstrebenden Interessen zusammenzubringen. Aber dass eine solche Frage Nervosität verursacht, dass sie Konzentration nimmt, ich glaube, das kann man ja fast schon niemandem verdenken. Man muss es dann aber denen vorwerfen, die beide nicht in der Lage sind, offenbar eine angekündigte Entscheidung auch wirklich friedlich zu treffen.
Sie haben ja eben noch mal angesprochen, warum ist es bei uns ruhiger. Ich hätte wenig Interesse daran, dass wir im Moment Schlagzeilen damit produzieren, dass wir auch noch ablenken von der Problemlösung, vor der wir im Augenblick stehen.
"SPD hat erfahrenen, durchsetzungskräftigen Kandidaten"
Armbrüster: Aber wäre es nicht im Rückblick klüger gewesen, die K-Frage in der SPD vielleicht ein klein wenig später zu klären, um einfach nur die Spannung und auch die Aufmerksamkeit in diesem Fall ein bisschen aufrecht zu erhalten?
Walter-Borjans: Ich glaube, es wird sich im Verlauf der nächsten Wochen, wenn die Kandidaten und Kandidatinnen der anderen feststehen, schon zeigen, dass die SPD einen sehr erfahrenen, einen durchsetzungskräftigen, einen beharrlich an den Problemen arbeitenden Kandidaten hat, und da mache ich mir wenig Sorgen, dass das dann auch auffällt. Aber ich bin sehr dagegen, dass wir in der augenblicklichen Situation unser Augenmerk auf Inszenierungen legen. Das sollen jetzt, bitte schön, die anderen mal machen. Wir sind froh darüber und es ist vorher ja vorgeworfen worden, wir hätten sehr früh einen Kandidaten wegen der Aufmerksamkeit, wegen des Wahlkampfs ausgewählt. Ich glaube, heute sehen viele, wie wichtig es war, dass diese Frage geklärt ist und dass wir uns den Aufgaben stellen können, die wirklich anliegen.
"Olaf Scholz ist der einzige Kandidat mit Regierungserfahrung"
Armbrüster: Herr Walter-Borjans, wenn man sich die Umfragen ansieht, dann sieht es ja sehr wahrscheinlich danach aus, dass auch Ihre Partei, die SPD, auch in der kommenden Regierung wieder nur die Rolle eines Juniorpartners übernehmen würde. Wenn Sie es sich aussuchen könnten, fangen wir mal an bei den Grünen, wen hätten Sie lieber als Kanzler, als Gegenpart für Ihre Partei, als Koalitionspartner, Annalena Baerbock oder Robert Habeck?
Walter-Borjans: Ich bin lange noch nicht da, dass ich sage, wir sind der Juniorpartner, sondern ich sage noch mal, wenn jetzt klar ist, wer die Wettbewerberinnen und Wettbewerber sind, dann wird auch sehr schnell deutlich, dass der einzige, der mit wirklicher Regierungsverantwortung und Regierungserfahrung aufwarten kann, Olaf Scholz ist. Und ich sage Ihnen voraus, dass gerade in dieser Schlussphase des Wahlkampfes viele Menschen auch darauf Wert legen, dass sie sagen, es ist ja schön, wir brauchen Zukunftsperspektiven, auch an denen arbeiten wir. Wir haben ein Zukunftsprogramm vorgelegt. Und ich finde gut, dass die Grünen in einer ähnlichen Spur unterwegs sind. Aber der Wettbewerb darum, wer ein solches Regierungsbündnis, das, wie wir gerade sehen, die CDU und die CSU ganz nötigerweise auf die Oppositionsbank verbannt, wer dieses Regierungsbündnis führt, da ist das letzte Wort sicher nicht gesprochen. Den Wettbewerb werden wir fair führen und ich kann auch nur sagen, dass die Grünen in einer wesentlich geordneteren Art ihre Kandidatin, ihren Kandidaten bestimmen. Das tut nicht nur der Politik gut; das tut auch dem Land gut und das tut auch diesem Wettbewerb zwischen uns gut.
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