30. November 2019. Steinerne Mienen, Stille im Willy Brandt-Haus, erst dann ein freundlicher Applaus, Malu Dreyer verkündet das Ergebnis der Vorsitzendenwahl: "Auf Klara Geywitz und Olaf Scholz entfielen 98.246 Stimmen. Das sind 45,33 Prozent." Die gesamte SPD-Spitze hatte sich für Olaf Scholz als Parteichef ausgesprochen - vergeblich. Der Vizekanzler ringt einen Moment um Fassung, holt tief Luft und verkündet mit hanseatischem Understatement: "Die Entscheidung bedeutet eine neue Parteiführung, und hinter der müssen sich jetzt alle versammeln."
In der Partei umstritten
Alles Gute wünscht er den frisch Gewählten noch, dann zieht er ab, es ist die wohl größte Niederlage des Olaf Scholz. Doch er fängt sich schnell, so als ahne er, dass es noch eine Chance gibt für sein Projekt Olaf 2021. Und gestern, unter der gläsernen Kuppel eines umgebauten Gasometers in Berlin-Schöneberg dreht er den Spieß um, seine Loyalität hat sich ausgezahlt, Deutschlands derzeit beliebtester Sozialdemokrat wird die Partei in den nächsten Wahlkampf führen.
"Nur wenn alle hinter dem Spitzenkandidaten stehen, nur dann kann man auch erfolgreich sein. Das glaube ich, ist so, deshalb fühle ich mich jetzt richtig gut."
Olaf Scholz, ausgerechnet Olaf Scholz. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans spricht über die Reputation, die sich der Finanzminister in der Coronakrise erworben habe, im Rennen um den Parteivorsitz hatte er genau die in Frage gestellt – immer wieder stellte er Scholz an den Pranger, vor allem wegen seiner Sparpolitik, so sehr, dass dessen Mitbewerberin Klara Geywitz der Kragen platzt: "Ich lasse es Dir nicht durchgehen, dass du jedes Mal kommst und sagst, das größte existierende Problem der SPD ist Olaf Scholz. Er hat für uns zweimal Wahlen gewonnen und macht als Finanzminister einen guten Job!"
Scholz, der Agenda-Mann
Scholz gilt vielen als das sozialdemokratische Gesicht einer verhassten Großen Koalition, die einflussreichen Jusos machen Stimmung gegen ihn, erst im Rahmen einer No-Groko-Kampagne, später, als sich Nachwuchschef Kevin Kühnert offen für das Team Esken/Walter-Borjans ausspricht. Doch auch bei Älteren stößt der Minister auf Widerstand:
"Olaf, wie kann man mit Glaubwürdigkeit jemanden erklären, dass derjenige, der uns in dieses Tal der Tränen geführt hat, zukünftig für Glaubwürdigkeit und soziale Gerechtigkeit in der SPD steht, da habe ich ein Erklärungsproblem."
Der 62-jährige Olaf Scholz ist der letzte noch amtierende Agenda-Mann. Als Generalsekretär von Gerhard Schröder bringt er dessen Reformen mit auf den Weg, als Arbeitsminister verteidigt er sie später gegen Kritik aus eigenen Reihen:
"Keiner sollte sich Politik so vorstellen, wie sie in manchem journalistischen Lehrbuch steht: Wer mutige Reformen auf den Weg bringt, der kriegt auch begeisterte Zustimmung von den Menschen. Wer wirklich mutige Reformen auf den Weg bringt, hat es gerade als Volkspartei sehr schwer!"
"Ein echter, truly Sozialdemokrat"?
Selbst als Andrea Nahles vor ihrem Rücktritt mit Blick auf desaströse Umfragewerte davon spricht, Hartz IV überwinden zu wollen, kämpft Scholz noch vergeblich dafür, auf diese Begrifflichkeit zu verzichten. Auch deshalb muss er viel Spott über sich ergehen lassen, als er von sich behauptet:
"Ich bin der Meinung, dass ich ein echter, truly Sozialdemokrat bin!"
Dass er wie einst Wolfgang Schäuble daran festhält, keine neue Schulden machen zu wollen, bringt viele Genossen auf die Palme. Heruntergekommene Schulen, schlecht bezahltes Pflegepersonal, marode Straßen und Schienen, der Staat muss investieren, heißt es, wenn die SPD da keinen Druck macht, ist Schicht im Schacht.
Scholz aber kokettiert lange mit dem Festhalten an der schwarzen Null, etwa als er bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds von der Chefin des German Marshall Funds, Karen Dunfried, gefragt wird, ob er den Unterschied zwischen seiner Finanzpolitik und der seines Vorgängers von der CDU erklären könne:
- "Can you articulate what the difference of your approach is to the way Wolfgang Schäuble approaches this issues?"
- "No!"
- "No!"
Unterstützung vom Altkanzler Schröder
Erst Corona macht alles anders. Scholz sieht sich bestätigt. Wer das Geld beisammenhält, kann in schlechten Zeiten kräftig verteilen, sagt er. Er will "mit Wumms aus der Krise. Es ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige tun. Was wir dann noch an Kleinwaffen brauchen, das sehen wir später."
Gerhard Schröder, sein einstiger Ziehvater, gibt die Wahl zwar schon verloren und sieht die Grünen fest bei der Union. Dass Scholz aber der einzige ist, der für die SPD ins Rennen gehen könnte, sieht der Altkanzler genau so:
"Olaf Scholz, der zeitweise ein bißchen fixiert war auf die Schwarze Null, hat dann die Bazooka rausgeholt, zu Recht, wie ich finde. Das haben sie gut gemacht."
Und weil er das besser gemacht hat, als sie alle gedacht haben, wurde seine Kandidatur schon vor Wochen beschlossen. Im ARD-Sommerinterview sagt Saska Esken am Sonntag nur, es würde frühzeitig entschieden, da steht der Entschluss bereits, ihn tags drauf zu präsentieren. Dumm nur, dass sie sich auch vorstellen kann, als Junior in einer Koalition mit den Grünen zu regieren:
"Da geht es nicht um Eitelkeiten, sondern darum, gute Politik zu machen für die Menschen, und da ist die SPD auch bereit dazu."
Hat die SPD Chancen, einen Kanzler zu stellen?
Wozu dann aber überhaupt einen Kanzlerkandidaten? Schon im Wahlkampf hatte die heutige Parteivorsitzende in Frage gestellt, ob eine 14- oder 15-Prozent-Partei, diesen überhaupt brauche: "Die SPD stellt dann einen Kanzlerkandidaten auf, wenn sie wieder Zustimmungswerte erreichen kann, wo sie nicht dafür ausgelacht wird, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen."
Für Saskia Esken scheint der Zeitpunkt nun gekommen, und Olaf Scholz macht ihr gestern klar, dass er natürlich nur antritt, um eine Koalition auch als Kanzler zu führen. Ein Untersuchungsausschuss zum Fall Wirecard könnte ihm den Wahlkampf verhageln. Auffällig, wie sehr Scholz in die Offensive gegangen ist und Aufklärung darüber versprochen hat, ob die Finanzaufsicht versagt hat. Da hat er offensichtlich aus Fehlern gelernt, die er als Hamburger Bürgermeister 2017 machte, als er die Ausrichtung eines G20-Gipfels allzu überheblich mit einem Hafengeburtstag verglich – es dann aber zu schweren Krawallen kam.
"Dafür, dass das geschehen ist, bitte ich die Hamburgerinnen und Hamburger um Entschuldigung."
Scholz will "eine ganz wichtige Person bleiben"
Ob er, der konservative Sozialdemokrat, zu einem linken SPD-Programm passt, muss sein Wahlkampf noch zeigen. Zunächst aber bleibt gültig, was Norbert Walter-Borjans im Fernseh-Fragespielchen gesagt hat: "Unter meiner Führung wird Olaf Scholz in der SPD...", fragt der Moderator. Scholz antwortet: "... eine ganz wichtige Person bleiben!" An eine Kanzlerkandidatur dürfte er im Spätherbst vergangenen Jahres aber wohl kaum gedacht haben.